Vaitl | An den Grenzen unseres Wissens | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Vaitl An den Grenzen unseres Wissens

Von der Faszination des Paranormalen

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-451-81964-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Seit 70 Jahren beschäftigt sich das international bekannte Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg mit Grenzfällen unserer Alltagswelt, mit anomalen Phänomenen wie Gedankenübertragung und außergewöhnlichen Erfahrungen wie Nahtoderfahrungen oder veränderten Bewusstseinszuständen. Es geht nicht allein, wie man meinen könnte, um die klassischen Felder der Parapsychologie, wie Spukerscheinungen, außersinnliche Wahrnehmung Telepathie oder Hellsehen, sondern im weitesten Sinn um die Erforschung von bisher nur unzureichend verstandenen Phänomenen und Anomalien an den Grenzen unseres derzeitigen Wissens. Forscher aus verschiedenen Disziplinen (Physik, Neurowissenschaften, Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaften) beschreiben in leicht verständlicher Form ihre Forschung am Institut.
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Vorwort
Dieter Vaitl Ein wissenschaftliches Institut, das wie das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) 70 Jahre alt geworden ist, hat in der Regel eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Dies hängt, wie bei allen Organismen und Systemen, die sich entwickeln, von zahlreichen Faktoren ab, von förderlichen wie von hemmenden. Hierzu zählen der Ideenreichtum der Akteure, die finanziellen und materiellen Ressourcen, aber auch die zeitgeschichtlich gebundenen und sozial geformten Mentalitäten derer, die das wissenschaftliche Aktionsfeld – mit dem für sie als gültig erachteten Weltbild – dominieren. Ist ein Institut überhaupt, so könnte man fragen, auf lange Sicht »überlebensfähig« und widerstandsfähig genug, wenn es sich hauptsächlich der Erforschung von Ungewöhnlichem verschrieben hat, sich also in Grenzbereichen bewegt, deren Untersuchungswürdigkeit allenthalben in Zweifel gezogen oder gar in Abrede gestellt wird? Bis vor kurzem – etwa bis zum Jahr 2002 – rubrizierte man Forschungsthemen dieser Art unter dem Begri? der Pseudowissenschaft. Gern genannte Beispiele sind Magie, Alchemie, Astrologie, Hexerei, Parapsychologie, Okkultismus oder C. G. Jungs Archetypenlehre. Selbst wenn der Begri? der Pseudowissenschaft mittlerweile obsolet geworden ist, besteht nach wie vor das Dilemma, dass es bislang noch keine befriedigende Lösung gibt, die die Übergänge von der einen zur anderen Wissenschaftskultur klar zu markieren erlaubte (Lux & Paletschek, 2016). Und mit diesem Dilemma ist ein Institut wie das IGPP permanent konfrontiert, ja man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Auseinandersetzung damit zu seinem Wesenskern gehört. Welche förderlichen oder hemmenden Entwicklungsstränge dieses Diskursfeld in sich birgt, wird sich zeigen müssen. Ein Spannungsfeld bleibt es nach wie vor. Ein Faktor, der die Entwicklung des Instituts nicht minder beeinflusst hat, ist die Spannung zwischen wissenschaftlicher Legitimation und gesellschaftlicher Relevanz. Die außergewöhnlichen Phänomene und Erlebnisse, die zu erforschen das Institut gegründet wurde, gehören, wie wir heute wissen, zur Alltagswirklichkeit. Sie erschrecken und faszinieren zugleich. Ihr Status des »Außergewöhnlichen« resultiert keinesfalls aus ihrer Seltenheit, sondern aus der spezifischen gesellschaftlichen Etikettierung dieses Erfahrungsbereichs und nicht zuletzt aus dem Mangel an zufriedenstellenden Erklärungen. Wie aber begegnet die Wissenschaft dem »Außergewöhnlichen«? Das Spektrum der Reaktionen reicht von enthusiastischer Akzeptanz bis hin zu provokantem Zweifel oder gar kategorischer Ablehnung. Nehmen wir als Beispiel die