Tóibín | Brooklyn | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 1 mm x 2 mm, Gewicht: 1 g

Tóibín Brooklyn

Roman
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-446-23670-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 1 mm x 2 mm, Gewicht: 1 g

ISBN: 978-3-446-23670-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die junge Irin Eilis Lacey wandert um 1950 nach Amerika aus, um in Brooklyn eine neue Arbeit zu finden. Doch sie passt sich nur langsam an das neue Leben an, schließt nicht leicht Freundschaft. Ganz allmählich gewinnt sie Selbstvertrauen und merkt, dass sie zu einer selbständigen, erwachsenen Person geworden ist. Das macht ihr die Entscheidung zwischen Irland und Amerika, zwischen dem einen und dem anderen Mann, nicht leichter. Der preisgekrönte Autor Colm Tóibín beschreibt eindrucksvoll ein klassisches Schicksal einer Emigration, den Werdegang einer ganz normalen Frau - ganz und gar aus ihrer Perspektive gesehen.

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  Eilis wachte während der Nacht auf, stieß die Decke auf den Fußboden und versuchte, lediglich mit dem Laken bedeckt wieder einzuschlafen, aber es war immer noch zu heiß. Sie war schweißgebadet. Das war, hatte man ihr gesagt, wahrscheinlich die letzte heiße Woche; bald würde die Temperatur fallen, und sie würde Decken brauchen, aber einstweilen würde es feucht und drückend bleiben, und die Menschen würden sich langsam und matt durch die Straßen schleppen. Ihr Zimmer ging nach hinten, und das Badezimmer war auf der anderen Seite des Gangs. Die Dielen knarrten, die Tür war aus ganz dünnem Material, und die Rohre machten so viel Lärm, dass sie hören konnte, wenn die anderen Mieterinnen nachts ins Bad gingen oder am Wochenende spät heimkamen. Es machte ihr nichts aus, aufgeweckt zu werden, solange es draußen noch dunkel war und sie sich wieder in ihrem Bett zusammenrollen konnte im Wissen, dass sie noch Zeit zu dösen hatte. Dann schaffte sie es, alle Gedanken an den bevorstehenden Tag aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Aber wenn sie bei Tageslicht aufwachte, wusste sie, dass ihr nur noch eine oder höchstens zwei Stunden blieben, bis der Wecker klingelte und der Tag begann. Mrs. Kehoe, der das Haus gehörte, war aus der Stadt Wexford und redete für ihr Leben gern über die Heimat, über Sonntagsausflüge nach Curracloe und Rosslare Strand oder über Hurling-Spiele, die Geschäfte auf der Main Street in Wexford oder über Personen, an die sie sich erinnerte. Eilis hatte anfangs geglaubt, Mrs. Kehoe sei Witwe, hatte nach Mr. Kehoe gefragt und woher er stammte, worauf Mrs. Kehoe ihr mit einem traurigen Lächeln mitgeteilt hatte, er komme aus Kilmore Quay, und dann nichts weiter gesagt hatte. Als Eilis das später Father Flood gegenüber erwähnt hatte, hatte er ihr erklärt, man solle möglichst nicht viel über Mr. Kehoe reden. Er war mit dem ganzen gemeinsamen Geld nach Westen gegangen und hatte seine Frau mit Schulden, dem Haus an der Clinton Street und ohne jedes Einkommen sitzenlassen. Das sei auch der Grund, sagte Father Flood, warum Mrs. Kehoe Zimmer vermietete, außer an Eilis noch an fünf andere Mädchen. Mrs. Kehoe hatte im Parterre ihr eigenes Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad. Sie hatte ihr eigenes Telefon, nahm aber, wie sie Eilis klipp und klar sagte, unter keinen Umständen Anrufe für die Mieterinnen entgegen. Zwei Mädchen wohnten im Souterrain und vier in den oberen Geschossen; zur gemeinsamen Benutzung stand ihnen eine große Küche im Parterre zur Verfügung, wo ihnen Mrs. Kehoe ihre Abendmahlzeit servierte. Sie durften sich dort, wie Eilis erfuhr, jederzeit Tee oder Kaffee machen, solange sie ihr eigenes Geschirr benutzten und es anschließend selbst spülten, abtrockneten und wegräumten. Sonntags ließ sich Mrs. Kehoe grundsätzlich nicht blicken, und dann mussten die Mädchen selbst kochen und darauf achten, keine Unordnung zu hinterlassen. Sie erzählte Eilis, dass sie sonntags zur Frühmesse ging, und am Abend kamen dann Freundinnen zu einem altmodischen, ernsthaften Pokerspiel. Sie redete vom Pokerspiel so, bemerkte Eilis in einem Brief nach Haus, als ob es ebenfalls eine sonntägliche Pflicht sei und sie sie nur erfülle, weil sie nun einmal vorgeschrieben sei. Jeden Abend standen sie vor dem Essen feierlich auf, falteten die Hände, und Mrs. Kehoe sprach das Tischgebet. Sie konnte es nicht leiden, wenn die Mädchen bei Tisch miteinander sprachen oder sich über Dinge unterhielten, von denen sie nichts wusste, und sie missbilligte jede Erwähnung von männlichen Bekanntschaften. Was sie hauptsächlich interessierte, waren Kleider und Schuhe und wo man sie kaufen konnte und zu welchem Preis und zu welcher Zeit des Jahres. Sich ändernde Moden und neue Trends waren ihr tägliches Thema, auch wenn sie selbst, wie sie häufig erklärte, zu alt für manche neuen Farben und Schnitte war. Dennoch war sie tadellos gekleidet, und nichts von dem, was ihre Mieterinnen trugen, entging ihrer Aufmerksamkeit. Sehr gern diskutierte sie auch über Hautpflege und verschiedene Hauttypen und deren spezifische Probleme. Mrs. Kehoe ließ sich einmal die Woche, am Samstag, die Haare legen, jedesmal von derselben Friseuse, bei der sie mehrere Stunden verbrachte, so dass ihr Haar für den Rest der Woche perfekt aussah. Auf Eilis’ Etage, im vorderen Schlafzimmer, wohnte Miss McAdam