Uetz | Sunderwarumbe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Uetz Sunderwarumbe

Ein Schweizer Requiem
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-905951-53-0
Verlag: Secession Verlag für Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Schweizer Requiem

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-905951-53-0
Verlag: Secession Verlag für Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schon die Anspielung an Meister Eckharts tröstende Gebetszeile "So wirt der sun in uns geborn: daz wir sin sunder warumbe gebiert die literarische Energie, mit der Christian Uetz seine Themen zur Sprache bringt.
Es liegt dem Tode nahe ein Freund. Der hat ein Leben lang im Verborgenen gedacht, empfunden, seinen Freund geliebt.
Er hinterlässt ihm philosophische Aufzeichnungen: über zwanzigtausend Seiten. Seine Hauptthese - wir sind nicht nur Lebe-, sondern ebenso sehr Sterbewesen - schleudert uns aus der biologischen Dimension unserer Existenz in deren ethische Relevanz.
Und Uetz trommelt die Sprache zum Tanz: An den Sandkastenfragmenten des Freundes arbeitet er sich, sei es mit wütender Hand zerstörend, sei es mit zarter Liebe bewundernd, ab. Ein betörender Text, ein Gleichnis zur Freiheit!

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ERSTES KAPITEL
Über Winter hatte Hieronymus Sunderwarumbe immer wieder Variationen desselben Traums: Ungeheure Schneemengen fallen und schneien das Haus ein, Sunderwarumbe kämpft gegen den Schnee und bittet den Tod, wieder zu gehen. Es war aber ein warmer Winter, völlig schneelos. Doch in der Nacht auf den 5. März 2006 fiel ein Jahrhundertschnee, über fünfzig Zentimeter hoch und kalt und weiß, und schneite alles zu. Und am Morgen des 6. musste Hieronymus sein Romanshorner Haus, gelegen an der Kastaudenstraße, verlassen, er kehrte nicht mehr zurück, die Schwäche hatte ihn eingeholt. Immer schon hatte er gesagt, wenn eines der drei Gs ausgehe, sei es Zeit zu gehen, und G stünde nicht für Gott und nicht für Glück, sondern für Geld, Gesundheit, Geduld. Er wurde neunzig Jahre alt und mit ihm seine Idee von Freiheit: Nicht überleben, sterben muss man wollen!, meinte er durchaus religiös, zugleich verstand er sich streng sokratisch. Da kein Mensch wissen könne, weder ob Gott existiere noch ob Gott nicht existiere, sei es vollends wissenschaftlich, sich im Nichtwissen zu halten und die Existenz zu feiern, Tag für Tag. Doch Gott als Person war ihm nicht nur unvorstellbar als Du sollst dir kein Bildnis machen, sondern auch des Menschen Wissen übersteigend. Vermessen. Und solange Gott Gott bleibe, bleibe er beim philosophischen Glauben des Seinsgeheimnisses. Die ersten fünf Tage verlangte Sunderwarumbe von den Ärzten ein Mittel, ihn wiederherzustellen. Es müsse möglich sein, er zwang zur Geste, er brauche noch ein paar Jahre, er schärfte seinen Blick, sein Werk zu vollenden wäre ihm das Wichtigste, zwanzigtausend Seiten betrüge es schon, ein Werk! Unmäßig wütend wurde er, da sie es ihm nicht zusichern konnten. Er begann das Essen als Fraß zu verweigern, und als Georg ihm sagte, so schlecht sei es nicht, antwortete er barsch: Ich will überhaupt nichts mehr machen von all dem, was man macht. Er schwieg nur eine Sekunde. Er äugte. Ich habe viel zu lange mitgemacht, was man macht. Jetzt ist Schluss damit. Es rührte Georg, erst recht, da Sunderwarumbe ja bereits fünfzig Jahre lang das Kapitel man aus Sein und Zeit nebst dem Sein zum Tode das liebste war. Er nannte Sein und Zeit