E-Book, Deutsch, Band 3, 400 Seiten
Reihe: Steampunk
Vogt Die verlorene Puppe
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86762-276-9
Verlag: Uhrwerk-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Steampunk Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 400 Seiten
Reihe: Steampunk
ISBN: 978-3-86762-276-9
Verlag: Uhrwerk-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fantástico - Fabuloso - Apocalíptico! So lautet das Motto des fliegenden Zirkus Apocalástico. Rasante Artisten zu Pferde, eine bärtige Dame, ein echtes Mammut, ein Magier, der mit elektrischem Strom zaubert, der junge Roma-Akrobat Ferenc Badi und seine chinesische Partnerin Yue am Trapez können das Publikum in ganz Europa begeistern.
Die Eiszeit des 19. Jahrhunderts verhindert ein Vordringen auf andere Kontinente jenseits der Ozeane - bis maskierte Männer das Zirkusluftschiff kapern, um es in Gefilde zu steuern, die nie ein Europäer zuvor betreten hat. Bereits auf der Überfahrt stellt sich heraus, dass nichts so ist, wie es scheint: Agenten verschiedener Mächte haben im Zirkus ihre Finger im Spiel, und der Name eines schrecklichen Geheimnisses geistert durch die Gänge des Luftschiffs.
Doch am Ziel ihrer Entführer wartet eine faszinierende, fremde, blutrünstige Hochkultur auf die Artisten, und der Rückweg in die Heimat wird ihnen das Äußerste abverlangen ...
Der zweite, eigenständige Roman aus der doppelt preisgekrönten Steampunk-Welt von Eis&Dampf entführt in ein faszinierendes Abenteuer und auf einen noch nie auf diese Weise beschriebenen weißen Fleck auf der Landkarte!
Judith und Christian Vogt teilen die Leidenschaft für phantastische Literatur, fremde Kulturen, ungeklärte Rätsel und Luftschiffpiraten. Während Judith sich auf das Schreiben spezialisiert hat, versucht Christian als Physiker, ungelösten Mysterien auf den Grund zu gehen. 'Die zerbrochene Puppe' ist ihr erster gemeinsamer Roman und hat ihre Ideen zu einer Steampunk-Wissenschaftsfantasyerzählung verschmolzen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Apocalástico Nummer: Manege frei Damen und Herren, liebe Kinder! Willkommen! Ich sehe, ihr reibt euch ungläubig die Augen – doch traut ihnen ruhig. Was ihr hier seht, existiert nur hier, hier im Zirkus, und nur für euch! Erlebt waghalsige Akrobaten, schlangengleiche Mädchen, zersägte Jungfrauen, bärtige Damen, Zauberer und Hellseher, eine Messerwerferin, schwarz wie die Nacht – und erst die Tiere! Ein Mammut, das letzte seiner Art, aus den Weiten des Ewigen Eises des Zarenreichs! Der Mund wird euch offen stehen am heutigen Abend, und wenn ihr gefragt werdet, wie es euch gefallen hat, werdet ihr nur sagen können: Fantástico! Fabuloso! Apocalíptico! Denn ich, Damen und Herren, werte Kinder, bin Pablo Cervantes Diaz, und dies hier ist mein fliegender Zirkus, der Circo Apocalástico!“ Der geforderte Applaus folgte, noch ehe die letzte, langgezogene Silbe verklungen war – begeistert zwar, doch angesichts der Tatsache, dass die aufstrebenden Sitzreihen des hölzernen Gradins nicht einmal zur Hälfte gefüllt waren, wirkte er ein wenig schmalbrüstig. Nur ein paar baskische Bauernfamilien hatten ihren Weg hierher gefunden, und das, obwohl der Eintrittspreis wenig mehr als den sprichwörtlichen Apfel und das Ei betrug. Pablo Cervantes Diaz war alles andere als schmalbrüstig, ein Mann mit breiten Schultern, über denen der ein wenig abgewetzte Stoff des schwarzen Fracks spannte. Schwarz waren auch seine Haare und der Schnauzbart. Seine Augen waren wie Kohlen, in die man nur einmal hineinpusten musste, damit sie aufglühten in der einzigen Leidenschaft, die dieser Mann kannte: der Leidenschaft für den Circo. Die Stimmung, die von den bedauerlich wenigen Zuschauern in den Sattelgang im hinteren Teil des Zelts schwappte, war jedoch weit besser als in