Waßmann | In des Greifen Schatten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 181 Seiten

Waßmann In des Greifen Schatten


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95765-995-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 181 Seiten

ISBN: 978-3-95765-995-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein König, der durch die Trümmer seines Reiches flieht. Ein Mädchen, das um sein Leben läuft - unterstützt von ihrem ärgsten Feind. Die grausamen Folgen der Wahrheit. Arndt Waßmann öffnet in dieser Kurzgeschichtensammlung eine fantastische Welt, in der die Schicksale von Herrschern wie Hexen neu geschrieben werden und ein Bauernmädchen über das Los ihres Dorfes entscheidet.

Arndt Waßmann wurde in einem beschaulichen Dorf im Westen Sachsens geboren. Seine Faszination für Literatur und das Schreiben erwachte früh und verlosch seitdem nie. Sein Hauptinteresse liegt dabei im Bereich Fantasy und Science Fiction, da sie ermöglichen, Träume und Alpträume zu schildern, ohne an die Wirklichkeit der Gegenwart gebunden zu sein. Seit 2009 veröffentlichte er über dreißig Kurzgeschichten und ging als Sieger aus mehreren entsprechenden Wettbewerben hervor. Im Jahr 2015 erschien sein erster Fantasyroman 'Der Weg der Maga', der 2016 für den SERAPH-Phantastikpreis nominiert wurde. 2016 erschienen außerdem zwei Sammlungen von Kurzgeschichten: 'Schnee, der auf Tränen fällt' (Mystery) und 'In des Greifen Schatten' (Fantasy).