aus Belfast, die als Sekretärin arbeitete und bei Tisch am wenigsten über Mode zu sagen hatte, es sei denn, es ging dabei um die steigenden Preise. Sie war sehr etepetete, wie Eilis in einem Brief nach Hause schrieb, und hatte Eilis um den Gefallen gebeten, nicht alle Toilettensachen im Bad herumliegen zu lassen, wie das die anderen Mädchen taten. Die anderen Mädchen vom Stock über ihnen waren jünger als Miss McAdam, schrieb Eilis in ihrem Brief, und mussten regelmäßig von Mrs. Kehoe und Miss McAdam zurechtgewiesen werden. Eine von ihnen, Patty McGuire, war im Norden des Staates New York geboren und arbeitete jetzt, so wie Eilis, in einem großen Kaufhaus in Brooklyn. Sie war mannstoll, bemerkte Eilis. Pattys beste Freundin wohnte im Souterrain; sie hieß Diana Montini, aber ihre Mutter war Irin, und sie hatte rotes Haar. Wie Patty sprach sie mit amerikanischem Akzent. Diana beklagte sich ständig über das von Mrs. Kehoe zubereitete Essen, weil es, betonte sie, zu irisch sei. Jeden Freitag und Samstag abend putzten sie und Patty sich heraus, wozu sie Stunden brauchten, und gingen dann zu Vergnügungen, ins Kino oder in Tanzlokale – wo auch immer es Männer gab, wie Miss McAdam säuerlich sagte. Zwischen Patty und Sheila Heffernan, die sich den obersten Stock teilten, gab es immer Krach wegen nächtlichen Lärms. Sheila, die ebenfalls älter als Patty und Diana war, kam aus Skerries und arbeitete als Sekretärin. Als Mrs. Kehoe Eilis den Grund für die Kräche erklärte, warf Miss McAdam, die gerade im Zimmer war, ein, sie sehe keinen Unterschied zwischen den beiden und der Unordnung, die sie immer hinterließen, und ihrer Unart, ihre Seife und ihr Shampoo und sogar ihre Zahnpasta zu benutzen, wenn sie dumm genug war, sie im Bad liegenzulassen. Sie beklagte sich andauernd, sowohl Patty und Sheila selbst als auch Mrs. Kehoe gegenüber, über den Lärm, den sie mit ihren Schuhen auf der Treppe und auf dem Fußboden oben machten. Im Souterrain wohnte außer Diana Miss Keegan aus Galway, die nie viel sagte, außer das Gespräch kam auf die Fianna Fáil und De Valera oder das amerikanische politische System; aber das war selten der Fall, da Mrs. Kehoe, wie sie sagte, eine heftige Abneigung gegen jede Art von politischer Diskussion hatte. An den ersten zwei Wochenenden fragten Patty und Diana Eilis, ob sie Lust hätte, zusammen mit ihnen auszugehen, aber Eilis, die noch keinen Lohn bekommen hatte, blieb selbst am Samstag abend lieber bis zur Schlafenszeit in der Küche. Und an ihrem zweiten Sonntag war sie nachmittags allein spazierengegangen, nachdem sie die Woche davor den Fehler begangen hatte, zusammen mit Miss McAdam auszugehen, die an niemandem ein gutes Haar ließ und jedesmal verächtlich die Nase gerümpft hatte, wenn sie an jemandem vorbeikamen, den sie für einen Italiener oder einen Juden hielt. »Ich bin nicht nach Amerika ausgewandert, um auf der Straße Leute Italienisch reden zu hören oder mit komischen Hüten auf dem Kopf herumlaufen zu sehen, danke vielmals«, sagte sie. In einem anderen Brief nach Haus schilderte Eilis, wie sie es bei Mrs. Kehoe mit dem Wäschewaschen hielten. Es gab nicht viele Regeln, aber dazu gehörten: keine Besucher, kein herumliegendes schmutziges Besteck oder Geschirr und keinerlei Wäschewaschen im Haus. Einmal die Woche, am Montag, kamen eine Italienerin und ihre Tochter aus der Nachbarschaft und holten die Wäsche ab. Jede Mieterin hatte einen Beutel, an dem man eine Liste der Sachen, die sich darin befanden, befestigen musste; am Mittwoch kam die Liste dann zusammen mit der sauberen Wäsche und dem jeweils zu zahlenden Betrag darunter zurück, den Mrs. Kehoe vorschoss und sich dann von den Mieterinnen, sobald sie von der Arbeit heimkamen, erstatten ließ. Sie fanden ihre sauberen Sachen in ihrem Schrank aufgehängt oder zusammengefaltet in der Kommode vor. Dazu gab es auch saubere Laken auf den Betten und frische Handtücher. Die Italienerinnen, schrieb Eilis, bügelten alles wunderschön und stärkten ihre Kleider und Blusen, was ihr sehr gefiel.   Sie hatte eine Zeitlang gedöst, und jetzt wachte sie auf. Sie sah auf die Uhr: Es war zwanzig vor acht. Wenn sie sofort aufstand, würde sie vor Patty oder Sheila ins Badezimmer können; Miss McAdam war, wie sie wusste, mittlerweile schon zur Arbeit gegangen. Sie ging mit ihrem Waschbeutel rasch zur Tür und über den Flur. Sie trug eine Duschhaube, weil sie sich das Haar nicht ruinieren wollte, das vom Wasser im Haus, so wie es auch auf dem Schiff passiert war, ganz kraus wurde und dann stundenlang gekämmt werden musste. Sobald sie ihren ersten Lohn hatte, dachte sie, würde sie zum Friseur gehen und sich das Haar kürzer schneiden lassen, damit es leichter zu bändigen war. Anschließend ging sie nach unten und war froh, die Küche für sich allein zu haben. Da sie keine Lust zu reden hatte, setzte sie sich nicht hin, so dass sie, sollte jemand kommen, sofort gehen konnte. Sie machte sich Tee und Toast. Noch immer hatte sie kein Brot gefunden, das sie mochte, und selbst der Tee und die Milch schmeckten seltsam. Auch die Butter hatte ein Aroma, das sie nicht mochte, sie schmeckte fast wie Talg. Eines Tages hatte sie auf dem Heimweg von der Arbeit einen Stand bemerkt, an dem eine Frau Marmelade verkaufte. Die Frau sprach kein Englisch; Eilis hielt sie nicht für eine Italienerin, und konnte sich nicht denken, wo sie herkam, aber die Frau...


