Walton | Quantum | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Walton Quantum

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18291-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-641-18291-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Raum und Zeit

Das Leben des Physikprofessors Jacob Kelley gerät völlig aus den Fugen, als eines Tages sein alter Freund Brian vor der Tür steht und behauptet, auf eine außerirdische Quantum-Intelligenz gestoßen zu sein. Als Brian auf Jacobs Frau schießt, verprügelt Jacob seinen alten Freund und wirft ihn aus dem Haus. Wenig später wird Jacob wegen Mordes an Brian verhaftet. Doch er kann Brian nicht getötet haben, schließlich war er zur Tatzeit zu Hause – wo er sich Brians Theorie über die Quantum-Intelligenz anhörte. Als Jacob versucht, das Rätsel zu lösen, stellt er fest, dass die Gesetze von Raum und Zeit nicht mehr gelten ...

David Walton wurde 1975 geboren, und wenn er nicht gerade schreibt, arbeitet er als Ingenieur für den amerikanischen Raumfahrtkonzern Lockheed Martin. Er wurde für seine Romane und Kurzgeschichten bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Philip K. Dick Award. David Walton lebt mit seiner Familie in der Nähe von Philadelphia.
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2

Down-Spin

»Erheben Sie sich!«

Der Gerichtsdiener brüllte den Satz, wie er es vermutlich sein ganzes Berufsleben lang getan hatte. »Verhandlung das Volk gegen Jacob Kelley, Richterin Ann Roswell führt den Vorsitz.«

Das Bundesgericht in Philadelphia war ein eindrucksvolles Gebäude mit Reliefs und Pilastern, das von den funktionalen Büroanbauten an der Rückseite kaum beeinträchtigt wurde. Eine ähnliche Mischung aus Altem und Neuem herrschte auch im Inneren mit seinen Marmortreppen und den behindertengerechten Aufzügen vor. Der Sitzungsraum Nummer fünf, in den die Gerichtsordner mich geleitet und wo sie mir anschließend die Handschellen abgenommen hatten, war ein Raum mit hoher holzgetäfelter Decke, hohen Fenstern und Ölgemälden an den Wänden. Nach dem monatelangen Hickhack der Anwälte beider Seiten sollte der Prozess um die Ermordung Brian Vanderhalls endlich beginnen.

Elena fehlte mir. Meine Kinder fehlten mir. Ich wünschte mir, es gäbe jemanden auf den Besucherrängen, der auf meiner Seite stand. Außerdem war ich das Warten leid und deshalb erleichtert, dass es bald vorbei sein würde, mit welchem Ausgang auch immer. Es war vier Monate her, dass Brian mit Flip-Flops an meiner Haustür erschienen war und mein Leben ruiniert hatte. Jetzt endlich würde sich erweisen, wie die Geschworenenjury meine Geschichte aufnehmen würde.

Terry Sheppard, mein Verteidiger, saß neben mir am Anwaltstisch. Er hatte einen Zwirbelbart und trug Lederstiefel. Er machte den Eindruck, als brächte er mehr Zeit im Pferdesattel als im Gerichtssaal zu, und ich hatte keine Ahnung, ob er gut war oder nicht. Ich hatte ihn ausgewählt, weil er aus der Masse der aalglatten Bügelfaltenhaie, die im Besuchsraum des Gefängnisses ihre Aktenkoffer und maßgeschneiderten Anzüge präsentierten, herausgestochen hatte. Er hatte nicht versucht, mich mit seiner Vita oder seinem Harvard-Abschluss zu beeindrucken. Er war kein Blender. Ich vertraute ihm.

Richterin Roswell war in den Sechzigern, hatte ein freundliches Gesicht und angenehme Umgangsformen. Ich war geneigt, das als gutes Zeichen zu nehmen, blieb aber skeptisch. Terry meinte, Roswell gelte als streng und bringe der Verteidigung als ehemalige Staatsanwältin wenig Sympathie entgegen. Fast eine Stunde lang sprach sie über ihre Verantwortung, stellte die Vertreter von Anklage und Verteidigung vor und erklärte, dass nur das, was von vereidigten Zeugen zu Protokoll gegeben werde, als Beweis gewertet werden würde. Sie war redegewandt und einnehmend, warnte die Geschworenen aber auch eindringlich davor, während der Verhandlung dieses Falls, der auf reges öffentliches Interesse stoße, Kontakt mit den Medien aufzunehmen.

