E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Wagner Richter ohne Gesetz
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0151-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0151-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Joachim Wagner ist promovierter Volljurist und war bis Ende 2008 stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. In dieser Funktion präsentierte er auch den Bericht aus Berlin. Zuvor leitete er das ARD-Studio in London (1997-2002), und ab 1987 war er zehn Jahre Leiter und Moderator für das renommierte NDR-Politmagazin Panorama. Im selben Zeitraum war er außerdem stellv. Chefredakteur der Hauptabteilung Zeitgeschehen des NDR. Im August 2011 erschien bei Econ sein Buch 'Richter ohne Gesetz'.
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Einleitung
Daran kann sich Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky noch genau erinnern: Dass er »ausgelacht und durch den Kakao gezogen wurde«,1 als er vor fünf Jahren zum ersten Mal öffentlich den Begriff Friedensrichter erwähnte und über eine islamische Gerichtsbarkeit in seinem Berliner Stadtteil berichtete. Keiner wollte ihm glauben, dass in Strafverfahren mit muslimischen Verdächtigen Streitschlichter oder sogenannte Friedensrichter zwischen Täter und Opfer und deren Familien vermitteln. Ihre Ziele: Sie wollen Konflikte zwischen den beteiligten Familien entschärfen und privat regeln. Die Geschäftsgrundlage bei den meisten Verständigungen: die Beweislagen zugunsten mutmaßlicher Messerstecher, Entführer oder Erpresser verfälschen, um mildere Strafen oder sogar Straffreiheit für die Täter zu erwirken. Das geschieht in erster Linie dadurch, dass Täter, Opfer und andere Zeugen vor der Polizei oder bei Gericht Aussagen verweigern, bagatellisieren oder sich nicht mehr erinnern können. »Es ist gang und gäbe«, weiß der Neuköllner Lehrer und Psychologe Kazim Erdogan, »dass man Verfahren beeinflussen möchte. Die Aussagen der Zeugen ändern sich von der Polizei bis zur Hauptverhandlung.«
Was Bürgermeister Buschkowsky erst vor wenigen Jahren entdeckte, ist einigen Berliner Strafverteidigern seit Jahrzehnten bekannt. Rechtsanwalt Nicolas Becker entsinnt sich, 1975, gleich zu Beginn seiner Karriere, einem türkischen Friedensrichter begegnet zu sein: »studiert, elegant gekleidet, mit guten Beziehungen zu Polizei und Justiz«. Dieser Friedensrichter beschränkte sich damals auf die Vermittlung bei Straftaten wie Betrug oder Körperverletzung. Mit Tötungen wollte er nichts zu tun haben. Auch sein Anwaltskollege Detlef Kolloge ist schon in den neunziger Jahren auf einen Streitschlichter gestoßen, einen Palästinenser, der vorgab, eine wichtige Rolle in der europäischen PLO zu spielen. Der Mittler wollte wissen, ob es sich positiv auf den Prozessverlauf auswirken würde, wenn sich die Familien einigten. Es ging um eine hohe Schlichtungssumme. Kolloge winkte ab. Eine Verständigung könne nach seinem Selbstverständnis als Verteidiger das Verfahren nicht beeinflussen. Und im Übrigen gedenke er nach den Regeln der deutschen Strafprozessordnung zu verteidigen.
Friedens- und Schlichtungsgespräche sind aus der organisierten Kriminalität bekannt, bei der italienischen und bei der russischen Mafia, bei Vietnamesen oder Rockerbanden. Im Sommer 2010 wurde zum Beispiel nach heftigen Kämpfen in Hannover ein Rockerfrieden zwischen den Hells Angels und den Bandidos geschlossen. Macht- oder Revierkämpfe und Blutrache können ohne Friedensgespräche zu einer unendlichen Kette von Gewalttaten oder jahrelangen Blutfehden führen, an denen letztlich keine der Parteien ein Interesse hat.
Die Schlichtung im muslimischen Kulturkreis hingegen hat ihre Wurzeln in einer jahrtausendealten Tradition und besitzt deshalb eine gesellschaftliche Bedeutung. In archaischen Zeiten gehörte sie zum Brauchtum arabischer Stämme und ist später vom islamischen Recht aufgenommen werden. Die Schlichtung kommt deshalb auch in der gesamten Bandbreite der Kriminalität zum Einsatz, bei schweren Verbrechen wie Mord und Totschlag, bei Alltagskriminalität wie Betrug, häuslicher Gewalt und Schlägereien und selbst bei Ehrverletzungen wie Beleidigung oder Verleumdung.
Die Mehrzahl aller deutschen Richter, Staatsanwälte, Kriminalbeamten und Strafverteidiger hat vermutlich noch nie von einem Friedensrichter oder Streitschlichter gehört und ist ihm erst recht nicht in der Praxis begegnet. Das ist kein Wunder. Die Streitschlichtung zwischen Opfer und Täter nach Straftaten wird in Deutschland nur in Regionen mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil praktiziert – und in der Regel im Verborgenen. Es ist eine Art Schattenjustiz, die ihre Wirkung am besten ohne Wissen der Strafverfolgungsorgane entfaltet.
In muslimisch geprägten Städten und Regionen haben Kriminalisten und Robenträger mittlerweile gemerkt, dass eine Paralleljustiz gegen sie arbeitet, die sie freilich nur selten dingfest machen können. Sie ärgern sich im Stillen – allenfalls noch in der Kantine –, wenn sorgfältig geknüpfte Beweisketten plötzlich reißen oder wenn Angeklagte den Gerichtssaal überraschend mit einem Freispruch statt mit einer Gefängnisstrafe verlassen.
