E-Book, Deutsch, Band 5, 400 Seiten
Reihe: Ein Hartmut-und-ich-Roman
Uschmann Feindesland
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-402306-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hartmut und ich in Berlin
E-Book, Deutsch, Band 5, 400 Seiten
Reihe: Ein Hartmut-und-ich-Roman
ISBN: 978-3-10-402306-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oliver Uschmann wurde geboren, als seine Eltern es für angebracht hielten und wuchs in Wesel am Niederrhein auf. In Bochum studierte er Literatur und in Berlin das Leben. Mit seiner Frau Sylvia Witt veröffentlicht er Jugendromane, Erwachsenenromane sowie lustige und ernste Sachbücher. Ihre bekannte Romanserie 'Hartmut und ich' haben die beiden als 'Hui-Welt' im Internet sowie 2010 als bewohnbare Ausstellung namens 'Ab ins Buch!' aufgebaut. Auf der Videospielkonsole stellt sich Oliver Uschmann regelmäßig den schwersten Gegnern. Zu seinen Hobbies außerhalb des Hauses gehören das Barfußlaufen und das Guerilla-Gärtnern. Außerdem begrüßt er jedes natürliche Gewässer, indem er vollständig seinen Schädel hineinsteckt. Uschmann lebt mit seiner Frau sowie zwei Katern auf einem Dorf im Münsterland. Literaturpreise: Förderpreis NRW 2008
Autoren/Hrsg.
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Die Tür zur Literatur
Susanne hat den Job bei Taxi Warnke bekommen. Als Hausmechanikerin. Unter der Hand. Das kommt den Chef günstiger, als die Wartung der Fahrzeuge auszulagern. Währenddessen kann sie ihren Taxischein machen und später als Fahrerin einsteigen, das dann sogar in Festanstellung mit Versicherung. Man wird sehen. Sie hat den Unternehmer überzeugt, indem sie während des Bewerbungsgespräches bei einem auf den Hof fahrenden Firmenwagen durch bloßes Hinhören eine Fehljustierung an der Einspritzung diagnostizierte.
»Was ist dagegen einzuwenden, wenn die Frau besser verdient als der Mann?«, sagt Hartmut auf dem Bahnsteig der U6.
»Nichts ist dagegen einzuwenden, wenn die Frau mehr verdient«, beantworte ich Hartmuts Frage. »Solange das nicht heißt: Sie verdient alles, und der Mann verdient gar nichts, weil er seine Gage fast vollständig der Gegenkultur spendet.«
»Du hast archaische Rollenbilder«, sagt Hartmut. »Du willst immer noch der Alleinernährer sein.«
»Ich will nicht ausgehalten werden«, sage ich. »Wenn du zu lange jemanden aushältst, hältst du ihn irgendwann vielleicht nicht mehr aus.«
Hartmut zieht die rechte Augenbraue weit nach oben, starrt auf ein Werbeposter an der Wand hinterm Gleis und sagt »Huh, huh, huh«, während sich warme Dampfwölkchen von der Oberfläche seines Kaffees lösen. »Tolles Wortspiel.«
»Du Weihnachtsmann!«, sage ich.
Die U-Bahn kommt, wir steigen ein. Auf den Bänken sitzen Pensionäre und Problemjugendliche. Ich lese einen über der Tür aufgeklebten Streckenplan mit dem Kopf im Nacken und zähle sieben Stationen bis zum Ziel. Unser Ziel ist ein Verlagshaus, in dem Hartmut als gelernter Germanist und Philosoph nach Arbeit fragen will. Sein Lektor hat ihm den Tipp gegeben. In seinem eigenen Verlag sei leider alles belegt, aber bei Birkenhorst lohne es sich, einmal zu fragen. Ich begleite Hartmut, weil ich mitkriegen muss, was passiert. Meine Augen und Ohren sind auf Jobsuche eingestellt und weit offen. Fiele in diesem Moment ein Ticketkontrolleur tot um, ich würde mich sofort für die Stelle bewerben. Ich will meinen Lieben was bieten und nicht bloß ausgehalten werden.
