Tillmanns DSA 69: Das Daimonicon
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95752-450-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 69
E-Book, Deutsch, Band 69, 317 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-95752-450-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Markus Tillmanns (*1975 in Nettetal) studierte zunächst Germanistik und Philosophie. Inzwischen ist er Studienrat an einem Gymnasium. Der ehemalige Lokalpolitiker gewann den 1. Platz in einem Kurzgeschichten-Wettbewerb des Heyne-Verlages und schrieb seinen ersten Fantasy-Roman Das Daimonicon. Gleich auf Anhieb erhielt der Autor für den 2003 erschienenen Aventurien-Roman als Dritter den Deutschen Phantastik Preis 2003 in der Kategorie 'Bester Roman Debüt/national'. Im folgenden Jahr machte er sich sein Philosophiestudium zunutze und brachte einen in der Antike spielenden Kriminalroman heraus. Inzwischen stammen noch drei weitere Fantasyromane mit kriminalistischem Einschlag aus seiner Feder.
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Hoch hinaus
Fenndrick Herkenschlau wuchtete mit einem gleichermaßen von Leid und Erleichterung geprägten Seufzer den schweren Eichentisch herüber. Leid, weil es gewiss nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte, schwere körperliche Arbeiten zu verrichten, und Erleichterung, weil es nun endlich das letzte Möbelstück war, dessen Gewicht er stemmen musste. Schwer ließ er sich auf einen seiner Stühle fallen und genoss es für einige Augenblicke, einfach nur dazusitzen und nichts zu tun. Dann beugte er sich vor und griff nach dem Beutel, den er zwischen all dem Mobiliar abgelegt hatte. Er nestelte ungeschickt daran herum, bis sich das Tuch endlich löste und den Blick freigab auf den kostbaren Inhalt: den guten Honinger Zwieback, die Dauerwurst und den in Zuckerguss gehüllten Apfel, den er sich bis zum Schluss aufbewahren würde. Wie hatte doch Magister Eboreus stets gesagt? »Wer arbeitet, darf auch essen. Wer viel arbeitet, darf viel essen, und wer viel und schwer arbeitet, darf viel und lecker essen.« Wenn man allerdings bedachte, welche kümmerlichen Portionen der Magister sich selbst zumutete, so lag der Verdacht nahe, dass er von seiner eigenen Arbeit eine ausgesprochen geringe Meinung hatte.
Fenndrick seufzte erneut. Der Magister ... Er hatte für jede Gelegenheit ein passendes Sprichwort auf den Lippen; stets wusste er die Dinge mit wenigen Worten in die göttergewollte Ordnung einzufügen. Eine Nachbarin hatte zum dritten Mal hintereinander eine Totgeburt? »Nun, ein kranker Baum bringt gesunde Früchte nicht hervor.« Der Winter erwies sich in diesem Jahr als beängstigend lang und streng? Kein Grund zur Sorge, denn »die schlimmsten Prüfungen ziehen den größten Lohn nach sich«. Vermutlich hatte der Magister den größten Teil seiner sechzig Lebensjahre damit verbracht, die Sprichwörterkunde zu erforschen. Besonders interessante magische Forschungen hatte Fenndrick bei ihm jedenfalls nie beobachtet. Vor sieben Jahren, als »Magicus Eboreus«, wie er sich nannte, den damals zwölfjährigen Fenndrick bei sich aufgenommen hatte, um ihn die hohe Kunst der arkanen Weisheiten zu lehren, hatte der junge Herkenschlau zu sich gesagt: »Fein, nun weist mich der Magister in die Macht der Magie ein. In einem Mond werde ich dem großen Leowin, der mich stets ärgert, einen Flammenstrahl ins Hinterteil brennen. In zwei Monden zaubere ich die kostbarsten Speisen herbei, welche die Welt je gesehen hat, und in drei Monden erschaffe ich mir ein geflügeltes Pferd.« Nun, all diese Hoffnungen waren in den darauffolgenden Jahren bitter enttäuscht worden. Nicht nur, dass die Ausbildung sieben volle Jahre in Anspruch genommen hatte, nein, zu allem Übel hatte der Magister von Flammenlanzen und geflügelten Pferden gar nichts wissen wollen und den Jungen stattdessen gelehrt, die gottgewollte Ordnung in Ehren zu halten und durch die Möglichkeiten der Magica Clarobservantia, der Hellsichtsmagie, frühzeitig eine Gefährdung dieser Ordnung zu erkennen. Und selbst das hatte Fenndrick sich nach den ersten Erläuterungen des Alten noch viel aufregender vorgestellt. In die Zukunft blicken zu können, heute schon zu wissen, welche Aufgabe ihm der Magister morgen stellen würde, oder markttags bereits zu sehen, welche Mannschaft praiostags das Immanspiel gewänne, das waren für den Zwölfjährigen wahrhaft erstrebenswerte Ziele gewesen. Stattdessen hatte er alte, unleserlich gewordene Göttersagen und Mythen mittels Magie entziffern dürfen ...
