Taylor | Vor dem Sprung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Taylor Vor dem Sprung

Storys
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-492-60157-3
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Storys

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-492-60157-3
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fragile Identitäten zwischen Zärtlichkeit und Gewalt Ein junger queerer Mann lässt sich mit einem Tänzerpaar ein und ahnt nichts von der toxischen Eifersucht, die bald in der Affäre schwelt. Eine Familie zerstreitet sich wegen der Homosexualität des abwesenden Sohnes. Ein Junge erfährt an seinem 17. Geburtstag, dass sein bester Freund eine Mitschülerin vergewaltigt hat. Und versteht: Es gibt Schlimmeres, als allein erwachsen zu werden. Man liest Brandon Taylors Storys mit angehaltenem Atem, weil das Unheil jederzeit durch die zarte Schicht des Alltags zu brechen droht. 26 Medien in den USA und Großbritannien zählten »Vor dem Sprung« noch vor Erscheinen zu den wichtigsten Büchern des Jahres. Hier spricht ein Autor, der die amerikanische Literatur über Jahre hinweg prägen wird. »Taylor hat sich als herrlich origineller Erzähler etabliert.« Vogue »Voller grundlegender Einsichten in die Abgründe menschlicher Interaktion.« Kirkus Review »All diese Geschichten zeichnen ein Bild der Sehnsucht nach Intimität und des versteckten Verlangens nach Liebe.« Cosmopolitan »?Vor dem Sprung? bewegt sich in dem komplexen Raum zwischen Verletzten und Verletzenden, zwischen dem Feind im Gegenüber und dem Feind in uns.« Yiyun Li »Ein brillanter Schriftsteller.« Garth Greenwell

Brandon Taylor, geboren 1989 in Prattville, Alabama, legte mit »Real Life« sein hochgepriesenes literarisches Debüt vor, das ein Editor's Pick der New York Times war und auf der Shortlist des Booker Prize 2020 stand. Der ehemalige Iowa Arts Fellow schreibt literarische Essays und Rezensionen für The New York Times, Guernica, American Short Fiction, O: The Oprah Magazine, The New Yorker und viele mehr. Noch vor Erscheinen zählten 26 Medien in den USA und Großbritannien seine Story-Sammlung »Vor dem Sprung« zu den wichtigsten Büchern 2021. Taylors zweiter Roman »Die letzten Amerikaner« wurde von der amerikanischen und britischen Presse gefeiert und stieg mit Erscheinen auf der Bestsellerliste der New York Times ein.

