E-Book, Deutsch, Band 3, 294 Seiten
Wassmer / Probst / Sommer Hochschulbildung der Zukunft
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-8169-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 3, 294 Seiten
Reihe: Zeitschrift für Hochschulentwicklung Jg. 18
ISBN: 978-3-7583-8169-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Hochschulbildung der Zukunft steht vor großen Herausforderungen. Hochschulen sind in Bezug auf ihre Bildungsangebote mit wachsenden Erwartungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen konfrontiert und positionieren sich in einem kompetitiven Feld. Angesichts dieser dynamischen Veränderungen stellt sich die Frage, wie Hochschulbildung künftig gestaltet sein muss, um den rasanten Entwicklungen gerecht zu werden. In diesem Heft befassen wir uns daher mit Konzepten, Analysen und Ideen zur künftigen Hochschulbildung. Hierbei fokussiert das Heft auf die Organisation und Governance der Hochschulbildung, auf die Öffnung der Hochschule und die Individualisierung der Bildung, auf künftig relevante Kompetenzen, die Studierende erlangen müssen, sowie auf neue Formen von Prüfungen und Prüfungssettings.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kerstin MAYRBERGER (Hamburg)1
Ambidextrie und Agilität für Handlungsfähigkeit im (digitalen) Wandel – Agile Educational Leadership als Rahmen für die Entwicklung und Gestaltung einer Hochschulbildung der Zukunft
Zusammenfassung
Ausgehend von aktuellen Herausforderungen in der Hochschulbildung im digitalen Wandel bzw. in der digitalen Transformation, schlägt der Beitrag das Konzept von Ambidextrie als mögliche lösungsorientierte Perspektive für die Hochschulbildung vor und betont dabei die Notwendigkeit einer Ermöglichung einer Gleichzeitigkeit von Innovation und Anpassungsfähigkeit wie auch Stabilität und Optimierung. Darüber hinaus wird eine werte- und prinzipienorientierte Perspektive vorgestellt, die die Bedeutung von Agilität als Leitprinzip für die Bewältigung komplexer Probleme hervorhebt. Die beiden Perspektiven Ambidextrie und Agilität werden unter dem Dach des transdisziplinären Rahmenwerks Agile Educational Leadership zusammengeführt und eingeordnet. Ein kritisches Fazit mit Ausblick beschließt den Beitrag.
Schlüsselwörter
Digitale Transformation, Agilität, Ambidextrie, Hochschulbildung, Agile Educational Leadership
Agile educational leadership as a framework for the development and design of a higher education of the future
Abstract
Based on current challenges in digital transformation within higher education, this paper proposes the concept of ambidexterity as a possible solution-oriented perspective for higher education. This concept emphasises the need to enable simultaneous innovation and adaptability, as well as balancing stability and optimisation. The paper also presents a values- and principles-based perspective that emphasizes the importance of agility as a guiding principle for addressing complex problems. The two perspectives of ambidexterity and agility are blended and classified under the umbrella of the transdisciplinary agile educational leadership framework. The paper concludes with a critical disussion and an outlook for the future.
Keywords
digital transformation, agility, ambidexterity, higher education, agile educational leadership
1 Einleitung und Problemstellung
Hochschulbildung – besonders im Kontext von digitaler Transformation oder allgemeiner digitalem Wandel – wird seit Jahrzehnten gerade in einschlägigen Konferenzzusammenhängen mit einer Brille auf Zukunft, Wandel, (Weiter-)Entwicklung und Innovation thematisiert. Beispielsweise resümierte Schulmeister 2009 rückblickend auf die damaligen Entwicklungen im E-Learning in der Hochschule sinngemäß, dass in jedem technologischen Fortschritt ein weiteres „Versprechen auf die Zukunft“ der Hochschulen bzw. Hochschulbildung projiziert werde (SCHULMEISTER, 2009, S. 317). Sich mit kritischem wie auch konstruktivem Blick über die Hochschulbildung der Zukunft Gedanken zu machen, erscheint zu jedem Zeitpunkt erneut lohnenswert – wenngleich Themen sich selbstverständlich weiterentwickelt haben, wieder von der Agenda verschwunden oder neu hinzugekommen sind. Sie lassen sich heute breit fächern, angefangen von Fragen nach zukunftsorientierten Fertigkeiten und Fähigkeiten von Studierenden (und Lehrenden) im Feld von Future Skills oder Data Literacy (Education), mögliche alternative Lern- und Studienmodelle über die Lebensphasen hinweg oder stetig die Fragen zur Integration von jeweils neueren Technologien wie beispielsweise AR/VR oder Robotik bis hin zur Reflexion von sehr viel grundlegenderen Veränderungen durch technologische Entwicklungen wie sie im Kontext Künstlicher Intelligenz stattfinden – bis hin zu mitunter stärker von Bildungsprinzipien und -idealen getragenen Perspektiven, wie beispielsweise im Kontext von Open Education und Open Educational Pracitces (OEP). Also – wie mit diesem Themenheft intendiert – auch jetzt wieder. Welche aktuellen Herausforderungen liegen gerade jetzt für die Hochschulbildung mit Blick auf deren Zukunft vor – und welche Lösungen bieten sich bereits an?
