Sydow / Seiferth Sexualität in Paarbeziehungen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8409-1644-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Reihe: Praxis der Paar- und Familientherapie
ISBN: 978-3-8409-1644-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Sexuelle Störungen und Probleme sind in dauerhaften Paarbeziehungen keine Seltenheit. Intherapeutischen und beraterischen Kontexten wird damit ganz unterschiedlich umgegangen. Die Bandbreite reicht von großartigen Optimierungsversprechen über Pessimismus bis hin zur kompletten Vermeidung des Themas. Ausgehend von der Grundlagenforschung wird in diesem Band ein Überblick über die sexuelle Entwicklung im Lebenslauf und in Dauerbeziehungen, die Verbreitung sexueller Probleme und relevante Risiko- und Schutzfaktoren gegeben. Verschiedene Theorien zur Sexualität, z.B. neuropsychologische, evolutionäre, soziologische, psychoanalytische, bindungs- und traumabezogene, werden kritisch diskutiert.
Daran angelehnt werden die Möglichkeiten und Grenzen beraterischer und therapeutischer Interventionen bei Einzelpersonen und Paaren dargestellt. Hierzu gehören Pharmakotherapie, Beratung und Psychoedukation, klassische sexualtherapeutische und systemisch-integrative Therapieansätze. Zum einen wird auf Funktionsstörungen wie Lustlosigkeit, Impotenz oder ausbleibenden Orgasmus eingegangen; zum anderen werden nichtfunktionelle sexuelle Probleme, wie z.B. sexuelle Langeweile, Außenbeziehungen, Gewalt oder Konflikt über sexuelle Fragen, behandelt. Wesentlich dabei ist sowohl die individuelle Weiterentwicklung der Betroffenen in Richtung Selbstverantwortung, Autonomie und Entwicklung der emotionalen Selbstregulation als auch die Stärkung der Bindungsfähigkeit eines Paares. Fallbeispiele illustrieren die integrative psychotherapeutische Arbeit der Autorinnen, die durch systemische, psychodynamische und sexualtherapeutische Ansätze geprägt ist.
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1;Sexualität inPaarbeziehungen;1
1.1;Inhaltsverzeichnis;9
2;1 Einleitung;13
3;2 Sexuelle Entwicklungen in heterosexuellen Beziehungen;17
3.1;2.1 Der Entwicklungsverlauf u¨ber die gesamte Beziehungsdauer;17
3.2;2.2 Kritische Lebensereignisse und ihre Auswirkungen auf die Sexualität;25
3.3;2.3 Differenzielle Effekte;35
3.4;2.4 Prädiktoren und Korrelate von sexueller Aktivität und Zufriedenheit;43
3.5;2.5 Die längsschnittliche Entwicklung u¨ber Jahrzehnte hinweg;45
3.6;2.6 Exkurs: Sexualität in gleichgeschlechtlichen Beziehungen;45
4;3 Sexuelle Probleme und Ressourcen;49
4.1;3.1 Klassifikation und Diagnostik von sexuellem Verhalten, Erleben und Problemen;49
4.2;3.2 Die Epidemiologie sexueller Probleme und Funktionsstörungen;58
4.3;3.3 Sexuelle Funktionsstörungen;60
4.4;3.4 Nichtfunktionelle psychosexuelle Probleme;71
4.5;3.5 Sexuelle Ressourcen;80
5;4 Theoretische Konzepte zur Sexualität und sexuellen Problemen in Dauerbeziehungen;85
5.1;4.1 Biologische Aspekte;86
5.2;4.2 Gesellschaftliche Faktoren;94
5.3;4.3 Verinnerlichte Bindungs- und Beziehungserfahrungen;100
5.4;4.4 Es liegt an der Partnerschaft?! – Sexuelle Störungen als Ausdruck allgemeiner Partnerschaftsprobleme;117
