E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Voss / Edwards Stalker
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20937-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-641-20937-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Louise Voss und Mark Edwards veröffentlichten ihr gemeinsames Debüt 'Fieber' zunächst online im Eigenverlag, der Sensationserfolg führte wochenlang die Ranglisten großer Online-Buchhändler an. Auch die darauffolgende Printausgabe eines großen Publikumsverlags stürmte die britischen Bestsellerlisten. Louise Voss und Mark Edwards leben mit ihren Familien im Süden von London.
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1
Siobhan
Mittwoch, 22:30
Ich muss meine Kontaktlinsen herausnehmen, die kleben schon. Ich hasse diesen Moment, nachdem ich meine Linsen entfernt und meine Brille noch nicht gefunden habe – dann fühle ich mich so kurzsichtig und hilflos. Gestern Abend habe ich mir selbst einen solchen Schrecken eingejagt: Ich hatte meine Linsen im Badezimmer herausgenommen und mich dann erinnert, dass meine Brille neben dem Laptop im Wohnzimmer lag. Als ich hinaus auf den Flur trat, um sie zu holen, tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt auf. Ich habe mich fast zu Tode erschrocken und hätte beinahe geschrien – bevor ich bemerkte, dass ich vor meinem eigenen unscharfen Spiegelbild im Flur Angst hatte.
»Komm schon, Siobhan«, murmelte ich leise. »Reiß dich zusammen.«
Schon wieder Selbstgespräche … Wahrscheinlich habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, allein zu leben. Ich werde nachts nervös, wenn die Wände sonderbare Geräusche von sich geben oder Stimmen von draußen hereinwehen. Oder wenn Biggles plötzlich miauend aufs Laken knallt, als wäre er irgendwie von der Decke herabgefallen. Es ist erbärmlich, ich weiß, sich vor nichts zu fürchten. Das Ergebnis einer höchst lebhaften Fantasie gepaart mit zu vielen TV-Thrillern. Doch das ist auch keine Entschuldigung für meine erstaunliche Eigenart, ständig etwas zu verlegen, die zweite Sache, die mich im Moment an mir selbst nervt.
Es war schlimm genug, als ich meine Schlüssel letzte Woche stundenlang draußen im Türschloss vergessen hatte – eigentlich Moms Spezialgebiet: mich in Tränen aufgelöst anzurufen und zu jammern, sie hätte das ganze Haus auf den Kopf gestellt und könnte sie nirgends finden, bis ich sie frage, ob sie an der Tür nachgesehen hat. Weshalb ich mich ebenfalls aufgemacht und mein Glück versucht habe – oh nein, ich verwandle mich in meine Mutter!
Habe endlich meine Brille gefunden. Sie war in meiner Manteltasche.
Wie dem auch sei, der Kurs für kreatives Schreiben … Ich hätte nie gedacht, dass er so angsteinflößend sein könnte. Ich meine, ich habe Lesungen und solches Zeug gehalten, aber Verantwortung für deine eigenen Schüler zu übernehmen ist irgendwie viel heftiger, auch wenn es nur ein Abendkurs am hiesigen College ist. Was sie wohl von mir halten? Ich habe versucht, Autorität und Selbstbewusstsein auszustrahlen, obwohl meine Fingernägel Halbmonde in meine Handflächen gebohrt haben.
»Okay, es wäre wohl eine gute Idee, wenn wir uns alle vorstellen würden«, sagte ich und hatte sogleich Mitleid mit ihnen. Irgendjemand hatte es einmal als den schleichenden Tod beschrieben. Man sitzt dort, wartet und wiederholt in Gedanken, was man sagen will, während der Kelch immer näher kommt und du endlich an der Reihe bist … Zumindest war ich als Lehrerin als Erste dran.