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Kleines Biest
Sylvia hat ihr Leben in die Luft gejagt. Sie schneidet Kartoffelscheiben in brodelndes Wasser und sagt immer wieder: »Das nimmst du zurück, das nimmst du zurück.« Nebenan im Wohnzimmer: dumpfe Schläge. Sie hat den Zwillingen Knusperkartoffeln zum Mittag versprochen, wenn sie still und brav malen. Nach jedem Schlag hört man den Jungen jammern. Die verarschen sie. Sylvia gießt die Kartoffeln ab und gibt sie in ein Eisbad. Das Wasser lässt ihre Finger und Handgelenke taub werden. Die Stärke färbt das Wasser milchig, und die Kartoffeln sind jetzt glitschig wie etwas, das man eben aus dem Meer gefischt hat. Als ihre Hände weiß werden, schüttet sie das kalte Wasser weg und tupft die Kartoffeln trocken. Dann reibt sie sie mit Salz und selbst gemachter Knoblauchbutter ein. Und ab damit in den Ofen. Sie kommt sich produktiv vor, vorbildlich. Zur Belohnung schließt sie für einen Moment die Augen. Sie sinkt ins Dunkel ihrer Lider und spürt die schwindelige Euphorie, als würde sie kurz die Luft anhalten und dann wieder loslassen. Sie driftet, schwankt. Nicht zum ersten Mal in dieser Woche denkt sie an Hammond und die Trennung. An den unseligen Besuch bei ihrer Mutter letzten Monat, als sie sich den ganzen Hin- und Rückweg gezofft hatten. Die Farm hatte ihr Auseinanderbrechen nicht aufhalten können. Sie hatten den Ort des Konflikts verlegt, nicht aber den Konflikt selbst entschärft. Kurz darauf hatte Sylvia ihn verlassen, und das wars dann. Doch jetzt, hier in der Küche, macht sie sich die Endgültigkeit ihrer Entscheidung bewusst und wie leicht sie ihr letztlich gefallen ist. Wie schnell es am Ende ging. Wie ein Blitz. Da und weg, und doch hinterlässt die Trennung eine beißende, brennende Spur. Ehe sie genügend Selbstmitleid heraufbeschwören kann, zieht etwas an ihrem Hemd, als wäre sie an einem Nagel oder einer tückischen Ecke hängen geblieben. Sie öffnet die Augen einen Spalt und sieht das Mädchen, das sich am Saum ihres Hemds festkrallt. Im ersten Moment lächelt Sylvia. Der Griff des Mädchens ist fest, verzweifelt. Sylvia verspürt ein leichtes Kribbeln. Sie fühlt sich gebraucht. Aber dann entdeckt sie den braunen Matsch an den Fingern des Mädchens. Braun und grün und schwarz. Das Mädchen beschmiert Sylvias Hemd, wodurch es Sylvia in die Nase steigt: Hundekacke. »Was machst du da?«, sagt sie. Und staunt über die kühle Distanz in ihrer Stimme. Wie reif und enthoben sie klingt. Das Mädchen scheint sich nicht einmal zu freuen. Sie ist kein hämischer Mensch. Immerhin. Sie öffnet die Hände und schließt sie wieder, als wollte sie ihre Geste betonen. Sylvia könnte dieses Mädchen auf der Stelle zerreißen, zerfetzen, einfach so. Sie fühlt sich wie die Großmutter, die halb Wolf ist. Die würde das Mädchen hinunterschlingen und in sich drinbehalten. Stattdessen fasst sie das Mädchen am Handgelenk und geht mit ihr ins Wohnzimmer. Wo der Junge still dasitzt und malt. »Du bleibst hier«, sagt Sylvia zu ihm, als er aufschaut. Sie schlängelt sich mit dem Mädchen zwischen den Spielzeug- und Kissenhaufen hindurch. Eher noch als einem Schlachtfeld ähnelt das Wohnzimmer einem dieser leer gefegten Viertel in einer sterbenden Industriestadt im Rust Belt. Als wäre die Ordnung, die dort herrschte, von Chaos und Verwüstung überrollt worden. Das also haben die Zwillinge gemacht, als sie gemalt haben. Arbeit für später. Bevor die Eltern zurückkommen. Die Schiebetür steht einen Spalt offen. Ganz sicher ist das Mädchen auf der Suche nach ihrer kleinen Überraschung da raus. Das, denkt Sylvia, verstehen sie also unter still und brav.   