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Waffender Andere töten

Kriminalroman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-89656-655-3
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

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ISBN: 978-3-89656-655-3
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Eine Joggerin wird vorsätzlich überfahren und das gleich mehrfach. Der erste Fall für Verónica Sánz als Austauschbeamtin in Ravensburg zieht schnell Kreise: Das Opfer stammt aus Berlin, das vertraute Team um Hauptkommissarin Inge Nowak leistet Amtshilfe. Wer hat der Toten die Drohbriefe geschrieben? Von wem wurde die Tatwaffe in die Luft gesprengt? Und was hat der Suizid eines Geflüchteten damit zu tun? Zwischen Hauptstadt und Kleinstadt, zwischen Therapiezentrum und Wertstoffhof und konfrontiert mit allen sozialen Milieus, geraten die Ermittlerinnen tief in einen Sumpf von Angst und Gewalt. Die Aufklärung der grausamen Verbrechen wird begleitet vom Gefühl der Fremdheit und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und so gelangen die Mitglieder der Mordkommission 'Rippel' allmählich auch an ihre persönlichen Grenzen. Wie gewohnt zeichnet die Autorin ihre Figuren schonungslos echt: liebenswert menschlich, berührend verletzlich oder erschreckend kalt. Literarisch anspruchsvoll und stilsicher erzählt sie von sichtbaren und unsichtbaren Wunden, von Süchten und Sehnsüchten, vom Fallen und Aufstehen - packend von der ersten bis zur letzten Seite.

Corinna Waffender, 1964 in Mainz geboren, lebt in Berlin. Mehrfach literarisch ausgezeichnet, Herausgeberin verschiedener Anthologien und Initiatorin von Literaturprojekten (www.textwaren.de). Im Querverlag sind von ihr folgende Romane erschienen: Zwischen den Zeilen (2002), Schnitt (2005), Flüchtig bleiben (2007), Laut gedacht (2008) sowie die beiden Kriminal­romane Tod durch Erinnern (2009) und Töten ist ein Kinderspiel (2010) in der Reihe quer criminal.

