E-Book, Deutsch, Band 3, 350 Seiten
Reihe: Materna & Konarek ermitteln
Theiss Kaiserjagd
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-98831-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Ischl-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 3, 350 Seiten
Reihe: Materna & Konarek ermitteln
ISBN: 978-3-492-98831-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jenna Theiss ist geboren und aufgewachsen, wo einst Kaiser Franz Joseph und die bis heute beliebte »Sissi« Sommerferien machten - in Bad Ischl im Salzkammergut, in unmittelbarer Nähe der Kaiservilla. In Salzburg studierte sie Psychologie, Pädagogik und Musik. Schließlich verschlug es sie nach Berlin, und sie arbeitete als Therapeutin, Dozentin und Musikerin. Heute lebt sie mit ihrem Mann und vielen Tieren auf einem alten Bauernhof im Berliner Umland. Neben Krimis schreibt sie - unter anderem Namen - auch Sachbücher und Artikel. Schauplätze der Kriminalromane sind die alte Heimat: Chefinspektor Paul Materna und die Psychologin Josi Konarek ermitteln in Bad Ischl, die Kriminalinspektorin mit Superrecognizer-Fähigkeiten, Dina Stassny, und Chefinspektor Adrian Billinger in der geschichtsträchtigen Mozartstadt Salzburg. Website: https://www.jenna-theiss-krimis.com/
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Freitag, 24. Mai
6.30 Uhr
Sie spürte, wie sich die Härchen auf ihren nackten Oberarmen aufstellten. Die Musik trieb wohlig-warme Schauer über ihren Rücken und überzog ihre Gliedmaßen mit einer Gänsehaut.
Kerstin Meinhard war bestimmt der einzige Mensch auf der Welt, der die Lieder aus dem Musical Elisabeth beim Joggen hörte. Ideal war der Rhythmus der Songs für diesen Zweck nicht, aber das Lauftempo ließ sich durchaus anpassen, wenn man sich etwas Mühe gab. Und Kerstin gab sich Mühe, denn sie wollte diese Musik hören, immer und überall.
Der Maiwind streichelte ihre Haut – und die Klänge ihre Seele. Sie sog die klare Luft des Morgens tief in die Lungen. Nur jetzt, zu dieser Zeit, da der Frühling allmählich in den Sommer überging, verströmte der Wald diesen unverwechselbar würzigen Duft – und das auch nur ganz früh am Tag.
Unglaublich, dachte sie, während sie mit federnden Schritten den Weg entlanglief, unglaublich – ich bin hier. Ich bin wirklich hier, auf den Spuren der Kaiserin! Genau wie der Elisabeth-Waldweg, den sie gestern genommen hatte, stand auch die heutige Jogging-Strecke ganz im Zeichen der Erinnerung an das Kaiserpaar. Der Weg führte von Bad Ischl am Kaiser-Jagdstandbild vorbei nach Lauffen. Bestimmt war einst die echte Sisi hier gelegentlich entlanggeritten. Sisi – so musste es nämlich richtig heißen, nicht Sissi, wie die meisten Leute sagten. Darauf legte Kerstin als begeisterter Fan der Kaiserin großen Wert.
Die Musik, unzählige Male gehört und doch immer noch von magischer Wirkung, ließ die Läuferin wie auf Wolken schweben. Leise, soweit es die Bewegung erlaubte, summte sie das Lied der jungen Kaiserin Elisabeth mit. Ich gehör nur mir … Im letzten Drittel des Liedes schraubte sich die Melodie stetig nach oben. Schließlich war eine derartige Höhe erreicht, dass Kerstin, völlig außer Atem, passen musste.
Lachend blieb sie stehen, um ein paar Dehnübungen zu machen. Sie atmete tief aus, nahm eine weite Schrittstellung ein, beugte das rechte Bein, das vorne stand, so weit es ging, streckte das linke durch und achtete darauf, dass die Ferse fest am Boden blieb, während sie mit dem Rumpf federnde Bewegungen nach vorne vollführte.
Unvermutet kam ihr ein Auto in flottem Tempo entgegen. Erschrocken sprang sie ein Stück zur Seite. Nicht nur, dass die Dreckschleuder die Waldluft verpestete, noch dazu wirbelte sie eine ordentliche Staubwolke hoch. Kerstin warf einen wütenden Blick auf das Fahrzeug und starrte ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund. Dann lief sie weiter.