Nur wenige haben den gefährlichen Einfluss von Absprachen zwischen Tätern und Opfern im muslimischen Kulturkreis auf die deutsche Strafjustiz bislang öffentlich angeprangert. Am deutlichsten hat das die verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ausgesprochen: »Mich beschleicht … ein ungutes Gefühl, denn das Recht wird aus der Hand gegeben und auf die Straße verlagert oder in ein paralleles System verschoben, in dem dann ein Imam oder andere Vertreter des Korans entscheiden, was zu geschehen hat.«2 Ebenso prononciert ist die Kritik des Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer: »Ich habe zahlreiche Hinweise, dass es vor allem in Städten eine Kultur der Schlichtung gibt, die nach den Grundsätzen der Scharia abläuft. Makler mit hohem Ansehen fällen nach Anhörung beider Seiten eine Art Richterspruch gegen Geld. Es ist typisch für eine Parallelgesellschaft, dass sie auch eine eigene Justiz aufbaut.«
Ein exemplarischer Fall:3 Sie war noch Richterin auf Probe im Kriminalgericht Berlin-Moabit, im zweiten Dienstjahr ohne viel Erfahrung. Die Anklage, die sie im Juli 2009 zu verhandeln hatte, schien mit einer Reihe aussagebereiter Zeugen gut unterfüttert. Der Tatort im Juni 2008: der Wohnwagen eines libanesischen Gebrauchtwagenhändlers in Berlin-Kreuzberg. Melih M.4 wollte von einem Landsmann 17000 Euro zurückhaben, die er ihm für den Kauf von Autos in Italien geliehen hatte. Hamit S. jedoch konnte oder wollte seine Schulden nicht bezahlen. Auf Vorschlag des Friedensrichters Hassan Allouche trafen sich die beiden Streithähne zu einem Gütetermin. Der verlief indes nicht gütlich. Der zahlungsunwillige Schuldner erhielt unversehens einen Messerstich und erlitt eine einen Zentimeter tiefe Fleischwunde. Voller Wut stellte er bei einer Polizeistreife, die sich zufällig in der Nähe aufhielt, eine Strafanzeige gegen Melih M. Daraufhin wollte auch der Geldverleiher eine Strafanzeige wegen Betruges gegen den säumigen Zahler stellen. Davon hielten ihn aber, wie es in einem späteren Schriftsatz seines Anwaltes hieß, »ältere arabische Mitbürger« ab, um »dortigen Sitten und Riten entsprechend, das Problem intern zu lösen«.
Das versuchte der angezeigte mutmaßliche Messerstecher auch. Melih M. bot seinem Opfer Geld an, wenn er die Strafanzeige zurücknähme. Als dieser sich bockig zeigte, soll Melih M. den harten Weg eingeschlagen haben: Er soll seinem Schuldner mit dem Tod gedroht und angedeutet haben, dass man auch seine Tochter entführen könne. Parallel ließ Melih M. seinen Anwalt vortragen, dass sich der Vorfall ganz anders abgespielt habe: Nicht er, sondern das Opfer habe ihn mit dem Messer angegriffen. Er habe sich nur verteidigt und dabei müsse es zu dem Unfall mit dem Messer gekommen sein.
Zwei Monate später hisste der säumige Schuldner die weiße Fahne. Sein Anwalt teilte der Polizei mit, dass sein Mandant sich mit dem angezeigten Melih M. »geeinigt« habe und sie »die Sache beenden« würden. Hamit S. verzichte »auf seine Rechte, nimmt die Anzeige zurück und bittet, das Verfahren einzustellen«. Im islamischen Recht kann eine Strafanzeige zurückgenommen werden, nicht aber im deutschen Strafrecht, wenn es – wie hier – um eine gefährliche Körperverletzung geht. Also mahlten die Mühlen der deutschen Justiz weiter.
In der Hauptverhandlung verweigerten die Zeugen entweder die Aussage, relativierten sie (die Stichwunde war plötzlich nur ein »Kratzer«), oder sie hatten nichts gesehen. Besonders unverschämt fand die Richterin den Auftritt des Friedensrichters Hassan Allouche als Zeuge. Der erklärte der Jungrichterin nämlich großspurig, dass eigentlich er als Friedensrichter für den Fall »zuständig« sei: »Ich soll alle Probleme in der arabischen Gemeinde schlichten, alle Nationalitäten kommen jetzt zu mir aus der gesamten Bundesrepublik«, notiert das Gerichtsprotokoll den Beginn seiner Aussage. Allouche berichtete über seine Vermittlungsversuche im Wohnwagen, aber nichts über seine Rolle als Streitschlichter nach dem Messerstich. Die Ehefrau des Opfers schilderte anschließend vage den Hintergrund des merkwürdigen Prozessgeschehens: Man wolle sich vertragen. »Die Sache wurde vergessen. Mein Mann will keinen Streit.« Es ist typisch, dass solche Verständigungen, und erst recht ihre Einzelheiten, für Staatsanwälte und Richter im Dunkeln bleiben.
Die Richterin fühlte sich überfordert. Sie hakte nicht konsequent nach, worauf man sich geeinigt hätte, und fragte sich, was wohl ältere Kollegen an ihrer Stelle getan hätten: »Ich war völlig machtlos und alle guckten nur auf den Friedensrichter.« Sie stellte das Verfahren wegen geringer Schuld ein. Am Ende der Verhandlung...