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Sonntag
Der Wagen passiert die Stadt nicht unbemerkt. Eine Studentin sieht ihn gegen fünf auf dem Weg zum Bahnhof. Am Kreisel nimmt ihn ein Taxifahrer flüchtig wahr. Mit hohem Tempo fährt er Richtung Osten, durch das Tor der alten Stadtmauer, nimmt die Kurven der ansteigenden Straße eng, lässt die Neubausiedlungen, den verwaisten Sportplatz und das Freibad schnell hinter sich und biegt in einen Feldweg ein. Kein Mensch beobachtet, wie er dort unter einer großen Eiche parkt. Nur ein Milan, der am frühen Morgen erste Kreise zieht, erspäht von weit oben seine große Schnauze, knapp verdeckt von schweren Ästen. Alles geht hier leicht. Die Cafetera blubbert nach kurzer Zeit gelassen vor sich hin, die Milch wird auf der noch heißen Kochplatte im Handumdrehen warm und die Wahl der Tasse ist wie immer richtig, weil es nur eine gibt. Überhaupt ist das Geschirr auf das Wesentliche reduziert, denn das einst mit Vorratsdenken angeschaffte Porzellan hat sie samt der Hoffnung auf Gesellschaft am Tisch vor einer gefühlten Ewigkeit in einem Berliner Hauseingang aufgegeben. Dort, wo irgendwann irgendwer alles wegholt, um es zu verscherbeln, dauerte es keine Stunde, bis nur noch die Dinge übrig blieben, die nicht mal Junkies mitnehmen. Den kläglichen Rest, mit dem auch Fremde sich nicht mehr belasten wollten, warf sie zu den mit Erinnerungen behafteten T-Shirts, dem selbstgestrickten Pullunder und den zerrissenen Briefen und Postkarten in den Container. Am Tag danach bezog sie mit über vierzig ihr erstes WG-Zimmer. Mit denselben beiden Koffern, die sie vor zwei Monaten auch hierher mitgenommen hat. Verónica Sánz setzt sich mit ihrem Cortado auf das kleine Mäuerchen vor der Haustür und lässt die Beine baumeln. Sie liebt diese Zeitreise-Bewegung, die sie rücklings in eine Kindheit voller Sonne und Unbeschwertheit katapultiert, mitten in die südländische Hitze, auf die staubige Straße vor dem Haus der Großmutter. Von da führte der Weg auf einen kleinen Platz mit Orangenbäumen und dem steinernen Brunnen, auf dessen Umrandung sie verbotenerweise kletterte, wenn niemand hinsah. Nur, um die Beine baumeln zu lassen, mit dem Rücken zum Wasser, das fortwährend aus einer kleinen Schale in eine größere plätscherte. Sie liebte das Geräusch, sie liebte die Erhabenheit und sie liebte den Duft nach Orangenblüten. Und den Urlaub in Spanien. Dagegen hatten die Ferien bei der deutschen Oma nichts mit Beinebaumeln zu tun, die langen Nachmittage im abgezirkelten Vorgarten, in dem die Kiesel sich nicht bewegen durften und der vom Wohnzimmerfenster durch die weißen Gardinen betrachtet aussah, als käme er von einem anderen Stern. Wie Opa in seinen orthopädischen Schuhen und der Wohnzimmerschrank in Gelsenkirchener Barock, von dem sie viel später erfuhr, dass er so hieß und warum. Ihre kleine Terrasse mit den glattpolierten Terracotta-Fliesen hätte dem deutschen Teil ihrer Familie bestimmt gefallen. Sie selbst ist sich noch nicht sicher, was sie von ihrem neuen Zuhause halten soll. Von der kleinen Einliegerwohnung im guten Viertel einer oberschwäbischen Kleinstadt, die das glatte Gegenteil von Berlin ist – wohlhabend, aufgeräumt und spießig. Immerhin sitzt du noch auf Mauern und baumelst mit den Beinen, Sánz. Von hier oben überblickt sie das verschlafene Städtchen in der Senke und hat freie Sicht auf einen für süddeutsche Verhältnisse weiten Horizont. Kein Gebirge, nur das Tal, und an seinem Ende ein sanfter Aufschwung gen Himmel. Von fern weht Glockengeläut zu ihr herauf und das Trommeln. Letzteres seit dem Vortag ununterbrochen, denn die Stadt feiert. Verónica gehört zu den Spaßbremsen, die nicht mitmachen und froh sind, wenn die elektrischen Rollläden ihrer Nachbarn das Einzige sind, was die aufdringliche Sonntagmorgenstille stört. Punkt neun öffnen die Fenster ihre geschlossenen Lider, damit saubere Häkelgardinen mahnend auf die verbundsteingepflasterten Einfahrten starren können. Noch regt sich nichts hinter den Vorhängen, es wird zehn werden, bis sich das familiäre Stillleben nach dem Frühstück vor der Garage gruppiert: Mutti, Vati, Kinder, bereit zum Joggen, Walken oder Mountain-Biken. Ausgerüstet mit Kopfhörern und Minicomputern, eingekleidet in Hightech-Stoffe und fit fürs freizeitgesteuerte Leben. Sportlich, dynamisch, digital, wahrscheinlich leicht entrüstet über die Tatsache, dass die Neue von nebenan im Pyjama auf dem Mäuerchen ihrer Terrasse sitzt. Unverschämt sichtbar auf der Steinbarriere, die doch eigentlich dazu da ist, sich dahinter zu verschanzen, damit sich Gerede entfalten kann. Wenn sie erst einmal wissen, dass es ihr Job ist zu schnüffeln, über Zäune zu spähen und Barrikaden zu stürmen, um