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Die letzte Hoffnung
  König Lasgar stand am Rande der Klippen. Brodelnde Gischt brandete tief unter ihm gegen die Felsen. Die Felsen, auf denen er sein Schloss erbaut hatte. Die Felsen, die jetzt die letzte Hoffnung für Krone, Reich und sein Leben waren. Sacht wog er einen goldenen Gegenstand in den Händen: das Horn von Tamaris, Sinnbild des Reiches – und Sinnbild der Göttin, die es beschützte. So sagten es zumindest die alten Legenden. Aber würde sie wirklich kommen? Und was, wenn sie es tat? Entschlossen setzte der König das Horn an die Lippen. Es spielte keine Rolle mehr. Dies – oder der Untergang. Ein langer, fast klagender Ton bahnte sich seinen Weg über die Wasser. Seit Generationen lag das Horn im Besitz der Könige von Lassarien. Gehütet wie ein Augapfel, gefürchtet wie eine giftige Schlange. Keiner der Vorväter hatte je gewagt, es einzusetzen und Tamaris, die Göttin des Meeres, der Flüsse und des Regens, zu rufen. Doch wenn er jetzt nicht handelte, würde es keine Könige, kein Schloss und kein Lassarien mehr geben. Noch einmal ließ König Lasgar das Horn an den Klippen erschallen. Was dann geschah, raubte ihm den Atem: Das stets tosende Meer ward zu einer ebenen, spiegelnden Fläche. Stille legte sich über die See, und den besänftigten Wogen entstieg eine Gestalt, gänzlich aus Wasser geformt. Tamaris – tatsächlich erschienen. Wasser war ihr fließendes Kleid, das in tausend Farben schimmerte. Wasser war ihr langes Haar, das sich leicht bewegte. Und Wasser waren die tiefblauen Augen, die den Herrscher anblickten. »Du hast mich gerufen, als erster seit Langem. Was beschwert dein Herz so sehr, dass du meine Hilfe erflehst?« Jene Stimme entstammte einer anderen Welt. Im Geiste des Königs verschmolzen das donnernde Tosen eines Wasserfalls, das Rauschen der Wellen und das sanfte Plätschern eines kleinen Baches, durchdrangen sich, wechselten einander ab. Er sank auf die Knie. »Oh große Tamaris, Herrscherin des Meeres, Quell allen Lebens, ich erbitte Beistand gegen die Gefahr aus dem Süden. Drei Reiche, deren Bruderzwist uns all die Jahrhunderte hindurch schützte, haben sich vereint, um Lassarien für alle Zeit von dieser Welt zu tilgen. Die Menschen hier haben dir immer treu gedient, dir Opfer gebracht, dich verehrt. Wenn die Südlande über uns hereinbrechen, wird keiner von uns verschont bleiben. Und so bitte ich dich: Hilf uns in unserer größten Not!« »Ja, ihr habt mich verehrt. Und ich habe dafür gesorgt, dass eure Felder grünten und die Netze der Fischer sich füllten. Ich habe Leben geschenkt. Doch jetzt bittest du um Tod, den Tod eurer Feinde.« Der König erhob sich. »Ja, ich bitte. Denn diese Bitte ist die letzte Hoffnung, die mir noch bleibt. Der Feind steht bereits im Tal der Sona. Unsere Armee ist geschlagen, die Dörfer brennen, mein Volk stirbt.« »Du kennst die Gravur des Horns?« »Bedenke deine Wünsche, und bedenke die Opfer!« »Nun denn, deine beiden Kinder für meine Hilfe.« Die Gestalt der Göttin verschmolz wieder mit dem Wasser, aus dem sie entstiegen war. Die Brandung setzte ein. Alles war wie immer. Und doch würde nichts mehr sein wie zuvor.   »Vater, was gibt es da noch zu überlegen?!«, rief Lasmund aufgebracht. »Richtig«, schloss sich seine Schwester an. »Wir sind deine Kinder, die Kinder des Königs. Wenn nur durch unser Opfer das Reich bestehen kann, dann soll es so sein.« Der König blickte die beiden an. Sie waren Zwillinge, das gleiche blonde Haar, die gleichen blauen Augen. Fast so blau wie die der Meeresgöttin, doch unendlich wärmer und freundlicher. Sollte er wirklich sein eigen Fleisch und Blut opfern? Durfte er es? Musste er es gar? »Es steht immer noch der Weg über die Kupfernen Berge im Osten offen. So rasch stoßen die Südländer nicht vor.« »Fliehen? Und als Verbannte leben? In ewiger Schande?« Lasgerds Stimme klang sanft, trotz ihrer Worte. »Aber immerhin leben«, antwortete der König tonlos. Lasgerd trat zu ihrem Vater, strich ihm sacht über die Wange und küsste seine Stirn. »Ich weiß, dass du uns nur beschützen willst. Und dafür danke ich dir. Aber du hast Lasmund und mich lange genug vor allen Gefahren bewahrt. Dank dir können wir heute selbst entscheiden. Keiner von uns möchte sterben. Doch wenn wir einfach hierbleiben, werden wir ohnehin getötet. Und ein Leben auf der Flucht, fern der Heimat, die es dann nicht mehr gibt, wäre kein wirkliches Leben. Also ist die Wahl gar nicht so schwer.