5.5;4.5 „Es ist wie es ist“ – Unvermeidliche intrapsychische und interpersonelle Konflikte;120
6;5 Ansätze fu¨r Therapie und Beratung;132
6.1;5.1 Prävention;132
6.2;5.2 Veränderungsbedarf und Grenzen des Machbaren;132
6.3;5.3 Spontanremission und Selbsthilfe;134
6.4;5.4 Pharmakologische und organmedizinische Hilfen;136
6.5;5.5 Paar- und Sexualberatung;139
6.6;5.6 Behavioral-integrative Sexualtherapie;142
6.7;5.7 Systemisch-integrative Paar- und Sexualtherapie;144
6.8;5.8 Paartherapie bei speziellen Problemlagen;155
6.9;5.9 Forschungsstand;162
7;6 Implikationen fu¨r Therapie und Beratung;167
7.1;6.1 Indikationen und Kontraindikationen;167
7.2;6.2 Grundsätzliche Aspekte;170
7.3;6.3 Theoretische Kontroversen um Sexualität, Bindung, Differenzierung und Traumatisierung;178
7.4;6.4 Weitere wichtige Aspekte fu¨r die Psychotherapie und den Alltag;184
8;7 Fallbeispiele;186
8.1;7.1 Herr A. (Einzeltherapie mit Einbezug der Partnerin);186
8.2;7.2 Frau B. (Einzeltherapie mit Einbezug des Partners);191
8.3;7.3 Frau L. und Herr D. (Paartherapie);199
9;Literatur;205
10;Anhang;230
10.1;Informationsangebote im Internet;230
10.2;Universitäre Sexualberatungsstellen;232
11;Stichwortverzeichnis;233
2 Sexuelle Entwicklungen in heterosexuellen Beziehungen (S. 5-6)
2.1 Der Entwicklungsverlauf über die gesamte Beziehungsdauer
Die Forschung konzentriert sich auf die Frage, wie oft Ehepaare durchschnittlich Geschlechtsverkehr haben. Über alles andere weiß man nur wenig.
2.1.1 Die Bedeutung von Zärtlichkeit und Sexualität
Sex ist für die meisten Menschen die meiste Zeit hindurch weniger bedeutsam als die Medien suggerieren: Nur ein Viertel der Deutschen (33 % der Männer, 20 % der Frauen) würde sich grundlegend daran stören, „wenn mein Partner keinen Sex mehr haben will“. Ernstere Probleme wären es, wenn der „Partner die Kinder schlecht behandelte“ (für 68 %), „sich nicht mehr um sein Äußeres kümmerte“ (für 50 %) oder die ganze Zeit vor dem Computer verbrächte (für 46 %; EMNID-Institut, 2011).
Sehr wichtig sind aus Sicht der deutschen Bevölkerung bei einem Partner oder einer Partnerin Attribute wie „Ehrlichkeit“, „Treue“, Wärme/Herzlichkeit“, „gute Mutter/guter Vater“ oder „Natürlichkeit“. Frauen nennen sexuelle Attraktivität erst auf Platz 10 (32 %), Männer auf Platz 6 (51 %; ohne Namen, 2012b). Auch als Motiv für das Scheitern von Beziehungen und Ehen spielt Sexuelles eine weniger wichtige Rolle. Bedeutsamer sind „die Partner haben sich auseinanderentwickelt“ (55 %), Alltagsroutine und Langeweile (45 %), finanzielle Konflikte (41 %) – erst dann folgt „ein Seitensprung“ (37 %), gefolgt von zu großer Karriereorientierung eines Partners (29 %), Konflikte über Kindererziehung (20 %), ein unbefriedigendes Sexualleben (19 %) und Streit über Hausarbeit (17 %; ohne Namen, 2008). Nach Einschätzung der 16- bis 69-jährigen Deutschen machen vor allem Gesundheit (76 %) und – für über 60 % – eine glückliche Partnerschaft/Ehe, eine Familie oder Menschen, die einen lieben, glücklich. Dagegen spielten „viel Geld haben“, beruflicher Erfolg oder „ein erfülltes Sexleben“ eine weitaus geringere Rolle (Merten, 2007, S. 102).