Gibraltar, als Diaz sich in seinem Patriotismus ein wenig verausgabt hatte (war die Stadt doch vor kurzem an die ænglische Krone verhökert worden). Der Vorhang, durch den ich gelugt hatte, bewegte sich kaum, als Yue aus der Manege kommend hindurch- und an mir vorbeischlüpfte. Sie war der Grund, warum Männer, Frauen und Kinder sich schon bei Diaz’ Rede die Augen gerieben hatten. Zu Beginn seiner feurigen Ansprache kroch sie kopfüber von einem Seil herab, das von der Zeltspitze auf den Manegenboden hing, verdrillte und entwirrte sich dabei mehrmals und endete schließlich als menschlicher Knoten vor Diaz, dem sie mit ihren gelenkigen Füßchen Wein aus einer kleinen Flasche in ein Glas füllte, das er in der Linken hielt. Mir wurde stets schwindlig von diesem Anblick. Noch schwindliger wurde mir höchstens davon, dass ich seit einigen Wochen ihr Partner auf dem Seil und am Trapez war. Als Mann stand ich im Schatten ihrer schillernden Erscheinung. Ich durfte mit ihr auf dem Hochseil tanzen, sie heben, herumwirbeln und am Trapez auffangen. Während der Nummern strahlte sie; das Lächeln lag auf ihrem herzförmigen Gesichtchen wie der Ausdruck einer Puppe – doch es galt nicht mir. Sie lächelte, wenn sie sich wie ein Kleidungsstück um meinen Leib wickelte und nur mit ihren Knöcheln an meinem Hals festhielt. Sie lächelte, wenn ich am Trapez ihre schmalen Handgelenke fasste, doch nun schlich sie durch den Sand auf ihre Position, und ich war Luft für sie. Ich seufzte. Dass mir ihr Lächeln so viel bedeutete, war höchst unprofessionell. Diaz verbat sich Liebeleien unter seinen Artisten, und ich wusste aus Erfahrung, dass er recht damit hatte. Schlimmer war eigentlich nur eine Liebschaft zwischen Artisten zweier konkurrierender Schausteller, wenn wir beispielsweise annehmen würden, im zweigeteilten Budapest würde sich ein junger Roma vom Badi-Clan in eine lybysche Kunstreiterin verlieben und damit die Ehre seines Zirkus’ in den Schmutz … Ach, lassen wir das. So romantisch, wie es sich anhört, war es gar nicht. Yue schlüpfte hinter ihre spanische Wand, und jeder im Sattelgang wusste, dass sie sich dort den schwarzen Hauch von Nichts auszog, um ihn durch einen schuppig-buntschillernden Hauch desselben zu ersetzen. Ihre bloßen Füße, die unter der spanischen Wand zu sehen waren, hinterließen kaum eine Spur auf dem Sand. Ich schluckte. Ein Ellbogen bohrte sich in meine Rippen. „Du starrst, Schätzchen“, murmelte Selma durch ihren buschigen schwarzen Bart. Ich wandte rasch die Augen von den Füßchen ab, die sehr bald wieder um meinen Hals liegen würden … Grundgütiger, wer hätte da nicht gestarrt! Herr Iko jedenfalls, so stellte ich fest, als ich meinen Blick zwang, sich zu lösen und über meine erwartungsvollen Mit-Artisten zu schweifen, starrte ebenfalls, und das, obwohl seine Apparate regelmäßig während der Vorstellung fehlzündeten und Diaz ihm eingeschärft hatte, jede freie Minute darauf zu verwenden, sie zu überprüfen. Herrn Ikos Lippen bewegten sich, und ich wollte gar nicht wissen, was er vor sich hin flüsterte. Der schmale Mann, dessen dunkler Anzug einige Brandflecke aufwies, wirkte mit seinem feinen, geölten Schnurrbart und akkuratem Haupthaar wie ein ænglischer Gentleman. Sein Gebaren glich jedoch eher dem eines vergeistigten Professors, weswegen mich der plötzliche Blick, den er in Yues Richtung warf, umso mehr verstörte; wer konnte schon sagen, welche Art von Hunger ein solcher Mann hegte? Da preschten die Pferde zwischen Iko und seinen auf Rollgestellen montierten Apparaturen durch den Sattelgang. Der Vorhang öffnete sich, um sie hinaus ins Rund zu lassen, die Zuschauer klatschten, einige warfen gar ihre Mützen hoch und fingen sie wieder auf, und Diaz schrie mit seinem wirklich erstaunlichen Organ über die trampelnden Hufe und das feurige Wiehern hinweg. Die Mütze eines kleinen Jungen landete aus Versehen im Sand der Manege. „Aus der asiatischen Steppe – mongolische Hengste!