E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Turtschi GOTTESZONE
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95765-916-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Reise ins Licht
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-95765-916-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tom Turtschi, geboren 1964, Kunstgewerbeschule in Biel und Luzern. Leitet gemeinsam mit seiner Frau Regula die Agentur hof3, ein Atelier für Szenografie und die Gestaltung von Erlebniswelten. Lebt und arbeitet seit 1995 in Trubschachen in einem 300jährigen Bauernhaus. Gemeinsam mit 30 Hühnern, 20 Schafen, 8 Katzen, 7 Enten und 6 Bienenvölkern genießt er in Regulas Permakulturgarten die ruhigen Stunden. Dabei zückt er gerne den Hut und startet eine Rakete im Kopf, um zu CO2-neutralen Sternflügen aufzubrechen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
»Kurz: Ich kriege nichts rein. Sie antworten auf keine Nachricht. Ich kann keinerlei Aktivität registrieren, elektromagnetisch scheint alles tot zu sein.« Leon Koendrink verwarf entschuldigend die Hände, als sei er persönlich dafür verantwortlich und hätte seinen Job schlecht gemacht.
»Sonst? Was wissen wir?« Gerlach blickte auffordernd in die Runde.
Neben Koendrink saßen Pitou und Cejka, die beiden Frauen. Masha Cejka – mit ihren zerzausten blonden Haaren, die wringenden Hände auf dem Tisch gebändigt – wirkte angespannt. Ihre Halswirbelsäule neigte sich nach vorne und schob den Kopf eine Handbreit vom mädchenhaften Körper, so als könnte sie kaum erwarten, auf die Ereignisse loszustürmen. Wie eine Katze in Lauerstellung fixierte sie mit ihren Smaragdaugen den Captain. Sie schwieg.
Auch Solène Pitou sagte nichts. Die Ärztin stützte die Ellbogen auf, legte die Fingerkuppen aneinander und massierte gedankenverloren mit den Zeigefingern die Nasenspitze. Sie dachte angestrengt nach. Die LEDs ihres Exocortex hinter dem Ohr orgelten durch das Farbspektrum und tauchten die Haarstoppeln im Nackenbereich wie das Gefieder eines Raben bei Sonnenlicht in ein changierendes Leuchten.
Spiro Obonai saß mehr unter als an dem Tisch. In den Sessel gefläzt markierte er Desinteresse, seine Wurstfinger spielten lustlos mit einem Hologramm auf dem Flat herum, dann kratzte er sich am Hals, bohrte in der Nase. Halblaut murmelte er zu Koendrink: »Die Siedler sind doch den Schnecken auf den Schleim gekrochen …«
Leon Koendrink verzog keine Miene, auch die anderen überhörten die Bemerkung. Nur Jastrof strafte Spiro mit einem Pastorenblick ab, missbilligend, aber nachsichtig. Er stand als Einziger. Mit einem Becher Kaffee in der Hand lehnte er an der Stirnwand der Lobby und wippte mit dem Spielbein. Das rhythmische Rascheln seiner Hose unterstrich die Stille im Raum.
