E-Book, Deutsch, 224 Seiten
von Gehlen Das Pragmatismus-Prinzip
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-97806-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
10 Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-492-97806-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dirk von Gehlen ist Autor und Journalist. Bei der Süddeutschen Zeitung leitet er die Abteilung Social Media/Innovation und begleitet den Medienwandel seit Jahren auf seinem Blog »Digitale-Notizen« und unter @dvg auf Twitter. Er zählt zu den Crowdfunding-Pionieren in Deutschland (»Eine neue Version ist verfügbar«) und schreibt für die Süddeutsche Zeitung über Internet-Meme. 2011 veröffentlichte er bei Suhrkamp das Buch »Mashup - Lob der Kopie«. 2017 erschien sein Buch 'Meta - Das Ende des Durchschnitts'. Zuletzt veröffentlichte er im Piper Verlag »Das Pragmatismus-Prinzip«.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 1 Die Zukunft war schon immer ungewiss – wir glauben allerdings (?stets?), aktuell sei es besonders schlimm 2 Ein Perspektivenwechsel macht uns hoffnungsvoller – denn das Neue ist zunächst mal nicht besser oder schlechter, sondern vor allem gestaltbar 3 Wir kommen weiter, wenn wir das annehmen, was wir haben, statt auf etwas Besseres zu warten 4 Wir müssen uns klarmachen, wem unsere Angst nützt – und wie sie uns selber schadet 5 Es kommt nicht selten anders, als man denkt – und der Zufall kann ein Freund sein 6 Der Shruggie beweist?: Leben heißt Veränderung 17 Mit dem Shruggie kann Arbeit erfüllender sein 18 Es macht Spaß, etwas Neues zu lernen 19 Es gibt jemanden, der das Neue meistern wird – allerdings nur, wenn wir der nächsten Generation Freude am Neuen vermitteln 10 Gelassenheit ist die beste Voraussetzung für Toleranz Dank Die 125 Prinzip-Bücher, die dem Shruggie besonders gut gefallen haben Verwendete und weiterführende Literatur Internet- und Rundfunkquellen Personen- und Stichwortverzeichnis
1
Die Zukunft war schon immer ungewiss –
wir glauben allerdings (stets), aktuell
sei es besonders schlimm
In meinem Leben habe ich
unvorstellbar viele Katastrophen erlitten.
Die meisten davon sind nie eingetreten.
Mark Twain
Der junge Mann, der später die Geschichte vom Weltuntergang erzählen wird, liegt an diesem Tag im Jahr 1971 ziemlich ratlos in Österreich auf einer Wiese. Er trampt gerade durch Europa, ist auf dem Weg nach Istanbul und hat in Innsbruck einen recht ausgiebigen Frühschoppen genossen. Es geht ihm nicht gut.
Betrunken legt er sich nieder und schaut in den Himmel, als ihm eine Idee kommt, die ihn später nicht nur sehr berühmt, sondern auch sehr reich machen soll. Es ist nicht überliefert, ob er jammerte oder sich beklagte. Sicher ist nur: Er nimmt seine Situation sehr pragmatisch an und verbindet – ein wenig zufällig – zwei Dinge, die eigentlich wenig bis nichts miteinander zu tun haben, die er in seiner ratlosen Situation aber vorfindet. Aus den Sternen, die er am Himmel sieht, und dem Reiseführer, der neben ihm liegt (»Per Anhalter durch Europa«), formt er einen Buchtitel und (vermutlich später) eine zugehörige Geschichte: Per Anhalter durch die Galaxis wird einige Jahre später erst als Hörspiel, dann als Buch und als Fernsehserie und noch später als Film zu einem Weltbestseller. In seinem ersten Band erzählt das Buch, wie die Erde zerstört wird, weil sie einer intergalaktischen Hyperraumstraße im Weg ist. Gerade noch rechtzeitig wird die Hauptfigur Arthur Dent vom Planeten Erde gerettet – von einem Außerirdischen namens Ford Prefect, der die Aufgabe hat, einen Reiseführer fürs Weltall zu verfassen.
