Triebel Eigentlich erhängt
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7844-8204-0
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8204-0
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von windigen Typen, schicken Lofts und tödlichen Fallstricken: Eigentlich wollte er sich ein gemütliches Wochenende machen und einmal im Monat mit seinen beiden Söhnen so tun, als wäre alles ganz normal. Doch dann entdeckt der Makler Walter Eigen eine Leiche, die kopfüber vom Deckenbalken einer Villa im Münchner Umland baumelt. Ein ermordeter Großgrundbesitzer, die Immobilienbranche wird hellhörig … und nervös. Zu viele Menschen profitieren von diesem Tod, auch Walter Eigen. Dessen Mutter kann das Spekulieren nicht lassen – über den Gartenzaun hinweg werden so einige Vermutungen angestellt, Verdächtige eingekreist, mögliche Täter ausgemacht. Doch sagt ihr Sohn wirklich die ganze Wahrheit?
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Ich will ja nichts sagen. Aber eigentlich hatte er gesagt, dass er sich nur ein ruhiges Wochenende mit dem Max und dem Lukas machen wollte. Das hat er gesagt. Der Max und der Lukas sollten mittags vorbeikommen, dann wollte er ein bisschen im Park Fußball spielen mit ihnen, dann ein Lagerfeuer machen und dazu ein paar Lieder auf der Gitarre spielen, weil noch sind die Buben vom Walter in einem Alter, in dem ihnen das gar nicht peinlich ist. Und am Samstag wollte er mit ihnen zum Bäcker radeln und am Nachmittag dann in den Biergarten und am Sonntag dann an den See fahren. Was man halt bei uns so macht im Sommer, wenn die Schulferien gerade angefangen haben. Und einiges davon hat er am Ende sogar hinbekommen, hat er gesagt. Weil seine Söhne sind ihm das Wichtigste. Und das stimmt auch. Und für die tut er auch alles, was er kann. Aber er nimmt sich halt manchmal ein bisschen viel vor. Und es war deshalb dann auch so, wie es ganz oft ist, wenn er erzählt, dass er eigentlich was machen wollte. Eigentlich – aber dann halt doch nicht. Deswegen heißt er ja auch so, wie er genannt wird. Weil das nämlich schon immer so gewesen ist. Eigentlich. Eigentlich wollte ich. Eigentlich hätte ich. Eigentlich sollte ich. So geht das immer. Das haben sie schon in der Schule gewusst, dass er alles immer eigentlich irgendwie anders wollte, als er es dann gemacht hat. Und da hat er seinen Spitznamen weggehabt. Weil es ja auch kein weiter Weg ist von seinem Nachnamen zu so einem Spitznamen. Von Eigen zu Eigentlich. Waldi haben sie den Walter aber nicht genannt – und das ist ja auch gut. Weil Waldi klingt doch sehr nach einem Dackel. Aber so, wie er war, wurde aus ihm eben der Eigentlich. Und wie junge Leute halt so sind – es passte wie die Faust aufs Auge. Natürlich ist es auch so, dass man so wird wie der Spitzname, der einem gegeben wurde. Denn wenn einem schon dauernd der Spiegel vorgehalten wird, dass man immer eigentlich sagt und eigentlich was anderes meint oder tun will, als man tut – da verunsichert einen so ein Spitzname eben noch ein bisschen mehr. Und es war deshalb dann auch so, wie es ganz oft ist, wenn er erzählt, dass er eigentlich was machen will. Eigentlich – aber dann halt doch nicht. Und eigentlich hätte er nicht nur ein anderes Wochenende verbringen wollen, sondern eigentlich hätte er das auch schon am Abend vorher merken können, hat er gesagt, dass es etwas komplizierter werden würde. Da hat er sich nämlich seine Karten gelegt. Ich persönlich halte ja gar nichts davon. Und er eigentlich auch nicht. Und da haben wir es