die Bibel der Philosophie und hatte es auch auf dem Hometrainer, damit er während des Radfahrens die 83 Paragraphen auswendig zu behalten immer neu trainieren konnte. Am siebten Tag bat der Kardiologe Georg zu vertraulichem Gespräch vor die Tür. Hieronymus fragte ihn, was der Arzt denn gesagt habe. Es habe schon etliche erfolgreiche Herzoperationen an Neunzigjährigen gegeben, die Fortschritte der Medizin seien phänomenal. Er habe nämlich einen kleinen Herzinfarkt festgestellt, der schon ein halbes bis ein Jahr zurückliegen könne, und wenn man diesen nun nicht operiere, stürbest du in kürzester Frist. Die Wahrscheinlichkeit, an der Operation zu sterben, sei zwar hoch, aber ohne stürbest du sowieso. Und ich solle dich fragen, was du meinst. Das kommt überhaupt nicht infrage! Das wäre das Unphilosophischste, was wir in dieser Situation machen könnten. Es heißt also Abschließen. Georg begann zu weinen. Sunderwarumbe sagte zu ihm: Jetzt müssen wir stark sein, und weinte auch. Von da an war jedes Aufbegehren und jedes Hadern vorbei. Hieronymus lächelte. Drei Tage später fiel ihm das Reden schwer, das Lächeln blieb. Und am Morgen des 18. März übernahm Georg zum letzten Mal das Aufschreiben der täglichen Chronik, die Sunderwarumbe ihm seit der Spitalexistenz diktiert hatte und die nicht zu versäumen diesem unbedingte Pflicht gewesen, denn sechzig Jahre lang hatte er sie keinen einzigen Tag ausgelassen. Dieses letzte Zeugnis, nachdem Georg ihn wie immer nach seinem Befinden fragte und ohne dass er sonst noch ein Wort oder einen Satz zu sagen vermochte, kam stockend und leise, aber wie ein dreifach wiederholter Siegesruf: Frei, frei, frei! Drei Stunden später riefen sie den schon Gegangenen an, er solle gleich wiederkommen, Sunderwarumbe werde jetzt sterben. Georg saß weinend beim Bewusstlosen, den sie zum Sterben in ein Einzelzimmer verlegt hatten, doch nach kaum zwanzig Minuten öffnete Sunderwarumbe die Augen, lächelte, schlief wieder ein. Nun übernahm ihn das Unfassbare des Geistes. Schon immer ordnete er die palliative Methode an, und es sollten weder künstliche Ernährung noch sonst wie Schläuche, keine Beatmungsgeräte und erst recht keine Herzmaschinen eingesetzt werden. Nichts. In der Frühe des 18. März hatte er zum letzten Mal einen Schluck Wasser getrunken und sein Wort gesprochen, von da an atmete er nichts als Sein. Nicht nur einen Tag, auch nicht zwei oder vier, sondern zehn Tage lang. Ein Leben lang hatte er sich nur um den Geist gekümmert, man solle unentwegt einzig dem Tod ganz in die Augen sehen, am Ende hat er zehn Tage still geatmet. Nach vier Tagen war es auch für die Ärzte außergewöhnlich, und nach sieben Tagen sagte der Chefarzt Krause, das sei schier unfassbar und es könne nicht mehr lange dauern. Da Georg dem Hieronymus zwanzig Jahre lang immer vorgelesen hatte zum Tee, tat er dies auch jetzt, in diesen wunderlichen Tagen zur Uhrzeit des Tees. Sunderwarumbe hatte schon immer bestimmte Stellen lieb, aus dem Faust, dem zweiten Teil, da war er Teil seiner Generation, und dem West-östlichen Divan, das kannten wenige so gut wie er, Sprüche aus dem Tao Te King in der Übersetzung von Viktor von Strauss gehörten dazu, Gedichte von Trakl und Hölderlin. Und immer wenn Georg mit ihm sprach, zitterten seine Augenlider, als sänge er mit, und das änderte sich nicht, die ganzen Tage. Am Nachmittag des 28. März las Georg ihm aus der Offenbarung vor, und bei Kapitel 21 desselben, das da lautet Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, da