Tingler Leichter Reisen
1. Auflage, neue Ausgabe 2012
ISBN: 978-3-0369-9166-5
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 232 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-0369-9166-5
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Philipp Tingler studierte Wirtschaftswissenschaften und Philosophie an der Hochschule St. Gallen, der London School of Economics sowie der Universität Zürich und ist mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm bei Kein & Aber der Roman 'Rate, wer zum Essen bleibt' (2019). Er ist Kritiker im SRF-Literaturclub und im Literarischen Quartett des ZDF sowie Juror beim ORF-Bachmannpreis und der SRF-Bestenliste. Neben Belletristik und Sachbüchern ist er ausserdem bekannt durch das SRF-Format Steiner&Tingler und seine Essays u.a. in der Neuen Zürcher Zeitung und im Autokulturmagazin ramp. Daniel Müller, geboren 1964 in Baden, studierte an der Kunstgewerbeschule Luzern und an der Schule für Gestaltung Zürich. Seit 1993 lebt und arbeitet er als freier Illustrator in Zürich. Für Kein & Aber gestaltete er diverse Bücher. Zuletzt erschien der Band 'Homestories' mit seinen außergewöhnlichen Tieren aus Packpapier, deren Geschichten Elke Heidenreich erzählt. www.illumueller.ch
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I.
Wie packt man leicht?
Kürzlich stand ich am Flughafen von Las Vegas am Gepäckband. Da fiel mir ein Schild ins Auge. »Viele Gepäckstücke ähneln einander«, stand darauf, »bitte kontrollieren Sie Ihre Gepäcknummer«. Das wiederum erinnerte mich daran, wie ich ein paar Wochen vorher in London Heathrow am Band gestanden hatte und von ungefähr neunzehn Geschäftsleuten unterhalten wurde, die alle den gleichen indifferenten dunkelblauen Rollkoffer mit Standardabmessungen besaßen und dieses Stück wiederholt vom Band nahmen, um es nach eingehender Musterung wieder zurückzulegen, weil es gar nicht ihr Koffer war, sondern der vom Geschäftsmann nebenan.
Immer mehr Leute benutzen für ihre Reisen das Flugzeug, und so kommt es zu immer mehr Gepäck, das immer normierter wird, und dies ist wiederum wohl dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen versuchen, soviel Gepäck wie möglich mit in die Flugzeugkabine zu nehmen und nicht einzuchecken, um Wartezeiten und Verwechslungen am Gepäckband zu vermeiden. Das aber ist eine Unsitte. Die dazu führt, dass die Gepäckfächer in der Kabine bereits auf Kurzstreckenflügen notorisch überfüllt sind und man außerdem andauernd von irgendwelchen schwerbepackten Carry-on-Trägern angerempelt wird und der Einsteigevorgang bisweilen insgesamt an die ersten zwanzig Minuten von Saving Private Ryan erinnert. Die größte Unmanierlichkeit besteht übrigens darin, dass manche Herrschaften, die irgendwo weit abgeschlagen in den Elendsquartieren im Heck sitzen, ihr Handgepäck dennoch in den Fächern über den ersten Reihen deponieren. Daran sieht man erst, wie weit ein schlecht erzogener Mensch sich vergreifen und vergessen kann.
Jedenfalls sind die seit einiger Zeit geltenden strengeren Sicherheitsvorschriften fürs Handgepäck insofern zu begrüßen, als sie die Leute wenigstens davon abhalten, ihre sämtlichen sieben Sachen mit in die Kabine zu nehmen. Manche Herrschaften müssen allerdings auch deshalb Sachen mit in die Kabine nehmen, weil sie Schwierigkeiten haben, mit wenig Gepäck zu reisen, zum Beispiel ich. Ja, Travelling Light fällt mir nicht immer leicht, doch ich mache Fortschritte. Ich meine, inzwischen bin ich immerhin so weit, dass ich zum Fliegen meine leichtesten Schuhe nicht anziehe, sondern einpacke. Aber ich bin bei Weitem nicht so weit, dass ich Socken zusammengerollt in die Schuhe stecke, um Platz zu sparen, oder meine Anzugjacken von innen nach außen wende und dann mit den Ärmeln inwärts erst einmal quer und dann einmal längs falte, was die korrekte platzsparende Art wäre, einen Anzug im Koffer zu verstauen. Ich transportiere die Anzüge einfach als Carry-on in der Anzughülle. Außerdem bedeutet die Kunst des Leichten Reisens ja nicht nur, möglichst effizient, also platzsparend zu packen, sondern auch möglichst wenig mitzunehmen. Und in dieser letzteren Disziplin wenigstens bin ich nicht schlecht. Nicht etwa, weil ich zu diesen Leuten gehöre, die schon im Voraus immer genau wissen, was sie anziehen wollen, oder zu diesen noch furchterregenderen Mitmenschen, die vor ihrer Abreise im Internet das Wetter am Zielort kontrollieren. Das sind dieselben Menschen, die sowas Schlimmes wie eine zeitsparende Reise-Schublade zuhause haben, mit vorsortierten Adaptern, Stadtplänen und Fremdwährungen. No, thank you.
