Voskuil | Die Nachbarn | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Voskuil Die Nachbarn

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-8031-4378-5
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nicolien begrüßt den Zuzug der neuen Nachbarn ins Mehrparteienhaus überschwänglich. Ihr Mann Maarten hingegen beschließt nach nur einer Begegnung, die beiden Männer völlig uninteressant zu finden.

Der Kontakt zu Petrus und Peer ist zunächst bemüht freundlich, nimmt dann zusehends groteske Formen an. Die Auseinandersetzungen zwischen Maarten und Nicolien über die Nachbarn im Speziellen und Außenseiter im Allgemeinen werden immer fundamentaler. In fulminanten Streitszenen schafft J.J. Voskuil das bewegende und vor allem urkomische Porträt einer Ehe im Zeichen einer unlösbaren Frage.

Dieses Puzzlestück aus Voskuils literarischem Universum, wie immer kongenial übersetzt von Gerd Busse, durfte erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht werden. Zu groß war die Sorge, das Porträt der misslingenden Freundschaft könnte die realen Vorbilder verdrießen.
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* »Ich habe Peer getroffen«, erzählte sie, als ich nach Hause kam. »Zurzeit wohnt ein Neffe bei ihnen, ein Sohn seiner Schwester. Findest du das nicht furchtbar nett?« »Wie alt ist der Junge?« »Neun.« Ich nickte. »So muss man natürlich seine Kinder erziehen. Dann werden sie später nie diskriminieren.« »Das ist loyal«, gab ich zu. »Loyal? Das ist etwas schwach ausgedrückt! Von einem anständigen Menschen kann man doch nichts anderes erwarten?« »Nein, natürlich nicht.« Ich fand es etwas zu programmatisch, doch das behielt ich für mich. »Sie haben ihn natürlich auch aufgeklärt.« »Warum?« »Weil das gar nicht anders geht. Man muss so einem Jungen natürlich erklären, was los ist.« »Wie stellst du dir das denn vor?« »Wie ich mir das vorstelle? Ganz einfach! Ich würde sagen, dass man ebenso gut einen Mann wie eine Frau lieben kann. Und dass Onkel Peer und Onkel Petrus Männer lieben. Und dass sie sehr glücklich miteinander sind.« »Würdest du ihm das auch sagen, wenn er nicht fragt?« »Natürlich! Sonst versteht so ein Junge das nicht.« Ich bezweifelte, ob ich das tun würde, wusste aber auch nicht, wie man es richtig machen sollte. »Das scheint mir ein Problem zu sein. Es wirkt ein bisschen wie Reklame.« »Na und? Besser als die Mütter, denen es vor Schwulen graust und die Angst haben, dass ihre Kinder homosexuell werden. Denn das sind Drecksweiber. Drecksweiber, die alles Elend in die Welt bringen.« Mir war klar, wen sie meinte. »Oder wolltest du etwa deine Mutter wieder verteidigen?« Das wollte ich nicht, doch das fortwährende Schimpfen auf meine Mutter machte mich trotzdem traurig. * Wir saßen bei Freunden im Garten. Das Gespräch kam auf Männer mit Vollbärten und Männer mit Schnurrbärten. Männer mit Vollbärten, damit konnten wir alle vier leben, obwohl es schon davon abhing, um welchen Bart es sich genau handelte. Männer mit Schnurrbärten konnten wir nicht ausstehen. Männer mit Schnurrbärten taugten nichts. Ich musste an einen jungen Mann im Zug auf dem Hinweg zu unseren Freunden denken, der deutlich als schwul zu erkennen gewesen war und ebenfalls einen Schnurrbart trug. Es war mir schon aufgefallen, dass viele Schwule zurzeit einen Schnurrbart hatten. Kurz zuvor hatte ich das auch in einem Artikel über die Schwulenbewegung bestätigt gefunden: Viele Schwule trügen Schnurrbärte, weil sie nicht mehr das Bedürfnis hätten, sich weiblich zu verhalten – oder etwas in der Art mit anderen Worten. Ein interessantes psychologisches Phänomen, das die Sache einigermaßen verkomplizierte. »Dieser junge Mann im Zug hatte auch einen Schnurrbart, und er war schwul. Es gibt also doch Unterschiede«, sagte ich unüberlegt. Nicolien erstarrte und sagte nichts mehr, während das Gespräch seinen Verlauf nahm. Als wir einen Moment allein waren, zischte sie mir zu: »Schwule, was? Wann hörst du in Gottes Namen damit auf?