« »Meine Schwester hat recht, Vater«, sagte Lasmund. »Wenn Tamaris dafür unser Leben fordert, so soll sie es bekommen.« Der König stand auf, verzweifelt – und doch auch stolz auf seine Kinder. Sie wären gute Herrscher geworden.   Die Sonne erreichte den Horizont und tauchte das Meer in ein blutiges Rot. Kleine Wellen umspülten die Füße des Königs und seiner Kinder. Tränen glänzten in ihren Augen. Die Stunde des Abschieds war gekommen. Fest drückte er die beiden an sich. Nur zu gern wäre er an ihrer statt gegangen. Aber die Göttin ließ nicht mit sich handeln, so wie auch die See nie mit einem Fischer handelte. Lasgerd und Lasmund schritten Hand in Hand durch die Brandung. Immer tiefer versanken sie in den Fluten. Ein letztes Winken, ein letzter Blick. Dann erfasste sie eine plötzliche Woge – und das Meer lag wieder so friedvoll und schweigend da wie zuvor. König Lasgar setzte sich unendlich müde in den Sand. Alle Kraft, alle Freude war aus ihm gewichen. Viel zu früh war seine Gemahlin von ihm gegangen, und nun auch noch seine Kinder. Selbst wenn Tamaris das Reich rettete, für ihn gab es keine Zukunft mehr. Erst unmerklich, dann immer stärker schwoll ein Rauschen in seinem Kopf an. Das Rauschen der Brandung, die Stimme der Göttin: »Bedenke deine Wünsche, und bedenke die Opfer! Du hast meine Hilfe erbeten – und ich werde sie dir gewähren. Jetzt geh in dein Schloss, bevor die Sonne hinter den Horizont sinkt.« Kraftlos und von einer Verzweiflung erfüllt, die nimmermehr weichen würde, stieg König Lasgar die in den Fels gehauenen Stufen zum hoch gelegenen Palast hinauf. Die Göttin half. Das Reich war gerettet. Sein Reich. Nach ihm konnten andere Lassariens Thron besteigen. Doch nicht seine Kinder. Es würde die Zeit der Trauer kommen und auch die Zeit, da er wieder König sein würde, König sein musste, und nicht nur ein verzweifelter Vater. Aber all das lag in ferner Zukunft. Noch stand der Feind an den Grenzen, hatte sie bereits überschritten. Und noch hatte die Göttin ihr Versprechen nicht eingelöst. Der König hielt inne, setzte sich an die Klippen und blickte zum Meer. Das Meer, das ihm alles gegeben und alles genommen hatte. Die Zeit verging. Welle um Welle brandete an das Land, wie es seit Ewigkeiten war und noch in Ewigkeiten sein würde, wenn längst kein Lassarien mehr existierte, längst keine Südlande. Das Leben der Menschen war so klein, so kurz – und dennoch alles, was sie besaßen. Wie musste es für eine Göttin sein, für die ein Tag nur ein Wimpernschlag war, ein Jahrhundert nur ein Augenblick? Doch all das spielte jetzt keine Rolle, denn etwas hatte sich verändert. Der Mond stand hoch am Himmel, und über dem Meer zog ein tosender Sturm auf, der immer näher kam. Wind peitschte die Wasser, und es schien, als stiegen die Wogen von Minute zu Minute höher. Nein, es schien nicht nur so! Eine gewaltige Macht trieb riesige Flutberge an Land, ein Land, das sich schon längst vor Blicken verbarg. Blitze zuckten herab, tauchten alles in gespenstisches Licht. Donner hallte. Hier marschierte die Armee der Göttin Tamaris, die Armee, die keiner aufzuhalten, keiner zu besiegen vermochte. Eine Armee, die nicht zwischen Freund und Feind unterschied. König Lasgar erstarrte. Bedenke deine Wünsche, und bedenke die Opfer! So also hielt die Göttin ihr Versprechen. Hatte sie ihn betrogen? Nein. Tief in seinem Herzen hatte er es geahnt. Er hatte dies nie gewollt, hatte etwas anderes gehofft, und es doch in Kauf genommen. Die Südländer hätten niemanden verschont. Sie waren grausam und gründlich. Und sie standen im Tal der Jona, dem tiefsten Punkt des Reiches. Keiner der Schlächter würde den Fluten entkommen. Viele der Dörfer Lassariens jedoch, auch die meisten Städte, waren auf Hügeln erbaut. Denn Überschwemmungen gab es seit ewigen Zeiten und ebenso die Versuche, Tamaris gnädig zu stimmen. Dennoch, Hunderte würden sterben, Tausende. Den einen nahm die Göttin das Leben, den anderen schenkte sie es. Das Meer war manchmal gnädig, aber niemals milde. Wie gebannt starrte König Lasgar auf die tosenden Wasser. Eine gewaltige Welle näherte sich, die letzte, größte. Er schloss die Augen. Sollte sie ihn mitreißen, wenn sie wollte. Er hatte das Reich beschützt und die Menschen darin, doch unter welchen Opfern. Aber nichts geschah. Er lauschte auf den Sturm, der ebenso plötzlich verklang, wie er gekommen war, auf die Fluten, die wieder zu einfachen Wellen zerrannen – und auf die Stille, die sich über das Land legte. »Vater!«...



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