E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Thoreau Chesuncook
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-99027-185-8
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-99027-185-8
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Schriftsteller und Philosoph, 1817 in Concord, Massachusetts, geboren, wo er 1862 starb. Sein Buch Walden; or, Life in the Woods hat ihn weltweit berühmt gemacht.
Weitere Infos & Material
Am 13. September 1853 um 5 Uhr nachmittags verließ ich Boston in dem Dampfer nach Bangor, der zunächst zu den Inseln fuhr. Der Abend war warm und still – wahrscheinlich wärmer am Wasser als an Land – und das Meer glatt wie ein kleiner See im Sommer, nur leicht gekräuselt. Die Passagiere gingen an Deck, um wie in einem Salon bis zehn Uhr zu singen. Wir kamen an einem Schiff vorbei, das unweit der Inseln an einem Felsen gekentert war, und einige von uns dachten an das »versunkene Schiff«, welches
»… so tief auf der Seite lag
dass es Wasser aufnahm und sein Kiel
die Luft pflügte«1,
ohne zu bedenken, dass Windstille herrschte und es keine Segel gesetzt hatte. Mittlerweile haben wir die Inseln hinter uns gelassen und befinden uns vor Nahant. Wir sehen alles so, wie es die Entdecker sahen, offensichtlich unverändert. Nun sehen wir die Leuchttürme von Cape Ann und fahren an einer vor Anker liegenden, einem Dörfchen ähnelnden Flotte von Makrelenfischern vorbei, die wahrscheinlich aus Gloucester stammen. Sie grüßen uns mit Rufen von ihren niedrigen Decks; aber ihr »Guten Abend« klingt in meinen Ohren wie: »Rammen Sie mich nicht, Sir.« Von den Wundern der Tiefe steigen wir hinab in noch tieferen Schlaf. Um in der Nacht absurderweise von jemandem geweckt zu werden, der einem die Stiefel putzen möchte! Das ist so unvermeidlich wie die Seekrankheit und mag damit zusammenhängen. Es ist so etwas wie die Taufe, die man bekommt, wenn man zum ersten Mal den Äquator überquert. Ich hoffte, man hätte diese alten Bräuche abgeschafft. Mit derselben Berechtigung könnten sie darauf bestehen, einem das Gesicht zu schwärzen. Ich habe von einem Mann gehört, der sich beklagte, jemand habe nachts seine Stiefel gestohlen; als er sie wiederfand, wollte er wissen, was sie damit angestellt hatten – sie hatten die Stiefel ruiniert, denn er rieb sie nie mit irgendwelchem Zeug ein; und der Schuhputzer hätte fast für den Schaden aufkommen müssen.
Da ich es eilig hatte, aus dem Bauch des Walfischs zu entkommen, stand ich früh auf und schloss mich ein paar alten Teerjacken an, die auf einem überdachten Teil des Decks bei einer schwachen Lampe rauchten. Wir fuhren gerade in die Flussmündung ein. Sie wussten natürlich alles darüber. Stolz stellte ich fest, wie gut ich die Reise überstanden hatte und dass ich unverdaut geblieben war. Wir wuschen uns und betrachteten die ersten Zeichen der Morgendämmerung durch eine offene Luke; doch der Tag schien sich Zeit zu lassen. Wir fragten, wie spät es sei; keiner meiner Kameraden hatte einen Chronometer. Schließlich eilte ein afrikanischer Prinz2 herbei, um zu melden: »Zwölf Uhr, Gentlemen!«, und löschte die Lampe. Der Mond ging auf. Also schlich ich die Eingeweide des Monsters wieder hinab.
Unser erster Halt vor Morgengrauen ist Monhegan Island, der nächste St. George’s Islands, zwei oder drei Leuchttürme sind zu sehen. Whitehead mit seinen kahlen Felsen und seiner Totenglocke ist interessant. Meine nächste Erinnerung ist die, dass Camden Hills meine Blicke anzog, und danach die Berge um Frankfort. Bangor erreichten wir gegen Mittag.
Als ich eintraf, war mein künftiger Reisegefährte3 flussaufwärts gezogen, um einen Indianer, Joe Aitteon4, einen Sohn des Stammesführers, zu engagieren, der uns zum Chesuncook Lake begleiten sollte. Joe hatte im Jahr zuvor zwei Weiße in dieselbe Richtung auf Elchjagd mitgenommen. Er kam an jenem Abend samt Kanu und einem Gefährten, Sabattis Solomon, mit Kutschen an; Solomon wollte Bangor am folgenden Montag mit Joes Vater auf dem Penobscot verlassen und nach unserem Ausflug mit Joe am Chesuncook Elche jagen. Sie aßen im Haus meines Freundes zu Abend und übernachteten in seiner Scheune und meinten, in den Wäldern sei es ihnen viel schlechter ergangen. Nur Watch bellte sie ein wenig an, als sie nachts an die Tür kamen, um Wasser zu holen, denn der Hund hat etwas gegen Indianer.