Im Badezimmer lässt Sylvia heißes Wasser ins Waschbecken laufen, während das Mädchen vor sich hin starrt. Ohne Furcht. Ohne Reue. Gut gemacht, sagt Sylvia fast. Das Wasser dampft, während sich das Waschbecken füllt, und lässt den Spiegel geisterhaft anlaufen. Im Nebel sieht Sylvia: rote Augen, fettige Haut. Die Haare gekräuselt, fransig, fleckig. Das hier ist nicht das erste Malheur diese Woche. Das Mädchen hustet und schmiert sich Hundekacke ins Gesicht. Keine Reaktion. Sylvias Fingerspitzen brennen, als sie den Lappen ins Wasser taucht. Sie packt das Kinn des Mädchens, ohne auch nur so zu tun, als wollte sie vorsichtig sein, oder ihr mit sanfter Stimme zu erklären, warum es falsch ist, was sie getan hat. Sylvias Knöchel knacken leise, als sie den Kopf des Mädchens mit einem Ruck zu sich dreht, aber dann stockt ihr fast der Atem, so frei von Überraschung oder Widerwillen ist sein Blick. Sie hat mehr Angst als das Mädchen, während sie ihm mit dem heißen Lappen die Kacke aus dem Gesicht wischt. Will bloß dem Schwarz dieser Augen entkommen, mit denen das Mädchen sie wie aus einem tiefen Brunnen anstarrt. Nach einer Weile richtet das Mädchen den Blick so stur auf die Rückwand, dass Sylvia sich fast umdreht. Da ist nichts, ermahnt sie sich, nur die Blumentapete. Mit dem Lappen erwischt sie das meiste. Danach sind die Wangen und Lippen des Mädchens knallrot. Sylvia streckt die Hand aus für den Rest, doch das Mädchen presst seine Hand fest auf die von Sylvia, bis beide mit brauner Masse verklebt sind. Durch die Nähe und die feuchte Hitze des Badezimmers ist der Gestank noch schlimmer. Die Kacke fühlt sich an wie nasser Sand, körnig und klumpig. Sylvia spürt vereinzelte feste Kerne von irgendwas zwischen ihren Fingern. »Komm her«, sagt Sylvia und hebt das Mädchen übers Waschbecken. Noch ehe sie ihr damit drohen kann, sie ins Wasser fallen zu lassen, schmeißt sich das Mädchen nach vorn und taucht bis zu den Ellbogen ein. Sylvia versucht, sie zurück und aus dem heißen Wasser zu ziehen, aber das Mädchen schlägt und tritt um sich, als wollte Sylvia ihr die tollste Sache der Welt vorenthalten. Immer wieder reißt sie das Mädchen zurück, bis es plötzlich so wütend losbrüllt, dass das Geschrei den ganzen Raum erfüllt. Ein schrecklicher, wilder Laut. Sylvias Knie geben nach. Wie kann ein so kleiner Mensch so viel Lärm machen? Das nimmst du zurück, das nimmst du zurück. Schließlich hat sich das Mädchen leer geschrien und sackt in Sylvias Armen zusammen. Als Sylvia sie auf den Waschbeckenrand setzt, klappt sie wie eine Stoffpuppe vornüber, und Sylvia muss ihren Kopf mit der Brust auffangen. Sie zieht ihr das Kleid aus und trocknet sie ab. Dann wirft sich das Mädchen plötzlich nach hinten, aber Sylvia erwischt sie noch an den Schultern. Erst jetzt fällt Sylvia die Kacke auf ihrem eigenen Hemd wieder ein. Sie zerrt es mit einer Hand nach oben und windet sich heraus. Sie fühlt sich schmierig in der feuchten Badezimmerluft. Die Augen des Mädchens huschen über ihren Körper, weiten sich leicht. Das Mädchen streckt die Hand aus, die Fingerspitzen aufgeweicht und rot, und berührt den blauen Fleck an Sylvias Oberkörper. Sylvia knurrt.   In der Küche warten alle zusammen darauf, dass die Kartoffeln fertig werden. Die Zwillinge sitzen mit ihren Malsachen am Tisch, und der Junge ringt mit sich, ob er seinen krakeligen Baum rot oder blau ausmalen soll, während das Mädchen ihn hasserfüllt anstarrt. Am liebsten würde Sylvia das Ding einfach grün malen. Man tut Kindern keinen Gefallen damit, wenn man sie in dem Glauben lässt, die Welt könnte eine andere sein. Ihre Eltern hatten sie solche Dinge nicht lange glauben lassen – dass das Leben so wird, wie sie es sich wünscht, und dass sie es nur probieren muss. »Sylvie«, sagt der Junge, den Kopf in die Hände gestützt. »Hunger.« »Ist das ein ganzer Satz?«, fragt Sylvia, und er schaut finster, verschränkt die Arme vor der Brust. »Hunger.« »Noch fünf Minuten.« Der Junge leckt sich die Lippen, bis sie mit blasiger Spucke benetzt sind. Popelfresser, denkt sie. Das Mädchen sieht ihn schief an. »Sylvie. Hunger«, sagt er noch einmal. Die Kartoffeln brutzeln und zischen auf dem Backblech. Anstatt sie erst abkühlen zu lassen, schabt Sylvia sie direkt auf einen Teller und stellt ihn mitten auf den Tisch. Ein dampfender Berg besprenkelt mit grobem Meersalz und roten Chiliflocken. Sie setzt sich auf den Küchentresen und beobachtet die Zwillinge, wie sie die Kartoffeln beobachten. Wieder leckt sich der Junge die Lippen. Er nimmt sich zuerst, na klar. Jungen sind gierig, immer die Ersten. Aber diesen Jungen wird das Leben fertigmachen. Er...



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