wieder. Und dann macht er es halt trotzdem, obwohl er sich gar nicht auskennt damit. Abends sitzt er manchmal auf seinem Balkon und die Sonne geht über dem Bahndamm unter und er trinkt sein Bier und die Zeitung ist ausgelesen und eigentlich sieht man dann ja fern oder beschäftigt sich mit seiner Frau – aber beides hat er nicht. Und deshalb legt er dann halt diese Karten. Die hat er einmal geschenkt bekommen. In Süditalien, kurz nach seinem Studium, als er mit seiner Ente bis nach Sizilien gekommen ist und auf dem Brenner die Sicherungen mit Kaugummipapier überbrückt hat. In einem Dorf in Kalabrien, hat er erzählt, gab es ein Volksfest. Das sah dann so aus: Im Zentrum war eine Bühne aufgebaut, auf der eine Kapelle diese unerhört laute italienische Musik gespielt hat. An der Bühne war ein Schaf festgebunden. Das war dann der Hauptgewinn der Tombola. Und er war zu dem Viech gegangen und hat es gestreichelt. Er ist wirklich ein Lieber – und das war er auch schon, als er ganz klein gewesen ist. Er hat nie so etwas gemacht wie normale Kinder: dass er Frösche mit dem Strohhalm aufgeblasen und dann das Maul zugeklebt und die dann auf den Weiher raus und dort hat schwimmen lassen oder noch mit der Steinschleuder abschießen. Sowas hat er nie gemacht. Nicht einmal einem Hund den Schwanz anzünden oder auch nur einer Katze. Hat er alles nicht gemacht. Weil er so tierlieb ist. Jedenfalls in dieser Stadt in Italien war eine alte Frau zu ihm gekommen, hat ihn an der Hand genommen und ihn in eine Seitenstraße geführt, hat ein Tischchen vor ihn gestellt und ihm die Karten gelegt. Und dazu hat sie erzählt – und er hat eigentlich gar nicht so genau verstanden, was sie sagte, hat er gesagt. Obwohl er an sich ein bisschen Italienisch sprechen kann, sagt er. Aber er ist halt auch sehr bescheiden. Und in Süditalien sprechen sie eben so einen Akzent. Und das hat er dann nicht so gut verstanden. Es war wohl das Übliche: Das Glück werde ihm begegnen, hat sie ihm gesagt, hat er gesagt. Und es wird eine Frau sein, die ihn glücklich macht und ihm zwei Kinder schenkt. Und das hätte ich ihm ja beinahe auch schon sagen können. Und dann noch lauter solche Sachen: dass er gar nicht wissen wird, dass es das Glück ist. Dass er immer suchen wird und gar nicht weiß, wonach er sucht. Und im Beruf wird er erfolgreich aber nicht zufrieden sein. Und er wird immer suchen, was ihn im Beruf glücklich macht. All diese Sachen – aber es muss eben immer jemand anders kommen, der das sagt, weil sonst glauben sie es ja nicht. Das hätte ich ihm auch sagen können, dass er eigentlich ein Riesenglück hat mit seinem Job und der Antje und den Kindern. Eigentlich ja, hat er dann immer gesagt. Und dann hat die Frau ihm die Karten in die Hand gedrückt und er hat ihr das Schaf geschenkt und hat sich in seine Ente gesetzt und ist weiter nach Sizilien. Und seitdem legt er abends halt diese Karten. Und wie das so ist, ergeben diese ganzen Karten natürlich gar keinen Sinn. Ich glaube ja an so etwas gleich zweimal nicht. Weil ich bin nicht abergläubisch. Aber es muss ihm halt eine alte Frau aus Italien diese Karten geben. Obwohl – komisch sehen diese Karten schon aus. Da gibt es das Liebespaar und den König, dann den Narr und die Königin – aber meistens hat es eben gar nichts mit dem zu tun, was am nächsten Tag passiert. Und dann sieht er vielleicht den Tod und den Gehängten und alles, was ihn in den kommenden Tagen an den Tod erinnert, sind die Leichen in der Tagesschau. Und da sagt er manchmal, dass es doch