Waldis | Tausend Zeichen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

Waldis Tausend Zeichen

Dies und das und überhaupt
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7431-8340-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Dies und das und überhaupt

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

ISBN: 978-3-7431-8340-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tausend Zeichen schleust das wunderbar verrückte Leben Tag für Tag in unser Gehirn. Je tausend Zeichen, höchstens, ist der Umfang der hier gesammelten Notizen der Autorin Angelika Waldis. In lustvoller Kürze, 330-mal, hat sie Bestürzendes, Liebenswertes und Absurdes aus dem sogenannten Alltag festgehalten. Sanfte und böse kleine Lektüren! "Die geglückte Balance der unterschiedlichen Regungen sorgt für eine wunderbar leichte Lektüre und den ganz eigenen Ton des Textes." Neue Zürcher Zeitung (zum Roman "Aufräumen") "Angelika Waldis hat ein ausgezeichnetes Einfühlungsvermögen und weiß schon fast erschreckend genau, wie Menschen ticken." books (zum Roman "Marktplatz der Heimlichkeiten") "Wie hinreißend mischt sich Traum und Realität, Leben und Tod, Gleichgültigkeit und Liebe! Wie leicht wird das Schwere erzählt!" Sächsische Zeitung (zum Roman "Die geheimen Leben der Schneiderin")

Angelika Waldis, Kindheit und Lehrerausbildung in Luzern, Germanistik- und Anglistikstudium an der Uni Zürich, Arbeit als Journalistin. Heute lebt sie in der Nähe von Zürich. Ihre Kurzgeschichten und Romane - über das Dramatische und Absurde im täglichen Umgang mit sich und den anderen - wurden mehrfach ausgezeichnet. Angelika Waldis ist verheiratet mit dem Gestalter und Autor Otmar Bucher; sie haben einen Sohn, eine Tochter sowie drei Enkel.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


13. Juni 2016


Wenn ich das Kalb von Bauer Strittmatter überfahre, sagt er mir genau, was es wert war: Aufzuchtskosten plus Schlachtpreis. Er wird nicht verrechnen, dass er dem Kalb nicht mehr den Kopf kraulen kann. Wenn ich einen Menschen überfahre, wie wird dann sein Wert berechnet? Zählt das Alter, die Ausbildung, das Einkommen, die Nationalität, die Anzahl der Trauernden oder die Summe des Verkaufswerts aller nutzbaren Organe? Wie wertet man seine Freundlichkeit? Im alten Rom kostete ein Sklave um einhundert nach Christus umgerechnet etwa 50‘000 Euro. Heute kann man auf dem Schwarzmarkt Kinder kaufen. Ich habe von einem Pakistanerchen gelesen, das 800 Euro gekostet hat. Eigentlich wüssten oder wissen es alle: Der Mensch ist zum Glück unbezahlbar. Sein Wert lässt sich nicht beziffern. Schön ist der Satz des Befreiungstheologen Ernesto Cardenal über menschlichen Besitz: »Der Wert eines Menschen sollte nicht mehr danach gemessen werden, was er anderen wegnimmt, sondern danach, was er anderen gibt.«

4. Juni 2016


Weiß schon, Roboter sollten mich interessieren, von wegen Zukunft der Enkel und Veränderung der Gesellschaft und von wegen philosophischer Unterscheidung zwischen Leben und Existenz. Trotzdem erlaube ich mir jeweils das Überblättern entsprechender Zeitungsmeldungen. Aber heute hat’s mich gepackt: ein Weedmobil wird gebaut! Es ist 600 Kilogramm schwer, navigiert von alleine übers Feld und soll mit Hightech statt Chemie Unkraut zerstören: Sensoren scannen die Blattflächen der guten und bösen Pflanzen, Algorithmen erkennen, was wegmuss, geben Befehle an pneumatische Stempel, die sausen aus des Roboters Bauch und stampfen das Unkraut gezielt in die Erde. Fertig, aus. Und ich konnte letztes Jahr nicht mal die Blattflächen von Bohnen und Winden unterscheiden, ließ die Winden die Bohnenstangen hochklettern und freute mich an den wunderbaren weißen Blütentrichtern. Allerdings machten sie nur die Augen satt.

