Uhl / Holler / Leleu | Die Organisation des Terrors - Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945 | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 1152 Seiten

Uhl / Holler / Leleu Die Organisation des Terrors - Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99436-1
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

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ISBN: 978-3-492-99436-1
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Lange galten Himmlers Dienstkalender der beiden letzten Kriegsjahre als verschollen - bis man sie in einem russischen Archiv in der Nähe von Moskau fand. Die darin erfolgten Eintragungen sind deshalb so brisant, weil dieser Zeitraum den Höhepunkt der deutschen Gräueltaten an den Völkern Europas markiert. Erstmals werden sie nun durch ausgewiesene Experten für die Geschichte des Holocaust und der NS-Diktatur entschlüsselt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Der spektakuläre Fund belegt, wie diese Verbrechen vom Reichsführer-SS initiiert und organisiert wurden. Die Kalendernotizen zeigen zudem, wer an diesen Entscheidungen beteiligt war, wer zum engsten Kreis um Himmler gehörte und wie jene Männer handelten, die Europa zerstörten und für den größten Massenmord der Geschichte verantwortlich sind.

Dr. Matthias Uhl, Studium der Geschichte und der osteuropäischen Geschichte in Halle und Moskau. 2000-2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte/Abteilung Berlin. Seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Moskau. Forscht zur Geschichte der Sowjetunion und des Zweiten Weltkrieges. Veröffentlichte zur nationalsozialistischen Diktatur und sowjetischen Militärgeschichte.
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Januar bis März 1943


Die Niederlage von Stalingrad und die Verschärfung der Judenverfolgung

Das Jahr 1943 begann für die deutsche Führung mit schweren militärischen Niederlagen. Zwar hatte die Wehrmacht bereits im Dezember 1941 westlich von Moskau einen ersten Rückzug antreten müssen, doch die Einschließung der 6. Armee und weiterer Verbände der Achsenmächte bei Stalingrad im November 1942 leitete – mit dem Verlust von mehr als 300000 Mann – das bis dahin größte militärische Desaster in der deutschen Militärgeschichte ein. Anfang Februar 1943 kapitulierten die Reste der in Stalingrad eingeschlossenen Truppen.

Parallel zu dem, was sich in Stalingrad abspielte, hatte am 31. Dezember 1942 die Evakuierung der deutschen Truppen aus dem nördlichen Kaukasus begonnen. Bei ihrem erzwungenen Rückzug hinterließ die Wehrmacht nur »verbrannte Erde«. Erst im Frühjahr 1943 gelang es der Wehrmachtführung, die Front im Süden Russlands zu stabilisieren. Mitte März 1943 konnten deutsche Verbände sogar die Großstadt Charkow zurückerobern. SS-Truppen taten sich dabei besonders hervor, was die deutsche Propaganda nutzte, um die Waffen-SS als Elitetruppe und »Frontfeuerwehr« zu stilisieren.

Doch nicht nur im Osten zeichnete sich klar die Wende des Krieges ab. Im November 1942 hatten die Briten und ihre Verbündeten den deutsch-italienischen Verbänden unter Rommel bei El Alamein in Ägypten eine schwere Niederlage zugefügt, sodass sich die Reste seiner Truppen weitgehend ungeordnet nach Westen zurückzogen. Gleichzeitig landeten westalliierte Einheiten in Marokko und Algerien und errichteten in Nordafrika eine zweite Front. Die Achsentruppen mussten Ende Januar 1943 Libyen räumen und sich nach Tunesien zurückziehen, wo ihnen allerdings die Einschließung drohte.

Im Luftkrieg begann Anfang März 1943 mit der sogenannten Schlacht um die Ruhr der Versuch der Alliierten zur systematischen Zerstörung der deutschen Rüstungsindustrie. Mit einem Luftschlag auf Wilhelmshaven hatte sich am 27. Januar die Bomberflotte der USA mit Tagesangriffen in den strategischen Luftkrieg eingeschaltet. Die deutsche Luftverteidigung, gebunden durch den Einsatz an den Fronten, musste weitgehend tatenlos zusehen. Die Bombardements trafen vor allem die Zivilbevölkerung und hatten zunächst kaum Produktionsausfälle zur Folge. Lediglich im Atlantik konnte die deutsche Kriegführung letzte militärische Erfolge vermelden. Bis März 1943 versenkten deutsche U-Boote hier zahlreiche Schiffe alliierter Versorgungskonvois.