eigentlich nicht Tagesschau, sondern Todesschau heißen sollte. Und da gebe ich ihm dann immer recht. Weil es ist ja nicht nur furchtbar, was alles so passiert, sondern auch, dass es auch noch gezeigt wird. Aber mit dem Gehängten in seinem Kartenspiel hat das dann doch recht wenig zu tun, wenn man ganz ehrlich ist. Aber am Donnerstag vor dem Freitag, an dem er sich eigentlich ein gemütliches Wochenende mit dem Max und dem Lukas machen wollte, hat er mir erzählt, dass er mal wieder den Gehängten gelegt hat und dann hat er gesagt, daran musste er denken, als er in das Wohnzimmer in dem Haus in der Heiminger Straße gegangen ist. Und ich bin ja nicht neidisch. Aber ich muss ganz ehrlich sagen – das ist wirklich ein schönes Haus. Und der Schedl, der da drin gewohnt hat, der hat es eigentlich gar nicht richtig verdient. Weil es ist ganz ruhig da und ganz nahe an der Bahnhofstraße und am S-Bahnhof, und in weniger als zwanzig Minuten ist man am Marienplatz mitten in München. Und ein riesiger Garten und rundum auch schöne Häuser und alles vom Feinsten. Ich selbst war da ja noch nicht drin, aber der Walter hat es mir genau beschrieben, wie er da hingekommen ist und die Haustür war nur angelehnt und er ist rein und hat sich schon gedacht: Da ist was komisch. Also nicht lustig, sondern eher seltsam. Weil er ja eigentlich einen Termin hatte, geklingelt hat und keiner hat aufgemacht. Ganz lang nicht. Und dann ist er eben rein. Der Walter hat gesagt, dass das Haus so etwas von vergangener Pracht hat. Vergangene Pracht – das ist so ein Ausdruck von ihm. Also im Innenhof Solnhofener Platten, aber eben mit viel Moos in den Ritzen, und drinnen dann Marmorböden und Eichenholzdielen, aber ganz durchgetretene Teppiche darüber. Und an den Gehängten hat er natürlich dann im Wohnzimmer denken müssen. Das hat er von seinen Karten, die er immer legt. Und natürlich kommt es einem komisch, also seltsam, vor, wenn man in so ein Haus geht und dann vom Deckenbalken wirklich ein Gehängter hängt, genau wie auf einer von diesen Karten. Und auch noch wie auf der Karte mit den Füßen nach oben. Ich möchte mir das gar nicht vorstellen – das Gesicht ganz dunkel von dem Blut, was dann nach unten sackt, und die Augen auf und so, dass sie fast aus dem Kopf springen. Aber wenigstens der Mund war zu, hat er gesagt. Weil mit den Füßen nach unten, da wäre der Unterkiefer natürlich nach unten geklappt, aber andersherum klappt der Mund eben zu. Aber ich will gar nicht daran denken. Und so hat es dann ausgeschaut, als würde der Schedl, also der Gehängte oder vielmehr die Leiche, den Walter ganz grimmig anstarren. Mit den aufgerissenen Augen und dem zugeklappten Mund. Und besonders grauselig natürlich, dass ihm die Haare runtergehangen sind. Also wenn man halt falsch herum hängt, dann stehen sie einem ja irgendwie zu Berge. Weil der Schedl hat ja noch eine Menge Haare gehabt. Und nicht einmal ganz grau, sondern mehr so schwarz-grau, so silber-schwarz. Oder wie sagt man: schwarz-silber-grau. Oder schwarz-silber-weiß. So wie im Fernsehen dieser Gutaussehende. Dieser Arzt oder Kommissar oder was der ist. So ungefähr. Und dann die Arme so ausgestreckt über den Kopf nach unten zum Boden hin. Grad, dass er den Boden hat berühren können. Einen Pyjama hat er angehabt, hat der Walter erzählt. So einen aus Seide. In Blautönen. Und der war ihm hochgerutscht, weil er ja kopfüber hing, sodass man seinen Bauch gesehen hat. Und der Walter meinte, dass der Schedl für sein Alter noch ziemlich gut beieinander ausgeschaut...