2. Juni 2016


Keine Ahnung, warum mir jetzt gerade das Auge einfällt. Das Hirn gibt ungefragt ab, was es will. Da, nimm, sagt es, dock an und denk. Also denke ich an das Auge. Es war rund, glänzte im Dunkeln, war umgeben von Blattwerk. Wem das Auge gehörte, sah ich nicht. »Quiet! Hippo!«, flüsterte der Guide und machte vor, wie wir geduckt vorbeischleichen sollten. Das war vor etwa zwanzig Jahren im Selous-Reservat in Tansania. Das wahrscheinlich verletzte Hippo hatte sich ins Gebüsch verkrochen. Hätten wir es gestört, hätte es uns angegriffen. Vielleicht lebt es noch, Hippos können dreißig bis vierzig Jahre alt werden. Vielleicht aber waren wir etwas vom Letzten, was das glänzende runde Auge wahrgenommen hat.

31. Mai 2016


Erst denk ich, das wird nichts. Ich schaue auf die leere braune Fläche wie auf ein leeres Papier, auf dem nichts wächst, kein Krümelchen Text, obwohl die Gedanken gesät sind. Vor zwei Wochen habe ich Bohnen in die Erde gesteckt, seit Tagen sehe ich gleich nach dem Aufstehen nach, aber da tut sich nichts. Nichts als Erde, braun, flach, leer. Und dann! Eines Morgens! Eine kleine Wölbung! Ein winziger gebeugter Rücken! Die erste sich aufrichtende Bohne! Ha! Dann! Eines zweiten Morgens! Die zweite, dritte, vierte Bohne! Ha! Und Hokus stehen sie aufrecht! Und Pokus haben sie Blättchen, zwei grüne Flügel! Alle erblicken sie das Licht meines Gartens! Und ich habe noch nie so viele Ausrufezeichen in einen Text gesetzt! Alle erblicken sie das Licht meines Computers!!!!!!!!!!!!!!

30. Mai 2016


Eine kleine traurige Geschichte wär zu erzählen, aber wie nennt man die gusseiserne (?), jahresringartig gerillte Scheibe, aus deren Mitte der Lindenbaum an der Zürcher Bahnhofstrasse wächst? Wie auch immer. Auf der Scheibe kniet ein Mann, neben sich diverse Tüten und Schraubenzieher. Er versucht, mit einem Taschenmesser etwas zwischen den Rillen herauszupulen, erwischt aber nur Flusen und Kippen. Hat er etwas verloren? Nein, es sieht eher aus, als pule er verbissen nach unbekannten Schätzen. Kapuze, halbnackter blasser Hintern, schmutzige Hände, beringte Finger. »Suchen Sie Kleingeld?«, frage ich und lege ein Zweifrankenstück auf den Boden. Die Hand nimmt’s, der Kopf hebt sich ganz kurz, ich sehe ein junges krankes Gesicht mit einem schiefen Mund. »Hab Mühe, Leute anzusprechen«, sagt der Mund, und schon ist der Kopf wieder unten. »Kann ich verstehen«, sage ich und denke: Eine kleine traurige Geschichte wär zu erzählen, aber wie nennt man die Scheibe, aus deren Mitte …

15. Mai 2015


Eben habe ich das letzte Kapitel meines neuen Buches fertig geschrieben, habe aber beschlossen, dass es ein neues erstes Kapitel braucht, darum ist das letzte für mich nicht das letzte, sondern das erste. So was gibt es auch anderswo, heißt es doch, die letzten werden die ersten sein. Die erste Arbeit nach dem ersten Kapitel wird dann die letzte sein, nämlich vom ersten bis zum letzten Kapitel nochmals alles in Frage zu stellen. Und die letzte Arbeit wird sein, die letzten Fehler aufzuspüren, weil es das Letzte ist, dem Lektor ein ungejätetes Beet zu überlassen. Das alles braucht noch viel Zeit, derweil es erstens und letztens vor allem drauf ankommt, dass die Protagonisten nicht davonlaufen.

