E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Ungerer Gott Go Home!
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-360-50170-7
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Friede auf Erden gibt es nur ohne Religion
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-360-50170-7
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Religion bringt Frieden und Liebe? Wer's glaubt, wird selig. Zwischen Intoleranz gegen Andersgläubige und Gängelei von Atheisten, Kindesmissbrauch und Unterdrückung der Frauen, Unterwerfung sexueller Minderheiten, Terror und Kriegen entpuppt sich das Motto als simples Werbemärchen. Wo Religion ans Werk geht, sind Aufklärung und Vernunft auf dem Rückzug. Das Christentum hat sich bestens mit den kapitalistischen Verhältnissen arrangiert, während Demokratie und Menschenrechte von ihm untergraben werden. Man redet von Religionsfreiheit und schweigt sich aus über die Freiheit von Religionen. Klaus Ungerers Buch "Gott go home" bleibt aber nicht stehen bei der politischen Übergriffigkeit der Kirche und ihrer Vertreter. Der Autor geht an den irrationalen Kern des Glaubens selbst. Witzig und schwungvoll, mit scharfem Sinn und Biss führt er einen Kampf, der nicht nötig wäre, hätte man sich nicht seit Jahrhunderten daran gewöhnt, auf einen längst nicht mehr geglaubten Glauben Rücksicht zu nehmen.
Ungerer, der von 2017 bis 2019 in fast 100 Kolumnen beim Humanistischen Pressedienst aktuelles Geschehen um Religion kommentierte, bewegt sich zugleich auf der Höhe der Zeit wie in der besten aufklärerischen Tradition.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Hü, totes Kamel, hü! Wie alle sich ihren Glauben so hinbiegen, dass er gut reinpasst Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Hunderttausende jedes Jahr, allein in Deutschland. Und die Kirchen können nicht begreifen, warum das geschieht. Ihre Vertreter stehen um ihre Religion herum wie um ein totes Kamel in der Wüste, und sie überlegen, wie sie es wieder zum Laufen bringen. Vielleicht sollte man ihm die Hufe polieren? Eine neue Frisur verpassen? Ihm gut zureden? Einen Kamelpsychologen befragen? Gott, warum riecht das hier so komisch? Lasst uns das Kamel zunächst mal parfümieren. Das Bistum Essen hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, aus der ist ein Buch geworden, und schon im Titel wird spürbar, wie sehr das Denken sich um das Unsagbare herumbiegen muss, wenn man im Jahr 2018 weiterhin für einen antiken Aberglauben kämpfen will. »Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss« (Herder 2018). All dem Räsonnement liegt die Annahme zugrunde, das Kamel mache nur gerade ein Nickerchen. Gut, dass immerhin noch Geld da ist, um eine Studie in Auftrag zu geben. Geld ist ja immer da, der Staat schafft es herbei in der Kirchenrepublik Deutschland, und wohltuend, hier mal die klare Ansage zu finden, was den Kirchen am Massenexodus derart Angst macht. Geht es um die armen Seelen, die jetzt nicht in den Himmel kommen? Schnickschnack. Selbstverständlich geht es: um Geld. Da wird erstmal ein bisschen rumgemaunzt, dass »die Frage der Mitgliedschaft so eng an die Frage der Finanzierung geknüpft ist« – eine Geld-Flatrate vom Staat wäre wohl schöner. Da kann jeder mitfühlen. Money for nothing, Oblaten for free, das wäre ja das reinste Paradies. Am Ende stünde dann eine Kirche mit nur noch einer Handvoll Popanzen, die ein bisschen in ihren leeren Kathedralen vor sich hin singen und den Rest der Zeit mit Vermögensverwaltung beschäftigt sind. So aber muss man sich leider immer noch mit den Kunden der Kirche, den so genannt Gläubigen befassen. Es gibt im Bistum Essen eine »Initiative für den Verbleib in der Kirche«, diese habe »einen ungewöhnlichen, eher Ökonomie-logischen Ansatz«, aber