Vollmer | Darf’s noch eine Hüfte sein? | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Vollmer Darf’s noch eine Hüfte sein?

Verarztet oder verarscht?
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-13192-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Verarztet oder verarscht?

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-641-13192-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der größte Wunsch der Menschen ist es, gesund zu sein und fit bis ins hohe Alter. Straff und mit Bauchmuskeln, auf denen man Möhren raspeln kann! Und schon verfallen wir den Verheißungen der Gesundheitsindustrie, obwohl einige Präparate und Behandlungen die Frage aufwerfen: Werde ich hier verarztet – oder verarscht? Der Kabarettist Peter Vollmer wagt eine Antwort und berichtet aus dem Dschungel unseres Gesundheitssystems. Witzig und pointiert erzählt er von Begegnungen mit Ärzten, Apothekern, Versicherern und anderen Patienten, und gibt Tipps fürs Überleben im Wartezimmer. Denken Sie daran, wenn Sie mal wieder ewig rumsitzen müssen: egal, wie schlimm es ist, Lachen ist die beste Medizin!

Peter Vollmer, Jahrgang 1962, ist seit 1986 Kabarett-Profi und gastiert seit 1992 als Solist deutschlandweit auf namhaften Kabarettbühnen. Er arbeitete von 1995 bis 2005 als Autor für den WDR und veröffentlichte 2011 das Buch „Wenn Männer zu sehr 40 werden“. Das deutsche Gesundheitswesen hat er unter anderem in seinen Kabarettprogrammen „Doktor-Spiele“ und „Lachgas“ unter die Lupe genommen. Peter Vollmer ist verheiratet, Vater zweier Söhne und lebt in Köln.
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Arztpraxis oder Schönheitssalon?

Ich sitze im Wartezimmer einer hautärztlichen Praxis und achte schon längst nicht mehr darauf, wie viel Zeit ich hier bereits vertändelt habe, denn ich bin geradezu hypnotisiert von den Bildern, die hier auf großformatigen Postern an den Wänden prangen. Es sind Bilder, mit denen für kosmetische Eingriffe geworben wird, die man in dieser Praxis (beziehungsweise in dem »Institut für ästhetische Behandlungen«, das der Praxis direkt angegliedert ist) vornehmen lassen kann, wenn man gerade keine anderen Probleme hat. Es sind Bilder von menschlichen Körperpartien, die rein, straff, makellos und seidig glänzend sind. Bevor ich hierherkam, dachte ich noch, ein Mensch von halbwegs juveniler Spannkraft zu sein. Angesichts dieser Exponate aber fühle ich mich schlagartig reif für den Seniorentreff. Das Motto der Fotostrecke schlägt auch genau in diese Kerbe, denn es lautet: »Wir geben Ihnen Ihre Jugend zurück!« Mir versetzt es einen Stich, und ich muss voller Schrecken eingestehen: Auch an meinem Körper lassen sich unübersehbare Abnutzungserscheinungen ausmachen! Die Haut am Hals zum Beispiel, die schlackert manchmal schon derart, dass ich fürchten muss, in ungünstigen Momenten auszusehen wie ein Truthahn! Da ist ein hautstraffender Eingriff doch im Grunde alternativlos. Oder soll ich etwa auch im Hochsommer mit einem Rollkragenpullover rumlaufen?

In diesem Moment fällt mein Blick auf die Abbildung einer männlichen Bauchpartie. Mein Gott, was für ein beneidenswert straffer, flacher und definierter Sixpack! Der sieht aus, als könnte man Möhren darauf raspeln! Und warum zum Teufel kann ich da nicht mithalten? Für meine Körpermitte wäre die Bezeichnung »Plautze« sicher unangebracht, auch von einer »Fettschürze« würde ich nicht reden wollen. Ebenso wenig findet sich da ein »Rettungsring« (schon deswegen, weil ich dort nicht rot und weiß angemalt bin). Aber Fett ist ja nun mal leichter als Wasser, also kann man angesichts der, sagen wir: großzügigen Polsterung, die ich an Bauch und Hüften aufweise, allemal von einer »Schwimmhilfe« sprechen.

Bei diesem Gedanken spüre ich schon Anzeichen einer leichten Depression. Und zu dem Plakat da drüben, auf dem es um erblich bedingten Haarausfall geht … Nein, nein, nein, da schaue ich gar nicht erst hin!

