Vittachi | Der Fengshui-Detektiv und der Computertiger | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Der Fengshui-Detektiv

Vittachi Der Fengshui-Detektiv und der Computertiger

Kriminalroman. Der Fengshui-Detektiv (3)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-293-30601-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman. Der Fengshui-Detektiv (3)

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Der Fengshui-Detektiv

ISBN: 978-3-293-30601-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was für ein Glückstag! Der schrullig merkantile Fengshui-Meister C. F. Wong könnte vor Freude tanzen, wenn er könnte: Für einen Handels-Multi soll er Fengshui-Analysen erstellen, alles im Voraus bezahlt, fette Spesen inklusive. Und das Beste: Die Aufträge sind so simpel, dass selbst seine quirlig-quasslige Assistentin Joyce McQuinnie sie erledigen könnte. Wong wittert leicht verdientes Geld. Doch weit gefehlt! Denn schnell wird die Routine zum Rätsel, und Wong und seine Assistentin müssen in einer turbulenten Tour de force um den halben Globus ihr ganzes Können einsetzen, um einer Reihe höchst obskurer Geschehnisse auf den Grund zu gehen. Zur Belohnung entdeckt das ungleiche Paar dafür den Ort mit dem definitiv besten Fengshui auf Erden.

Nury Vittachi, geboren 1958 in Sri Lanka, gilt - laut BBC - als »Hongkongs witzigster Kommentator«. Aufgewachsen u. a. in Großbritannien, lebt er seit 1986 in Hongkong, wo er sich als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift Kultstatus verschafft hat. Er arbeitet als Dozent an der Hong Kong Polytechnic University.
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Prolog


Ein Häppchen auf die Schnelle

Der Tiger, der durch den Supermarkt streifte, hatte blaue Augen, aus denen er träge blinzelte, um gemächlich die Auslagen in den Regalen zu prüfen. Es war ein zweihundertvierzig Kilo schwerer Panthera tigris tigris, ein Exemplar von enormer Größe, muskulös und fast doppelt so lang wie ein Mensch.

Er zögerte. Die Entscheidung zwischen Betty Crockers extra lockerem Zitronenkuchen-Mix und Pillsburys Edelschokocreme-Kuvertüre fiel ihm anscheinend schwer. Er schwenkte seinen wuchtigen Kopf zur andern Seite des Gangs, um dort Thai-Duftreis »Erste Wahl« und Mi-Goreng der Marke Golden Noodle zu begutachten, worauf er weitertappte, und zwar törichterweise zu Krafts Fertigmenü »Käsemakkaroni«.

Als sich zu seiner Linken eine Öffnung zeigte, schnellte der mächtige Leib in einem einzigen Satz durch den Spalt und trottete nun einen Gang entlang, in dem laut Hinweisschild Frühstücksflocken und Milchprodukte angeboten wurden.

Der Tiger, ein ausgewachsenes Männchen mit dem weißen Fell und den schwarzen Streifen eines Zebras, blieb stehen. Langsam sondierte er das Terrain. Seine hochmütig abwärts gebogenen Lippen erinnerten an einen übersättigten königlichen Weinverkoster. Offenbar langweilte er sich, denn er ließ den Kopf ein wenig hängen, sodass sich seine Schulterknochen unter dem glänzend weißen Fell abzeichneten.

Am Rand seines Gesichtsfeldes hatte sich etwas bewegt.

Zwanzig Meter von ihm entfernt am andern Ende des Gangs spiegelte sich ein Reflex in der Glasscheibe der Aufschnitttheke. Eine Mutter mit Kinderkarre ging auf das Kühlfach zu. Ihr Baby rührte sich im Schlaf.

Der Tiger witterte Frischfleisch und lauerte in einigem Abstand. Sein fast meterlanger Schwanz zuckte. Er duckte sich, spannte seine Bauchmuskeln und bog den Rücken durch. Dann schlich er sich heran. Unter seinem Fell spielten kräftige Muskeln wie der Sommerwind in einem Kornfeld, während er vorpreschte und zum Sprung ansetzte.

»Wong-sang! Wong-saang!«1

Madam Lins brüchige, schrille Stimme übertönte das Brummen der Lastwagen, die rückwärts in eine nahe gelegene Mülldeponie manövrierten.