Am nächsten Morgen brachten wir Joe und sein Kanu zur Postkutsche, die zu dem mehr als sechzig Meilen entfernten Moosehead Lake fuhr, bevor wir eine Stunde später in einem offenen Wagen aufbrachen. Wir hatten Zwieback, Schweinefleisch, geräuchertes Rindfleisch, Tee, Zucker etc. dabei, es mochte für ein Regiment gereicht haben; der Anblick unserer aufgehäuften Schätze erinnerte mich daran, mit welch unwürdigen Mitteln wir uns bislang durchgeschlagen hatten. Wir nahmen die Avenue Road, die weitgehend gerade und in sehr gutem Zustand ist, nach Nordwest Richtung Moosehead Lake, durch mehr als ein Dutzend blühender Städte, fast jede mit einer eigenen Schule – keine von ihnen findet sich in meinem General-Atlas5, der – oh weh! – im Jahr 1824 erschienen ist; sosehr sind sie der Zeit voraus oder ich hinterdrein! Die Erdkugel muss damals auf den Schultern von General Atlas wesentlich leichter gelegen haben.
Es regnete den ganzen Tag und bis zur Mitte des nächsten Vormittags, sodass die Gegend fast vollständig im Verborgenen lag; doch kaum hatten wir die Straßen Bangors hinter uns, begann mich der Anblick der wilden Wipfel von Tannen und Fichten und anderer urtümlicher Nadelbäume aufzuheitern, die aus dem Nebel am Horizont hervorlugten. Es war wie der Anblick und der Duft eines Kuchens für einen Schuljungen. Jemand, der auf ausgetretenen Pfaden wandelt, achtet besonders auf Zäune. In der Nähe von Bangor waren die Zaunpfähle nicht in den Boden gerammt, da der Frost sie aus der Lehmerde drückt, sondern mit einem querliegenden waagerechten Balken verzapft. Später bestanden die Zäune vornehmlich aus Baumstämmen, hin und wieder gab es einen Gitterzaun, oder das Geländer war über gekreuzte Pfosten gelegt – und diese verliefen im Zickzack oder spielten den ganzen Weg bis zum See vor uns her Bockspringen. Nachdem wir das Penobscot-Tal verlassen hatten, war das Land auf zwanzig bis dreißig Meilen überraschend eben oder bestand aus sehr flachen und gleichmäßigen Erhebungen, die nie über das durchschnittliche Niveau hinausragen, aber bei gutem Wetter angeblich eine herrliche Aussicht bieten, wobei Ktaadn meistens zu sehen ist – gerade Straßen und langgezogene Hügel. Die Häuser standen weit auseinander, waren meist klein und einstöckig, aber im Fachwerkstil gebaut. Es war nur wenig Land bewirtschaftet, doch der Wald grenzte selten an die Straße. Die Baumstümpfe reichten häufig bis auf Kopfhöhe und zeigten an, wie hoch der Schnee gelegen hatte. Der Anblick der weißen Heudecken, die auf den Feldern über kleine Schober für Bohnen und Getreide gezogen werden, um sie vor Regen zu schützen, war für mich neu. Wir sahen große Taubenschwärme und näherten uns Rebhühnern auf der Straße nicht selten bis auf fünf bis zehn Yards. Mein Reisegefährte erzählte, er und sein Sohn hätten während eines Ausflugs von Bangor sechzig Rebhühner von seiner Kutsche aus geschossen. Die Bergesche war nun sehr schön, ebenso der Wayfarer’s Tree oder der Erlenblättrige Schneeball mit seinen reifen, lila und rot gefleckten Beeren. Die Acker-Kratzdistel, eine eingeschleppte Pflanze, war das vorherrschende Unkraut auf der ganzen Strecke zum See – der Straßenrand und die erst kürzlich gelichteten Felder waren so dicht davon übersät, als hätte man es angepflanzt, damit nichts anderes wachsen konnte. Es gab auch ganze Felder voller Farne, nun rostbraun und verwelkt, die in älteren Siedlungsgebieten gemeinhin nur auf feuchten Böden gedeihen. Es blühten so spät im Jahr nur sehr wenige Blumen. Auf einer Strecke von fünfzig Meilen fand ich entlang der Straße keine Aster, die blühte, obwohl sie damals in Massachusetts so reichlich wuchsen – nur an ein oder zwei Stellen die –, und keine Goldruten in den zwanzig Meilen ab Monson, wo ich eine dreifach gerippte entdeckte. Es gab jedoch viele Butterblumen und die beiden Feuerkräuter und (Waldweidenröschen), gewöhnlich dort, wo es gebrannt hatte, und schließlich die perlenartige Immortelle. Gelegentlich fielen mir sehr lange Tröge auf, die an der Straße als Wasserspeicher dienten, und mein Gefährte sagte, der Staat bezahle in jedem Schulbezirk drei Dollar im Jahr, wenn ein Mann einen zweckmäßigen Wassertrog am Wegrand aufstellte und für die Reisenden füllte – eine kleine Nachricht, die mich so erfrischte wie das Wasser selbst. Das Parlament, das diesen Beschluss gefasst hat, hat nicht umsonst getagt. Es war ein orientalischer Beschluss, der mich wünschen ließ, noch weiter unten im Osten zu sein – ein Gesetz mehr aus Maine, das wir, wie ich hoffe, auch in Massachusetts bekommen. In jenem Staat verbannt man die Schenken von seinen Durchfahrtsstraßen und leitet das Wasser von Bergquellen dorthin.
Fünfundzwanzig bis dreißig Meilen hinter Bangor, in Garland, Sangerville und weiter, wurde die Gegend erstmals merklich bergiger. In Sangerville, wo wir mitten am Nachmittag Rast machten, um uns aufzuwärmen und zu trocknen, sagte uns der...