Waterfeld | Was vom Hummer übrig blieb | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Waterfeld Was vom Hummer übrig blieb

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-359-50054-4
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-359-50054-4
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"So ein kleines Büchlein ist keine große Aufregung wert. Wenn ich mich über jede mediale Unverschämtheit echauffieren würde, hätte ich viel zu tun", sagt Fraktionsvorsitzender Gysi. Dabei zieht er längst die Fäden, um an das Manuskript zu kommen. "Dieses Manuskript muss aus dem Verkehr gezogen werden", sagt auch der Verfassungsschutz. Und hat ganz andere Gründe. Erzählt wird von Politik und Literatur, von Brüderschaften kochender Männer, Paartherapeuten und Whistleblowern. Es ist ein Roman über die Verhinderung eines Romans, eine Geschichte, die sich so spannend wie unterhaltsam in immer neue Verwicklungen fortschreibt.

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1. Kapitel
Kismet
Ronen schlug die Augen auf und wurde vom strahlenden Weiß seines Schlafzimmerdekors geblendet. Weiße Laken, drei Schichten weiße Vorhänge, lackweißer Kleiderschrank, weißer Ledersessel vor weißem Schreibtisch, weißes Polsterbett, weißer Flokati auf weiß getünchten Dielen. An weißen Wänden weiße Bilder in weißen Rahmen, weiße Nachttische, weiße hüfthohe Riesenkerzen und ein großer Spiegel in weiß-goldener Barockrahmung leicht angeschrägt über dem Bett, der gar nicht anders konnte, als das wunderlauchweiße Weiß zu spiegeln. Rivka hatte das Weiß in sein Leben gebracht. Weiß, weiß, weiß wollte sie, eine Personal Cloud, ein weißsames Liebesnest. Weiß gab nichts vor, Weiß wollte nichts, Weiß ließ alles zu, sich auf alles ein, Weiß war weise, schwieg, schluckte und schmiegte sich an. Er lauschte einige Minuten ihren ruhigen Atemzügen, bevor er vorsichtig den Kopf drehte und sich vergewisserte, dass sie noch immer so atemberaubend schön war wie gestern Nacht und gestern Morgen und am Tag zuvor. So ein Gesicht konnte nur erfunden werden. Auch jetzt wieder, da er sie sah, schlafend, seine Blicke duldend, wollte er schreien: Photoshop! Photoshop! Zum wunschweißen Liebesnest hatte sein Kumpel Mo sofort eine ablehnende Haltung eingenommen: »Weißt du, Ronen, warum das Hollywoodkino so erfolgreich ist? Weil es niemals, wirklich niemals, in keinem Raum weiße Wände gibt. Das ist ein Gesetz. Niemals weiße Wände, nie. Nur Farben vermitteln Stimmungen. So, und jetzt kuck dir das deutsche Kino der vergangenen zwanzig Jahre an: weiße Wände. Weißte Bescheid.« Ronen hingegen vertrat die Meinung, dass es sich bei einem Weißüberschuss gänzlich anders verhielt, da ein Weiß-Overthetop quasi eine Rückkopplung erzeugte, eine Art Rauschen. Und aus diesem Rauschen heraus entstünden überhaupt erst authentische Gefühle. Jede andere Farbgebung erzeuge, da war er sich sicher, lediglich artifizielle Stimmungen, und die seien ja wohl verheerend im Schlafzimmer. Mo begrüßte zwar seine leidenschaftliche Verteidigung und wertete sie als positives Zeichen, gab aber zu bedenken, dass anthrazitfarbene Bettwäsche oder der Holzfäller von Malewitsch an der Wand schon einen großen Unterschied machen könnten. Sie diskutierten viele Stunden und genossen, jetzt so nah beieinander zu wohnen – Rivka und Ronen und Mo. Ihr