14. Mai 2015


Tragen Sie Sorge zu Ihrem Hirn – so etwas wird nie gesagt. Sorge zur Lunge, zum Herz, zum Magen, ja. Aber zum Hirn? Wäre eigentlich sinnvoll, zum Hirn Sorge zu tragen, nur – wie macht man das? Das lese ich zum Beispiel, dass Fettabsaugen in Deutschland durchschnittlich 3190 Euro kostet, was dem Marktpreis von zehn Tonnen Reis entspricht. Habe ich mit solcher Erkenntnis mein Gehirn schlecht gefüttert? Ist das Cheap Brain Food? Die Verdauung geht nicht ohne weitere Gedanken: Ich muss mir eine Tonne Reis vorstellen, habe aber bislang nur Kilosäcke gesehen. Ich muss mir ausmalen, wie Fettabsaugen klingt und wie das Fett aussieht. Ich muss mich erinnern, dass die Künstlerin Teresa Margolles eine Wand mit sieben Kilo abgesaugtem Fett aus mexikanischen Schönheitsfarmen bestrichen hat. Ich muss mich fragen, ob ich mir Fett absaugen lassen würde, so zwei, drei Kilo. Und ich muss daran denken, endlich wieder Reis zu kaufen … Ach, du mein armes Hirn.

13. Mai 2016


Zurzeit kommen sechs Männer in meine Deutschstunde für Asylsuchende. Der Albaner kann‘s schon gut, setzt einen Singular in den Plural oder einen Präsens-Text ins Perfekt. Und plötzlich haut ihm die deutsche Sprache wieder eins um die Ohren: Warum heißt es hier der Frau und nicht die Frau? Warum heißt es nicht zum Kirche wie zum Bahnhof? Während er sich mit dem Dativ auseinandersetzt, schreiben die fünf Sri Lanker von der Tafel ab. Für den jüngsten sind die lateinischen Buchstaben noch völlig ungewohnt. Er strengt sich sehr an, Zunge im Mundwinkel. Ich komme, du kommst, er kommt. Ich möchte die Schüler für die vielen Ausnahmen um Verzeihung bitten. Ich bin, du bist, er ist. Ich möchte lieber, es hieße, ich seine, du seinst, er seint. Kürzlich habe ich gelesen, dass an einer Wand im Bahnhof Schweinfurt stand: »Ich liebe dir und kann ohne dich nicht bin.« So etwas Schönes brächten die Schüler dieser Klasse nicht zustande. Wir müssen noch ganz viel üben.

12. Mai 2016


Gestern im Bus sah ich einem Jungen zu, der etwa sieben Jahre alt war und dessen Gesicht bereits zeigte, wie er als Vierzigjähriger aussehen würde. Als Filialleiter oder Gemeinderat oder Steuerbeamter. Er trug einen Rucksack mit türkisfarbenen Trägern, saß sehr still und dachte. Der Sitz neben ihm war frei, es schien, dass er alleine reiste, niemand rief ihm zu: »Schau dort, ein Graureiher« oder »Wo hast du deine Mütze?«. Ich glaube, was er dachte, belustigte ihn nicht, es machte ihn eher leicht missmutig. Als sich eine Frau neben ihm niederließ und ihn mit ihrer großen Tasche etwas bedrängte, sah er noch missmutiger aus. Bei der nächsten Haltestelle stand er auf und ging mit raschen Schrittchen zum vordersten Sitzplatz, wo er freie Sicht und seine Ruh hatte und weiterdachte. So fuhr er in seine Zukunft. Er machte mich etwas traurig, weiß nicht, warum. Vielleicht weil er in seinem Leben bis zur Endstation noch so oft wird aus- und umsteigen müssen.

18. April 2016


Im April vor sechs Jahren hat sich der Vatikan dazu durchgerungen, den Limbus definitiv abzuschaffen. Bislang landeten ungetaufte Kinder auf ewig irgendwo zwischen Himmel und Hölle. Limbus hieß der Ort, was auf Lateinisch Saum oder Grenze bedeutet. Im Limbus wurden auch sämtliche guten Menschen gelagert, die vor Christi Geburt gelebt hatten. Ich frage mich – jetzt, wo der Limbus nicht mehr existiert –, ob die im Limbus Versorgten inzwischen ins Paradies verschoben worden sind. Ein umfangreicher Transport bei so vielen Seelen. Ein logistisches Kunststück für die Theologen in Rom. Da der Begriff Limbus jetzt nur noch in der Augenkunde eine kleine Rolle spielt – Übergang von Hornhaut in Lederhaut –, ist er wieder frei verfügbar und offeriert sich für eine neue Verwendung. Als Label für einen Drink? Als Name für das Land der Hoffnung?

16. April...




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