Ury | Das Ratstöchterlein von Rothenburg | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 156 Seiten

Ury Das Ratstöchterlein von Rothenburg


1. Auflage 2021
ISBN: 978-87-26-88371-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 156 Seiten

ISBN: 978-87-26-88371-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Deutschland im Jahr 1914: Die 16-jährige Magda Toppler will ihren Traum verwirklichen, das Abitur zu schaffen und zu studieren. In jeder freien Minute sitzt die mutige junge Frau dafür an ihren Schulbüchern und lernt fleißig. Doch ihr Vater, der Ratsherr von Rothenburg, hat ganz andere Pläne für seine Tochter - wie alle Frauen aus der Familiendynastie der Topplers soll Magda Hausfrau werden. Magda will sich damit nicht abfinden und kämpft heimlich weiter für ihre Ziele, doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus und stellt alles auf den Kopf. Kann Magda sich gegen die Härten ihrer Zeit behaupten und ihr Glück finden? -

Else Ury wurde am 1. November 1877 in Berlin geboren. Ab 1905 war sie als Autorin tätig und schrieb hauptsächlich Kinderbücher. Urys Hauptwerk ist die zehnbändige 'Nesthäkchen'-Reihe, die mehrmals überarbeitet und neu aufgelegt wurde. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt die jüdische Schriftstellerin Schreibverbot und ihre populären Bücher durften nicht mehr veröffentlicht werden. 1943 wurde Else Ury ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ury Das Ratstöchterlein von Rothenburg jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Kapitel
Draußen fiel der Schnee, leis und dicht. Er setzte den trutzigen Wehrtürmen der alten Stadt Rothenburg silbernfunkelnde Helme auf das graue Steinhaupt, daß sie so reckenhaft auf das verschneite Taubertal herabblickten wie einst vor sechshundert Jahren. Mit lichtem Hermelin schmückte er die rissigen Festungsmauern, welche die Stadt noch heute umgürten und stülpte den verschlafenen Toren riesige weiße Nachtmützen über die Ohren. Jeden mittelalterlichen Giebel, jeden Erker und jedes Gesims zeichnete er als echter Künstler mit zartfeinem Schneegriffel nach. Flocke auf Flocke glitt hernieder – still, lautlos. Vor dem runden Mansardenfensterchen des alten Patrizierhauses wuchs das lichtweiße Schneepolster. Junge Augen blickten nachdenklich durch die bleigefaßten Butzenscheiben in das langsame, unaufhörlich sich erneuernde Herabgleiten der Silbersternchen. Wie sicher und unbeirrt ein jedes seinen Weg ging! Ohne Aufenthalt, ohne Rücksicht auf seine Gefährten, in stiller Selbstverständlichkeit seinem Ziele zu. Den schlanken Kopf mit den schweren rötlich goldenen Flechten in die Rechte stützend, seufzte Magda tief auf. Ach, wer doch auch so selbstsicher seinen Weg verfolgen könnte wie die Schneeflocken da draußen! Wer doch nicht auf Schritt und Tritt von engen Mauern und veralteten Vorurteilen in seinem Streben gehemmt würde! Die großen, tiefschwarzen Mädchenaugen, die seltsam zu dem Goldton des Haares stimmten, lösten sich von dem steten Flockengeriesel da draußen und wanderten wieder zu dem umfangreichen Wörterbuch, den Büchern und Heften zurück, welche die Schreibtischplatte bedeckten. Es war ein merkwürdiger Schreibtisch, wie man ihn gewöhnlich wohl nicht in einem Mädchenzimmer zu sehen bekam. Nichts Zierliches hatte er, auf starken, geschweiften Beinen stand er breit und wuchtig in seinem alten Nußbaumkleide da, mit