Da seriöse Studien zum Thema nicht vorliegen, wollen wir nur kurz methodisch fragwürdige Studien erwähnen, laut denen Frauen dem Sex manchmal TV-Romanzen (35 %), Schokolade (23 %), Schaumbäder (19 %) oder Sport (17 %) vorziehen (GEWIS-Umfrage für die Zeitschrift Für Sie; Umfrage: Frauen würden eher …, 2006). Für Männer oft reizvoller als Sex mit ihrer Partnerin seien Fußballspiele (62 %; zitiert nach Hamburger Morgenpost, 30. 05. 2008) oder neue Computerspiele (für 72 %).
Für die Mehrheit der Erwachsenen in Deutschland (60 %) sind Küsse, Zärtlichkeiten und Petting das wichtigste Element ihres Sexuallebens. Geschlechtsverkehr rangiert erst an zweiter Stelle (37 %; Kluge & Sonnenmoser, 2002). Die Bedeutung von Sexualität nimmt mit zunehmender Beziehungsdauer stärker ab als die von Zärtlichkeit: Während bei drei Viertel der glücklichen Paare Ende 20 Sex wichtig ist, und das auch für glückliche Paare in den Vierzigern gilt, spielt dieses Thema für glückliche Paare mit Mitte 60 nur noch eine geringe Rolle, während emotionale Sicherheit und Loyalität an Bedeutung gewonnen haben (Reedy et al., 1981). Zärtlichkeit war in den ersten Ehejahren für 63 % wichtig und ist bei 44 % auch in reiferen Jahren nach wie vor bedeutsam (Sydow, 1993).
2.1.2 Erotische Fantasien, erotisches (Des-)Interesse und Motive für sexuelle Aktivität
Die meisten Menschen sind lebenslang interessiert an Zärtlichkeit. Die Schweizer Bevölkerung ist zwischen 45 bis 69 Jahren jedenfalls fast durchweg interessiert an Zärtlichkeit (Streicheln, in den Arm nehmen, Küssen; 98 bis 100 %), nur in der Gruppe ab 70 Jahren ist das weibliche Interesse etwas geringer (bei rund 80 % vorhanden) als das männliche (rund 95 %; Bucher et al., 2001). Interessiert an Petting sind rund 90 % der Männer ab 45 Jahren und noch 75 % der 75- bis 91-jährigen Männer. Bei den Frauen sind 65 bis 94 % ab 45 Jahren interessiert an Petting, allerdings nur noch 35 % der Frauen ab 75 Jahren. Geschlechtsverkehr wünschen sich fast 100 % der unter 70-jährigen Männer und ca. 85 % der gleichaltrigen Frauen (Bucher et al., 2001).
Das sexuelle Interesse von Männern wie auch Frauen nimmt mit zunehmender Partnerschaftsdauer und zunehmendem Alter ab, wobei das männliche Interesse anfangs höher ist – insbesondere das Interesse an koitaler Aktivität – und das weibliche Interesse etwas stärker und früher abzunehmen scheint (Beutel, Stöbel-Richter & Brähler, 2008). Die Zustimmung zum Item „Sex interessiert mich nicht sehr“ steigt mit zunehmendem Alter an von 3 % bei 20- bis 29-jährigen Partnern auf 27 % bei den über 60-jährigen (Trudel, 2002). Diskrepantes sexuelles Interesse ist bei Paaren weit verbreitet.
Ein Indikator sexuellen Interesses sind sexuelle Fantasien. Diese werden von knapp drei Viertel aller Partner (69 % Frauen, 76 % Männer) berichtet (Trudel, 2002). Zu den verbreitesten sexuellen Fantasien gehören solche von anderen Partnern bzw. Partnerinnen bzw. einer Affäre mit einer anderen Person (34 %). Ein Viertel der befragten Frauen und Männer träumen von erotischen Abenteuern mit Prominenten wie z. B. Pamela Anderson oder George Clooney.