Nein, er tat dem Magister Unrecht, wenn er sich so beschwerte, dachte Fenndrick. Eboreus hatte sich schließlich stets um sein Wohlergehen gesorgt und es ihm nie am Nötigsten fehlen lassen. Und all seine guten Ratschläge waren so manches Mal durchaus von Nutzen gewesen. Der Magister lebte eben in seiner eigenen, aufgeräumten Welt. So wie er die Magie in Kategorien zu unterscheiden wusste, so wusste er auch die Alveranier und ihre Mythen in Ordnungen einzuteilen, und so führte er schließlich auch seinen Haushalt. Stets stand die Weinflasche am selben Fleck, von dem sie nur einmal in der Woche hervorgeholt wurde, und das stets nur für den Genuss eines einzigen Glases. Denn, so wusste Eboreus mit einem strengen Blick unter buschigen weißen Brauen zu berichten: »Müßiggang ist aller Laster Anfang. Und wir täten dem Herrn Praios einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir an seinem Wochentag, der uns und den Zwölfen zum Gefallen ein Festtag sein soll, ein Laster begründen würden.« So wie die Weinflasche ihren Platz im Haushalt des Magisters hatte, so fand man auch seine Hausschuhe, seine Bettlektüre, sein Pfeifchen und all die anderen Utensilien seines geordneten Lebens stets am selben Fleck. Und erst der Magister selbst: kein weißes Haar, das nicht sorgsam gekämmt gewesen wäre, kein Fleck auf seinem Morgenmantel, kein unschöner Geruch, der je seinen leichten Duft nach Flieder getrübt hätte. Ein ganzes Leben in praiosgefälliger Ordnung. Kurz: Es war nicht mehr zum Aushalten gewesen!
Und so hatte Fenndrick dem lieben Magister schließlich in aller Vorsicht, um ihn nicht zu verletzen, zu verstehen gegeben, dass er ihm, der ihm wie ein Vater ans Herz gewachsen sei, zwar zutiefst dankbar für alles Gelernte sei, doch dass er, Fenndrick, sich seine Zukunft angefüllt mit Studien vorstelle, die ein wenig ... nun, eben ein wenig aufregender und abwechslungsreicher wären als das wohlbehütete Leben bei seinem Magister in Honingen. Darauf hatte der Magister ihn lange über seine Studienbrille hinweg angesehen; seiner Miene war keine Regung zu entnehmen gewesen. Schließlich hatte er erwidert, dass es das gute Recht eines jeden jungen Menschen sei, einmal in die Welt hinauszuziehen und sich die Hörner abzustoßen, und dass auch gar er selbst vor längerer Zeit ein ähnliches Bedürfnis verspürt habe; bei diesen Worten hatte ein nachdenkliches Schmunzeln sein Gesicht umwölkt. Dann war seine Miene wieder ernst geworden, und er hatte Fenndrick ermahnt, auf sich Acht zu geben, und – mehr zu sich selbst als zu seinem Schüler – die Bemerkung fallen lassen, er hoffe nur, dass der Junge nicht nach seinem Onkel käme ...
Fenndrick, der sich inzwischen Brot und Wurst einverleibt hatte, biss nun herzhaft in den Apfel und genoss den süßen Geschmack des Zuckergusses, der sich in seinem Mund ausbreitete.