hohem Aufsatz und schwerer Klappe, mit vielen, vielen Fächern, Kästen und Schüben. Der geschnitzte Löwenkopf, der ihn bekrönte, hatte sicher schon dereinst auf ehrwürdige Ratsherren mit der Zopfperücke herabgeblinzelt, auf dicke Lederfolianten, Gänsekiel und Schnörkelschrift. Viele Generationen des Patrizierhauses Toppler hatte der alte Sekretär kommen und gehen sehen. Manch kluger, ernster Mann hatte von ihm aus die Stadt Rothenburg regiert. Aber eine Frau, nein, eine Frau hatte niemals das Haupt über seine blankpolierte Platte gebeugt. Oder doch – vor vielen Jahrhunderten ... hatte er da nicht schon mal auf solch goldflimmerndes Frauenhaar herabgeschaut? Aber das war so lange, lange her ... der alte Geselle konnte sich nicht mehr darauf besinnen, denn sein Gedächtnis hatte schon arg nachgelassen. Was wollte der junge, liebreizende Mädchenkopf da bloß mit all der Gelehrsamkeit? Mißbilligend blickte der alte Schreibtisch auf die lateinische Ausarbeitung, auf Virgil und Mathematikaufgaben. Trotzdem es nun schon fast ein Jahr war, daß Magda ihn aus der Vergessenheit des Rumpelkammerlebens gezogen hatte, daß er seinen Platz hier in ihrem Mansardenstübchen bekommen, konnte er sich noch immer nicht mit diesem neumodischen Kram abfinden. Solch junges Ding gehörte an den Nähtisch drüben auf dem Fenstertritt. Da hatten ihre Großmütter und Urgroßmütter die fleißigen Finger geregt, wenn sie nicht im Haus und am Herd schafften. Aber der Nähtisch, der aus demselben hellen Nußbaumholz und nicht viel jünger war als er, erfreute sich lange nicht so der Zuneigung des jungen Fräuleins wie er selbst. Dabei sah er doch mit seinem weißen Häkeldeckchen und dem Rubinglas darauf mit Kiefergrün und roten Beeren einladend genug herüber. Unzufrieden knarrte der alte Schreibtisch in allen seinen Fugen. Aber das machte auf Magda Toppler nicht den geringsten Eindruck. Emsig eilte ihre Feder über die weißen Blätter, nur hin und wieder eine kleine Pause zum Nachschlagen im Lexikon oder zum Stirnkrausziehen lassend. So vertieft war das junge Mädchen in seine Arbeit, daß es nicht merkte, daß die alte Pendeluhr unter der Glasglocke, die den Platz auf der schön geschnitzten Kommode inne hatte, vier dünne Schläge mit altersschwacher Stimme durch das Stübchen schwingen ließ. Es hörte nicht das Tappeln von kleinen Kinderfüßen draußen auf der Holzstiege. Erst als die Tür ohne Umstände aufgerissen und ein blondes Dingelchen, gefolgt von einem genau so großen schwarzen Pudel, ins Zimmer stürmte, fuhr Magda erschreckt aus ihrer Versunkenheit empor. »Tante Brigitte läßt fragen, wo du denn steckst, und Vater, was du wieder treibst, daß du nicht zum Kaffee herunterkommst. Werner ist auch noch nicht zu Haus, trotzdem die Schule schon um drei aus ist. Und Tante Brigitte will mich nicht mit meinem neuen roten Weihnachtsschlitten in den Schnee hinauslassen, sie sagt, ich hole mir bestimmt den Tod. Ach, liebstes, aller-aller-allerbestes Magdachen, sag' ihr doch, daß ich mir den Tod nicht holen werde!« Zärtliche kleine Arme schlangen sich um den Hals der großen Schwester, schwarze Hundepfoten legten sich auf ihren blauen Blusenrock. Das Tintenfaß geriet bei dem unvorhergesehenen Ansturm bedenklich ins Wanken. »Ich komme schon, Trautchen – da hab' ich doch tatsächlich die Uhr überhört.« Magda schlug das Lexikon eiligst zu. Denn in bezug auf Pünktlichkeit verstand der Vater keinen Spaß. »Was arbeitest du denn bloß immer – du bist doch schon groß!