Dessen wichtigster Ratschlag ist groß auf den Titel gedruckt und lautet: »Keine Panik!«
Der Mann, der sich diesen Ratschlag ausgedacht hat und der im Jahr 1971 betrunken auf einer Wiese in Innsbruck liegt, heißt Douglas Adams. Unter den zahllosen Gründen, ein Buch über den Wert von Ratlosigkeit und den Umgang mit dem Neuen mit Douglas Adams zu beginnen, ist die mit ihm verbundene Anti-Panik-Aufforderung nur der offensichtlichste. Zu der rät nämlich auch der Shruggie – und als »Keine Panik!« kann man auch Adams’ Haltung zur Zukunft außerhalb seines Science-Fiction-Werks auf den Punkt bringen. Schon in den 1990er-Jahren beschäftigte er sich mit der Frage, wie das Internet das Leben der Menschen verändern wird. Dabei wählte er eine Perspektive, die ich als kulturpragmatisch bezeichnen würde. Adams hielt sich nicht damit auf, Gefahren aufzuzeigen oder das Neue zu bekämpfen. Er verfiel auch nicht in Jubelarien, die naiv das Neue feierten. Er nahm die Situation an und machte sich daran, die Zukunft mit dem Internet zu gestalten. Wohl auch deshalb bat ihn die Redaktion der Sunday Times, im Sommer 1999 über dieses damals noch relativ neue Medium »Internet« zu schreiben. Adams verfasste einen Text, dem er den Titel gab: How to stop worrying and learn to love the internet (was eine Anspielung auf den Stanley-Kubrick-Film Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb ist). Auch 30 Jahre später zählt dieser Text noch immer zum Besten, was man über die Digitalisierung im Besonderen und menschliche Reaktionen auf Veränderung im Allgemeinen lesen kann.
In der humorvollen Anti-Sorgen-Anleitung widmet sich Douglas Adams den Befürchtungen und Bedenken seiner Zeitgenossen, die sich pessimistisch zum Internet äußern: »Ich nehme an«, schreibt er, »dass frühere Generationen ein ähnliches Schnaufen und Keuchen über sich ergehen lassen mussten – in Bezug auf Erfindungen wie das Fernsehen, das Telefon, Kino, Radio, das Auto, das Fahrrad, den Buchdruck, das Rad und so weiter.« All diesen Neuerungen sei die Skepsis derjenigen Generation gemein, die sie als erste nutzen konnte. In all diesen Fällen habe die Menschheit die Erfindungen in Form eines Dreischritts adaptiert, den Adams wie folgt zusammenfasst:
1.»Alles, was bereits existiert, wenn man geboren wird, nimmt man als selbstverständlich und normal hin.
2.Alles, was bis zum 30. Geburtstag erfunden wird, ist unglaublich spannend und kreativ, und mit ein wenig Glück bildet es die Grundlage für eine berufliche Karriere.
3.Alles, was nach dem 30. Geburtstag erfunden wird, widerspricht der natürlichen Ordnung der Dinge und ist ein Zeichen für den nahenden Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen. Das geht so, bis es etwa zehn Jahre im Markt ist. Dann stellt es sich als annehmbar heraus.«
Adams schließt diese Aufzählung mit der Aufforderung: »Wenden Sie diese Liste in Bezug auf Filme, Rockmusik, Textverarbeitung oder Mobiltelefone an, um herauszufinden, wie alt Sie sind.«
Es gibt meiner Meinung nach zwei Wege, das eigene Alter auf Basis dieses Dreischritts zu ermitteln: Man kann sich einerseits fragen, welche Haltung man selber zu aktuellen Erfindungen einnimmt, und sich anschließend entsprechend einordnen. Man kann aber andererseits auch eine menschheitsgeschichtliche Einordnung vornehmen und feststellen, dass man als im Jahr 2018 lebender Mensch ganz und gar nicht am Anfang einer Entwicklung steht. Man ist vielmehr eingebunden in eine Geschichte, in deren Verlauf auch Generationen zuvor Menschen immer wieder mit dem Neuen, dem Verstörenden, dem Fremden konfrontiert waren. Schon Shakespeare ließ seinen Hamlet feststellen: »Die Zeit ist aus den Fugen.« Und dennoch hatten seitdem Generationen von Menschen das Gefühl, es sei eigentlich doch alles in Ordnung – gewesen. Trotzdem klagten sie immer wieder auch über den Niedergang, lobten das Alte und warnten vor dem Neuen. Wer sich dieser immer wieder angestimmten Klage ausführlich widmen möchte und zum Beispiel eine Antwort auf die Frage sucht, wann denn »die gute alte Zeit« eigentlich gewesen sein soll, wird in dem wunderbaren Buch Menetekel von Gerhard Henschel fündig. Darin zeichnet der Autor mit einer bewundernswerten Ruhe »3000 Jahre Untergang des Abendlandes« nach und zeigt anhand von zahlreichen historischen Beispielen aus allen Jahrhunderten, wie die Verklärung der Vergangenheit seit jeher zur Menschheitsgeschichte gehört.
