E-Book, Deutsch, 230 Seiten
von Pannwitz Das helle Kind - Band 2: Anderswelt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96053-160-9
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 230 Seiten
ISBN: 978-3-96053-160-9
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Katharina v. Pannwitz wurde 1964 geboren. Nach einer Ausbildung zur Industrie- und Verlagskauffrau studierte sie Kommunikations- und Theaterwissenschaften. Später entschied sie sich, in der Filmindustrie zu arbeiten. Heute lebt Katharina von Pannwitz gemeinsam mit ihrem Mann in München und ist dort als Autorin tätig. Von Katharina v. Pannwitz erschien bei jumpbooks 'Das helle Kind', ihre erste Fantasy-Trilogie.
Autoren/Hrsg.
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3. Kapitel: Die dunkle Welt - Berge und Eis
Hoffnungsvoll betraten sie das Land, welches einst Âtron war. Doch auch hier hatte Balzôrcs Herrschaft die Umgebung verändert. Hohe Berge türmten sich dort auf, wo sich früher die weite Ebene von Ilan erstreckte. Drohend sah das Massiv aus, dunkel und unüberwindlich. Doch es half nichts. Sofort suchten Gwydón, Niam und Emrys einen geeigneten Aufstieg und fanden ihn in einem sanften Berghang. Der Bergrücken war flach. Die Gefährten erreichten den Gipfel beim letzten Tageslicht. Dort rasteten sie. Im Zwielicht der Dämmerung betrachteten sie die Landschaft unter sich. Dies war ihre erste Nacht in den Bergen.
Im hellen Licht der Morgensonne erkannten sie, daß der Gebirgszug, in dem sie sich befanden, nicht besonders hoch war. Am nördlichen Horizont warteten hohe Berge mit steilen Hängen und schroffen Gipfeln. Sie waren weiß und ragten weit über die Baumgrenze in die Region des ewigen Schnees. Dieses Hochgebirge mussten sie auf dem Weg nach Norden überqueren.
»Seid auf der Hut!«, warnte Gwydón. »Dieser Teil des Gebirges ist tückisch, denn es ist jung. Früher floss hier der Fluss Weón. So sehr Balzôrcs Macht die Erde auch verändert haben mag, ihre Ursprünge kann er nicht vollständig zerstörten. Unter uns fließt der Weón immer noch. Deshalb ist es hier so gefährlich. Seine beständigen Wasser lockern die Erd- und Gesteinsmassen. Wenn die Erde genügend durchtränkt ist, gleiten die darüber liegenden Felsmassen ab. Außerdem haben die hiesigen Berge ihre endgültige Form noch lange nicht gefunden. Sie entwickeln und verändern sich stetig. Seid also besonders vorsichtig bei den Steilstufen und den Steilhängen der ausgefurchten Täler.«
Sorgsam achteten die Freunde auf jeden ihrer Schritte. Dennoch waren einige Felsschichten so unsicher, daß sie bei der leisesten Berührung mit großem Gepolter talwärts abrutschten. Also dauerte es fünf Tage, bis die Gefährten das Mittelgebirge mit seinen Nadelwäldern überquert hatten. Gwydón führte sie. Der Weg, den er wählte, war sicher, aber lang. Es dauerte noch weitere zwei Tage, bis sie das Hochgebirge am Horizont endlich erreichten. Groß und mächtig ragte es vor ihnen in den Himmel. Die höchsten Gipfel waren von ewigem Eis bedeckt. Früher waren hier die hohen Berge des Bêrwy gewesen. Durch Balzôrcs Zauberkraft war er zwar gewachsen, doch es war eine ausgereifte Erhebung. Hier waren die alten Bedrohungen keine Gefahr mehr, doch es würden sicherlich neue kommen. Nach einer ruhigen Nacht am Fuße des Gebirges machten sich die drei an den Aufstieg. Niam war aufgeregt. Noch nie hatte sie ein richtiges Hochgebirge betreten.
