Vetter Transidentität - ein unordentliches Phänomen
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-456-74842-9
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn das Geschlecht nicht zum Bewusstsein passt
E-Book, Deutsch, 346 Seiten, Gewicht: 510 g
ISBN: 978-3-456-74842-9
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der uns vertrauten zweipoligen Geschlechter-Ordnung darf es nur Frauen oder Männer geben und dazwischen gar nichts. Da bleibt kein Platz für Menschen, die sich im biologisch falschen Körper fühlen und ihre Identität geschlechtskonträr empfinden. Bisher werden die Betroffenen als gestört betrachtet. Doch ist es nicht bald an der Zeit, das öffentliche Bewusstsein darauf hinzulenken, dass es eine Vielfalt von Geschlechtsvarianten und Geschlechtsidentitäten gibt, die nicht alle krank sein können? Transidentität /Transsexualität ist ein komplexes Phänomen und wirft nicht nur bei den Betroffenen und Angehörigen viele Fragen auf. Neben der umfassenden und gut verständlichen Darstellung transsexueller Erscheinungsweisen, Verläufe, Ursachen und geschlechtsangleichender Maßnahmen sowie ihrer Voraussetzungen bietet das Buch ausführliche Informationen über die rechtliche Situation, über geschichtliche Hintergründe, Kontroversen, Debatten und vieles andere mehr. Es richtet sich an Betroffene und deren Angehörige, an Ärzte, Juristen, Sozialpädagogen, an Menschen anderer Berufe, die mit Transsexuellen in Kontakt sind, sowie an alle Interessierten, die sich aufgrund des neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstandes eine fundierte Meinung bilden wollen. Durch ihre fachlich kompetente, neutrale Aufklärung holt die erfahrene Psychotherapeutin und bekannte Fachbuchautorin die Transsexualität aus der 'Schmuddelecke' und dem Bereich des 'Schrillen'.
Zielgruppe
Betroffene und deren Angehörige, Ärzte, Juristen, Sozialpädagogen und Menschen anderer Berufe, die mit Transsexuellen in Kontakt sind, sowie alle am Thema Interessierte.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Allgemeines Populärwissenschaftliche Werke
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
Begriffe und Überblick 2. Begriffe: Bedeuten Transsexualismus, Transsexualität, Transidentität, Transgender und Transgeschlechtlichkeit das Gleiche?
Der ältere Begriff Transsexualismus wird im internationalen, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Diagnosesystem ICD-10 verwendet. Er beinhaltet das Gleiche wie die neuere Bezeichnung Transsexualität. Sie hat sich inzwischen nicht nur in Fachkreisen in Analogie zur Bezeichnung «Homosexualität», die ja auch nicht «Homosexualismus» heißt, durchgesetzt, sondern auch in der Rechtsprechung und in der Alltagssprache. Beide Begriffe sind aber irreführend und treffen nicht den Kern des Phänomens, um das es geht, denn das, was mit Transsexualismus oder Transsexualität bezeichnet wird, hat nichts mit dem üblichen Verständnis von Sexualität zu tun. Transsexualität ist kein Problem der Sexualität oder ihrer Ausrichtung, sondern ein Problem des Geschlechtserlebens und des Geschlechtsbewusstseins, also der Geschlechtsidentität. Diese Haltung schlägt sich in der Bezeichnung Transidentität