1.1 Wo liegen derzeitige Herausforderungen in der Hochschulbildung?
In den letzten Jahren erscheint es mit Blick auf die öffentliche (deutschsprachige) Diskussion, als ob die Entwicklung der Hochschulbildung vor allem von großen Themen wachgerüttelt – oder zumindest angestoßen – wurde und noch wird. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren: Das sind zum einen die seit 2020 vielfach geführten Diskussionen, geteilten Herausforderungen und vielfältigen praktischen Hinweise und gelungenen Erfahrungen im Umgang mit der Corona-Pandemie. Die Frage nach der Rolle und Bedeutung einer Präsenzhochschule nach diesen Erfahrungen steht ebenso im Raum wie die Idee einer Blended University. Und es scheint sich vor allem Ernüchterung darüber einzustellen, was aus dieser Zeit von über fast drei Jahren im Nachgang tatsächlich Eingang in die bestehenden Strukturen und Entwicklungen von Hochschulbildung gefunden hat. Zum anderen knüpft die spätestens seit November 2022 geführte Diskussion um die Rolle von ChatGTP für die Hochschulbildung und ihre Rolle hier an. Wenngleich im ersten Beispiel das Thema E-Learning oder Digitale Lehre in der Hochschule nicht neu war und beim zweiten Beispiel das Thema KI für Hochschulbildung nach dem langjährigen technischen, didaktischen wie ethischen Ausloten von Möglichkeiten von Learning Analytics und Data Education Mining nicht gänzlich unerwartet kam, so vereint beide ein disruptives Momentum, mit dem sich jeweils buchstäblich von einem Tag auf den anderen die jeweils alltäglich vorliegende Situation oder Routine verändert hat. In beiden Fällen war der Alltag in der Hochschulbildung ab dann ein anderer als zuvor. Beim einen setzte ein Krisenmodus ein und ein Narrativ vom konnte sich lange halten. Beim anderen sind die ersten Reaktionen in der Hochschulbildung eher diskursiver Art und veränderte Praktiken zeichnen sich zunehmend dort ab, wo die Frage nach einem Statuserhalt bereits nicht mehr gestellt wird und Handreichungen zum konstruktiven und integrierenden Umgang publiziert werden.
Beides sind Themen, die zugleich im Feld der digitalen Transformation der Hochschulen bzw. Hochschulbildung liegen. Möglicherweise können sie rückblickend Meilensteine einer Weiterentwicklung von Hochschulbildung in der Digitalität sein und gar zu einer postdigitalen Hochschulbildung ermutigen – oder rückblickend auch nicht ergriffene Chancen und Möglichkeiten bleiben, die sich für gegenwärtiges wie zukunftsorientiertes Handeln geboten hätten.
1.2 Welche Lösungsperspektiven scheinen in der Hochschulbildung derzeit noch offen?
Die beiden herausgestellten Beispiele können exemplarisch stehen für ein wiederholtes, disruptives wie auch evolutionäres Potenzial zur tiefgreifenden Weiterentwicklung von Hochschulbildung aus dem Kontext der Digitalisierung hin zu einer Hochschulbildung in der Digitalität oder gar postdigitalen Hochschulbildung. Letztere Digital-Bezeichnungen zeichnen sich explizit dadurch aus, dass sie über reine Technisierung bzw. einen technischen Duktus von Digitalisierung deutlich hinausgehen und soziale Praktiken wie kulturelle Veränderungen bis hin zu einem integrativen Neben- und Miteinander von medialen oder digitalen Dualitäten, die vormals im Bildungskontext als analog und digital oder physisch und virtuell gegenübergestellt wurden (u. a. STALDER, 2019; MACGILCHRIST, 2023), implizieren.
Und deshalb bezieht sich das Potenzial der genannten Beispiele zur Weiterentwicklung von Hochschulbildung ausdrücklich nicht nur auf die (Mikro-)Ebene von Lehren, Lernen und Prüfen mit entsprechenden Forderungen nach spezifischen weiteren Kompetenzen bei Lernenden und Lehrenden, sondern es meint umfassend betrachtet alle Ebenen der Hochschule als Bildungsorganisation und Institution. Denn alle Ebenen schaffen den spezifischen Rahmen einer Hochschulbildung, in der Forschungsorientierung und -nähe in der Lehre wie Ideen von Bildung durch Wissenschaft ebenso Merkmale sind wie Lernen entlang wissenschaftlicher Prinzipien und Persönlichkeitsbildung mit Blick auf die fachlichen Aufgaben und die gesellschaftliche Verantwortung, die die Lernenden bereits heute und zukünftig übernehmen werden.
Und so wird hier – durchaus etwas überspitzt – der interpretative Schluss aus den beiden skizzierten Beispielen gezogen und die entsprechende Frage mit Blick auf die Zukunft von Hochschulbildung danach gestellt, wieso Debatten dieser Art bei Neuerungen in der Entwicklung und Qualität von Hochschulbildung über weite Strecken von Dualitäten oder plakativer formuliert einem wenig zielführenden Entweder-oder (an-)getrieben werden: Entweder Online-Lehre oder Präsenz-Lehre! Entweder ChatGTP in der Hochschule verbieten oder Prüfungen ganz abschaffen! Auf diese Weise besteht die Chance, dass jegliche Energie und jegliches Potenzial zwischen den dualen Positionierungen zerrieben wird. Mitunter scheint so bis heute im Nachgang zu den gemachten Erfahrungen in der Corona-Pandemie vielerorts mit weitem Blick auf die...