Lieber greife ich zu dem Lifestyle-Magazin, das vor mir auf dem Tisch liegt. Wie es der Zufall will, ist darin zu lesen, dass gerade Männer sich inzwischen auf breiter Front Schönheits-OPs unterziehen und dabei hochgradig beglückende Erfahrungen machen. Anders als auf den Praxispostern sind im Magazin aber auch Preise aufgelistet. Ich überschlage die für mich infrage kommenden Anwendungen und gelange zu dem Schluss, dass ich mir eine optische Runderneuerung durchaus leisten kann. Ich müsste einfach nur im Lotto ein bisschen Glück haben, die Lebensversicherungen auflösen, das Haus verkaufen und Frau und Kinder in die Wüste schicken …

Gibt es denn nicht irgendetwas Preisgünstiges?, denke ich für mich und blättere weiter. Und in der Tat: Ich finde durchaus auch erschwingliche Angebote. So kann zum Beispiel die schlichte Entfernung unerwünschter Körperhaare den Effekt haben, dass man (besser noch frau) die darunterliegenden Muskeln deutlicher sieht. Na, das wäre doch was! Damit könnte ich doch mal anfangen. Das ist bestimmt auch gar nicht so teuer! (Wobei in meinem Fall das Risiko besteht, dass nach erfolgter Haarentfernung gar nichts zu sehen ist, was man als »Muskel« bezeichnen könnte.)

Ja, und irgendwie hat auch der Gedanke an einen haarfreien Lendenbereich seinen Reiz. Das soll dann ja auch gewisse Effekte haben. So nach dem Motto: »Ein Baum ohne Unterholz sieht einfach größer aus.«

Ehe ich noch weiter in die Untiefen der kosmetischen Selbstoptimierungsmaßnahmen einsteigen kann, werde ich ins Behandlungszimmer gerufen.

»Guten Tag«, begrüßt mich der Hautarzt. »Was führt Sie denn zu mir?«

Gute Frage! Ich bin stimmungsmäßig so derartig abgesackt, so vollkommen in der Verzweiflung über meine optischen Unzulänglichkeiten gefangen, dass ich schon gar nicht mehr weiß, warum ich eigentlich hier bin. Zum Glück fällt es mir wieder ein: »Hautkrebs-Vorsorge!«, stammle ich.

»Sehr gut, dass Sie da auf Nummer sicher gehen!«, lobt mich der Arzt. »Ich wünschte wirklich, es wären alle Menschen so besonnen wie Sie! Gerade hatte ich wieder einen jungen Mann von zwanzig Jahren da, der ist dreimal die Woche ins Solarium gegangen und kam dann mit einer Hautkrebserkrankung zu mir.«

»Unglaublich!«, sage ich. »Nur wegen so einem bisschen Bräune …«

»Da haben Sie vollkommen recht. Und es gibt doch auch so viel sinnvollere Dinge, die man für sein Äußeres tun kann.«

Ein kritischer Beobachter hätte natürlich die Absicht erkannt, die hier verfolgt wird: All diese Plakate im Wartezimmer, die positive Gesprächsatmosphäre, die der Arzt herstellt, indem er mein Verhalten lobt … Der Mann ist wirklich ein Fuchs! Ich aber bin in dem Moment ganz unbedarft, bewege mich gedanklich ohne jeden Widerstand in die mir gewiesene Richtung und überlege, was denn für mein Äußeres wohl sinnvoll sein könnte. Und während der Doktor meine Hautoberfläche auf verdächtige Stellen prüft, plaudert er in lockerem Tonfall weiter. »Und wissen Sie was? Sich um sein Äußeres zu kümmern ist ja auch Ausdruck für eine insgesamt gesundheitsbewusste Lebensweise. Ich habe jetzt eine hochinteressante Studie gelesen, nach der Seniorinnen, die sich im Alltag schminken, deutlich weniger Unfälle erleiden als andere, die das nicht tun.«

»Ja klar«, sage ich, »weil sie wegen der vielen Farbe im Gesicht auf der Straße besser gesehen werden.«

»Nein!«, widerspricht der Arzt, der mir den Punkt offenbar nicht gönnen will. »Der Gebrauch kosmetischer Produkte ist ein Zeichen dafür, dass die älteren Damen grundsätzlich mit mehr Umsicht, Aufmerksamkeit und einer größeren Selbstwertschätzung durchs Leben gehen. Und das gilt natürlich nicht nur für Seniorinnen. Gerade zurzeit kommt eine ganze Reihe von Männern zu mir, die total von diesem neuen Haarwuchspräparat hier begeistert sind.« Er zeigt auf einen Werbeaufsteller, den er auf seinem Schreibtisch stehen hat. »Gut«, meint er dann und mustert mich ein bisschen, »in der Hinsicht haben Sie ja keine Probleme …«

»Na ja«, sage ich, »ich weiß nicht«, und streiche mir das (geschickt frisierte) Deckhaar aus der Stirn, so dass er sehen kann, wie es um mein Haupt wirklich bestellt ist.