Nachdem die deutsche Mordmaschinerie zur Vernichtung der Juden 1941/42 unter seiner Leitung ohne Stockungen angelaufen war, konzentrierte sich Himmler in der zweiten Kriegshälfte vor allem auf den Ausbau der Waffen-SS. Zum Jahresende 1942 verfügte diese Streitmacht über acht Divisionen mit knapp einer Viertelmillion Mann. In den ersten Monaten des Jahres 1943 organisierte der Reichsführer-SS groß angelegte Rekrutierungskampagnen für zwei neu aufzustellende Divisionen; erstmals sollten auch die Einwohner der besetzten, bis 1939/40 von der Sowjetunion annektierten Gebiete in eigenen Divisionen zusammengefasst werden. Ein besonderes Augenmerk richtete Himmler auf den Ersatz: Die abgekämpften Einheiten der Waffen-SS wurden gegenüber den Heeresverbänden bevorzugt mit frischem Personal und Ausrüstung versorgt.

Die deutsche Rüstungswirtschaft lief jetzt auf Hochtouren. So ließen sich die enormen materiellen Verluste wettmachen und zugleich neu aufgestellte Verbände ausstatten. Möglich wurde der hohe Ausstoß an Rüstungsgütern nicht zuletzt durch den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte, die inzwischen nur noch unter Zwang ins Reich gebracht werden konnten. Anfang 1943 arbeiteten vier bis viereinhalb Millionen Ausländer in der deutschen Kriegsproduktion.

Am 24. Januar verkündeten Churchill und Roosevelt in Casablanca die bedingungslose Kapitulation Deutschlands als Kriegsziel der Alliierten. Auch ohne darüber unterrichtet zu sein, begann die Bevölkerung zu ahnen, dass der Krieg in ein kritisches Stadium getreten war. Während auf der einen Seite die propagandistische Offensive verstärkt wurde, ging auf der anderen Seite Himmlers Polizeiapparat schärfer gegen Unmutsäußerungen und widerständiges Verhalten vor. Aber obwohl Goebbels in seiner berüchtigten Rede am 18. Februar 1943 den »totalen Krieg« ankündigte, kam es zu keiner nennenswerten Einschränkung des öffentlichen Lebens. Zwar wurden Handwerks- und Gaststättenbetriebe geschlossen, die als »nicht kriegswichtig« galten, und 15-Jährige konnten ab sofort zum Dienst als Luftwaffenhelfer eingezogen werden. Für diejenigen, die nicht unmittelbar von den zunehmenden Luftangriffen betroffen waren, blieb die Lage Anfang 1943 relativ entspannt.

Ganz anders sah es in Osteuropa aus. Besonders in den besetzten Gebieten Polens, der Sowjetunion und Jugoslawiens waren Massenverbrechen an der Tagesordnung. Der Mord an den europäischen Juden, der in der zweiten Jahreshälfte 1942 einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, wurde 1943 erbarmungslos weitergeführt. Nachdem Himmler persönlich beim Reichsverkehrsminister interveniert und die Aufhebung einer Transportsperre der Reichsbahn durchgesetzt hatte, fuhren ab Mitte Januar 1943 wieder Deportationszüge in die Vernichtungslager. Vor allem aus Zentralpolen und Westeuropa wurden Juden erneut nach Treblinka, Majdanek, Sobibor und Auschwitz-Birkenau deportiert, auch in Berlin holte die SS die letzten Juden ab. In Südosteuropa begannen gezielte Mordaktionen erst jetzt: Im März 1943 wurden Juden aus Saloniki sowie aus den bulgarisch besetzten Gebieten in Griechenland und Jugoslawien in die Vernichtungslager transportiert. Im Februar und März 1943 deportierten die Deutschen 23000 Sinti und Roma nach Auschwitz. Dieses Konzentrationslager hatte der Reichsführer-SS inzwischen zum größten Lager für den maschinellen Massenmord ausbauen lassen.