musste er den Satz unterbrechen, denn laut einatmend verzerrte sich plötzlich Sunderwarumbes Gesicht, nachdem es die ganzen zehn Tage unbewegt war bis auf die zitternden Augen. Die Grimasse sah aus wie ein Wolf, der an etwas sehr Bitterem würgte, und er atmete es mit einem einzigen kurzen Atemanhalt aus. Des Toten Antlitz lächelte. Hieronymus Sunderwarumbe nannte den Tod den Phänomenalen Raum des Traums oder die Bedingung allen Träumens. Der akuteste Einschlag in das Traumwesen des Geistes fiel auf den Herbst 77, den Deutschen Herbst. Während in Mogadischu das Fieberthermometer des bürgerlichen Selbstverständnisses zu bersten drohte, schrieb er das Fragment Der Mensch als Lebe- und Sterbewesen: 17.10.77
Ich fühle mich nach dem moralischen Infarkt der letzten Nacht nicht nur erholt, ich fühle mich gefestigter denn je. Solange sich die Menschen nur ums Leben kümmern, werden sie die Unverlässlichkeit des Lebens immer bitterer beklagen. Zunächst gilt es, einen Weg in die Öffentlichkeit zu finden. Ich bin kein Messias, der auf die Straßen gehen kann, um zu predigen. Ich bin kein Politiker, der eine Bewegung organisieren könnte, kein Publizist, der fixfertige Konzeptionen in Buchform herausbringt und auf den Markt schwemmt. Mir bleibt das Experiment. Die existenzielle Tatsächlichkeit ist das Sterbewesen des Menschen. Unter allen Lebewesen auf der Erde – die zwar alle auch vergehen, krepieren, eingehen, verenden, verwelken, verscheiden müssen – ist der Mensch das einzige Wesen, für das der Tod nicht nur biologisch unausweichlich, sondern die Bedingung seines Erkennens ist. Alle Lebewesen leben, indem sie den ständig und überall drohenden Tod vermeiden. Doch der Mensch kann auf den Tod zugehen und darin fündig werden. Auch der Mensch ist Lebewesen. Nur ist er nicht nur dieses flüchtige, den Tod instinktiv vermeidende animalische Wesen. Ihm wird der Tod zur Gewissheit, und darin zum zwingenden Grund, erkennen zu wollen jenseits der biologischen Funktion. Die Einseitigkeit des modernen Menschen besteht darin, dass er sich nur als Lebewesen versteht. Meint der Mensch auf diese Weise seinem Sterbewesen zu entrinnen? Es geht ihm wie Sisyphos: Er überlistet den Tod und erntet den Unsinn. Je weniger ein Mensch sich des Sterbewesens bewusst ist, desto unheimlicher herrscht es über ihn. Für das Lebewesen ist der Tod pure Absurdität, die es unter allen Umständen zu meiden gilt. Drum auch die gegenwärtige Ratlosigkeit dem Terrorismus gegenüber. Die Welt steht in diesen Tagen unter dem Alb des deutschen Baader-Meinhof-Terrorismus. Arbeitgeberpräsident Schleyer ist noch immer in den Händen der Terroristen. Über einer Lufthansamaschine mit über neunzig Passagieren samt Besatzung an Bord schwebt seit Tagen das Damoklesschwert der Vernichtung. Wie grotesk hört sich die Erklärung des Verfassungsgerichts in Karlsruhe an: Das Leben ist der höchste Wert. Haben diese Deutschen eigentlich ihren Schiller vergessen? Das Leben ist der Güter Höchstes...


Christian Uetz, geboren 1963 in Egnach, ist ein philosophischer Poet und lebt in Zürich. Nach einer Ausbildung zum Lehrer studierte er Philosophie, Komparatistik und Altgriechisch an der Universität Zürich. "Sunderwarumbe - Ein Schweizer Requiem" ist sein zweiter Roman. Sein Debütroman "Nur Du, und nur Ich" ist 2011 erschienen. Seine Live-Auftritte sind "Terrorakte gegen die Anbiederung!" Bettina Schulte, Badische Zeitung



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