“, brüllte Diaz, verbeugte sich mit aller Ausführlichkeit (er vergaß nicht einmal den Wirbel mit dem rechten kleinen Finger), während die drei französischen Artisten unter Führung von Michel auf den schwarzen Tieren hin und her turnten. Sie trugen Felle, Pelzmützen und wenig mehr als Lendenschurze – bei Michels Schwestern bedeckte zudem ein Fellstreifen die Brust. Ihre Haut war gelblich bemalt, und Kohlstift hatte ihre Augen zu Schlitzen verlängert. Eine wilde Horde … Froschfresser. Ich musste stets grinsen, wenn ich den arroganten Michel mit seinen nicht weniger arroganten, aber sehr viel ansehnlicheren Schwestern sah, doch das Publikum staunte. Yue, die einzige Asiatin an Bord des Circo Apocalástico, weigerte sich, auf Pferden zu turnen. Sie sei nicht gut mit Lebewesen, sagte sie – und ich war froh, dass sie für mich eine Ausnahme machte. Die trampelnden Hufe der Rappen erfüllten das Zelt mit Donnern, die Zuschauer ließen gefällige Ahs und Ohs hören, und Yue trat in ihrem glitzernden Schuppenanzug hinter der spanischen Wand hervor. Sie sah zu mir herüber und nickte – mehr nicht, es war eine Bestandsaufnahme, dass sich ein Utensil, das sie für ihren Auftritt benötigte, an Ort und Stelle befand. Herr Iko fummelte wieder an seinen Apparaturen herum. Beiläufige Worte mit dem seltsamen Kerl zu wechseln war müßig, er schien selten in der Stimmung, über Alltägliches zu sprechen – von daher umgab ihn stets eine Insel der Stille, die er nur selbst unterbrach, um Dinge mitzuteilen, die keiner von uns verstand. Meist hatten sie mehr mit Zahlen zu tun, als mir lieb war, denn ich habe nie viel rechnen müssen in meinem Leben. Durch den Lärm im Rund des Zirkuszelts wäre mir beinahe entgangen, dass einige Meter hinter mir etwas Großes mit metallischem Klirren zu Boden fiel – dort, wo die Artisten sich schminkten, wo Jeevan, der Dompteur, das Mammut beruhigte, wo alle Nerven blanklagen. Herr Iko fuhr herum, und eher das als das Geräusch selbst erregte meine Aufmerksamkeit. Ich folgte Ikos Blick: Tigro und Kesmir hatten auf einem wackligen Schminktisch an dem bronzenen Maschinenteil herumgefuhrwerkt und es fallen gelassen. Die zwei waren mit Pedro, unserem menschlichen Äffchen, die einzigen aus der Truppe, die nicht in der Manege auftraten – und natürlich machten sie sich anderweitig unentbehrlich: Nur Tigro wusste, wie das Zelt sich am schnellsten und ungefährlichsten errichten ließ, außerdem reparierte er das Luftschiff, das ständig Ausbesserungen benötigte. Kesmir verstand Ikos Anweisungen, wenn es darum ging, die Bogenlampen der Lichtanlage auszutauschen, und bekochte uns. Pedro fütterte die Tiere, außerdem hatte er die Kontrolle darüber, wann es welche Seile wie zu spannen, zu schwingen und zu straffen galt. Ohne den kleinen Burschen, der wie ein Affe im Gestänge des Zirkuszelts herumkletterte, wäre ich längst tollkühn verstorben, mit Manegensand im Mund. Tigro war ein freundlicher Kerl, der Sohn der bärtigen Dame Selma, doch beide ließen sich diese Verwandtschaft nicht anmerken – nicht einmal einen Bart trug Tigro. Sein linkes Bein war kürzer als das rechte, und ein seltsames Schweigen war eingetreten, als ich an meinem ersten Tag im Circo gefragt hatte, warum er nicht als Dummer August arbeite. „Hier gibt es keinen Dummen August“, hatte Tigro schließlich gesagt. Kesmir war Türke, doch er war trotz seines gewaltigen geölten Barts nicht als säbelschwingender Exot oder gar osmanischer Messerwerfer geeignet – er war rundlich, friedfertig und gemütlich, ohne jegliche Befähigung zum Drama und bereitete uns jeden Dienstag ein phantastisches Soufflé zu. Die beiden beschäftigten sich in den vergangenen zwei Tagen fieberhaft mit den rätselhaften...