Der iPod hatte zu einer neuen Nummer aus Elisabeth gewechselt. Ohne stehen zu bleiben, drückte Kerstin zweimal auf Zurück. In dem angewählten Stück Der letzte Tanz ging es um die erste Begegnung der jungen Sisi mit einem, der ab da ihr ständiger Begleiter sein würde – dem Tod. Der harte Rhythmus der Nummer passte hervorragend zu Kerstins leicht verärgerter Stimmung. Sie holte sich neue Energie aus dem rockigen Beat des Songs. Erstaunlich – sie musste das Lauftempo gar nicht ändern.
Kerstin mochte das Lied, und vor allem mochte sie den Interpreten, einen jungen Ungarn. Wie er mit seiner Stimme die Spannung zwischen Bedrohung und Erotik hielt, war einfach fantastisch. Sie besaß einen DVD-Mitschnitt der Inszenierung, aus der diese Aufnahmen stammten, und hatte ihn schon mehrmals angesehen. Wenn der Tod so aussah wie der Kerl, der ihn spielte, wäre sie genau wie Elisabeth versucht, sich von ihm verführen zu lassen! Sie sah ihn vor sich: blond, gut gebaut, mit blitzenden blauen Augen, die seine Partnerin unter seinen Willen zwingen konnten – und die zugleich eine unendliche Zärtlichkeit verströmten. Sie seufzte genüsslich. Die gute Laune war zurück.
Rechts vor ihr tauchte das Kaiser-Jagdstandbild auf. Kerstin verlangsamte das Tempo, ging vom Laufen zum Gehen über und schaute nach oben zu dem in Bronze gegossenen Kaiser Franz Joseph auf seinem Felsen. Bekleidet mit Lederhose, Jägerjoppe und Jägerhut, stand er da, auf einen langen Stab gestützt; sein Blick war auf einen erlegten Hirsch am Fuß des Felsens gerichtet.
Kerstins Blick folgte dem des Kaisers. Vor dem Denkmal lag ein Mann – ein zweiter Franz Joseph! Ruckartig blieb sie stehen. Sie schlug die Hand vor den Mund. Der Mann trug zwar keine Jägerkleidung, sondern einen schwarzen Trainingsanzug, aber der Haarkranz um die Halbglatze war weiß, genau wie der des Kaisers auf so vielen Bildern. Sein Gesicht zierte der unverwechselbare Franz-Joseph-Backenbart.
Kerstin näherte sich vorsichtig. Die wilden Schläge ihres Herzens konnte sie bis in den Hals spüren. Das Kaiser-Ebenbild lag auf der rechten Körperseite. Die Augen waren weit geöffnet. Sie starrten ins Leere. Der Mann war tot.
Wie ohne ihr Zutun kam ein Schrei aus ihrer Kehle. Dann rannte sie los, den Weg zurück Richtung Ischl. »Der letzte Tanz …«, sang der Tod in ihr Ohr, »… gehört allein nur mir.«
7.45 Uhr
Chefinspektor Paul Materna rekelte sich auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens und gähnte kräftig.
»Na, nicht ausgeschlafen, Chef?«, fragte Conni und zog einen Mundwinkel nach oben.
»Geht so. Sehr lange hätte ich ja eh nicht mehr schlafen können. Hab halt keine Zeit für einen Kaffee gehabt.« Schmunzelnd musterte Materna seinen bewährten Mitarbeiter. Wie meistens standen Connis Haare wirr vom Kopf ab. »Bei dir merkt man’s natürlich nicht, wenn du so plötzlich aus dem Schlaf gerissen wirst. Schaust ja immer aus, als wärst du grade aus dem Bett gefallen.«
»Pfff…«, schnaufte Conny und trat das Gaspedal weiter durch, obwohl der Tacho bereits auf 125 zeigte und auf der Salzkammergut-Bundesstraße nur 100 km/h erlaubt waren.