« Ich hatte keine Gelegenheit zu antworten. »Ich habe mich zu Tode geschämt!«, sagte sie auf dem Rückweg im Zug. »Was werden sie wohl gedacht haben! So redet kein anständiger Mensch! Genau wie meine Mutter: ›Es ist doch wohl kein Jude?‹ – Es macht überhaupt keinen Unterschied! Bloß, dass es jetzt Schwule sind!« »Es macht einen Riesenunterschied«, protestierte ich. »Ich habe doch nur gemeint, dass die Gründe dafür, einen Schnurrbart zu tragen, komplizierter sind.« »Ach, hör doch auf! Es ist mir egal, was du meinst! Ich will nicht, dass du so redest! Ich will nicht mal hören, was du gemeint hast!« »Aber das ist doch verrückt?« »Halt deinen Mund! Ich red nicht mehr mit dir! Denk bitte an die Leute, du mit deiner lauten Stimme! Was sollen die bloß denken. Dass wir uns streiten?« »Damit würden sie nicht so falsch liegen.« »Halt den Mund, sage ich!« Ich schwieg. Bis nach Hause blieb sie wütend. * Eines meiner Bücher wurde nach zweiundzwanzig Jahren neu aufgelegt. Der Verleger bat um ein Foto für den Umschlag. Ich wollte am liebsten ein Foto aus der damaligen Zeit. »Und wenn sich da nichts findet?«, fragte Nicolien. »Oder wenn er doch ein aktuelles Foto haben will?« »Ich habe keine Lust, einen Fotografen im Haus zu haben. Das wird nichts.« »Dann bitte doch Peer, ein Foto von dir zu machen.« »Ich glaube nicht, dass ich mich bei Peer wohler fühlen würde«, sagte ich vorsichtig. »Warum solltest du dich bei Peer nicht wohlfühlen?« »Weil ich ihn nicht lange genug kenne.« »Aber er ist doch nett?« »Ja, möglicherweise, aber bei ihm fühle ich mich einfach nicht wohl.« »Du fühlst dich bei ihm nicht wohl? Obwohl er nett ist?« Ich schwieg, in die Ecke getrieben. Ich fand Peer nicht besonders nett, doch das war ein Tabu, und ich sah unser Weihnachtsmahl schon dahinschwinden. »Oder findest du ihn etwa nicht nett?« »Doch, schon.« »Aber du fühlst dich bei ihm trotzdem nicht wohl.« »Nein.« »Bei wem fühlst du dich denn wohl?« »Das könnte ich so spontan nicht sagen.« »Aber wenn du sagst, dass du dich bei Peer nicht wohlfühlst, bedeutet das, dass du dich bei jemand anderem schon wohlfühlst. Sonst würdest du sagen, dass du dich bei niemandem wohlfühlst.« »Ich fühle mich ja auch bei niemandem wohl.« »Warum sagst du das dann nicht? Warum sagst du dann, dass du dich bei Peer nicht wohlfühlst?« »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte ich unglücklich. »Ich finde es einfach unangenehm, wenn jemand ein Foto von mir macht.« »Dann sag das doch! Sag dann: ›Ich finde es unangenehm, wenn jemand ein Foto von mir macht!‹ Und nicht, dass du dich bei Peer nicht wohlfühlst! Denn das würde ich sehr schlimm finden!« Am zweiten Weihnachtstag war Klaas zum Essen bei uns. Anschließend brachten wir ihn zum Zug. Als wir zurückkamen, trafen wir Peer und Petrus, unterwegs zum Bahnhof, mit einer Frau zwischen sich. Beide gingen mit großen Schritten, Petrus etwas vornübergebeugt, als würden sie sie abführen. Ihr Auftrag nahm sie derart in Beschlag, dass sie uns erst im letzten Moment sahen. »Das war ein nettes Mädchen«, sagte Nicolien. »Sie hatte ein nettes Gesicht.