Ich wollte schon loslegen, da fing ich den Blick eines der beiden männlichen Teilnehmer auf. Er fläzte ganz hinten, wie ein Schuljunge, zwei Reihen hinter allen anderen. Am liebsten hätte ich laut gelacht, wie er mich so schräg angrinste, irgendwie selbstgefällig, als wollte er sagen: »Schau mich nur an, bin ich kein echter Rebell?«
Was für ein Idiot, dachte ich, und bat ihn nach vorne zum Rest der Gruppe. Er schlurfte näher und bedachte mich mit einem, wie er offensichtlich glaubte, glühenden Blick, was jedoch im Grunde aussah, als würde er einen Rülpser unterdrücken. Obwohl, als ich ihn genauer musterte, stellte ich fest, dass er gar nicht so übel aussah.
Ich gab meinen einstudierten Text zum Besten, darauf bedacht, meine Rede spontan klingen zu lassen.
»Hi, ich heiße Siobhan, und das ist mein erster Kurs für kreatives Schreiben, also seid bitte nachsichtig mit mir.« Sie alle lachten leise, was mir half, mich etwas zu entspannen. »Ich wohne hier in der Nähe, ich bin fünfunddreißig …«
»Kinder?«, fragte eine ältere Dame in der ersten Reihe.
»Keine Kinder, kein Ehemann, nur eine Katze«, sagte ich nur zu bereitwillig, Informationen preiszugeben. Als würde sie die Katze interessieren! Ich bin überrascht, dass ich ihnen nicht noch freiwillig meine Verhütungsmethode oder meine Abneigung gegen Anchovis offenbart habe …
Ich konnte allerdings nicht widerstehen, ihnen zu erzählen, dass ich Schriftstellerin bin – wobei das relevant ist, weshalb ich keine Gewissensbisse habe. Und dass ich vor ein paar Jahren ein Buch veröffentlicht habe. Vermutlich hoffte ich, dass zumindest einer von mir gehört hatte, aber sie sahen mich allesamt verdutzt an, woraufhin ich einfach fortfuhr:
»… Und jetzt schreibe ich gelegentlich als freie Journalistin Artikel, vor allem für Frauenmagazine. Ich spiele Tennis und habe eine Schwäche für Achtzigerjahre-Musik … Oh, das ist hart, ich weiß!«, lächelte ich gekünstelt und zwang mich, die Klappe zu halten. »Will jemand weitermachen?« Bevor ich euch von dem widerlichen Scheidenpilz erzähle, den ich letzten Monat hatte, oder dem Ameisennest hinter der Küchenzeile …
Dann waren die anderen an der Reihe. Da war Barbara, eine pensionierte Zahnarzthelferin; Jane, eine Stadtangestellte in einem teuren Kostüm; Mary, eine Frau mittleren Alters mit zwei erwachsenen Söhnen; Kathy, die uns unumwunden erzählte, dass sie lesbisch ist, vor allem – nehme ich an – weil sie wohl dachte, es würde die gutbürgerlichen Damen vor ihr schockieren. Sie hatte ein Glitzern in den Augen, das mich ansprach – auf eine nichtlesbische Art, wie ich schleunigst hinzufügen möchte.
Dann kam Brian. Er kratzte sich ständig am Kopf, und Unmengen an Schuppen rieselten auf die Schultern seiner Lederjacke. Der arme Kerl stottert auch leicht und hat die charmante Angewohnheit, sich die Nase zu reiben und die Hände dann an seiner Hose abzuwischen. Noch dazu hat er mir schöne Augen gemacht. Würg. Und er erklärte, dass er Fantasyromane schreibt. Würg.
Dann war der Rebell an der Reihe. Sein Name war Alex, und er war nicht gerade mitteilsam.
»Ich arbeite bei Bookjungle.com«, sagte er, »verkaufe die Bücher anderer Leute und wünschte, ich würde mein eigenes schreiben. Das ist alles.«
Also nur sechs Leute. Aber es könnte klappen. Jane war toll, sprühte vor Energie – ich wette, ihr Schreibstil ist gut. Und die Lesbe, Kathy, schien ganz interessant zu sein. Alex führt sich auf, als wäre er gegen alle anderen Studenten allergisch, jedenfalls sitzt er so weit wie möglich vom Rest entfernt und rümpft die Nase, sobald sie etwas sagen.