»Und wenn du mich schon als Chef titulieren musst – als dein Chef sag ich dir, dass du nicht so rasen sollst.«
»Wenn wir doch aber zum Tatort müssen …«
»Die Ischler Kollegen sind doch längst da. Glaubst vielleicht, die Leich’ rennt uns davon, wenn wir ein paar Minuten später kommen?«
Conni grinste und drosselte das Tempo, wenn auch halbherzig. »Das wär wenigstens einmal was Neues.«
Materna gähnte noch einmal. »Weiß man eigentlich schon was Näheres über den Toten …« Er brach ab, als sich im selben Moment sein Handy bemerkbar machte. Am Klingelton erkannte er, dass der Anruf von seiner Tochter kam. Er vergewisserte sich, dass sein Telefon nicht mit der Freisprechanlage des Dienstwagens synchronisiert war. »Isabel«, flüsterte er Conni zu, während er auf die Anrufannahme tippte und das Handy ans Ohr hielt.
»Hallo, Papa!«
Materna lächelte, als er ihre Stimme hörte. »Isi! Ich muss …«
»Ja, weiß schon, musst gleich ins Büro. Ich wollte dich nur fragen, ob ich übers Wochenende zu dir kommen kann.«
Ein kleiner Schreck fuhr ihm durch die Glieder. Ein spontaner Besuch seiner Tochter bedeutete selten etwas Gutes. »Ist etwas passiert? Bist du krank?«
»Nein, ich bin gesund. Naja – ein Problem hab ich schon. Und ich wollte halt mit dir reden.«
»Was Schlimmes?«
»Ein Problem halt. Bist du am Abend zu Hause?«
Lieber Himmel – würde er am Abend zu Hause in Linz sein können? Bisher hatte er keine Ahnung, was mit diesem neuen Fall in Ischl auf ihn zukommen mochte. »Ja«, sagte er entschlossen. »Ich denke, so um sieben kann ich daheim sein. Hast ja einen Schlüssel, falls du früher da bist als ich. Ich bin grad unterwegs nach Ischl. Wir haben da einen Toten …«
»Verstehe«, sagte Isabel. »Soll ich …«
»Nein, mein Schatz. Du sollst nicht in Tirol bleiben. Setz dich in den Zug oder ins Auto, wie du magst. Ich bin um sieben herum daheim. Spätestens um acht. Versprochen.«
»Danke, Papa.«
»Bis heute Abend also. Gute Fahrt, Isi«, beendete er das Gespräch, steckte das Telefon ein und seufzte.
»Ist was passiert?« Connis Stimme klang besorgt.
Materna lächelte. Kontrollinspektor Cornelius Laubenbacher war nicht nur sein engster Mitarbeiter. Er war mittlerweile auch ein echter Freund. Conni wusste um das innige Verhältnis zwischen ihm und seiner erwachsenen Tochter. »Ich hoffe nicht. Die Isi kommt übers Wochenende nach Linz. Sie möchte über irgendwas mit mir reden.« Er machte eine kleine Pause und schaute durch das Fenster auf die vorbeiflitzende Landschaft. Natürlich waren sie schon wieder viel zu schnell, aber das war im Augenblick sein kleinstes Problem. »Vielleicht ist der Fall ja einigermaßen klar, und du könntest eventuell am Wochenende allein … oder mit der Tina … oder mit dem Christian …« Er brach ab, als er Connis zweifelnden Blick bemerkte, auch wenn er ihn nur von der Seite sehen konnte. »Ich möchte auf jeden Fall am Abend heim nach Linz fahren«, ergänzte er. »Wenn dann noch was zu tun ist …«
»… übernehm ich das, klar. In Ischl magst nicht bleiben und der Isabel sagen, dass sie hierherkommen soll?«
»Nein. Die Josi ist noch in Berlin.«
»Ist schon blöd, dass die dauernd zwischen Berlin und Bad Ischl hin- und herpendelt, oder? Also, wenn das meine Freundin wär …«
»Ist sie aber nicht«, entgegnete Materna scharf, doch gleich darauf schlug er wieder einen freundlicheren Ton an. »Das ist schon in Ordnung. Nach Linz würde sie eh nicht ziehen, wo sie doch so ein hübsches Häuserl in Ischl hat. Aber so ganz aussöhnen mit Ischl, dass sie ständig hierbleiben tät’, kann sich die Josi halt nicht. Dazu ist zu viel passiert.«
Conni nickte. »Ich weiß. Ach so, ja, zu deiner Frage vorhin: Die Ischler Kollegen haben von der Inspektion aus beim Bereitschaftsdienst angerufen, nachdem eine Touristin den...