Masha Cejka, die Exobiologin, räusperte sich. »Wir kennen die Nexen als friedliche Spezies. Sie ähneln unseren Schnecken, auch wenn sie beträchtlich größer sind – ausgewachsen erreichen sie gut und gerne das Gewicht von drei, vier Elefanten. Sie sind keine Räuber, nicht einmal Pflanzen fressen sie: Die Pigmente ihrer Haut beherrschen die Fotosynthese. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Nexen etwas mit dem Verschwinden der Farmer zu tun haben.«
»Jaja, dumme brave Kühe – habt ihr schon mal eine Horde brünstiger Kühe erlebt? Oberfail, solche hormongesteuerten Biomorpher, ich sage euch: Die Biester haben sie kaltgemacht!«
Masha warf Spiro einen vernichtenden Blick zu. Alles, was nicht mit Strom betrieben wurde, machte den molligen Jungen hysterisch. »Niemals wurde bisher ein hitziges Tier oder eine aggressive Population beobachtet. Da ist kein Raubtiergebiss, nicht einmal über zahnlose Münder verfügen sie – wie sollten sie für die Siedler gefährlich werden? Ich möchte daran erinnern: Seit vier Jahrzehnten wird auf Gordian Prime Lox ohne Zwischenfälle gewonnen. Exoloxan ist nun mal ein Biopolymer, das sich bei uns nicht ohne beträchtlichen Aufwand produzieren lässt. Die Tiere sind ein Segen. Sie scheiden Exoloxan als Produkt ihres Stoffwechsels in rauen Mengen aus. Sie werden artgerecht gehalten, in großen Gehegen, die völlig ihrer natürlichen Umgebung entsprechen. Die Tiere sind friedlich, dafür bürge ich!«
Spiro zog eine Fratze und versetzte dem Hologramm einen Klaps, dass die Elektronen zitterten. »Scheißviecher«, murmelte der junge Techniker, »diese prämetabolistischen Aggregate sind mir nicht geheuer, allen Beteuerungen zum Trotz …«
Solène Pitou fuchtelte mit den Armen und ruderte wie eine Polizistin mit den Händen, bemüht, das aufkommende Gespräch in geordnete Bahnen zu dirigieren und einen Crash zu vermeiden. »Wie ich im Briefing lese, ist die Produktivität über Wochen gesunken, die Ernteleistung brach ein. Die Chargen wurden geringer, peu à peu, zuletzt blieben die Lieferungen ganz aus …« Sie wandte sich zu Jastrof und kippte ihre Hände um die Achse. Die Handflächen schauten zur Decke, als wollte sie ihm die mageren Befunde aus dem Papier zurückschieben: »Voilà, c’est tout, das ist alles, was ich Ihrem Bericht entnehme. Und was ist der Grund? Litten die Tiere an Verstopfung? Maschinendefekte? Eine feindliche Invasion? Warum schweigen sich die Siedler aus? Verehrter Herr Jastrof: Die Faktenlage ist mehr als dürftig. Sie haben uns engagiert und verlangen eine Expedition auf den Planeten. Als Medizinerin muss ich sagen, sie fordern eine Operation ohne Diagnose. C’est irresponsable!«
Jastrof nickte Pitou zu. Er zerknüllte den leeren Pappbecher, stieß sich mit dem Bein von der Wand ab und begann auf und ab zu gehen. »Sie haben das Briefing gelesen. Schön. Sie kennen also den Ernst der Situation: Die letzte Lieferung aus Gordian Prime traf vor siebzehn Monaten auf der Erde ein – ein halbes Jahr, bevor die Siedler den Kontakt abbrachen. Das entspricht in der Weltproduktion einem Rückgang von dreiundzwanzig Prozent der Jahrestonnen – die Preise von Lox sind explodiert! Für die Weltwirtschaft eine Katastrophe. Fakt ist weiter, dass ohne das Oligomer nichts läuft, ohne Loxan wird die Zivilisation in das Erdölzeitalter zurückkatapultiert. Niemand will das …«
»Das steht alles im Bericht von X-Logistic!«, fuhr Leon Koendrink unwirsch auf, »Und wie Sie richtig bemerkten: Wir haben in Ihrem Wisch auch das Kleingedruckte gelesen! Aber das beantwortet nicht Solènes Frage: Warum meldeten sich die Siedler nicht, als Probleme bei der Förderung auftauchten?«
Jastrof nickte verständnisvoll, dazu zückte er aus seinem mimischen Repertoire ein eingespieltes Lächeln, das er zwischen die Mundwinkel legte.
Gerlach legte seine Hand auf Koendrinks Schulter. »Lassen Sie Jastrof sprechen, Koendrink …« Er wusste, wie pikiert sein First Officer auf dieses Qualitätslächeln reagieren konnte. Koendrink hielt absolut nichts von Männern mit manikürten Fingernägeln und Gelfrisur, er hielt genauso wenig von Diplomatie – aber jetzt war nicht der Moment, ihren Auftraggeber zu brüskieren.