Parapsychologie, kennzeichnend für eine Grenzbereichsdisziplin par excellence. Aus wissenschaftshistorischer Sicht ist sie, wie die Wissenschaftshistorikerinnen Lux und Paletschek zu Recht argumentieren, vor allem deswegen von Bedeutung, weil über »ihre Anerkennung oder Nichtanerkennung in der Wissenschaftsgemeinschaft (»scientific community«) Einblicke in die epistemischen und sozialen Bedingungen der Konstruktion von Wissenschaft gewonnen werden sowie generelle Fragen der Disziplinbildung studiert werden« (Lux & Paletschek, 2016: 3). Hier zeigt sich exemplarisch, wie dieses Fach eng mit verschiedenen anderen gesellschaftlichen Feldern wie dem der Wissenschaft allgemein, dem universalen Weltbild, der Kultur und Religion, aber auch mit dem der Unterhaltung verbunden ist. So bleibt nach wie vor der strenge Diskurs zwischen Wissenschaftlichkeit und Populärkultur – im Sinne der medial vermittelten Faszination – ein wesentliches Merkmal dieses Phänomenbereichs. Ähnliches gilt aber nicht allein für die Parapsychologie, sondern im Prinzip für alle Disziplinen, die sich mit grenzwissenschaftlichen Fragen beschäftigen. Dies ist, wie wir noch sehen werden, Thema und Forschungsziel der sogenannten Anomalistik. Die Axiomatik dieses fächerübergreifenden Forschungsfeldes wird als Leitlinie des gegenwärtigen Instituts im Zentrum der kommenden Ausführungen stehen. Zunächst aber werfen wir einen Blick auf die Entstehung und frühe Geschichte des Instituts (Teil I). Am 19. Juni 1950 erö?nete Hans Bender das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene auf der Eichhalde 12 in Freiburg im Breisgau. Dies war zur damaligen Zeit eine erstaunliche Leistung, wenn man die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland bedenkt. Der Erö?nung gingen dreieinhalb Jahre schwieriger Aufbauarbeiten voraus, die Hans Bender mit Zähigkeit und sozialem Geschick vorangetrieben hat. Entscheidende Förderung und eine gewisse Zukunftssicherung erfuhr das junge Institut (im Volksmund »Eichhalde-Institut« genannt) durch eine Stiftung der Schweizer Biologin und Parapsychologin Fanny Moser (1872–1953). Sie war bekannt geworden durch ihre wegweisenden Untersuchungen von Spukphänomenen. Diese Mittel erlaubten in relativ bescheidenem Umfang Forschungen zu parapsychologischen Phänomenen, und zwar zu Themengebieten, die zur damaligen Zeit zur Diskussion standen. Hierzu zählten u.?a. Untersuchungen zu Grenzgebieten der Psychologie, zu Spontanberichten über sonderbare Erlebnisse und Spukphänomene, qualitative und quantitative Experimente, methodische Fragen, Modellansätze und theoretische Überlegungen, interdisziplinäre Aktivitäten und nicht zuletzt die besondere Rezeptionsgeschichte der Parapsychologie selbst. Einzelheiten zu diesen Themenfeldern finden sich in einem eigenen Kapitel, in dem die Vorgeschichte des Instituts, im Wesentlichen unter der Ägide von Professor Hans Bender, geschildert wird (Kapitel I.1). Der Schwerpunkt der vorliegenden Institutsgeschichte aber liegt auf der Nach-Bender-Ära; denn hier war das Institut gefordert, sich eine neue Form zu geben und sein Verhältnis zu den Grenzgebieten im weitesten Sinne neu zu bestimmen. Der entscheidende Impuls dazu kam von einem Ereignis, das niemand hatte vorhersehen können: dem Zufluss von Stiftungsmitteln (Holler- Stiftung) in ungeahnter Höhe. Der Nachfolger von Professor Hans Bender, sein ehemaliger Assistent Dr. Johannes Mischo, und der neu gewählte Vorstand des Instituts standen vor der nicht einfachen Aufgabe, die traditionellen Schwerpunkte des Instituts, nämlich die Forschung, Beratung und Information in relativ kurzer Zeit neu zu strukturieren und erheblich auszuweiten. Es galt im Grunde, ein neues Institut zu entwerfen. Die vorliegende Institutsgeschichte verfolgt ein zweifaches Anliegen. Zum einen soll geschildert werden, wie sich