es gebe ja auch eine »starke Abhängigkeit des Bistums Essen von der Kirchensteuer als zentraler Einnahmequelle«. Also wird hier, fernab der Himmelschöre, einmal vorgerechnet, was eine zahlende Mitgliedschaft für das Bistum bedeutet. Auf jede abgeflatterte Seele kommt pro Jahr, und vorsichtig gerechnet, ein »Betrag von mindestens 500 Euro, der dem Bistum nachhaltig fehlt«. Und da die Lust am Zahlenspiel erstmal geweckt ist, die Angstlust am Untergang natürlich auch, lässt man in einem Beispiel einen 30-Jährigen austreten, addiert dann und verzinst »bis zu dessen Ruhestand«, so »entsteht gar ein Verlust von mindestens 27500 Euro pro Austritt«. Allein die 4304 Austritte des Jahres 2016 im Bistum Essen werden, nach einiger gottgefälliger Rumrechnerei, bis zum Jahr 2026 einen Verlust von mehr als 26 Millionen Euro bedeuten. Für solch ein treuloses Volk hat sich der Heiland nun also ans Kreuz schlagen lassen! Demnach gilt es, den Money Drain zu stoppen. Aufgabenstellung: Wie kann man Austritte verhindern und ausgetretene Schäfchen zurückholen (solvente Kunden bitte zuerst)? Zunächst gibt es eine Meta-Studie zur durchaus überschaubaren Forschung dieses Themas. Warum Leute auszutreten wagen, scheint die Würdenträger bislang nicht sonderlich interessiert zu haben. Die Metastudie arbeitet sich durch einige kirchenrelevante Themenfelder hindurch und fördert dabei wenig Überraschendes zu Tage: »Je enger die Kirchenbindung, desto wahrscheinlicher ist die Teilnahme am Gottesdienst«. Sprachlich gerät man immer wieder in theologische Wolkigkeit, die eine Ahnung vom Himmelreich aufkommen lässt. So werden zum Abschluss des Kapitels »schemenhafte Schlaglichter« geworfen auf sechzehn Bereiche, in denen die Kirche an sich arbeiten sollte. Das liest sich dann oft in seiner Mischung aus pastoralem Geblubber, pseudoakkuratem Wissenschaftsdeutsch und modernem Marketingjargon recht komisch: »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine gemeinschaftliche, familienorientierte und doch individuelle Kirche« – »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine Mutter Teresa« – »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine biographie- und milieuorientierte Dienstleisterin«. Eine Kunstturnerin ist diese Kirche übrigens auch: »Sie muss den Spagat schaffen zwischen Biographieorientierung und Tradition, Multioptionalismus und Konservatismus, gesellschaftszentrierter Immanenz und theozentrischer Transzendenz. Solche aporetischen Paradoxien müssen wahrgenommen und produktiv in ein kirchliches pluralitätsfähiges Selbstverständnis integriert werden.« Sie sprechen, mal wieder, in Zungen. Whatever. Noch was? Ach ja, »Marketing-Champion«: »Das gegenwartsbezogene Image der Kirche ist durch Skandale und lehramtliche Stellungnahmen zu Sexualität etc. negativ belastet. Retrospektiv lastet die Gewaltgeschichte des Christentums auf ihren Schultern. Für eine Stärkung bzw. Ermöglichung einer emotionalen Kirchenbindung bedarf es daher einer strategischen Positionierung. Selbst eine hohe Mitgliederzufriedenheit kommt ohne ein entsprechendes Gesamtimage nicht aus. ›Katholisch‹ muss sich verkaufen können.« Sehr hübsch zu lesen ist auch der Unterpunkt 13, in dem die Kirche »eine Meisterin moderner Glaubenskommunikation ist«. Das dort dann Ausgeführte legt den Verdacht nahe, dass »Glaubenskommunikation« eben in erster Linie darauf angelegt sei, die Leute in Ohnmacht zu schwurbeln. Zitat: »Eine lebensweltbezogene und pluralitätsfähige Glaubenskommunikation in den kirchlichen Binnenraum hinein und darüber hinaus in die Gesamtgesellschaft gibt der religiösen Diversität aber einen Sitz im Leben der Kirche. Die kirchlichen Grundvollzüge sind davon durchwirkt.« »Sexualität etc.