nieder, die in den 1980ern aufkam und die das Problem der geschlechtlichen Identität in den Vordergrund rückt. Daneben gibt es auch noch den allerdings wesentlich weiter gefassten Begriff des Transgender, der in Deutschland erst nach dem Transidentitätsbegriff geläufig wurde. Im Gegensatz zu diesem betont der Transgenderbegriff jedoch eher die soziale Rolle des Geschlechts und damit in erster Linie den Aspekt, dass die Betroffenen unter der ihnen zugewiesenen Geschlechterrolle, und nicht so sehr unter ihrem «biologisch falschen» Körper leiden. Hinzu kommt, dass Transgender eine Sammelbezeichnung für sämtliche Formen des Abweichens von der körperlich und sozio-kulturell vorgegebenen Zweiteilung in «männlich» oder «weiblich», in «maskulin» oder «feminin» ist. Damit umfasst Transgender als Oberbegriff alle Menschen, die sich mit dem ihnen biologisch und/oder sozial zugewiesenem Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen, die sich also nicht «vollkommen als Mann oder Frau» verstehen. Unter die Transgenderbezeichnung fallen neben Transsexuellen deshalb auch Intersexuelle, also Menschen mit körperlichen Geschlechtsvarianten (s. Frage 7) sowie Transvestiten (s. Frage 5), besonders Drag Kings (Frauen, die in der Männerrolle auftreten) und Drag Queens (Männer, die in der Frauenrolle auftreten), aber auch Cross-Dresser, also Menschen, die die Kleidung des anderen Geschlechts zeitweise tragen, androgyne Menschen, die bewusst beide Geschlechtsanteile nach außen zeigen und, im Rahmen der Transgenderismus-Forschung, auch Homosexuelle. Da Transsexualität jedoch weder eine sexuelle Präferenzstörung, wie der Transvestitismus (s. Fragen 5 und 6) ist, noch ein Problem der sexuellen Orientierung, wie die Homosexualität, lehnt die überwiegende Mehrheit der Transsexuellen den Begriff Transgender als Bezeichnung für ihre Transidentität ab. Um eine angemessene und treffende Bezeichnung wird unter Transsexuellen noch immer gerungen. Inzwischen scheint der Trend wieder eher weg von der Bezeichnung Transidentität und wieder zurück zum Ausdruck Transsexualität zu gehen, da sich einige Transsexuelle durch den Begriff Transidentität entsexualisiert fühlen und argumentieren, dass nicht die geschlechtliche Identität gewechselt wird, sondern der Körper der Geschlechtsidentität angepasst werden solle. Der Begriff Transgeschlechtlichkeit wäre meines Erachtens die geeignetste Bezeichnung und allen anderen vorzuziehen, da er in deutscher Version am wenigsten vorbelastet von der Bedeutung ist, die die englische Übersetzung «Transgender» hat. Transgeschlechtlich als Geschlechtseigenschaft könnte sich nach meinem Dafürhalten auch in der Bevölkerung am unproblematischsten gleichberechtigt und neutral, ohne den Anschein einer Störung oder Diskriminierung, neben den Adjektiven weiblich und männlich als Bezeichnung für ein drittes Geschlecht bzw. für eine Normvariante des geschlechtlichen Seins, durchsetzen lassen. Ein ebenso großes Problem wie die Benennung des Phänomens der Transgeschlechtlichkeit ist das Finden einer angemessenen Bezeichnung für die betroffenen Personen (s. Frage 3). 3. Bezeichnungen: Wie soll man transsexuelle Menschen korrekter Weise nennen?