Wir setzen uns in eine Viererbank. Uns gegenüber sitzen zwei slawisch wirkende junge Männer. Sie haben kantige Wangenknochen und eine glattrasierte, fast jungenhafte Haut. Ihr Blick scheint vor Enttäuschung und Lebenserfahrung trübe, doch zugleich leuchten ihre Augen. Nicht vor Lebenslust, sondern eher wie Kameralinsen, die eine hohe Auflösung haben, um schnell den Feind zu erkennen. Die U-Bahn fährt los. Die Slawen wackeln mit den Füßen. Niemand spricht. Auf einem kleinen Monitor wirbt die Berliner Philharmonie für ihre Konzertreise. Es folgt ein Nachrichtenticker. Die Regierung plant weitere konsequente Maßnahmen zum Schutze des Klimas, der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit. Hillary Clinton hält Barack Obama den Rücken frei. Per Mertesacker hält Michael Ballack den Rücken frei. Es ist wichtig, dass man jemandem den Rücken freihält.
Der Slawe wippt.
Hartmut schnalzt mit der Zunge.
»Und?«, frage ich die Slawen. »Wisst ihr zufällig, wo man hier einen Job bekommt?«
Sie sehen uns an. Hartmut schnalzt nicht mehr.
»Es ist eine große Stadt«, sage ich.
»Es gibt viele Jobs zurzeit«, sagt der Größere der beiden, und sein Kollege lacht und sieht dabei aus dem Fenster. Die U-Bahn verlässt gerade den Tunnel. »Aber solche Vögel wie euch würden bei uns sowieso nicht eingestellt.« Sein Kollege kichert stärker, die Hand vor dem Mund, die Stirn an der Scheibe.
Ich spüre Hitze in meinem Solarplexus.
»Was soll das denn heißen?«
Hartmut berührt ganz sachte meinen Arm. Das soll schon wieder bedeuten, dass ich keinen Streit anfangen darf. Es regt mich allerdings noch mehr auf. Hartmut hat früher in unserem Viertel in Bochum die Strom- und Wasserzufuhr des ganzen Stadtviertels gekappt, um die Menschen durch Not zu vereinen. Er hat einen unvorbereiteten Mann mit einer Wrestling-Closeline vom Fahrrad geworfen, um die Ideologie männlicher Kampfbereitschaft zu subvertieren. Er hat noch vor wenigen Wochen im Superstau auf der Autobahn die ganze Bevölkerung mit einer Pizza-Orgie und einer Brandrede gegen die Volkserzieher aufgewiegelt und am nächsten Morgen einen GEZ-Fahnder mit der Thermoskanne niedergeschlagen.
Hartmut war in unserer Freundschaft schon immer der Aktivist, während ich nur in der Badewanne liegen, Spiele auf der grauen Playstation spielen und meine Ruhe haben wollte. Hartmut ist der Laute von uns. Aber mit Russen in der U-Bahn darf man sich bei ihm nicht anlegen! Oder mit Veranstaltern im »Kellerloch«, die Sozialstündler ohne Gehalt Stühle schleppen lassen. Es ist, als säße immer noch eine Instanz in ihm, die es ihm verbietet, gewisse Typen und Klassen von Feinden einfach nur zu bekämpfen wie alle anderen auch. Wäre er eine Figur in einem Videospiel, wäre das ein fataler Defekt.
»Also, was soll das heißen?«, frage ich noch mal.
Der Slawe sagt: »Die Jobs, die wir machen, macht ihr nicht. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
Die Bahn hält, eine Schulklasse drängelt vor den Türen, und die jungen Slawen verlassen schnell den Zug. Ich blicke ihnen nach wie der giftige kleine Fußballer Deco, wenn er sich überlegt, einen Gegenspieler nachträglich von hinten zu foulen. Hartmut schüttelt den Kopf.
Das Verlagsgebäude liegt in einem Viertel, in dem verzierte Fassaden aus dem 19. Jahrhundert auf architektonische Geschmacklosigkeiten der Jetztzeit treffen. Die Freifläche eines Gebrauchtwagenhändlers mit silberblau flackernden Girlanden. Eine weiße, auf Wohnwagenrädern stehende Frittenbude. Ein Billigmöbelhaus mit achtteiligen Couchlandschaften für nur 888 Euro. Der Verlag residiert in einem der verzierten Gebäude, einem fünfstöckigen Herrenhaus mit Plexiglas-Firmenschild. Im Eingang hinter der schweren Tür sitzt ein Pförtner hinter Glas.