»Wong-sang! Hier!«

Höchstwahrscheinlich befanden sich in Hörweite des gellenden Rufs etliche Personen namens Wong.2 Daher zog der hagere sechsundfünfzigjährige Mann den Kopf ein und trippelte eilig weiter, wobei er inständig hoffte, dass die Mitteilungen der Frau einem anderen galten. Er hatte die Stimme erkannt: Sie gehörte einer hiesigen Hauseigentümerin, der er einmal begegnet war, als er das Fengshui für einen Gemeindesaal eingerichtet hatte. Damals war er entsetzt gewesen, weil sie einen Plastik-Phönix an einer Stelle platzierte, wohin, wie jedes Neugeborene wissen musste, einzig und allein eine Schildkröte aus Rosenholz passte.

»Wong-sang! Fengshui-lo!«, schrie sie.

Aijaaa! Da half nun alles nichts. C.F. Wong drehte sich um und heuchelte Überraschung. Er deutete mit dem Zeigefinger fragend auf seine Nase: Meinen Sie mich?

»Kommen Sie, faidi-lah! Schnell!« Sie winkte ihn auf chinesische Art mit der Handfläche nach unten zu sich heran.

Der knochendürre Fengshui-Meister wartete, bis ein Taxi vorübergerumpelt war, trat auf den Fahrdamm und ging zögerlich auf den gegenüberliegenden Fußweg zu, wo Madam Lin Pui-yen aufgeregt herumhüpfte. Die fünfzigjährige Frau trug einen pyjamaartigen schwarzen Hosenanzug, dessen Beinlinge zwanzig Zentimeter über ihren Fußknöcheln endeten.

»Kommen Sie! Man braucht Sie!«

»Guten Tag, Lin-tai.3 Wie nett, dass wir uns treffen. Haben Sie schon Reis gegessen?«4

»Keine Zeit für Blabla. Kommen Sie! Bei Sing Woo haben sie einen weißen Tiger, können Sie sich so was vorstellen?«

»Weißen Tiger …«

»Ja. Im Sing-Woo-Supermarkt.«

Wong drehte die Augen gen Himmel. »Nie darf man weißen Tiger in ein Gebäude tun. Falsch, falsch, falsch! Nur außen, kleine Figur höchstens, nur im Westen.« Er schüttelte entgeistert den Kopf. Die Unwissenheit der Massen kannte wirklich keine Grenzen!

Die beiden gingen auf einen schäbigen Laden zu, über dem ein Schild verkündete: »Sing Woo Westlich-Asiatischer Supermarkt und Immobilienmakler«. Das Schaufenster war fast gänzlich zugeklebt mit abblätternden, handgeschriebenen Zetteln, die auf Englisch und Chinesisch Rabatte für Pak-Choi und andere Lebensmittel anpriesen.

»Tang müsste das eigentlich wissen«, fuhr Wong im Brustton schwerster Enttäuschung fort. »Niemals stellt man weißen Tiger im Innern auf! Bringt immer Unglück. Sagen Sie Tang: Ich kann das gegen Pferdefigur austauschen, ganz hübsch, ganz korrekt. Nur 98 Dollar für große Figur, zwei galoppierende Pferde in Rosenholz. Oder er nimmt stehendes Pferd, imitierte Jade, 25 Zentimeter, nur 65 Dollar, Aktionspreis.«

Sie erreichten die Vorderfront des Geschäfts, und Wong sah zu seiner Überraschung, dass es menschenleer wirkte. Der Inhaber, Wilfred Tang, der gewöhnlich von früh bis spät hinter der Kasse saß, war nirgends zu sehen. Der Geomant5 trat ein und spähte neugierig in die verlassenen Gänge.

»Wo ist Tang, Lin-tai?« Es wunderte ihn, dass Madam Lin ihm nicht in den Laden gefolgt war, sondern nervös vor der Tür stehen blieb. Daher wandte er sich zu ihr um und wiederholte: »Wo ist Tang? Und wo ist Fengshui-Tiger?«

Madam Lin schüttelte den Kopf. »Kein Fengshui-Tiger«, rief sie. »Weißer Tiger! Können Sie mir etwas Gai-lan besorgen? Ein Pfund.«

»Ach so.« Wong war fasziniert. Gute weiße Jade, falls sie echt war, kostete ein Vermögen! Hatte Tang tatsächlich für diesen heruntergekommenen Laden ein derart wertvolles Schmuckamulett gewählt? Konnte man ihn gar überreden, den Tiger aus weißer Jade für ein preiswertes Rosenholzpferd herzugeben? Wong witterte Profit.

