E-Book, Deutsch, Band 3, 373 Seiten
Weber Der Inselhof in Woodside Bay
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98690-938-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Verliebt auf der Isle of Wight, Band 3 - Für Fans von Susanne Oswald und Jenny Colgan
E-Book, Deutsch, Band 3, 373 Seiten
Reihe: Verliebt auf der Isle of Wight
ISBN: 978-3-98690-938-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Annette Weber, 1956 in Lemgo geboren, schreibt seit über 20 Jahren Romane, in die sie stets ihre Begeisterung für Pferde einfließen lässt. Annette Weber ist verheiratet, hat drei Söhne, sechs Enkelkinder und lebt in der Nähe von Paderborn. Die Autorin im Internet: www.annette-weber.com/ und www.sina-trelde.de Bei dotbooks veröffentlichte Annette Weber ihre »Verliebt auf der Isle of Wight«-Reihe mit den Romanen »Das Cottage in Seagrove Bay« und »Die Teestube in Freshwater Bay«, die auch als Hörbücher bei SAGA Egmont erhältlich sind. sowie ihre Familiensaga um »Gut Werdenberg« mit den Bänden »Stürme einer neuen Zeit« (auch erhältlich im eBundle »Schicksalstöchter - Aufbruch in eine neue Zeit«) und »Hoffnung eines neuen Lebens«.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Noah
Madonna ging es nicht gut. Das konnte ich ihren Ohren ansehen. Sie hingen herab wie Fahnen, die man auf halbmast gesetzt hatte. Die Kleine nagte lustlos an ihrem Heu herum. Die Ohren und der Appetit waren deutliche Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich wusste, dass ich auf die kleinsten Anzeichen achten musste. Darum begann jeder Morgen damit, den Blick aufmerksam über die große Herde gleiten zu lassen. Schafe waren leidensfähig, und man musste genau hinschauen, wenn man rechtzeitig bemerken wollte, ob eines erkrankte. Alle Tiere hatten im Moment dickes lockiges Fell, so dass man nicht erkennen konnte, ob sie abgemagert waren. Aber die Ohren waren immer ein untrügliches Zeichen. Wenn sie herunterhingen, musste man eingreifen.
Madonna befand sich etwas außerhalb der Herde, auch das war ein Indiz dafür, dass sie krank war.
Ich sah mich nach meinen Hunden um.
»Anuk!«, rief ich.
Augenblicklich spitzte die Border-Collie-Hündin ihre Ohren und schaute in meine Richtung.
»Come by!«
Das war der Befehl, die Herde von links zu umkreisen.
Anuk sprang sofort auf. Sie liebte es, für mich zu arbeiten, und begann, die Schafe zu umrunden. Als sie bei Madonna angekommen war, gab ich ihr den Befehl, sich abzulegen. Dann ging ich langsam zurück.
»Walk on«, rief ich.
Langsam trieb Anuk das Schaf auf mich zu. Das gefiel Madonna nicht. Sie versuchte, der Hündin zu entwischen, aber Anuk hatte das sofort durchschaut. Sie rannte nun in einer Zickzacklinie hin und her und trieb das Schaf weiter auf mich zu.
»Buddy! Keep off!«, rief ich den anderen Border Collie zu Hilfe. Er umkreiste Madonna nun von rechts, und gemeinsam schafften sie es, das Schaf zu mir zu treiben. Als es auf Armeslänge vor mir stand, gab ich den Hunden den Befehl, von dem Schaf abzulassen: »Lie down!« Dann zog ich das Kraftfutter aus meiner Hosentasche und lockte es an. Madonna war eines meiner ältesten Schafe, und wir kannten einander. Trotzdem war sie natürlich ein Fluchttier, da waren sie alle gleich, und darum setzte sie alles daran, wieder zu entkommen. Also griff ich ihre Schnauze mit der einen Hand, meine andere Hand legte sich um ihr Becken, und dann zog ich sie so nah an meinen Oberschenkel, dass sie nicht entwischen konnte. Dabei bog ich ihren Kopf nach hinten. Madonna kannte den Griff und ließ ihn fast stoisch über sich ergehen. Ich tastete ihren Körper ab, drehte dann ihren Kopf zu mir und öffnete ihre Lippen. Da sah ich die entzündete Veränderung an den Schleimhäuten. Als ich die Stelle berührte, zuckte Madonna zusammen.