Schließlich wandte sie sich an den Staatsanwalt. »Mr. Haviland«, sagte sie. »Bitte beginnen Sie mit dem Eröffnungsplädoyer.«

David Haviland erhob sich und wandte sich der Jury zu. Dicht über ihm schwebten Kamerafliegen, und ich fragte mich, weshalb er sie nicht einfach beiseitewischte. Er war adrett gekleidet, fühlte sich wohl in seinem Anzug und hatte die Stimme eines Nachrichtensprechers. Schlimmer noch, er machte den Eindruck eines Mannes mit Prinzipien, eines Mannes, der als Verteidiger hätte Karriere machen können, sich aber bewusst für den Beruf des Anklägers entschieden hatte. Hätte er es nicht darauf angelegt gehabt, mich lebenslang ins Gefängnis zu stecken, wäre auch ich von ihm beeindruckt gewesen.

»Meine Damen und Herren«, sagte er, drehte sich und hob die Hände. »Hier geht es um Mord.« Der Gerichtssaal war voll besetzt mit Journalisten und Schaulustigen, doch Haviland wandte sich an die Geschworenen, nicht ans Publikum. Ich musterte sie – sechs Männer und sechs Frauen verschiedener Altersstufen und unterschiedlicher Herkunft – und versuchte zu beurteilen, ob sie Mitgefühl mit mir hatten oder nicht. Das war schwierig zu erkennen.

»Schlicht und einfach Mord«, fuhr Haviland fort. »Darum, dass einem anderen Menschen das Leben genommen wurde. Sie haben Brian Vanderhall nie kennengelernt und werden auch keine Gelegenheit mehr dazu haben, doch wir sollten uns vergegenwärtigen, dass er ein vollkommen realer Mensch war. So real wie Ihr Ehemann, Ihr Vater oder Ihr Sohn. Hatte er Fehler? Mag sein. Haben wir die nicht alle? Das bedeutet jedoch nicht, dass er es verdient hatte, mit achtunddreißig Jahren sein Leben zu verlieren.

Mr. Sheppard wird uns einreden wollen, es gehe bei diesem Fall um Technologie. Er wird uns mit Begriffen wie ›Quarks‹ und ›Leptonen‹ traktieren, bis uns der Kopf schwirrt, und mithilfe von Expertengutachten, die nur wenige Menschen auf der ganzen Welt verstehen können, die Fakten verdrehen. Das sind Taschenspielertricks, die Sie von den Beweisen ablenken sollen. Und die Beweise, meine Damen und Herren, sind vollkommen eindeutig. Die Fakten werden ergeben, dass Mr. Jacob Kelley Brian Vanderhall kaltblütig ermordet hat.« Er deutete anklagend mit dem Zeigefinger auf mich. Ich hätte gern gewusst, wer ihm das auf der Uni beigebracht hatte. Vielleicht hatte er es sich auch im Kino abgeschaut.

»Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren, wird es sein, die Wahrheit herauszufinden. In unserem großartigen Land glauben wir nicht, dass die Gebildeten oder Reichen besser dafür geeignet als Sie. Wahrheit ist etwas, das wir alle erkennen und begreifen können. Deshalb haben wir uns entschieden, die Sicherheit unserer Häuser und unserer Nachbarschaft in Ihre Hände zu legen. Wir vertrauen darauf, dass Sie den Mut haben werden, Mr. Kelley …« – abermals zeigte er auf mich – »… zu verurteilen, denn er hat sich eines abscheulichen Verbrechens schuldig gemacht.«

Einer der Geschworenen runzelte leicht die Stirn, vielleicht weil er den Eindruck hatte, Haviland sei mit dem Begriff »abscheulich« zu weit gegangen. Wenn er sich als Mann des Volkes geben wollte, würde er seine Ausdrucksweise mäßigen müssen.

»Sie alle kennen den Ausdruck ›ohne begründeten Zweifel‹«, fuhr Haviland fort, schritt ein wenig auf und ab und rieb sich das Kinn. »Ich möchte Ihnen erklären, was das bedeutet. Bisweilen haben die Geschworenen die Vorstellung, sie könnten einen Angeklagten nur dann verurteilen, wenn völlig ausgeschlossen ist, dass er unschuldig ist. Das ist nicht richtig. Das Wort ›begründet‹ ist entscheidend: Gibt es Gründe zu glauben, Jacob Kelley sei unschuldig? Würden die Beweise, die wir Ihnen vorlegen werden, ausreichen, um Sie davon zu überzeugen, in einer wichtigen Angelegenheit Ihres persönlichen Lebens tätig zu werden? Das bedeutet das Gesetz, und Richterin Roswell wird Ihnen das Gleiche erklären. Selbst Mr. …«