langes schwarzes Haar floss über die Bettkante hinab, bis wohin, konnte Ronen von seiner Seite des Bettes aus nicht sehen. Auf ihrem Gesicht wogten Sommersprossen im weißen Licht. Sie sahen nicht aus wie aufgemalt oder hingekleckst. Es war vielmehr so, als würden sie von irgendwo aus der geheimnisvollen Tiefe bis an die Oberfläche schimmern. Ihre wahre Existenz ließ sich nur erahnen. Wie ein antarktischer Krillschwarm, der erst in seiner Gesamtheit und bei Nacht leuchtend rot seine verlockende Schönheit entfaltet, trieben diese Sprossen ihr Unwesen und veränderten ihre Konstellation mit jeder Woge. Ronen beugte sich noch ein Stück vor. Nicht der kleinste Mitesser, nicht einmal über den Nasenflügeln, keine nachwachsenden Augenbrauenstoppeln, keine Narbe. Nur ein dichter goldener Flaum, der sich vom Haaransatz entlang am Ohr bis hinunter zum Kiefergelenk flauschte und sanft am Hals auslief. All das konnte er ertragen, ohne von seiner Erektion übermäßig gepeinigt zu werden, jedenfalls so lange, bis sie die Augen öffnen würde. »Doch, doch, ich höre zu«, hatte Mo versichert, als Ronen sie beschrieb, »deine Rivka: Hashtag-Bernstein, Hashtag-Feuersbrunst, Hashtag-Zauberwesen. Ist sie Jüdin?« Diese Frage aber hatte Ronen noch gar nicht beantworten können und auch nicht einsehen wollen, inwiefern das von Belang sein sollte, wenn es doch gerade um die Schönheit seiner großen Liebe ging. Außerdem mochte er keine rassistischen Vorurteile, auch wenn er noch nie davon gehört hatte, dass schwarzes Haar in Verbindung mit sehr hellbraunen Augen auf eine jüdische Herkunft schließen ließ. Mo war natürlich über den Namen auf die Herkunftsvermutung gekommen und nicht wegen irgendwelcher phänotypischen Merkmale. Darauf wiederum war Ronen nicht gekommen. Es kristallisierte sich jedenfalls schnell heraus, dass die eigentliche Frage darin bestand, wer hier wohl derjenige mit den Vorurteilen war. Behutsam schob Ronen seine Fingerspitzen an die Schläfe und strich ihr den Pony aus der Stirn. Die Augenlider zuckten, langsam kämpfte sich ihr Bewusstsein aus dem tiefen Grund empor, und ihr entfuhr ein animalisches Geräusch, ein erotisches Schluchzen. Sie spannte beide Beine an und räkelte sich kraftvoll, bereit. Ihre dichten schwarzen Wimpern erzeugten beim Aufschlag einen Windzug, der die Kerzen ausgeblasen hätte, so sie angezündet gewesen wären. Ronen sog vibrierend Luft ein. Bernsteinfarben beschrieb nicht annähernd, was sich ihm darbot. Sandelholztee in goldener Karaffe, orange-safran-glänzende Diamanten, lavabronzenes Kryptonit. An jedem Tag ließ er sich neue Beschreibungen einfallen für diesen Gewaltakt der Evolution. Auf beiden Seiten, an den Innenseiten seiner Oberschenkel, zitterte nun sein Pectineus-Muskel. Gleichzeitig hüpfte ein nervöses Insekt aus seinem Adamsapfel, um wilde Kreise unter der Haut seiner Halsgrube zu rennen. Sofort wollte er mit ihr verschmelzen, sofort. Energisch legte er sich auf sie und spannte mit beiden Händen die Haut ihrer Wangen, bis sie den Mund öffnete und er ihre Zunge sah. Rivka gab sich hin. Sie fühlte wie er. Sie begehrte ihn wie er sie. Sie liebte ihn wie er sie. Sie vertraute ihm wie er ihr. Noch nie hatte sich Ronen so sicher gefühlt. Diese Liebe war nicht nur absolut, sie war alternativlos. An Liebe glaubte er ursprünglich nicht. Liebe war für ihn ein