Heiteren Gemüts schlenderte der Geomant auf der Suche nach dem Inhaber an Fleischkonserven vorbei, ging nach links, passierte Obst und Gemüse, Kaffee und Tee und kam dann in den Gang für Babypflege und Haushaltspapier. Verblüfft darüber, dass er nirgends einer lebenden Seele begegnete, beschleunigte er seinen Schritt.

Erst jetzt fiel ihm wieder Madam Lins Gesichtsausdruck ein, als sie ihm von außerhalb der Ladentür aus zugerufen hatte. Sie hatte sich auf die Lippe gebissen, und um ihre Augen lag ein angespannter Zug, fast als hätte sie Angst.

Aber was gab es hier zu fürchten?

C.F. Wong bog um die Ecke in den Gang mit Frühstücksflocken und Milchprodukten, blickte in die Abteilung für Fleisch und Aufschnitt und verstand.

Sechs Minuten verstrichen, in denen er sich kaum rührte. Er gab ebenso wenig Lebenszeichen von sich wie die zu seiner Rechten bis in Schulterhöhe aufgestapelten Gläser mit Buitonis Pastasoße.

Neben ihm stand eine Frau mit Brille, auch sie zur Statue erstarrt. Zu ihren Füßen lag in der Karre ihr schlafendes Kleinkind.

Vor ihnen, kaum drei Meter entfernt, hockte ein großer weißer Tiger. Es war ein männlicher Sumatratiger, der mindestens so viel wog wie die drei anwesenden Menschen zusammen. Eben mühte er sich, ein Päckchen Spinellis würzige Geflügelfleischwürstchen zu verspeisen, zerrte an der Verpackung und spie Plastikfetzen aus.

Der Tiger war erstaunlich schön. Der strahlende Glanz seines kurzen, cremeweißen Fells würde jeder Shampoowerbung Ehre machen. Die senkrecht über seinen ganzen Körper laufenden Streifen hatten das tiefe, ins Violette spielende Schwarz ostindischen Rosenholzes.

Doch was an dem Tier vor allem verblüffte, war weniger die Tatsache, dass sein Fell nicht gelb war, sondern dass seinen Augen das typische Orange fehlte. Vielmehr zeigte das innere Oval der Pupillen seiner erstaunlich großen Augäpfel das tiefe Blau eines Sommerhimmels.

Der Tiger schaute hoch, und sein Publikum zuckte zusammen.

C.F. Wong war alles andere als ein Held. Obwohl er sich nicht bewegte, fiel es ihm enorm schwer, ein Schaudern zu unterdrücken, das sich vom Halswirbel über seinen Rücken bis in beide Arme ausbreitete. Sein Blick war derart starr auf den Kopf des Raubtiers fixiert, dass er zwischen scharfer und unscharfer Einstellung schwankte.

Der Tiger wandte sich wieder der so schwierig zu öffnenden Würstchenpackung zu.

Die Augen des Fengshui-Meisters schossen auf der Suche nach einem Fluchtweg umher. Als einzige Öffnung auf dieser Seite des Gebäudes bot sich ein etwa vier Meter vom Tiger entfernter offener Torbogen an, der anscheinend in einen Lagerraum führte.

Der Tiger, der Torbogen und die Menschen, die nicht gefressen werden wollten, formten ein elegantes Dreieck. Das Hirn des Geomanten, angefeuert durch Adrenalin, arbeitete auf Hochtouren. Schaffen wir es zum Tor? Wohin springt der Tiger? Oder sollten wir lieber zur Ladentür laufen? Bilden wir ein gleichschenkliges oder spitzwinkliges Dreieck? Wo bleibt Tang? Hat jemand die Polizei alarmiert? Oder die Feuerwehr? Den Zoo?

Freilich wusste er, dass sie im Moment nur eine...


Ballin, Ursula
Ursula Ballin, geboren 1939 in Hamburg, wuchs in England und Finnland auf. Viele Jahre verbrachte sie in China und Taiwan, zuletzt als Professorin für Geschichte in Taipeh. Ursula Ballin lebt als freie Übersetzerin in München.

Vittachi, Nury
Nury Vittachi, geboren 1958 in Sri Lanka, gilt - laut BBC – als »Hongkongs witzigster Kommentator«. Aufgewachsen u. a. in Großbritannien, lebt er seit 1986 in Hongkong, wo er sich als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift Kultstatus verschafft hat. Er arbeitet als Dozent an der Hong Kong Polytechnic University.



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