»Verzeihung, Herr Staatsanwalt«, unterbrach die Richterin. »Sie haben bei Ihrem Eröffnungsplädoyer einen großen Ermessensspielraum, aber ich möchte Sie bitten, von einer Auslegung meiner Ansichten Abstand zu nehmen, denn darin haben Sie keinen Einblick.«

Haviland gab sich zerknirscht. »Ich bitte um Verzeihung, Euer Ehren.«

»Geschworene«, fuhr die Richterin fort. »Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Eröffnungsplädoyers weder Beweise noch Gesetz sind. Sie geben den Rechtsvertretern Gelegenheit, Ihnen den Fall vorzustellen, aber Sie sollten ihnen keinerlei Gewicht bei der Beurteilung des Falles beimessen. Die Zeugen, die sie aufrufen, werden die Beweise liefern, und das Gesetz werde ich erklären.« Sie nickte Haviland zu. »Bitte fahren Sie fort.«

»Danke, Euer Ehren«, sagte Haviland, erweckte aber den Eindruck, er habe etwas Übelschmeckendes verschluckt.

Er machte auf die gleiche Art weiter, doch ihm war der Wind aus den Segeln genommen. Ich musste mich beherrschen, um meine ernste Miene beizubehalten. Der neben mir sitzende Terry hatte jedoch keine Skrupel und lehnte sich mit breitem Grinsen zurück.

»Begründeter Zweifel«, sagte Haviland. »Überlegen wir mal, was das in diesem Fall heißt. Jacob Kelley hat die Waffe in der Hand gehalten. Das können wir beweisen. Er war zornig auf Mr. Vanderhall und wollte Rache. Auch das können wir beweisen. Sie werden erfahren, dass Mr. Vanderhall Mr. Kelleys Frau angegriffen hat. Sie werden von Mr. Kelleys gewalttätiger Vorgeschichte und seiner leichten Erregbarkeit erfahren, zumal wenn es darum geht, dass seine Liebsten bedroht werden. Und schließlich werden Sie erfahren, wie Mr. Kelley seinem Opfer in einen unterirdischen Bunker gefolgt ist und ihn dort erschossen hat. Ich sage Ihnen, dass ich keinen begründeten Zweifel habe und dass auch Sie keinen haben werden, dass Jacob Kelley …« – wieder zeigte er auf mich – »… bei voller Zurechnungsfähigkeit einem Menschen vorsätzlich das Leben genommen hat.«

Haviland setzte sich und nickte selbstzufrieden. Auf mich wirkte die Geste einstudiert, und ich hoffte, dass auch die Geschworenen das so sehen würden.

»Ich danke Ihnen, Mr. Haviland«, sagte die Richterin. »Mr. Sheppard?«

Terry erhob sich schwerfällig, als hätte er Gelenkschmerzen. »Streichen Sie sich diesen Tag in Ihrem Kalender an«, sagte er. Auf einmal hatte er einen texanischen Akzent, der mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war. »Dies ist der Tag, da ein Verteidiger mit der Anklage konform geht. Alles, was Mr. Haviland gesagt hat, war zutreffend.«

Er knickte in der Hüfte ein, als wollte er sich setzen. Ungeachtet meines Vorsatzes, im Gerichtssaal keine Gefühle zu zeigen, fiel mir buchstäblich die Kinnlade herunter, denn einen Moment lang glaubte ich, er habe schon alles gesagt. Dann straffte er sich und fuhr mit einem Augenzwinkern fort: »Na ja, fast alles. Dass mein Klient Mr. Vanderhall getötet hat, ist nicht richtig, aber damit befassen wir uns gleich....


Stöbe, Norbert
Norbert Stöbe, 1953 in Troisdorf geboren, begann schon als Chemiestudent zu schreiben. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker am Institut Textilchemie und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen übersetzte er die ersten Bücher. Sein Roman New York ist himmlisch wurde mit dem C. Bertelsmann Förderpreis und dem Kurd-Lasswitz-Preis ausgezeichnet. Seine Erzählung Der Durst der Stadt erhielt den Kurd-Lasswitz-Preis und die Kurzgeschichte Zehn Punkte den Deutschen Science Fiction Preis. Zu seinen weiteren bekannten Romanen zählen Spielzeit, Namenlos und Der Weg nach unten. Norbert Stöbe ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Schriftsteller. Er lebt als freier Autor und Übersetzer in Stolberg.

Walton, David
David Walton wurde 1975 geboren, und wenn er nicht gerade schreibt, arbeitet er als Ingenieur für den amerikanischen Raumfahrtkonzern Lockheed Martin. Er wurde für seine Romane und Kurzgeschichten bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Philip K. Dick Award. David Walton lebt mit seiner Familie in der Nähe von Philadelphia.



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