langweiliges, ausgelutschtes Klischee, ein Gemeinplatz, ein Topos, der hartnäckig von Generation zu Generation konserviert wurde. Inzwischen gab er Platon recht, witterte sogar eine Verschwörung, wenn er die Verschiebung der Begriffsbedeutung bedachte. Heutzutage galt als platonische Liebe eine Liebe ohne sexuelles Interesse. Da war sie doch schon wieder, die Propagandafront. Angeblich wollte Platon von Sex nichts wissen, genauso wie Marx nichts weiter als ein sexistischer Lustmolch war, der die Zugehfrau schwängerte. Rivka und er waren ein Kugelmensch im platonischen Sinne, von Zeus persönlich auseinandergeschlachtet. Und dennoch fanden sie einander. Sie hatte ihn mit ihren Seherinnen-Augen gesucht und er mit seiner sehnsüchtigen Seele Signale gefunkt. Natürlich hatten sie Platon umdeuten müssen. Schwule und Lesben – genauso normal und genauso häufig vertreten wie Heten. Das durften sie nicht zulassen, sie, die Philosophen oder Faschisten oder die Politiker oder die Feuilletonisten oder die Bilderberger oder wer auch immer das veranlasste. Da krempelten sie eben die gesamte platonische Liebe um und verlullten sie zu irgendeiner verwaschenen Freundschaftskiste. Erst die kapitalistische Verschwörung erschuf nicht nur den verfickten American Dream, sondern auch die Homophobie. Direkt gelesen hatte er Platon jetzt nicht gerade, auch keine Übersetzung. Das musste er aber auch gar nicht. Er war durchaus in der Lage, sich den Rest zusammenzureimen, wenn er online ein paar Artikel zu Kugelmenschen las. Zwar hätte er es nicht laut gesagt, aber insgeheim sprach sich Ronen ein gewisses philosophisches Talent zu. Mo war baff, als er die Kugelmenschthese vorgetragen bekam. »Ey, Ronen, nimm’s mir nicht übel, aber ich bin echt sprachlos. Ich glaube, du hast da was ganz krass nicht verstanden.« Ronen aber hatte seinem Freund den Finger auf den Mund gelegt und »sch, sch, sch« gescht. »Nee, Mo, jetzt musst du mir einfach mal zuhören. Diesmal hab ich nämlich echt ’nen Plan, ich hab superviel gelesen in den letzten Tagen zur platonischen Liebe.« »Superviel! In den letzten Tagen. Verstehe. Na, dann, leg mal los.« »Aaaalso. Eros wurde bei ’ner Party in der Besenkammer gezeugt, quasi. Und seine Mutter war halt so ’ne abgeranzte Olle, abgefuckt, schmuddelig, Pennerstyle. Die personifizierte Armut im Grunde.« »Pennerstyle?« »Scht jetzt. Sie hieß Penia. Penia-Penner, Eselsbrücke – you know?« »I really don’t know if I should know.« »Pscht. Jedenfalls hat sie mit einem angebändelt, der total hinüber war, rotzebesoffen.« »Lass mich raten: Er hat den ganzen Abend Portwein getrunken.« »Hääää?« »Poros-Portwein. Eselsbrücke, you know? Ronen, ich kenne die Geschichte: Poros und Penia, der Wegfinder und die Armut, kriegen ein Kind, Eros. Er ist beides: arm und weise, strebt nach dem Schönen und Guten. Ich hab den ganzen Kram gelesen, als ich acht war oder...


Sarah Waterfeld, geboren 1981 in Berlin, studierte Neuere deutsche Literatur und Politik an der FU Berlin sowie Medienwissenschaften an der Universität Potsdam, trat 2012 eine Stelle im Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linksfraktion an und war anschließend Lehrbeauftragte für Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam. 2015 erschien ihr Debütroman "Sex mit Gysi".



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