»Ich sehe: Sie haben die Problematik erfasst. Unsere Aufgabe besteht darin, genau das herauszufinden. Seit der letzten Transmission vor vierzehn Monaten, die uns von Gordian Prime erreichte, haben wir nichts mehr erfahren. Als ein halbes Jahr später auch keine Lieferung auf der Erde eintraf, mussten wir handeln. Ich wurde auf die lange Reise geschickt und ich habe Sie vor drei Wochen gechartert, um die Situation vor Ort in Augenschein zu nehmen. Wir müssen in der Kolonie nach dem Rechten sehen …« Jastrof blieb stehen. Jetzt kam die ernsthafte Miene eines Politikers zum Zug, der die Tragweite der Worte unterstreichen will, die er gleich in die Kamera sprechen wird. »Es gibt Vermutungen … Im Briefing wird Jair Weiss erwähnt. Beiläufig, Sie werden dem keine große Beachtung geschenkt haben. Gerne ergänze ich den Bericht mit einigen Aspekten, die mir über Jair Weiss bekannt sind …« Er trat neben den Captain und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Sein Blick schweifte durch die Runde, und nach einer Kunstpause fuhr er eindringlich fort: »Seit die Kolonisten den politischen Wirrkopf zum Sprecher ernannt haben, bereitet uns die Kolonie nichts als Ärger. Erst verknappte er die Lieferungen, trieb die Preise hoch, missbrauchte seine Stellung und Macht, um untragbare Sozialleistungen durchzusetzen, dann machte er uns das Leben mit übersteigerten Tierschutzideen schwer. Ich gehe von einem Boykott aus, auf Gordian Prime findet so etwas wie ein Aufstand statt. Dort gibt es subversive Elemente, die auf die Grundfesten der freien Weltgemeinschaft zielen. Ich bin sicher, uns allen ist klar, worin bei dieser Situation unsere Aufgabe besteht.« Jastrof beugte sich herausfordernd über den Captain und fixierte ihn durchdringend.
Gerlach hielt seinem Blick stand.
Jastrof richtete sich auf, ging um den Tisch und ließ sich neben Spiro in den freien Sessel fallen.
»Sie stellen Vermutungen an, Jastrof … Mir wären gesicherte Fakten lieber. Koendrink, haben Sie die Daten der Überflüge ausgewertet? Keinen verdächtigen Hinweis übersehen?«
»Hmm …«, Leon Koendrink massierte bedächtig seine Bartstoppeln, »die Infrastruktur scheint intakt. Die Kuppel, die Ausfallstraße, die Gehege – das ist alles da. Auch der Orbitalaufzug für die Ware weist keinen Defekt auf, soweit ich das zurzeit beurteilen kann. Nein, Captain, muss passen … keine sachdienlichen Hinweise.«
»Was ist mit der letzten Nachricht der Siedler?« Spiro tauchte schlagartig aus seinem Dämmerzustand auf. »Die letzten Zeichen von Aktivität in der Kolonie wurden von einer automatischen Relaisstation im Sombreronebel aufgefangen. Steht im Briefing von X-Logistic. Ist die Meldung zugänglich?«
Leon Koendrink blickte Spiro verwirrt an. Schließlich begriff er, dass wohl nicht alle das Briefing bis zum Ende abgearbeitet hatten. »Die Datei, die vor vierzehn Monaten von der Relaisstation A13 registriert wurde, befand sich im Anhang des Berichts. Kein Notsignal, nichts deutet auf Schwierigkeiten hin. Die Aufzeichnung ist einfach wirr, unverständlich – und das rührt nicht nur von der lückenhaften Aufzeichnung her.« Er legte die zentrale Datenbank aus dem Gubernator des Schiffes auf das Display in seinem Auge und zwinkerte durch die Navigation. Suchte die Datei, startete den Player und...