« Das hatte ich im Dunkeln so schnell nicht sehen können. Einen Tag später, als wir gerade zu Tisch saßen, klingelte das Telefon. Ich nahm ab. »Ja, Maarten, Petrus hier, Petrus vom Hinterhaus.« »Petrus!« »Ist das Petrus?«, fragte Nicolien. Ich drehte mich zu ihr um und nickte. »Wir haben uns gefragt«, sagte er zögernd, »ob wir euch vielleicht mit einem Töpfchen Erbsensuppe ein Vergnügen bereiten könnten.« »Was fragt er?«, fragte sie. »Ob wir ein Töpfchen Erbsensuppe haben möchten.« »Was hast du gesagt?«, fragte Petrus. »Nein, ich habe das nur zu Nicolien gesagt.« Sie war aufgestanden. »Gib mir mal.« »Ich reich dich mal an Nicolien weiter.« Ich gab ihr den Hörer. »Ja, Petrus. … Ja, das habe ich gehört, aber wir sind schon beim Essen. … Ja. … Ja, morgen würde es gehen. … Gut. Gern. Bis später!« Sie legte den Hörer auf. »Aber wir haben morgen doch Leute zum Essen?«, sagte ich verärgert. »Was sollen wir da mit so einem kleinen Topf Erbsensuppe?« »Überlass das ruhig mir, was wir essen«, sagte sie, ebenfalls verärgert. Eine Stunde später klingelte es an der Tür, Nicolien war gerade in der Küche mit dem Kaffee beschäftigt. Peer. Ich hörte die beiden reden und anschließend in den Flur kommen. »Hier ist Peer«, sagte sie. »Mit der Erbsensuppe wird es nichts.« Er hatte ein glänzend-schwarzes Netzshirt an, das bis kurz über seinen Nabel reichte. Zwischen Hemd und Hose war seine Haut zu sehen. »Wird es nichts mit der Erbsensuppe?«, fragte ich. »Nein, denn sie ist sauer geworden.« Ich hob die Augenbrauen. »Das ist nicht schön. Habt ihr schon davon gegessen?« »Ja, aber wir fanden sie nicht lecker. Sauer!« »Das kann gelegentlich ziemlich üble Folgen haben.« Er musste herzhaft darüber lachen. »Setz dich doch«, sagte Nicolien. »Aber nicht lange«, reagierte er. »Möchtest du auch eine Tasse Kaffee?«, fragte sie. »Nein, ich will noch ein paar Fotos entwickeln.« »Maarten muss auch Fotos entwickeln lassen, nicht, Maarten?« »Von alten Negativen«, sagte ich. »Aber das kann ich doch für dich machen?« »Ja?« »Bring sie mir gleich!« Er stand auf. »Ich gehe jetzt in die Dunkelkammer!« Petrus öffnete die Tür. »Oh, Maarten«, sagte er, als wundere er sich, mich zu sehen. »Ich habe hier die Negative für Peer.« »Ja, aber Peer ist in der Dunkelkammer.« »Ich komme!«, rief der aus der Dusche. »Bitte ihn mal kurz ins Wohnzimmer!« »Er kommt«, sagte Petrus. »Vielleicht möchtest du drinnen warten?« Er ging vor mir her ins Wohnzimmer. Auf einem kleinen Tisch stand ein elektrisch beleuchtetes Weihnachtsbäumchen. Die Schreibtischlampe war an. Daneben lag ein aufgeschlagenes Buch. »Ich hab gerade gelesen«, entschuldigte sich Petrus. Ich nickte. »Setz dich doch, wenn du willst.« ...


J. J. Voskuil, geboren 1926 in Den Haag und gestorben 2008 in Amsterdam, arbeitete als Volkskundler und Romanautor. Der siebenbändige Romanzyklus 'Das Büro' wurde mit rund einer halben Million verkauften Exemplaren in den Niederlanden zu einem Sensationserfolg. Bei Wagenbach außerdem lieferbar: 'Die Mutter von Nicolien'.

J. J. Voskuil, geboren 1926 in Den Haag und gestorben 2008 in Amsterdam, arbeitete als Volkskundler und Romanautor. Der siebenbändige Romanzyklus »Das Büro« wurde mit rund einer halben Million verkauften Exemplaren in den Niederlanden zu einem Sensationserfolg. Bei Wagenbach außerdem lieferbar: »Die Mutter von Nicolien«.


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