Der Aufstieg war bedeutend mühsamer als der vorherige. Steil ging es in die Höhe. Unermüdlich kletterten sie bergauf, überwanden Stein um Stein. Dieser Marsch verlangte all ihre Kräfte. Erschöpft suchten sie einen geeigneten Platz für ein Nachtlager, noch bevor die Sonne untergegangen war. Sie übernachteten in einer geschützten Talmulde zu Füßen einer alten Tanne. Noch befanden sie sich unterhalb der Baumgrenze. Gwydón, Emrys und Niam genossen ein letztes Mal den Schutz der grünen Äste und schlugen hier ihr Nachlager auf.
Hier im Gebirge begann erneut das, was Niam schon in der Wüste und im Sumpf erlebt hatte. Abermals sprachen die Elemente mächtig zu ihr und lehrten sie das Wesen der Berge. Mit aller Macht sprach das hohe Lied der Elemente zu ihr. Mit dieser Intensität hatte Niam nicht gerechnet. Sie hatte angenommen, das alte Mysterium sei bereits entschlüsselt. Doch seit ihrem Aufbruch erkannte Niam immer deutlicher, daß noch sehr viel mehr in dem hohen Lied der Elemente steckte. Es ließ sie nicht mehr los. Ihr Kopf dröhnte. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie verstand nicht, was die Elemente ihr mitteilen wollten. Verzweifelt rieb sie ihren schmerzenden Kopf und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Plötzlich hörte sie eine sanfte Stimme: »Niam, bist du in Ordnung?« Erschreckt sah Niam hoch und erkannte Emrys, der vorsichtig neben sie getreten war. »Hast du Sorgen?«
Niam schüttelte den Kopf. »Nein. Es sind nur so viele Gedanken in meinem Kopf. So viele Stimmen.« Sie schloß die Augen und rieb sich die Schläfen.
Emrys sah, wie erschöpft sie war. »Stimmen?«
»Ja. Es sind die Elemente. Alle reden gleichzeitig zu mir. Manchmal glaube ich, den Verstand zu verlieren. Es ist einfach zu viel Macht und Wissen für mich.«
»Da bin ich ganz anderer Meinung. Niam, ich verstehe nicht viel von Magie. Ich bin ein Mann des Schwertes. Aber eines habe ich in meinem Leben gelernt: Ich erkenne Menschen mit einem großen Schicksal. Selten habe ich jemand getroffen, der dazu fähiger und würdiger wäre als du.«
Niam war erstaunt. So etwas Nettes hätte sie nie von ihm erwartet. Seine Worte taten ihr gut und sie lächelte ihn dankbar an. »Danke, Emrys. Das gleiche gilt für dich. Du wirst sicher ein guter und würdiger König.«
»Das bezweifle ich. Ich weiß nicht, ob sich die Prophezeiung in Bezug auf mich nicht geirrt hat. Nie wollte ich mein Schicksal. Ich soll der König der Menschen sein, dabei fühle ich mich noch nicht einmal als Mensch. Mein Herz ist albisch. Nicht die Menschen, sondern die Alben des Lichts sind meine Familie.«
»Aber du bist ein Mensch. Du mußt dein Menschsein nur finden. So weit bist du schon gekommen. Seit unserer Abreise sprichst du immer menschlicher. Auch dein Gang hat sich verändert. Du wirst immer menschlicher, ob du nun willst oder nicht.« Niam lächelte ihn an. »Du wirst den Menschen sicher ein guter König.«
Emrys erwiderte ihren Blick freundlich und nickte. »Genau wie du eine würdige Königin.«
Doch Niam schüttelte traurig den Kopf. »Da bin ich mir nicht so sicher. Sonst würde ich die Stimmen doch verstehen…« Sie griff sich stöhnend an die Stirn. »Sie quälen mich so…«
Unwillkürlich ergriff Emrys ihre Hand und drückte sie leicht. »Eines Tages …«
In diesem Augenblick zerriss ein heller Ton die Stille.
»Was war das?« flüsterte Niam.
»Pst!« Emrys legte warnend seinen Finger auf den Mund.