Einige Betroffene lehnen die Bezeichnung «transsexuell» für sich ab, da der Ausdruck «Sexualität» in dem Wort unzutreffend und irreführend sei, da Transidentität kein sexuelles Problem ist. Die Begriffe «Sexus» und «Sexualität» leiten sich jedoch aus dem lateinischen Wort «secare» ab, das «schneiden, trennen, teilen» bedeutet. Ursprünglich bezieht sich das Wort Sexualität also auf eine Teilung der Menschheit in verschiedene Geschlechtergruppen. Transsexualität kann somit also wörtlich als ein Phänomen übersetzt werden, das körperlich und psychisch nicht eindeutig der Zweiteilung in weiblich und männlich entspricht. Da Sexualität in der Regel aber im herkömmlichen Sinne verstanden wird und da «Transsexualität» im Kern ein Problem der Geschlechtsidentität ist, bevorzugen viele die Bezeichnung «Transidente» für sich. Früher wurden Menschen, die körperlich weiblich sind, sich aber als Mann fühlen, in der medizinischen Literatur als transsexuelle Frauen und biologische Männer, die sich als Frau empfinden, als transsexuelle Männer bezeichnet. Heute werden biologische Frauen, die Männer sind, im medizinischen und psychologischen Sprachgebrauch in der Regel als «Frau-zu-Mann-Transsexuelle», abgekürzt FMT, benannt. Entsprechend werden biologische Männer, die sich als Frau empfinden, als «Mann-zu-Frau-Transsexuelle», abgekürzt MFT, bezeichnet. Abgelehnt hingegen werden von den meisten Transsexuellen die Bezeichnungen «biologische Frauen mit Geschlechtsidentitätsstörungen» bzw. «biologische Männer mit Geschlechtsidentitätsstörungen». Dahinter stehen unterschiedliche Auffassungen bezüglich der diagnostischen Zuordnung der Transsexualität (s. Frage 26). Hinsichtlich der Bezeichnungen «Mann-zu-Frau-Transsexuelle» bzw. «Frau-zu-Mann-Transsexuelle» wird von einigen Betroffenen kritisiert, dass mit diesen Wortschöpfungen nicht die gefühlte Identität als geschlechtsbestimmend respektiert werde. Einige transsexuelle Menschen bezeichnen sich nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen und der Personenstandsänderung als «Mann mit transsexueller Vergangenheit» bzw. als «Frau mit transsexueller Vergangenheit» oder gar nicht mehr als transsexuell, sondern einfach nur als Mann bzw. als Frau. Im Sinne des Transgender-Denkens (s. Frage 2) wird häufig für die Richtung Mann-zu-Frau-Transsexualität auch der Begriff Transfrau und für Transgender der Richtung Frau–zu-Mann der Begriff Transmann verwendet. Da Transgender der Oberbegriff für alle Formen des Abweichens von der körperlich und sozio-kulturell vorgegebenen Zweiteilung in männlich oder weiblich ist, und damit auch Intersexuelle, Transvestiten, Androgyne und andere Menschen, die sich nicht 100% als Frau oder Mann verstehen, inbegriffen sind, können die Bezeichnungen Transfrau/Transmann aufgrund ihrer weit gefassten Bedeutung allerdings nicht gleichgesetzt werden mit dem, was Transsexualität genau beinhaltet. Sollte sich die Geschlechtseigenschaft «transgeschlechtlich» eines Tages ganz selbstverständlich neben den Bezeichnungen «weiblich» und «männlich» etablieren, wären transgeschlechtliche Frauen biologische Männer und transgeschlechtliche Männer biologische Frauen. Im Vordergrund stände dann das Erscheinungsbild und nicht mehr das biologische Geschlecht, an das viele «transsexuelle Männer», die biologisch Männer, und transsexuelle Frauen, die biologisch Frauen sind, gar nicht mehr erinnert werden wollen. 4. Definition und Überblick: Transident- und was nun?
Als transident oder transgeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, die sich im falschen Körper wähnen. Biologisch sind sie eindeutig männlich oder weiblich, aber da sie sich vollständig dem gegenteiligen Geschlecht zugehörig fühlen, empfinden sie das Leben in ihrem biologischen Geschlecht als «Irrtum der Natur». Das gegengeschlechtliche Zugehörigkeitsgefühl lässt sich in der Regel bis in die Kindheit zurückverfolgen. Transidente lehnen nicht nur ihr Geburtsgeschlecht und dessen körperliche Merkmale ab, sondern auch die von der Gesellschaft an ihre biologische Geschlechtszugehörigkeit geknüpften Rollenerwartungen. Da Transidente vollständig mit dem jeweils anderen Geschlecht identifiziert sind und sich konstant als Angehörige des anderen Geschlechts empfinden, sind sie meist bestrebt,...