Weerth | Das Blumenfest der englischen Arbeiter | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 111 Seiten

Weerth Das Blumenfest der englischen Arbeiter


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3954-9
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 111 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3954-9
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Im 'Blumenfest' findet der Leser eine hochkarätige Sammlung der schönsten literarischen Skizzen des deutschen Schriftstellers und Satirikers.

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VI - Der Reisende, wie er ist


Während der Herr Preiss seinem Freunde über den Reisenden schrieb, ›wie er sein soll‹, näherte sich bereits der Tür ›der Reisende, wie er ist‹. Es hatte dem Alten in der Tat beim Schreiben des Briefes nur das Bild dieses ausgezeichneten Mannes vorgeschwebt, in dem er längst jenes ›Menschenjuwel‹ besaß, das er eben in einer zweiten Person so sehnlich herbeiwünschte. Ja, der Herr Fridolin Sommer, der erste Weinreisende im Hause Preiss, trat ins Zimmer, leuchtend und lustig wie ein frischgeschlagener Friedrichsdor. Ein Mann in der Blüte des Lebens; ein Mann, nicht zu dick und nicht zu dünn; ein Mann, nicht zu alt und nicht zu jung; ein Mann, der gelebt hatte, ohne abgelebt zu sein; ein Mann, der gerieben war, ohne aufgerieben zu sein; ein Mann, dem die phantastisch gekräuselten Haare nicht übel standen, den der romantische Schnurrbart ausnehmend zierte; ein Mann, dessen Zähne schillerten wie Perlen, dessen Hände weiß waren bis in die Fingerspitzen und dessen Hemd reiner war als die Unschuld, vor allen Dingen reiner als sein Gewissen; ein Mann, der Geschmack zeigte in der Wahl seiner Kleider, dessen Frack, dessen Hose und dessen Weste vortrefflich harmonierten; ja, ein Mann, dessen Krawatte in einer unaussprechlichen Weise gebunden war, mit den Zipfeln gen Morgen und gen Abend starrend wie die Arme an einem Meilenzeiger, wie die Flügel an einer Windmühle.

Fast zu gleicher Zeit den Kutscher bezahlend, einige Befehle in betreff seines Gepäcks erteilend und das Comptoirpersonal flüchtig grüßend, war Herr Sommer bis in die Mitte des Zimmers vorgedrungen, wo der würdige Prinzipal plötzlich in seiner Wanderung innehielt und, das Haupt emporhebend, jetzt mit dargebotenen Händen dem Diener bewillkommend entgegeneilte.

Herr Sommer verneigte sich ehrfurchtsvoll. Den Hut vom Kopfe reißend und den Kopf verbindlich lächelnd auf die Brust senkend, riskierte er mit herabhängenden Armen und mit anmutig verschränkten Beinen dasselbe Kompliment, welches schon so viele Leute entzückt hatte, wenn er ihnen in melodischem Tone die frohe Botschaft verkündigte, daß er der Herr Fridolin Sommer sei, der das Vergnügen habe, das Haus Preiss zu repräsentieren, und sich die Ehre gebe, ihnen seine Offerte in Rheinweinen zu machen, beste Qualität und ausnehmend billig.

Erst nach zweimaligem Wiederholen dieser wundersamen Verbeugung wagte er die Hände des Prinzipals mit den seinigen zu berühren und unter herzlichem Druck und Schütteln auf den Ruf: »Ach, da sind Sie ja!« die geistreiche Antwort: »Ja, da bin ich!« folgen zu lassen und: »Ich hoffe, daß Sie sich wohl befinden, Herr Preiss, und daß Sie nicht an der Zukunft verzweifeln in diesen schlimmen Zeiten, wo die Konkurrenz immer größer wird – doch wie befindet sich Ihre werte Familie?«

Da war der erste Sturm des Begrüßens vorüber. Die Rückkehr des Herrn Sommer war ein Ereignis. Der Buchhalter Lenz hatte unwillkürlich drei große Prisen genommen; August, der Korrespondent, legte die Feder auf den Rand des Tintenfasses, und der Lehrling hörte auf im Kopieren der Briefe, andachtsvoll den großen Mann betrachtend, der so glücklich war, mit dem gestrengen Prinzipale händeschüttelnd die freundlichsten Grüße wechseln zu dürfen.

Weder dem Buchhalter noch dem Korrespondenten noch dein Lehrling war es indes erlaubt, schon jetzt ihren Gefühlen weiter Luft zu machen, denn der Prinzipal bugsierte seinen Reisenden sofort in das Geheimkabinett des Geschäftes, wo er ihn mit den Worten: »Nun, was haben Sie denn auf Ihrer Tour ausgerichtet?« in die eine Sofaecke drückte, während er selbst aufmerksam horchend in der andern Platz nahm.