Aber Fehlanzeige, was anständige Männer betrifft. Ich muss gestehen, ich hatte mich der Fantasie über einen hinreißenden Enddreißiger mit herrlich pointierter Prosa und einem verruchten Lächeln hingegeben, der zugleich einfühlsam und bescheiden ist … Herrje, ich fürchte, meine beiden männlichen Studenten fallen in die Kategorie: »Bin ich nicht unglaublich toll?« Wie das bei Kerlen so häufig der Fall ist. Ein paar schwache Einzeiler – oder in Brians Fall sechstausend kopflose Snarkkrieger – und sie glauben, sie halten einen Bestseller in Händen.
Der arme skrofulöse Brian – wahrscheinlich wurde er schon »Armer Brian« getauft, der Gute. Ich bin sicher, er ist ein echter Schatz, trotz seines Glotzens und der Akne. Nicht dass Alex viel besser wäre – der hält sich für den Größten. Er hat mich ebenfalls angeglotzt, aber auf die Art, wie Männer das manchmal tun, wenn sie nicht im Entferntesten auf dich stehen, sie allerdings wollen, dass du auf sie abfährst.
Wie dem auch sei, ich habe ihnen aufgegeben, Tagebuch zu führen und eine bedeutsame Unterhaltung aufzuschreiben, die sie kürzlich hatten. Alex fragte, ob ich ihre Hausaufgaben lesen würde, woraufhin ich sagte: »Nein, das ist privat. Ihr könnt alles schreiben, was ihr wollt. Ihr könnt sogar über mich schreiben, wenn ihr wollt.«
Es war ein Witz, aber Alex kritzelte mit hochgezogenen Augenbrauen etwas in sein Notizbuch. Wehe dir, du kleiner Mistkerl!
Sobald ich mit ihnen den leidigen Papierkram durchgegangen war, den das College benötigt – Anmeldung, Beurteilungsbogen, Lehrplan etc. – war die Zeit fast um. Der Unterricht endete für mich mit einem kleinen Dämpfer, nämlich mit der Frage, die ich seit der Erwähnung, ich sei Schriftstellerin, befürchtet hatte: Mary wollte wissen, wann mein nächstes Buch veröffentlicht werden würde.
Als wäre das Schreiben Fließbandarbeit. Ich brachte es nicht über mich, ihnen zu erklären, dass ich nur einen Vertrag für ein Buch erhalten hatte und kein zweites folgen würde. Irgendwann werde ich es ihnen eingestehen müssen, wenn wir bei dem Punkt angelangt sind, wo wir über das Einschalten eines Agenten und all dieses Zeug sprechen, aber vorläufig habe ich ihr erklärt, dass es langsam voranschreitet. »Dieser schwierige zweite Roman …« Ein Klischee, aber ach so wahr.
Donnerstag
Heute Morgen fühle ich mich so niedergeschlagen. Bisher habe ich es nicht erkannt, aber was ich beim Singledasein am meisten hasse, ist, allein aufzuwachen. Ich vermisse Phils Körper im Bett neben mir. Ich vermisse ihn, wenn ich nachts aufstehe, um mir ein Glas Wasser zu holen, dann wieder zurück ins Bett schlüpfe und keiner da ist, um den ich meine kalten Beine schlingen kann. Ich habe seine breite Brust geliebt, die, schwer vom Schlaf, geradezu glühend heiß gewesen war. Seine Haut fühlte sich im Schlaf irgendwie weicher an, und sein Atem war gleichmäßig und beruhigend, auf eine Weise, wie es Biggles flatteriger kleiner Katzenatem nie ist.
Später. Bin für einen Soja Decaf zu Starbucks in die High Street gegangen – ich hatte einfach solche Lust auf einen –, und wem verdammt noch mal laufe ich da in die Arme?...