«, »durchwirkt«, »theozentrische Transzendenz« – solche Dinge stehen in einem Buch, das sich darum bemüht, dem toten Kamel des Götterglaubens irgendwie Anschluss ans Heute zu verschaffen. Hat der ganze Weihrauch sich gesenkt und hat man beim Lesen zu Ende gekichert, bleibt die entscheidende Frage im Raum: Katholisch muss sich verkaufen können – aber wie? Um hier einer Antwort näherzukommen, hat das Bistum Essen eine neue, eigene Studie in Auftrag gegeben. Mit Hilfe persönlicher Auskünfte war der Frage nachzugehen: Warum treten die Leute eigentlich aus? Und wie können wir sie also daran hindern? Top-Nennung dabei war die Kirchensteuer, kein Wunder bei den Summen, die da fließen. Nur da die ja ein chronisches Ärgernis ist, sind die akuten Auslöser für den Kirchenaustritt meist andere Dinge. Etwa wird ausgetreten, weil »die katholische Kirche den Anschluss an die moderne Welt verpasst hat« bzw. »weltanschaulich 2000 Jahre zurück geblieben ist«, weil »sie zum Teil mittelalterliche Positionen vertritt: Frauen, Homosexualität uvam.«, weil »ich nicht an Gott glaube und die politische Agenda des Vatikans missbillige«, weil »ich die von patriarchalischen Narzissten dominierte römische Kurie ablehne«, weil »ich zu der Auffassung gekommen bin, dass der Hauptzweck der Kirche ein Selbstzweck ist, nämlich Reichtum und Prunk«. Die freiwillige Teilnahme an der Umfrage löst hier und dort nachhaltig die Zunge: »Ihr seid milliardenschwer, hockt auf goldenen Bischofsstühlen und schließt Kindergärten. Ihr seid Sozialschmarotzer! Fett und unbeweglich (…) Von den ganzen Pädophilen wollen wir gar nicht reden.« Das ist so ungefähr die Richtung, in die es bei dieser Studie geht. Weltfremd und unglaubwürdig sei die Kirche, einen Gott gebe es nicht, und wenn, dann finde man ihn sicher besser anderswo als im offiziellen Katholizismus. So tönt der Chor der Ausgetretenen, natürlich ein wenig verzerrt: Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und dürfte eher diejenigen angezogen haben, die eine Wut und Enttäuschung in sich spüren. Dass das nur ein paar Hundert von jährlich Tausenden waren, die meist einfach so, schweigend, achselzuckend, dem Essener Bistum den Rücken kehren, wie man ein totes Kamel eben liegenlässt in der Wüste, da es wichtigere Dinge zu tun gibt, sei nur am Rande bemerkt. Wirklich bemerkenswert ist, mit welcher Offenheit das Bistum seine Schlüsse zieht. Macht man sich Sorgen um die vielen Seelen, die nun nicht im Himmel ankommen? Wird der Ruhrpott bei den Vollversammlungen der Engel peinlich unterrepräsentiert sein? Rücken die letzten Tage heran? Aber nicht doch. Darin dann wieder ganz modern, folgt man hier ökonomischer Logik. Vor der Kirche und ihrer Kasse sind nicht alle gleich, und noch weniger ist der verlorene Sohn ein besonders erwünschter Gast: »Angesichts des Aufwands, den es bedeutet, Ausgetretene wieder für die Kirche zu gewinnen, liegt es nahe, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die noch in der Kirche sind.« Dieses Konzept scheint mit der Führungsetage im Himmel abgesprochen, denn weiter heißt es: »Unbeschadet des Heilsangebots Gottes an alle Menschen scheint es aus ökonomischer Perspektive günstiger, Menschen in der Kirche zu halten als Menschen wieder für diese zu gewinnen.« Aus dieser Erkenntnis ergeben sich verschiedene Möglichkeiten des Handelns, die die Heilsangebot-Anbieter nun durchspielen. Ran an die Moneten, ehe sie türmen! Zur optimierten Kundenbindung wird die Einrichtung einer Beschwerdestelle empfohlen, eine »neue Beachtung« von Kasualien oder Festtagsgottesdiensten: »Solche punktuellen, in der Regel affektiv wirksamen Erfahrungen mit Kirche können ein ausschlaggebender Punkt im Kosten-Nutzen-Kalkül der Menschen sein, also dazu führen, in der Kirche zu verbleiben.« Weitere Mittel wären dann...