Dann machte er Niam stumm ein Zeichen, ihm leise zu folgen. Lautlos schlichen sie hinter einen Felsvorsprung. In der Abenddämmerung hockte ein kleines, altes Männchen im Schutz des Felsbrockens. Er war in altnordischer Tracht gekleidet. An seinem erbsengrünen Rock blitzten silberne Knöpfe und die Stiefelchen an seinen Füßen zierten große Metallschnallen. Auf seinem Kopf trug er einen alten, spitzen Hut. Der Gnom war überaus häßlich. Sein runzeliges Gesicht wirkte wie ein verschrumpelter Apfel mit einem schiefen Maul. Pfeifend hämmerte es mit seinem feinen Werkzeug auf die Erde und hüpfte dabei auf und ab. Beim näheren Hinsehen erkannten Niam und Emrys, daß der Zwerg kleine Schuhe fertigte.
»Der Cluricaum.« flüsterte Emrys leise.
»Wer?«
»Der Cluricaum, der›Schuhmacher des schwarzen Heeres‘. Er ist ein alter Verbündeter des dunklen Herrschers, ein mächtiger, böser Kobold. Er fertigt alle Schuhe für Balzôrcs Streitmacht, die es so schnell wie der Wind machen. Als Herr der Berge kennt der Cluricaum alle Schätze, die in ihren Tiefen verborgen sind. Damit bezahlt Balzôrc seine Söldnertruppen. Doch die Hauptaufgabe des Cluricaun ist, die Schuhe für das schwarze Heer zu machen. Und er fertigt immer noch welche. Das kann doch nur bedeuten, daß er noch weitere Feinde ausrüsten will. Das müssen wir verhindern. Aber wir müssen vorsichtig sein. Denn der Cluricaum ist listenreich. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn gefangen zu nehmen. Unter keinen Umständen dürfen ihn wir aus den Augen lassen. Womit er dich auch abzulenken sucht, wende den Blick nicht von ihm ab. Sonst verschwindet er sofort.«
Vorsichtig schlichen Niam und Emrys aus ihrem Versteck. Der Cluricaum war vollkommen in seine Arbeit vertieft und hörte sie nicht. Deshalb konnten sie den Zwerg überraschen und ihn mit ihren Blicken gefangennehmen. Er schrie auf und wehrte sich heftig. Doch er merkte schnell, daß hier mit Zorn nichts auszurichten war. Er wußte, er war gefangen. Listig verlegte er sich nun auf die Taktik, die er gegen die Menschen schon so oft erfolgreich angewandt hatte.
Er hörte auf zu toben und zog manierlich seinen Hut: »Ich grüße euch, ihr edlen Wanderer.«, sagte er schmeichelnd. »Verzeiht mein Aufbegehren. Ihr habt mich erschreckt, das ist alles.«
Doch weder Emrys noch Niam gingen auf seine Schmeicheleien ein und ließen den Zwerg nicht aus den Augen.
Der Cluricaum lachte schrill und verbeugte sich linkisch. »Nun, womit kann ich euch zu Diensten sein, ihr hohen Herrschaften? Ist es Gold?« Damit klatschte er in die Hände.
Wie von Zauberhand erhoben sich prächtige Goldtruhen aus der Erde, gefüllt mit dem kostbaren Edelmetall. Doch Emrys und Niam widerstanden der Versuchung und ließen den Zwerg immer noch nicht aus den Augen.
»Nein«, sagte der Cluricaum mit nervösem Unterton, »Gold ist wohl nichts für euch. Aber wie wäre es denn hier mit?« Damit griff er einen ledernen Beutel und warf ihn Niam zu.
Als sie den Beutel auffing, öffnete er sich und gab den Blick frei auf ein funkelndes Edelsteingeschmeide. Unwillkürlich ließ Niam den Zwerg aus den Augen und sah auf den Inhalt des Beutels. Darauf hatte der Cluricaum nur gewartet. Augenblicklich verschwand er vor Niams Augen.
Sie hörte nur noch sein gehässiges Lachen: »Ihr Menschen seid ja so einfältig. Jedes Mal fallt ihr auf diesen alten Trick herein. Zu spät, du aufgeblasener Mensch, nun bin ich für dich verloren.«
»Die Frau magst du überlistet haben, nicht aber den Krieger.« Emrys‘ feste Stimme war lauter als das Hohngelächter des Zwerges. »Meine Augen haben...