Voskuil | Direktor Beerta | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 848 Seiten

Reihe: Das Büro

Voskuil Direktor Beerta

Das Büro 1

E-Book, Deutsch, Band 1, 848 Seiten

Reihe: Das Büro

ISBN: 978-3-95732-225-8
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



1957. Maarten Koning, ein etwas schüchterner Akademiker, heuert in einem Institut zur Erforschung niederlädischer Volkskultur in Amsterdam an, ebenjenem "Büro", das von Direktor Beerta geleitet wird.

"Ich werde meine Sache so gut machen, wie es mir möglich ist. So wie ein Tischler einen Schrank macht", versichert Maarten, doch eigentlich ödet ihn die Arbeit schnell an. Trotzdem erstellt er mit Akribie Landkarten, auf denen verzeichnet wird, in welcher Region man welchem Aberglauben anhängt. Zugleich schildert Voskuil mit großer Detailfreude den Büroalltag, in dem nach Herzenslust gemobbt und gefaulenzt wird.

Daheim erwartet ihn seine Frau Nicolien, die nicht verstehen kann, warum man sein Leben mit Erwerbsarbeit verschwendet. Maartens Leben ist eine einzige Sinnkrise, er verzweifelt an seinem Tun – und kehrt dennoch Tag um Tag ins Büro zurück. Sein Alltag ist für uns ein Lesevergnügen!