Bandini, Giovanni
Giovanni und Ditte Bandini arbeiten seit 1985 als Schriftsteller und freie Übersetzer. Unter anderem haben sie Seamus Heaney, Matt Ruff, Cathleen Schine, Kiran Nagarkar und Neel Mukherjee ins Deutsche übertragen.

Tóibín, Colm
Colm Tóibín, 1955 in Enniscorthy geboren, ist einer der wichtigsten irischen Autoren der Gegenwart. Bereits sein erster Roman Der Süden (1994) wurde von der Kritik enthusiastisch gefeiert. Bei Hanser erschienen zuletzt der Henry-James-Roman Porträt des Meisters in mittleren Jahren (2005), Mütter und Söhne (Erzählungen, 2009), Marias Testament (Roman, 2014), Liebe und Tod (Hanser-Box, 2014), Brooklyn (Roman, 2016) und Nora Webster (Roman, 2016). Seine Bücher wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.?a. mit dem IMPAC-Preis.

Bandini, Ditte
Giovanni und Ditte Bandini arbeiten seit 1985 als Schriftsteller und freie Übersetzer. Unter anderem haben sie Seamus Heaney, Matt Ruff, Cathleen Schine, Kiran Nagarkar und Neel Mukherjee ins Deutsche übertragen.



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