kriminalistische Hypothesen zu überprüfen, Verdächtige zu überführen oder einmal mehr ins Leere zu rennen und sich zur Idiotin zu machen, verstehen sie möglicherweise besser, wie wenig sich Hauptkommissarin Verónica Sánz außerhalb ihrer Dienstzeit darum schert, was andere von ihr denken. Er geht mit dem Hund raus, obwohl er mit dem Hund gar nicht mehr weit gehen müsste. Der alte Boxer hat genügend Auslauf auf dem Hof, er liegt an einer langen Leine, deren Radius ihn nicht mehr interessiert. Fressen, schlafen, fressen, schlafen, hin und wieder bellen. Im Gegensatz zu mir muss er wenigstens nicht reden, denkt Baldauf. Mit fünfundsechzig automatisch abdanken, das wäre doch für alle das Beste. Jedenfalls müsste er sich dann nicht das Gequatsche seiner Frau und das Gequatsche seines Sohns und das Gequatsche seiner Enkelin anhören. Er ist einfach nicht gemacht für Familie unter der Woche. Als er noch gearbeitet hat, war das alles kein Problem. Das Leben auf dem Asphalt bescherte ihm genug Freiheit, für jede Auslandstour hatte er sich als Erster gemeldet. Zu Hause genossen sie die Extrazulagen und er hatte seine Ruhe. In Italien, Kroatien, Frankreich und Spanien, auf Parkplätzen, in billigen Pensionen und ehrlichen Kneipen. Berufskraftfahrer im internationalen Güterverkehr und das bei der größten Spedition Deutschlands, darauf war er stolz, er wüsste nicht, was er lieber getan hätte. Von Montag bis Freitag quer durch Europa und Samstag beim Stammtisch. sonntags daheim und wenn ihm das Geschwätz zu viel wurde, war schon bald wieder Montag. Nun ist Dauerwochenende und die heruntergefallene Decke trägt er quasi auf dem Kopf. Der Boxer verharrt und bellt. Baldauf hebt den Blick vom Weg und bleibt stehen. „Was denn, Alter? Sag nur, du witterst noch was?“ Er kneift die Augen zusammen. Die Sonne hat es bereits über die Baumwipfel geschafft, die Felder links und rechts erstrahlen in sattem Gelb, die Äste der hohen Eiche werfen noch lange Schatten. Der Hund bellt jetzt lauter, schlägt an wie lange nicht mehr, zerrt an der Leine, und Baldauf hat Mühe, ihn kurz zu halten. „Was ist denn los?“, brummt er und hält Ausschau, bis er eine reglose Gestalt auf dem Weg vor sich erkennt. Er hält inne. In den letzten dreißig Jahren hat er genügend Verkehrsunfälle gesehen, um zu wissen, dass mit einem Menschen, der so daliegt, gewaltig etwas nicht in Ordnung ist. Er lässt den Boxer nicht von der Leine und folgt ihm so schnell, wie sein schmerzender Rücken es zulässt. Gleich wird der Rentner es verfluchen, dass er nie sein Handy mitnimmt, wenn er aus dem Haus geht. Als das Telefon klingelt, ist Verónica Sánz sofort alarmiert. Niemand wagt ohne guten Grund, sie am Sonntag früh zu stören. Und schöne gute Gründe rufen schon länger nicht mehr bei ihr an. „Hallo, Frau Sánz. Torsten Langmüller hier.“ „Morgen, Herr Kollege. Was gibt’s?“ „Wir haben einen Tatort bei Ihnen um die Ecke.“ „Hier?“ „Wenn Sie mit hier dort meinen, ja. In Rippel.“ „Und wo ist das genau?“ „Eine Viertelstunde vom Bahnhof.“ „Mit dem Auto?“ „Ja, soll ich Sie abholen lassen?“ Willkommen im Pferdestärkenland. „Nein, danke. Wie heißt das genau?“ Sie sucht vergeblich nach einem Zettel. „Rippel. R-I-P-P-E-L. Einfach ins Navi eingeben. Der Tatort ist hinter dem Ortsausgang, nicht zu übersehen.“ „Bin unterwegs.“ „Hatten Sie schon Ihren Kaffee?“ „Nicht wirklich.“ Sie mag solche persönlichen Fragen nicht. Und sie ringt schon jetzt mit sich, ob sie eine lauwarme Brühe im Pappbecher ausschlagen soll oder aus Höflichkeit unbemerkt wegkippen. Von allem, worauf sie verzichten muss, seit sie ihren Arbeitsplatz mit Hauptkommissar Auer getauscht hat, vermisst sie am meisten guten Kaffee. Den Americano im Giro, den Flat White im Friedl und die unzähligen Espressi, die es in Berlin an jeder Ecke in bester Barista-Qualität gibt. Sie muss das in einem unkontrollierten Moment im neuen Büro erwähnt haben. Seither versucht ein heimliches Willkommenskomitee mit zweifelhaftem Ergebnis sie davon zu überzeugen, Oberschwaben wäre ein Röst-Eldorado. Als Erkner von ihrer Teilnahme am bundesweit geförderten Austauschprogramm erfuhr, war er alles andere als erfreut. „Warum zum Teufel willst du jwd ermitteln, statt deine Leichen aus heimischen Kellern zu holen?“ „Wie poetisch, Frank.“ „Wie bescheuert, Verónica.“ „Fühlst du dich im Stich gelassen?“ „Nicht nur ich fühle mich so.“ „Ich muss einfach mal hier raus.“ „Was ist es: Trotz? Kränkung? Faulheit? Ego?“ „Wahrscheinlich von allem etwas.“ Sie kann es nicht erklären und sie weicht ihm und seinen Fragen genauso aus wie allen anderen, die wissen wollen, warum sie dem Großstadtpflaster für ein Jahr den Rücken kehrt. Auf dem...



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