Der siebenbändige Romanzyklus "Das Büro" ("Het Bureau") war in den Niederlanden mit über 400.000 verkauften Exemplaren ein Riesenerfolg. Er wurde bei einer Internetabstimmung auf Platz 7 der wichtigsten niederländischen Romane aller Zeiten gewählt! Am Erstverkaufstag der Bände standen in Amsterdam Schlangen vor den Buchläden, auch hierzulande hat sich eine stetig wachsende Fangemeinde gebildet.
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1957
»Tag, Herr Beerta«, sagte er. Herr Beerta stand in der halb geöffneten Tür und blickte ihn unbewegt an, als kämen sie ungelegen. Dann spitzte er die Lippen und nickte kurz. »Tag, Maarten.« Er zwinkerte, ein nervöser Tick. »Das ist Nicolien«, sagte Maarten. Herr Beerta nickte ein weiteres Mal und reichte ihr die Hand. »T-tag, Frau Koning.« Beim T stotterte er kurz. Er richtete sich auf, schien für einen kurzen Moment zu zögern und trat dann zur Seite. »Kommt rein.« »Wir kommen doch nicht ungelegen?«, fragte Maarten, während Beerta die Tür hinter ihnen schloss. »Ihr kommt nicht ungelegen«, antwortete Beerta kurz angebunden. »Ich gehe mal vor.« Beertas Zimmer wurde von einer Stehlampe mit rot geblümtem Pergamentschirm sowie einer kleineren Lampe auf dem Kaminsims erleuchtet, deren roter Schirm am unteren Rand mit Perlenschnüren verziert war. Im Schein der Stehlampe standen ein Sessel und ein Hocker, auf dem eine aufgeschlagene Zeitung lag. Das Licht reichte bis zum unteren Rand der schweren, dunklen Vorhänge, die den Raum vom Fußboden bis zur Decke von der Außenwelt abtrennten. Die seitlichen Wände sowie die Flächen beiderseits der Schiebetür standen voll mit Büchern, in tiefen, braunen Regalen, die ebenfalls bis zur Decke reichten und halb im Dunkeln lagen. »Setzt euch«, sagte Beerta. Sie setzten sich auf ein Sofa, das ein wenig schräg in einer Ecke des Raumes stand, während Beerta ihnen gegenüber in einem Sessel außer­halb des Lichtscheins Platz nahm. Von der Stelle, an der Maarten saß, konnte er im vorderen Zimmer einen großen Tisch erkennen, vollgestapelt mit Büchern, zwischen denen eine von einer Schreibtischlampe beleuchtete Schreibmaschine stand. In der Maschine steckte ein Blatt Papier, daneben lag ein aufgeschlagenes Buch. »Waren Sie gerade am Arbeiten?«, fragte er. »Ich bin immer am Arbeiten«, antwortete Beerta. Er sah Maarten unbewegt an. »Ich hab’ dich lange nicht gesehen.« Es klang vorwurfsvoll. »Wir haben ein Jahr in Groningen gewohnt«, sagte Maarten. »Ich war dort Lehrer.« Beerta nickte. »Ich war auch Lehrer«, erwiderte er, als ob das die Sache besser machte. »Und was tust du jetzt?« »Nichts.« »Nichts!«, wiederholte Beerta. Er spitzte seine Lippen, halb erstaunt, halb ironisch. »Ich glaube, ich wäre darüber nicht so begeistert.« Er stand auf. »Wollt ihr vielleicht eine Tasse Tee?« »Ob es ihm passt, dass wir hergekommen sind?«, fragte Nicolien, als Beerta das Zimmer verlassen hatte. »Natürlich passt es ihm«, sagte Maarten entschieden, aber er war sich seiner Sache nicht sicher. Er ließ seinen Blick über die große, eingerahmte Zeichnung eines Bauernjungen schweifen – ein Werk von Toorop oder von van Konijnenburg –, betrachtete das Batiktuch, das dahinter über den Kaminsims drapiert war, sowie die dunklen Möbel und bestickten Kissen, die dem Raum etwas Unvergängliches gaben, ein Eindruck, der durch das langsame Ticken einer Pendeluhr im vorderen Zimmer noch verstärkt wurde. Es hing ein leichter, etwas drückender Parfümgeruch im Raum, der ihn vage an das Zimmer seiner Großmutter erinnerte, in den letzten Jahren vor ihrem Tod. »Von Klaas de Ruiter höre ich auch nichts mehr«, sagte Beerta, als er wieder in den Raum kam. Vorsichtig hantierte er mit einer Teekanne, die in einem gestrickten Kannenwärmer in den Farben Rosa, Braun und Blau steckte, aus dem nur der Griff und die Tülle herausragten. »Der ist auch Lehrer«, sagte Maarten. »Das weiß ich«, entgegnete Beerta trocken. »Aber ist das ein Grund, mich nicht mehr zu besuchen?« »Vielleicht hat er viel zu tun«, wandte Nicolien ein. Sie lachte nervös. »Wir haben alle viel zu tun«, sagte Beerta und verzog dabei ironisch seine Mundwinkel, »außer Maarten natürlich. Möchtet ihr Milch und Zucker?« Sie bekamen einen Keks aus einer alten Blechtrommel, deren Blümchenmuster bereits an mehreren Stellen verschlissen war. »Und jetzt schreibst du sicher an einer Doktorarbeit«, sagte Beerta. Er sah Maarten forschend an, führte den Keks zum Mund und biss ein kleines Stück ab. »Ich schreibe keine Doktorarbeit.« »Du schreibst keine Doktorarbeit?« Es klang erstaunt, doch Maarten hatte den Eindruck, hinter diesem Erstaunen auch ein wenig Ironie herauszuhören. »Ich dachte immer, das Erste, was einer macht, wenn er mit seinem Studium fertig ist, ist das Schreiben einer Doktorarbeit.