Stattdessen gehöre ich einfach zu den Leuten, die gerne einkaufen. Weshalb ich mir beim Packen sage: Was ich nicht mitnehme, kann ich kaufen. Das ist die sogenannte ICB-Maxime (ICB = I Can Buy), eine Verfahrensregel, die das Leben überhaupt in vielerlei Belangen vereinfacht und die ich auch Ihnen ans Herz legen möchte.1 Mit anderen Worten: Man nimmt sich einfach vor, den Koffer zu füllen, nachdem man angekommen ist.2
Ansonsten kann ich bei Übergepäck nur auf entgegenkommendes Check-in-Personal hoffen, wie neulich in Honolulu bei Hawaiian Airlines, wo mir die freundliche Dame erklärte, da ich ursprünglich aus Zürich losgeflogen sei, werte sie das als internationales Segment meines bevorstehenden Fluges nach Los Angeles, und deshalb könne sie die Gepäckgrenzen lockerer betrachten (obschon der Abflug in Zürich vierzehn Tage zurücklag). Leider wird man nicht immer so entgegenkommend behandelt. Zum Beispiel stieß ich auf taube Ohren, als ich kürzlich auf dem Frankfurter Flughafen einer Dame von Lufthansa darlegte, dass man zur Bestimmung von Übergewicht eigentlich fairerweise die Summe aus Gepäck und Person bilden sollte, was ja ganz einfach durchzusetzen wäre, indem sich beim Check-in der Passagier mitsamt seinen sieben Sachen auf die Waage stellt. Keine Chance. Und um sich derlei Debatten möglichst zu ersparen, kommen hier für Sie:
Die Fünf Goldenen Packregeln
1. Lassen Sie Raum
Oder packen Sie eine leichte Zusatztasche ein. Denn Sie werden einkaufen gehen.
2. Verteilen Sie Wichtiges
Wenn Sie mehrere Gepäckstücke aufgeben, verteilen Sie essenzielle Dinge strategisch. So sind Sie gerüstet, falls ein Teil des Gepäcks verloren geht (umso wichtiger, je kürzer sich die Aufenthaltsdauer relativ zur Reiselänge ausnimmt). Das Wichtigste gehört sowieso ins Handgepäck.
3. Wählen Sie aus
»No matter where I go, I always carry a blazer. It is the male version of a Chanel suit. Always appropriate, and in an emergency, when worn with a tie, it can almost pass as a suit.« Diese Worte des Modeschöpfers Tom Ford signalisieren uns, was das Fundament jeder Reisegarderobe sein sollte: Vielseitigkeit. Deshalb sind zum Beispiel Chinos im Gepäck besser als Jeans; Chinos, gestern noch zu Unrecht als bieder verschrien und das Gegenteil jener Röhrenhosen, die in den letzten Jahren weitaus mehr Jungs angezogen haben als die, die sich das figurmäßig erlauben konnten. Ich liebe Chinos; sie gehen zu allem, sie sind korrekt und trotzdem leger, und man kann sie sogar ins Handgepäck quetschen, denn sie sind obendrein auch noch leichter als Jeans und zudem knitterresistent. (Denken Sie daran: Falls Sie nur Handgepäck mit sich führen, packen Sie die formellere Garderobe zuletzt und zuoberst ein.) Auch Cardigans sind hervorragende Anziehsachen für unterwegs: gleichzeitig leger und adrett, für verschiedene Außentemperaturen anpassbar – und zur Not kann man sie sogar unter dem Blazer tragen.
4. Nehmen Sie Ihre Lieblingsstücke mit
Dieses eine T-Shirt mit dem galoppierenden Hund drauf, das Ihnen vor zwölf Jahren Ihr bester Freund Oliver geschenkt hat und in dem Sie sich stets prima fühlen? Packen Sie’s ein! (Okay, vielleicht sollten Sie Ihre Harry-Winston-Tiara zuhause lassen, sofern Sie für eine Extremtrekkingtour durch die rumänischen Karpaten packen – aber, andererseits, werden Sie sich wirklich gleichzeitig für Harry Winston und Extremtrekking interessieren? Come on. Es sei denn, Sie sind Kathleen Turner. Dann machen Sie, was Sie wollen.)
5. Unterpacken Sie
Das ist ein schmerzlicher Prozess, aber auch eine Sache der Erfahrung. Denn »unterpacken« heißt: bewusst weniger mitzunehmen. Und nochmal weniger. Ich für meinen Teil mache hier wie gesagt schleichende Fortschritte: Kürzlich habe ich für eine Reise nach San Francisco, Nashville und Memphis gepackt und dabei stolz festgestellt, dass mein Gepäckvolumen kleiner, meine Fähigkeit, Überflüssiges zuhause zu lassen, also offenbar größer wird. Das muss auf Erfahrung beruhen, denn ich habe meine Packmethode nicht geändert. Ich nehme T-Shirts und Pullover zusammengelegt mit und nicht zu Zylindern zusammengerollt, wie das manche Experten zur Platzminimierung und Knitterfaltenverminderung empfehlen. Weil ich nämlich auch daran denke, wie man die Sachen einigermaßen schnell wieder auspacken kann, sowie daran, dass man zu Kontrollzwecken möglicherweise seinen Koffer öffnen muss. Ich lege mir auch nicht für jeden Tag ein spezifisches Outfit zurecht, was ich dann in separate Kleiderhüllen einpacke, wie das Moderedakteure tun, die an die Fashion Week reisen. Stattdessen lautet meine Empfehlung für effizientes Packen: die 50-Prozent-Regel. Das heißt: Verstauen Sie die Sachen nicht direkt im Koffer. Bilden Sie Stapel auf dem Bett oder Fußboden oder auf dem Barcelona-Hocker. Wenn es Ihnen hilft, denken Sie dabei in Zyklen: Was werden Sie morgens, mittags, abends, nachts tragen? Ziehen Sie sich im Geiste an und aus. Oder meinetwegen auch physisch, sofern Sie Kathleen Turner sind. Nachdem Sie sämtliche mitzunehmenden Anziehsachen gestapelt haben, platzieren Sie die Hälfte wieder im Schrank....