»Hee, ruhig, ich hab’s schon«, redete ich beruhigend auf sie ein.
Sie betrachtete mich nun voller Vertrauen.
Lippengrindinfektionen waren Gott sei Dank keine sehr schlimmen Infektionskrankheiten und durch eine Creme meist recht schnell zu heilen. Darüber war ich sehr froh. Madonna gehörte nämlich zu den Schafen, die mir ganz besonders ans Herz gewachsen waren. Sie war schon vier Jahre alt, hatte in jedem Jahr Zwillingslämmchen bekommen und zeigte sich stets als geduldiges Mutterschaf. Sie war so etwas wie die graue Eminenz in meiner Herde, ein echtes Leitschaf. Auch die anderen Schafe hatten großen Respekt vor ihr, und sie ersetzte mir manchmal sogar den Hütehund, wenn sie die Herde anführte oder in die eine oder andere Richtung trieb. Wenn sie krank war, ging es mir auch sofort schlechter.
Für einen kurzen Moment ließ ich sie wieder frei und ging zu dem Medizinschränkchen, der sich im Stall befand, um eine Creme für sie zu suchen. Als ich zurückkam, hatte sich Madonna schon wieder aus dem Staub gemacht. Da waren die Schafe wie die Menschen – Medikamente mochten sie nicht. Ich rief Anuk erneut und leitete sie an, Madonna wieder zu mir zu treiben. Sobald sie vor mir stand, griff ich beherzt in ihr Fell und klemmte sie anschließend zwischen meinen Beinen fest.
»Hallo? Ist hier jemand?«, hörte ich eine Stimme. Sie kam aus dem Stall.
»Ich bin hier draußen!«, rief ich zurück.
Dann drehte ich Madonnas Kopf zu mir und öffnete ihre Lippen mit dem Zeigefinger. Mit der anderen freien Hand drehte ich den Deckel der Tube auf und drückte ein Stück der Creme heraus, um es anschließend auf Madonnas Lippen zu schmieren. Madonna blökte verärgert, aber das ignorierte ich.
»Hier draußen? Wo? Ah, hallo!«
Anuk und Buddy schlugen gleichzeitig an.
»That’ll do!«, mahnte ich und machte ihnen ein Zeichen, sich wieder hinzulegen. Sie gehorchten sofort.
Eine junge Frau tauchte am Rand der Wiese auf. Ich hatte sie noch nie vorher gesehen. Sie sah aus wie eines dieser Emo-Mädchen, schwarze Haare, asymmetrische Bobfrisur, blaue Augen, Metall in der Nase und im Ohr. Um den Hals trug sie ein enges Lederband, das mich an ein Hundehalsband erinnerte. Sie blickte mich verstört an. Offenbar fand sie es komisch, dass ich ein Schaf zwischen den Beinen hatte – und das konnte ich sogar verstehen. Es gab nicht viele Menschen, die wussten, dass man Schafe auf die Weise fixierte. Überhaupt gab es nur wenige Menschen, die sich mit Schafen auskannten.
Ich gab Madonna frei, und sie rannte blökend auf die Wiese.
»Was machen Sie?«, wunderte sich die junge Frau.
»Ich habe Madonna die Lippen eingerieben«, meinte ich und grinste. Sie musste mich für völlig verrückt halten.
»Madonna?«
»So heißt mein Schaf!«
»Ihr Schaf heißt Madonna?«
»Warum nicht. Meine Schafe haben alle Namen«, versuchte ich zu erklären. Gleichzeitig konnte ich ihr ansehen, dass sie an meinem Verstand zweifelte.
»Aber Madonna? Ist das nicht ein komischer Name für ein Schaf?«
»Ich weiß nicht«, gab ich zurück. »Wie heißen Schafe denn sonst?«
Sie überlegte einen Moment lang.
»Dolly«, sagte sie dann.
»Und die 499 anderen Schafe?«
Jetzt zuckte sie die Achseln und sah ein bisschen überfordert aus.
»Weiß nicht. Dora vielleicht. Warum? Wie heißen Ihre denn?«
Ich sah mich um, zeigte dann auf mein Lieblingsschaf.