« »Aber Sie haben das doch auch nicht gemacht.« Beerta lächelte. Nun trat die Ironie deutlich zutage. »Ich bin ein ganz schlechtes Beispiel. Ich würde es gar nicht gern sehen, wenn du mich zum Vorbild nehmen würdest.« Maarten lachte. »Ich hasse Leute, die eine Doktorarbeit nur wegen des Doktortitels schreiben. Wenn man etwas zu sagen hat, kann man das auch ohne Doktorarbeit tun. Und ich habe nichts zu sagen.« »Und was meint deine Frau dazu?« »Ich finde, er hat recht«, sagte Nicolien. »Ich würde nicht wollen, dass er eine Doktorarbeit schreibt.« Sie lachte nervös. Ihre Antwort überraschte Beerta sichtlich. Er zog seine Augenbrauen hoch und sah sie kurz an, bevor er sich wieder Maarten zuwandte. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine einzige originelle Idee gehabt«, sagte er mit Nachdruck. »Trotzdem habe ich eine Doktor­arbeit geschrieben, ein bisschen spät zwar, und ich glaube auch nicht, dass sie jemand gelesen hat, außer meinem Doktorvater natürlich, aber ich danke unserem lieben Herrgott noch immer Tag für Tag, dass ich sie habe beenden dürfen.« Maarten lauschte amüsiert, ohne darauf einzugehen. Über sich hörte er Schritte und fragte sich, ob es Karel Ravelli war. Er hatte, wie immer, den Eindruck, dass Beerta seinen Besuch zum Anlass nahm, die ganze Welt an der Nase herumzuführen. In seinen Augen war Beerta der lebende Beweis dafür, dass man sich so weit von der Außenwelt abschirmen konnte, dass man unangreifbar blieb. Das zog ihn an. »Irgendwann werde ich wohl wieder eine Arbeit annehmen müssen«, antwortete er auf eine Frage Beertas, »aber ich glaube nicht, dass ich wieder unterrichten werde.« Beerta schien einen Augenblick zu zögern. »Ich habe«, sagte er mit einer kurzen Kopfbewegung, um sein Stottern unter Kontrolle zu bringen, »eine Stelle für dich.« Er sah ihn ernst an. »Wenn du willst, kannst du sie haben.« Das Angebot überraschte Maarten. »Ich kann für die Arbeiten am Atlas der Volkskultur einen wissenschaftlichen Beamten einstellen«, sagte Beerta, langsam und präzise. Maarten erinnerte sich vage aus seiner Studienzeit, dass es sich dabei um eines der Projekte handelte, die Beerta schon vor dem Krieg ins Leben gerufen hatte. Danach war es dann auf die lange Bank geschoben worden, weil es zu sehr an das Interesse der Nazis für das niederländische Volkstum erinnerte. Unter den Studenten wurde denn auch verächtlich darüber gesprochen. Nun, da Maarten selbst Arbeit suchte, sprach es ihn an. Wenn es noch irgendwo im niederländischen Wissenschaftssystem einen Winkel ohne auch nur den geringsten Anspruch auf irgendetwas gab, dann ließ er sich hier finden. »Ich könnte es versuchen«, sagte er, ohne lange zu überlegen. Beerta nickte. »Dann solltest du noch mal darüber nachdenken und mich nächste Woche im Büro besuchen, um mir zu erzählen, warum du es versuchen willst.« Dieser Vorbehalt wirkte ernüchternd auf Maarten. Er bedauerte, auf das Angebot eingegangen zu sein, und verspürte für einen Augenblick den Drang, seine Worte wieder zurückzunehmen. Unglücklich hörte er Beerta zu, der sich Nicolien zugewandt hatte, und registrierte ihre Antworten, ohne dass die Bedeutung ihrer Worte zu ihm durchdrang. Erst als Beerta den Genever brachte, kam er allmählich wieder zu sich. Als sie sehr viel später das Haus verließen, wusste er zwar noch, dass irgendetwas Unangenehmes gesagt worden war, doch was genau, wusste er nicht mehr. »Nennen Sie mich ruhig Nicolien«, sagte sie, als Beerta sie erneut mit »Frau Koning« ansprach. »Tag, Nicolien«, sagte Beerta feierlich. »Ich hoffe, dass ich euch bald einmal wiedersehe«, er machte eine kurze Pause, »wenn Maarten erst einmal im Büro ist.« »Warum hast du bloß gesagt, dass du es tun willst?«, fragte sie, nachdem sie die erste Seitenstraße überquert hatten. »Ich muss doch eine Arbeit haben!«, antwortete er verstimmt. »Aber doch nicht unbedingt in der Wissenschaft!« »Was macht das schon aus, ob man in der Wissenschaft arbeitet oder woanders.« »Ich dachte, du kannst Wissenschaft nicht ausstehen.« »Nein, nur Wissenschaftler, die ihren Status daraus ableiten! Die glauben, dass es von Bedeutung ist!« »Du brauchst nicht so zu schreien!« Er beherrschte sich. »Ich schreie nicht.« Er fühlte sich durch ihre Worte in die Enge getrieben und sah keinen...


Johannes Jacobus Voskuil??, geboren 1926 in Den Haag, war ein niederländischer Volkskundler. Bereits 1963 veröffentlichte er seinen ersten Roman, doch zur Berühmtheit der niederländischen Literatur wurde er erst mit dem Romanwerk "Das Büro", dessen erster Teil 1996 und dessen letzter 2000 erschien. Er wurde 1997 mit dem Ferdinand Bordewijk Prijs und 1998 mit dem Libris Prize ausgezeichnet. 2008 starb Voskuil in Amsterdam.


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