die Erweiterung und Neukonzeption des Instituts gestaltete, zum anderen werden einzelne Forschungsansätze und -ergebnisse relativ ausführlich dargestellt, damit sich der Leser ein Bild machen kann, wie sich Forschung in diesem Institut vollzieht bzw. vollzogen hat. Dies ist sowohl intern, von der Institutsstruktur her, als auch extern, von der Wissenschaftsgeschichte her, von Bedeutung. Die Übergangsphase nach Benders Tod verlief im Wesentlichen so wie in der Zeit, als Bender noch das Institut leitete. Es bestand kein Anlass, grundlegende Änderungen vorzunehmen, da die knappen finanziellen Ressourcen derlei sowieso nicht erlaubten. Dies änderte sich, wie bereits angedeutet, 1992 schlagartig durch den erheblichen Zufluss an Stiftungsmitteln aus der Holler-Stiftung. Geschildert werden die Probleme, die sich aus dem Sachverhalt der sogenannten Thesaurierung ergeben, das heißt, die Stiftungsmittel können nicht zeitnah für die Stiftungszwecke ausgegeben werden. Um die drohende Gefahr abzuwenden, aus dem Kreis der Begünstigten ausscheiden zu müssen, wurden verschiedene Maßnahmen, organisatorische wie konzeptuelle, ergri?en, die komplex waren und viel Zeit in Anspruch nahmen. Eine wichtige Maßnahme war die Änderung der Institutssatzung. Hier mussten die Grenzgebiete neu definiert und der Stellenwert der Parapsychologie relativiert werden, ohne das generelle Förderungsziel, nämlich die Grenzgebiete, aus den Augen zu verlieren. Eng damit verbunden war die Neukonzeption des Instituts. Sie wurde vor allem vom neuen Institutsleiter, Professor Dr. Dieter Vaitl von der Universität Gießen, vorangetrieben, der 2001 die Nachfolge von Professor Dr. Johannes Mischo als Institutsleiter und Vorsitzender des Vorstands angetreten hat. Hier ging es zunächst um die Kernfrage, was unter Grenzgebieten zu verstehen sei und mit welchem Methodenarsenal sie einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich zu machen sind. Es stellte sich heraus, dass Grenzgebiete nicht nur auf die Psychologie beschränkt zu betrachten sind, sondern dass sie in jeder wissenschaftlichen Disziplin vorkommen können. Die neue Disziplin, die dem Rechnung trägt, ist die Anomalistik. An ihr orientierten sich die Neukonzeption des Instituts und sein Forschungsprofil. Sie war der Axiomatik einer reflexiven Anomalistik verpflichtet. Auf dieser konzeptuellen Basis wurde es möglich, das Themenfeld der Forschungsförderung zu erweitern und einen multidimensionalen Forschungsansatz systematisch zu verfolgen. Das neue Forschungskonzept ist ein dezidiert wissenschaftliches, das sich bewusst von Metaphysik und religiösen Dogmen abgrenzt. »Reflexiv« meint in diesem Zusammenhang eine Anomalistik, die sich der erkenntnistheoretischen Besonderheiten der untersuchten Phänomene sowie der damit verbundenen Problemlage bewusst ist und die unausweichliche Verschränkung zwischen subjektiven Evidenzen, wissenschaftlichen Daten und gesellschaftlichen Diskursen bei ihrer Forschung berücksichtigt und formalisiert (Mayer & Schetsche, 2016). Umfassende Ausführungen zu diesen Gedanken, zu Phänomenbereichen, Methoden und Erklärungsansätzen finden sich in dem 2015 vom IGPP herausgegebenen Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik »An...


Prof. em. Dr. Dieter Vaitl ist Klinischer Psychologe und Neurowissenschaftler. Er studierte Philosophie und Psychologie in Rom und Freiburg, hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Klinische und Physiologische Psychologie an der Universität Gießen inne und war dort Gründer und Direktor des Hirnforschungsinstituts "Bender Institute of Neuroimaging". Zurzeit ist er Leiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Er gründete und leitete den internationalen Forschungsverbund "Veränderte Bewusstseinszustände".


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