Ja ... Onkel Mocurion, lange Zeit der einzige noch lebende Anverwandte, war so ganz anders als sein Magister gewesen. Der gute Onkel war ebenfalls Magier, Schwarzmagier jedoch, Vertreter der linken Hand, wie der Magister ihn einzuordnen gelehrt hatte. Mocurion mochte tatsächlich nur wenige Jahre jünger sein als Eboreus, doch war sein Haar noch zur Gänze von tief schimmerndem Schwarz. Selbst bei hellstem Licht schienen einige Partien seines Gesichts in geheimnisvollem Schatten zu liegen, sodass er auf eine wahrhaft magische Weise anziehend und abschreckend zugleich gewirkt hatte.
Der gute Onkel hatte sich bei seinen seltenen Besuchen stets liebevoll um seinen einzigen Neffen gekümmert. Seine Rede war nicht voll von Ermahnungen und Ratschlägen wie die des Magisters gewesen, sondern hatte stets leise und doch eindringlich von mysteriösen Dingen berichtet – Forschungen, die Grenzen überwanden und in unbekanntes Terrain führten ...
Und so klar und nützlich die Äußerungen des Magisters gewesen waren, so unverständlich und doch fesselnd waren die Dinge gewesen, über die Mocurion gesprochen hatte. »Du glaubst, du kennst einen Menschen vermittels der Magica Clarobservantia«, hatte der Onkel einmal gesagt, »doch gibt es Dinge, die dem magischen Objectus selbst ein Geheimnis sind und die zu ergründen ihm und nicht minder dir auf diesem Wege verwehrt bleiben. Doch Geheimnisse sollten gelüftet werden, auch und wenn vieles das Licht scheut, weil es im Dunkel des Unbekannten die eigene Hässlichkeit verbirgt.« Unter Fenndricks bohrenden Fragen, was dies denn für Dinge seien, von denen das gute Onkelchen rede, hatte der Magier nur vage Andeutungen gemacht, die jedoch genügt hatten, den Jungen das Fürchten zu lehren. Wann immer aber der Schüler ein Zeichen der Furcht gezeigt hatte, hatte das gute Onkelchen seine Ausführungen beendet und mit einem aufmunternden Lächeln hinzugefügt, dass dies nun wahrlich kein Grund zum Verzweifeln sei, weil ein so aufgeweckter Bursche wie Fenndrick gewiss damit fertig werden würde. Dann war er dem Jungen in wüster Zärtlichkeit durch das Haar gefahren und hatte ihn fest an sich gedrückt.
Und nun war das gute Onkelchen tot.
Fenndrick konnte es selbst noch nicht so recht fassen. Geschlagene fünf Jahre war es her, dass er den Onkel zuletzt gesehen hatte; dieser war damals, wie so oft, im Streit von Magister Eboreus geschieden.
Der Streit indes war endgültig gewesen. Eboreus hatte Mocurion »für alle Zeiten« untersagt, noch einmal einen Fuß über seine Schwelle zu setzen, und der Onkel war dann auch tatsächlich zornsprühend davongerauscht und hatte sich nie wieder blicken lassen. Nur an der Straßenbiegung war er noch einmal stehen geblieben und hatte Fenndrick mit einem traurigen Lächeln zugewunken – zum letzten Abschied, wie dieser später erst begriff. In Fenndricks Phantasie aber war der Onkel nach wie vor gegenwärtig gewesen. Immer, wenn der Magister ihm eine schier unlösbare Aufgabe erteilt hatte, hatte das gute Onkelchen an seiner Seite gestanden und ihm Mut zugesprochen; wenn der Magister ihn allzu streng ermahnt hatte, war das Onkelchen aufgetaucht und hatte ihn aufgemuntert. Und stets, wenn er sich gefragt hatte, wohin die langweiligen Unterweisungen des Magisters noch führen sollten, war das Onkelchen vor seinem inneren Auge erschienen – und er hatte es gewusst! Genau so hatte er werden wollen, ganz gewiss! Ein Forscher, der den...