« Fragend sahen die strahlendblauen Kinderaugen auf die beschriebenen Blätter. Auch Peter, Tante Brigittes Pudel, schnupperte neugierig. Hastig, wie auf einer verbotenen Tat ertappt, schloß Magda Hefte und Bücher in den alten Sekretär, trotzdem das Kleinchen noch gar nicht lesen konnte. Klapp – machte der und ließ dröhnend seine schwere gewölbte Holzklappe herunterrasseln. Trautchen jauchzte, als geschehe dies eigens zu ihrem Privatvergnügen. Sie vergaß darüber, daß die Schwester ihre Frage überhaupt nicht beantwortet hatte. Nachdem die Kleine noch ganz geschwind das bunte Fensterglasbild, durch das die Schneeflocken draußen so schön blau, rot und grün aussahen, bewundert hatte, nachdem Magda nun schon zum drittenmal »komm, Liebling!« gerufen, trennte sie sich endlich von dem Stübchen der großen Schwester, in dem Trautchen nur gar zu gern weilte. Um die Wette ging es zwei- und vierbeinig die gewundene, schwereichene Treppe mit den schöngeschnitzten Holzpuppen herab. Über die Diele, in der die großen Nürnberger Schränke die dunklen Nischen füllten, zum Eßzimmer. Dasselbe war ein großer, ziemlich niedriger Raum, holzgetäfelt, mit klosterartiger Deckenwölbung. Zinnteller und Humpen blitzten aus den Wandbrettern im Schein der elektrischen Glühbirnen, die wie aus einer anderen Welt die altererbten Familienmöbel des Patrizierhauses bestrahlten. Elektrisches Licht – das war das einzige Zugeständnis, das der mit allen Fasern am Hergebrachten hängende Ratsherr der modernen Zeit gemacht hatte. Er hob den schmalen, scharfgeschnittenen Charakterkopf, der fast allen Topplers eigen, beim Eintritt seiner beiden Töchter nicht von der Zeitung. Nur an dem Runzeln der blondbuschigen Augenbrauen erkannte Magda, daß der Vater ärgerlich war. Auf dem grünen Ripssofa mit weißgehäkelten Schonern saß Tante Brigitte. Ihre zierlichen Finger warfen das Elfenbeinschiffchen hin und her zu kunstvoller Frivolitätenarbeit. Das war aber wohl auch das einzige, was die alte Tante jemals in ihrem Leben mit diesem Worte zu tun gehabt hatte. Denn ihr gütiges Herz konnte keiner Fliege ein Leid antun. Auch jetzt blickte sie unter der schwarzen Spitzenbarbe, die sie über dem grauen Scheitel trug, ängstlich von der unpünktlichen Großnichte zu dem Ratsherrn, ehe sie behutsam den Kaffeewärmer mit Perlstickerei von der bauchigen Kanne hob. Entschuldige, Vater,« wandte sich Magda zu dem Zeitunglesenden. »Ich war so vertieft, daß ich das Schlagen der Uhr überhört habe.« »Vertieft – worin, Magda? Welche wichtige Beschäftigung kann dich derart in Anspruch genommen haben, daß du die Pünktlichkeit, die stets alle Topplers ausgezeichnet, und auf die ich daher ganz besonderen Wert lege, außer Acht lassen konntest?« Magda schwieg verlegen. Klein-Trautchen aber rief lachend: »Schularbeiten hat sie gemacht, die große Magda – hahaha – Schularbeiten wie der Werner!« Das zarte Mädchengesicht übergoß dunkle Röte. Es versuchte möglichst hinter der großen Blümchentasse, die Tante Brigitte sorglich mit duftendem Kaffee gefüllt, zu verschwinden. »Hör' mal, mein Kind,« der Vater blickte ernsthaft auf die verlegene Tochter. »Es ist ja ganz gut und schön, daß du das in der Schule Gelernte noch fleißig wiederholst und vertiefst. Aber du bist nun fast siebzehn Jahre alt, da...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.