Aber Himmler beließ es nicht dabei, die Massenmorde vom Schreibtisch aus zu organisieren. Anfang Januar ordnete er nach einer Besichtigung des Gettos in Warschau dessen Auflösung an. Am 12. Februar inspizierte er das Vernichtungslager Sobibor, wo er den Mord an Juden durch Gas ungerührt in Augenschein nahm. Im März ließ er sich vom Chefstatistiker der SS eine erste Gesamtbilanz zur Judenvernichtung vorlegen, die verklausuliert von bislang 2,5 Millionen Ermordeten sprach. Wie die Forschung gezeigt hat, war diese Zahl deutlich zu niedrig angesetzt.

Zu Jahresbeginn 1943 waren in den Konzentrationslagern innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches etwa 123000 Personen inhaftiert. Nach dem Willen Himmlers sollten die Lager zu einem unerschöpflichen Reservoir an Zwangsarbeitern für die deutsche Wirtschaft ausgebaut werden. Da es der SS-Führung nicht gelungen war, die Produktion in den Lagern selbst aufzunehmen, errichtete sie nun sukzessive Außenlager in der Nähe großer Rüstungsunternehmen. Allerdings wurden die Häftlinge nach wie vor so schlecht behandelt, dass viele von ihnen bald nach ihrer Einlieferung starben. Im ersten Quartal 1943 lag die monatliche Todesrate bei acht Prozent (das entsprach fast 100 Prozent im Jahr!). Neben den jüdischen waren es vor allem osteuropäische Häftlinge, die durch Auszehrung und infolge von Überarbeitung zu Tode kamen. Erst Mitte 1943 zog die SS den Erhalt der Arbeitskraft stärker ins Kalkül, und die Sterblichkeitsquote der Häftlinge sank. Spätestens Mitte März 1943 entdeckte Himmler ein zusätzliches Tätigkeitsfeld für sich: die Gewinnung von kriegswichtigem Kautschuk aus Kok-Saghys, dem russischen Löwenzahn, der auf riesigen Flächen insbesondere im Generalgouvernement angebaut und dort u. a. von Kindern geerntet werden sollte.

Der Sieg der Roten Armee in Stalingrad gab den Widerstandsbewegungen in ganz Europa erheblichen Auftrieb, zeichnete sich doch erstmals eine Niederlage des Deutschen Reiches ab. Insbesondere in Teilen der Sowjetunion und Jugoslawiens hatten sich inzwischen starke kommunistisch dominierte Untergrundbewegungen etabliert. Die Waldgebiete Weißrusslands, aber auch die Brjansker Wälder und die Nordostukraine wurden de facto von Partisanen kontrolliert.

Die SS, die zuständig war für die Partisanenbekämpfung in den zivilverwalteten Besatzungsgebieten, setzte ihre radikale Gewaltpolitik ungehemmt fort. Davon waren allerdings weniger die Partisanen als vielmehr die ansässige Zivilbevölkerung betroffen. Bei dem »Bandenunternehmen Hornung« töten SS- und Polizeiverbände im Februar 1943 im Westen Weißrusslands mehr als 13000 Menschen, unter ihnen 3000 jüdische Gettoinsassen. Im selben Monat verübten deutsche Polizeieinheiten in dem als Partisanenstützpunkt geltenden Korjukiwka in der Ostukraine das größte Massaker, das es bis dahin in einer europäischen Stadt je gegeben hatte. Himmler selbst verbiss sich in dieser Zeit vor allem in Racheaktionen gegen Marseille, das ihm als ein Hort des Widerstands und der Kriminalität galt. Etwa 40000 Menschen wurden hier verhaftet und in Lager oder Gefängnisse gesperrt, in der Stadt ließ die SS 1500 Gebäude sprengen.

Auch in Polen kam es jetzt wiederholt zu bewaffneten Aktionen. Auf besonderen Wunsch Himmlers hatten SS und Polizei im November 1942 damit...



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