»Wir haben einen Termin bei Frau Hasselbeck«, sagt Hartmut. »Der Herr Kuntze hat das für uns ausgemacht. Mein Lektor von der Konkurrenz.« Hartmut lacht.
Der Portier schlägt nach.
»10:30 Uhr, ja, alles klar. Fahren Sie bitte in den dritten Stock, Aufzug links, Frau Hasselbeck wird Sie dann oben in Empfang nehmen.«
Frau Hasselbeck trägt einen merkeligen Anzug und eine Brille mit schmalem, schwarzem Gestell. »Herzlich willkommen. Herr Kuntze sagte mir, dass Sie auf Jobsuche sind?«
Hartmut nickt, folgt Frau Hasselbecks Geste in eine Teeküche mit Kaffeeautomat, nimmt eine Tasse entgegen und spricht während der ganzen Zeit. Er redet über seinen Studienabschluss und seine Publikationen, über Nietzsche und Luhmann und über die jüngsten deutschen Literaturpreisträger. Als er fertig ist, sagt Frau Hasselbeck: »Ich führe Sie erst mal kurz durch den Verlag.« Sie drückt mir ebenfalls eine Tasse in die Hand. Wir fahren in die 4. Etage. Dort sitzen jeweils zwei Frauen in einem Büro, telefonieren, machen Anstreichungen in Manuskripten oder sprechen mit persönlich anwesenden Autoren, die in kleinen Sesseln sitzen, die Beine übereinandergeschlagen haben und zu dem, was ihre Lektorin zu sagen hat, in regelmäßigen Abständen bedächtig nicken. Manche der Damen benehmen sich mädchenhaft und beenden ihre Telefonate mit einem zeichentrickhaften Ausruf namens »Gooodie!«; andere sagen mit gesenkter Stimme und strengem Blick zu ihrem Gegenüber am anderen Ende der Leitung: »Ganz ehrlich, wir brauchen da schon mehr redaktionelle Unterstützung, wenn wir bei Ihnen eine Anzeige schalten sollen.« Diese Damen horchen dann noch ein paar Minuten in den Hörer, um sich zu vergewissern, dass sie verstanden wurden, und beenden das Gespräch mit einem scheinbar unschuldig nachfassenden »Okay? Ja?«, das in Wirklichkeit ein Befehl ist.
»Das alles hier«, erklärt Frau Hasselbeck, »ist unsere Unterhaltungsabteilung. Hier werden die Frauenbücher gemacht und die Männerbücher. Die Komödien. Alles, was unterhält. Hallo, Volker!« Frau Hasselbeck grüßt den einzigen Mann, der auf dieser Etage herumläuft. Er steuert aufs Treppenhaus zu und will aufs Dach, eine Zigarette rauchen. »Inhouse darf hier nicht geraucht werden«, sagt Frau Hasselbeck, »zumindest nicht in dieser Sektion.«
»Sektion?«, fragt Hartmut.
»Ja«, sagt Frau Hasselbeck, als sei diese Frage etwas unverständlich.
»Das ist unser Konferenzraum«, sagt Frau Hasselbeck und zeigt uns ein helles Zimmer mit einer großen, aus abgeschrägten Tischen zusammengepuzzelten Rundtafel in der Mitte. In der Ecke stehen ein Flipchart und eine Soundanlage, an der Wand hängt eine auf DIN A0 ausgedruckte, übersichtlich gestaltete Merkliste zur Beurteilung aktueller Manuskripte. Ich überfliege ein paar der Kriterien:
»Kann ich dem Leser in drei Minuten erklären, was es mit diesem Buch auf sich hat?«
»Ist der Leser nach 10 Seiten Lektüre vollständig über den Konflikt und die Hauptfiguren im Bilde?«
»Kann ich den Protagonisten lieben oder hassen?«
»Wurden in angemessener Dosis Umzüge, Renovierungen und Beziehungsprobleme behandelt?«
Frau Hasselbeck und Hartmut sind derweil schon weiter.
»In unserem Verlag achten wir in allen Sektionen streng auf Qualität«, sagt sie, und ich frage mich, warum sie das erwähnt. Als Verlagsfrau wird sie wohl kaum auf Nicht-Qualität achten und sagen: ›Ach, schau an! Ein unterirdisch schlechtes Manuskript. Man identifiziert sich erst nach 320 Seiten mit dem Protagonisten. Das verlegen wir!‹ »Die Zeiten...