»Das ist Katy Perry«, erklärte ich. »Und das daneben ist Ava Max. Die da vorne mit den Sommersprossen ist Beyoncé …«
Jetzt lehnte sie sich an die Stallwand und starrte mich fassungslos an. Dann fing sie an zu lachen.
»Sie verarschen mich, oder? Sie können sie überhaupt nicht unterscheiden, stimmt es?«
Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.
»Natürlich kann ich das!«, widersprach ich empört. »Sie sehen doch alle ganz verschieden aus.«
»Sie haben alle schwarze Nasen und lange weiße Locken.«
»Man muss eben genauer hinschauen«, erklärte ich.
Es war ihr anzusehen, dass sie mir nicht glaubte. Aber das konnte ich auch nicht ändern. Es gab viele Menschen, die davon überzeugt waren, dass Schafe alle gleich aussähen, und dann achteten sie nicht darauf, ob die Ohren spitzer oder die Augen schmaler waren. Zugegeben, ich hatte das selbst erst lernen müssen, aber nun konnte ich das ohne Probleme. Ich war mir sogar sicher, dass ich die meisten meiner Schafe mit geschlossenen Augen voneinander unterscheiden konnte, schon allein, weil sich die Wolle so anders anfühlte. Es war wie bei Eltern, die eineiige Zwillinge bekamen. Sie konnten ihre Kinder ja auch auseinanderhalten.
»Aber Sie sind sicher nicht zu mir gekommen, um mich nach den Namen meiner Schafe zu fragen«, erinnerte ich sie.
Sie sah immer noch irritiert aus. »Nein, natürlich nicht. Ich wollte wissen, ob du Wolle für mich hast.«
Von jetzt auf gleich war sie zum Du übergeschwenkt. Wahrscheinlich hatte ich mir ihre Zuneigung erarbeitet.
»Nicht mehr so ganz viel«, musste ich zugeben. »Höchstens 20 Kilo. Die Schafe werden aber im nächsten Monat geschoren. Dann kannst du so viel haben, wie du möchtest.«
Sie betrachtete Katy Perry.
»Die haben eine tolle Mähne«, stellte sie fest. »So lockig – und bestimmt auch ganz weich.«
Jetzt versuchte sie, Katy Perry zu streicheln, aber die machte einen erschrockenen Satz in meine Richtung. Durch den Satz nach vorne kam Bewegung in die Schafherde. Alle zuckten nun zusammen und rannten ein Stück in eine andere Richtung. Nun sah auch die Emo-Frau ganz erschrocken aus.
»Huch! Entschuldigung«, murmelte sie.
Ich winkte ab. »Schafe sind keine Kuscheltiere«, erklärte ich. »Sie sind ziemlich schreckhaft und außerdem Fluchttiere.«
»Aber dich scheinen sie zu mögen. Katy Perry flüchtete gleich zu dir«, stellte sie fest.
»Na ja, sie kennen mich«, winkte ich ab. »Aber sie mögen mich nur, weil sie von mir das Futter bekommen. Darauf muss ich mir nicht so viel einbilden.«
Jetzt lachten wir beide. Wenn sie lachte, sah sie sympathisch aus. Ihre hellblauen Augen bildeten einen großen Kontrast zu den schwarzen Klamotten und den schwarzen Haaren. Ich fragte mich, was sie wohl mit der Wolle machen wollte. Vielleicht strickte und nähte sie Kuscheltiere und verkaufte sie auf Flohmärkten. Sie war eigentlich so eine typische Flohmarktfrau – keine Ahnung, woran ich das ausmachte, aber das fiel mir so zu ihr ein. Keine feste Stelle, mehr so Freiberuflerin.
»Das sind Teeswaterschafe«, erklärte ich nun. »Ich züchte sie extra, weil sie ganz hochwertige Wolle haben. Also, wenn du Wolle zum Stricken und Filzen brauchst …«
Sie zögerte einen Moment. »Ich bin Künstlerin«, sagte sie dann.
Na bitte! Ich und meine Menschenkenntnis!
»Wir haben mit einer Gruppe freischaffender Handwerker und Künstler die Alte Weberei in Ryde gekauft. Ich mache Wollkunst, andere stellen Plastiken aus Stoff- und Wollresten her, aber wir haben auch Künstler, die mit Holz und Farbe...