Warum dies so sein könnte (und ob man sich nicht dagegenstellen kann), werden wir im Verlauf des Buchs zu erkunden versuchen, für den Anfang gilt es zunächst, drei wichtige Aspekte aus Henschels Buch festzuhalten: zunächst, dass die Verklärung der Vergangenheit nicht selten mit einer Verklärung der Natur verbunden ist. Denn auf der Suche nach der guten alten Zeit bewegen sich einfache Vergangenheitsfreunde wie engagierte Kulturpessimisten nicht selten »zurück zur Natur« und preisen vorzivilisatorische Lebensbedingungen als unbedingt erstrebenswert. Dessen sollte man gewahr sein, wenn man Lobgesänge auf »früher« hört, ebenso wie die Aspekte zwei und drei, die mir nach der Lektüre im Gedächtnis blieben: dass die Angst vor dem Neuen und dem damit verbundenen Untergang schon immer zur menschlichen Entwicklung gehörte und dass der Weltuntergang schlussendlich dann doch immer wieder ausblieb – und zwar nicht, weil er vorher so heftig herbeigerufen wurde.
Der Wirtschaftsautor Morgan Housel vertritt deshalb in einem Artikel für das Time-Magazine die These, dass die Menschheit sich sehr schwer damit tut, den Wert des Neuen schon in seiner Entstehung zu erkennen. Es brauche ein paar Jahre, bis man sich mit dem Neuen nicht nur arrangiere, sondern es so selbstverständlich annehme, dass es einem gar nicht mehr als neu und schon gar nicht als, wie vormals, gefährlich auffällt. Housel beschreibt diesen Prozess anhand von neun Reaktionen, die Menschen zeigen, wenn sie mit technischen Neuerungen in Kontakt kommen. Diese sind für ihn:
1.Noch nie davon gehört.
2.Hab schon mal davon gehört, verstehe es aber nicht.
3.Ich verstehe es, sehe aber keinen Sinn darin.
4.Sehr reiche Menschen finden vielleicht Gefallen daran, ich aber nicht.
5.Ich nutze es – aber es ist eher ein Spielzeug.
6.Es ist tatsächlich ganz nützlich.
7.Ich nutze es ständig.
8.Ich kann mir nicht vorstellen, jemals ohne es ausgekommen zu sein.
9.Ernsthaft: Es gab Leute, die ohne es auskommen mussten?
Um begreifbar zu machen, wie nah diese neun Schritte an gegenwärtigen Debatten sind, bietet Douglas Adams’ Thema »Das Internet« eine Orientierungshilfe. In der Kulturgeschichte seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung und Einschätzung finden sich alle neun Stationen wieder. Inklusive der Frage, wie man eigentlich früher ohne Internet leben konnte. Dabei gehörte es doch in diesem »Früher« zur natürlichen Ordnung der Dinge, kein Internet zu haben. Mehr noch beruht die Verklärung ja geradezu darauf, früher offline gewesen zu sein – was nur in der Retrospektive formulierbar ist.
Wer diese Entwicklungszyklen technischer Erfindungen aus wirtschaftlicher Perspektive verfolgen möchte, sollte sich die fünf Phasen des sogenannten Hype-Zyklus anschauen, der im Jahr 1995 von der Marktforschungsagentur Gartner definiert wurde. Diese führen, beginnend mit einem technischen Auslöser (1), über den Gipfel der überzogenen Erwartungen (2) durch ein Tal der Enttäuschungen (3) und über einen Pfad der Erleuchtung (4) zu einem Plateau der Produktivität (5). Nicht weniger genau, aber viel unterhaltsamer sind die »Standardsituationen der Technologiekritik«, die Kathrin Passig in ihrem gleichnamigen Buch...