Der Arzt lässt daraufhin jedwede taktische Zurückhaltung fahren. Er lacht sich kaputt.

»Du meine Güte!« Er ruft es förmlich. »Was kaschieren Sie denn da alles? So was habe ich ja noch nie gesehen! Ihre Geheimratsecken, haha, die sind ja größer als die Deutsche Bucht!«

Und das tut jetzt wirklich richtig weh. Da bin ich nun an einem meiner schwächsten Punkte getroffen. Gleichzeitig kommt es mir so vor, als hätte ich des Doktors eigenes Haar von meinem letzten Besuch ganz anders in Erinnerung. Als sei es da auch irgendwie schütter, dünn und von einer fast schon räudigen Lückenhaftigkeit gewesen. Jetzt dagegen sieht es kräftig, voll und üppig aus. Gleich wird er mir sagen, dass er dieses Haarwuchsmittel selber nimmt!, denke ich, und dass er damit der lebende Beweis dafür ist, dass das Präparat auch wirklich anschlägt.

Das tut er dann zwar nicht (wahrscheinlich will er es einfach nicht zugeben); vom Haarwuchsmittel schwärmt er dennoch. Und zwar in den höchsten Tönen: »Da bin ich als Arzt richtig froh, etwas empfehlen zu können, das auch tatsächlich wirksam ist …« (Aha. Das scheint also nicht selbstverständlich zu sein.) »… auch die Nebenwirkungen kann man vernachlässigen. Etwa 5 Prozent der Probanden litten unter Impotenz. Aber wissen Sie was?« Er kichert. »Das ist ziemlich genau der Prozentsatz an Männern, die ohnehin impotent sind.«

Er lacht dabei. Er strahlt. Er ist richtig happy. Ein Mensch, der sich so gebärdet, kann doch keine unlauteren Absichten haben! Dieser Mann hat offenbar nur mein Bestes im Sinn. Endlich jemand, der mich versteht! Für mich ist klar: Ich will dieses Mittel haben. Auf jeden Fall. Selbst wenn ich dadurch meine Manneskraft verlieren sollte. Da muss man einfach Prioritäten setzen.

»Und das«, frage ich, »könnten Sie mir verschreiben?«

»Verschreiben?« Er muss wieder lachen. »Aber nein, wo denken Sie hin! Eine medizinische Indikation gibt es für so ein Haarwuchsmittel natürlich nicht. Das würden Sie privat erwerben.«

»Und das gibt’s in der Apotheke?«

»Nein, das können Sie direkt bei uns im Institut kaufen.«

Der Arzt betätigt sich also auch noch höchstselbst als Verkäufer, Händler, um nicht zu sagen: als Dealer. Ist das korrekt? Ist das in Ordnung? Für mich spielen solche Fragen längst keine Rolle mehr. Ich bin weit entfernt von irgendwelchen rationalen Überlegungen, vielmehr euphorisiert von dem Gedanken, hier den Schlüssel zur Lösung eines bedrückenden Problems in die Hand zu bekommen. Ich greife zu.

Dass ich hier wie am Nasenring durch einen Verkaufsprozess geführt werde, mit Bildern von Topmodels weichgekocht, mit Wundermittelchen angelockt, zum Schluss an der Theke abgezockt – es ist mir egal. Ich bin glücklich.

Wieder zu Hause steige ich umgehend in die Beautybehandlung ein. Bei dem erworbenen Präparat handelt es sich um Dragees, die ich nun täglich einzunehmen habe. Das tue ich mit soldatischer Disziplin – und fürstlicher Großzügigkeit, was die Dosierung angeht. Jeden Morgen schaue ich nun als Erstes in den Spiegel, ob...


Vollmer, Peter
Peter Vollmer, Jahrgang 1962, ist seit 1986 Kabarett-Profi und gastiert seit 1992 als Solist deutschlandweit auf namhaften Kabarettbühnen. Er arbeitete von 1995 bis 2005 als Autor für den WDR und veröffentlichte 2011 das Buch „Wenn Männer zu sehr 40 werden“. Das deutsche Gesundheitswesen hat er unter anderem in seinen Kabarettprogrammen „Doktor-Spiele“ und „Lachgas“ unter die Lupe genommen. Peter Vollmer ist verheiratet, Vater zweier Söhne und lebt in Köln.



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