»Die Zeiten sind schlecht geworden – –«, begann Herr Sommer und sah plötzlich so trostlos aus wie ein protestierter Wechsel.

Wir müssen bei dieser Gelegenheit ausdrücklich bemerken, daß es unter Kaufleuten Sitte ist, stets über schlechte Zeiten zu klagen. Und wären die Zeiten so brillant, wie sie sich ein einigermaßen ehrlicher Mann nur denken kann, ja wälzte sich die halbe Kaufmannschaft im Golde herum: die ehrenwerten Ritter von der Bank und der Börse, wenn man sie nach ihrem Verdienste fragte, würden dennoch die Hände ringen und wie Nilpferde, die am Zahnweh leiden, jammernd erwidern, daß die Welt sich mit jedem Tage verschlechtere, daß man kaum das Salz verdiene, geschweige das liebe tägliche Brot, und daß sie alle gesonnen seien, nächstens den ganzen Kommerz an den Nagel zu hängen, um in der Stille und Zurückgezogenheit auf irgendeinem billigen Dorfe von jenem wenigen Fette fortzuexistieren, das ihnen des Schicksals Unerbittlichkeit aus frühern, bessern Zeiten übriggelassen.

Dies ewige Klagen über schlimme Tage, über schlechten Verdienst ist nicht nur jetzt an der Tagesordnung, nein, die hübschesten Anekdoten aus den neunziger Jahren beweisen uns, daß sich damals die Handelswelt nicht weniger darin gefiel, stets die Ohren hängenzulassen, um hinter möglichst sauern Gesichtern die heimliche Freude zu verbergen, daß der schlaue Gott, des Gewinstes ihre Unternehmungen so trefflich unterstützt hatte. So wird uns von einem alten märkischen Fabrikanten erzählt, daß er einem jüngern Verwandten auf die Frage, ob es wohl noch der Mühe wert sei, diese oder jene Fabrik anzulegen, mit schmerzlicher Stimme zur Antwort gegeben habe, er möge sich derlei tolle Pläne aus dem Kopfe schlagen, die Zeiten seien gar zu schlecht geworden, man verdiene kaum 90 Prozent mehr. Selbst auf die Schriftsteller der Handelswelt ist die Sitte des Lamentierens übergegangen, denn fast alle englischen Nationalökonomen schließen ihre Räsonnements mit jenem unüberhörbaren Stoßseufzer über den Verfall des Handels, decline of commerce, – die armen Engländer, die armen Kaufleute!

»Verehrter Herr Preiss, die Zeiten sind schlecht geworden –«, begann der Reisende Sommer, als er mit seinem Prinzipale allein war. »Die Konkurrenz erdrückt uns. Man arbeitet wie bei einer halb verlorenen Schlacht, wie in den Schrecken eines Schiffbruches – ja, wahrlich, das Geschäft bietet wenig Freude mehr.«

»Trösten Sie sich«, unterbrach hier der würdige Prinzipal, dessen feine Nase nur zu gut roch, daß der erfindungsreiche Sommer mit dem Gedanken umging, durch die einleitende Jeremiade das glückliche Resultat seiner Bemühungen doppelt belohnenswert erscheinen zu lassen, »trösten Sie sich, liebster Herr Sommer, wir sind hier unter uns, ersparen Sie sich alle überflüssigen Phrasen. Es ist zwar richtig, daß sich die Welt mit jedem Tage verschlechtert, aber wir Menschen werden auch mit jedem Tage gescheiter, und so korrigieren wir leicht das grause Verhängnis, so daß am Ende des Jahres, wenn wir Bilanz machen, stets das alte gute Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Sagen Sie mir daher freiheraus, was Sie auf Ihrer Reise durchgesetzt haben. Geben Sie mir einen vollständigen Reisebericht.«

Da räusperte sich Herr Sommer und erwiderte mit Anmut: »Zuerst ging ich zu unsern Landsleuten und Nachbarn, die wie alle Rheinländer noch dieselben empfänglichen Gemüter haben. Sie interessieren sich für alles, schwatzen womöglich über noch mehr, und ihre Konversation kommt zugleich mit ihrem Durste erst dann plötzlich ins Stocken, wenn ihnen nachts im Wirtshause einfällt, daß sie den Hausschlüssel vergessen haben und daß die zärtliche Ehehälfte das schrecklichste Donnerwetter verhängen wird, wenn die Sitzung nicht sofort bis zum nächsten Abend verschoben wird. Oh, solange der Hausschlüssel des Rheinländers einzige Waffe ist, solange wird der Absatz der verwerflichsten Weinsorten nie eine Unterbrechung erleiden. Ich habe mich aufs neue hiervon überzeugt, indem ich sogar unsern sauern Moselwein bis auf den letzten Tropfen verkaufte.«

»Unsern sauern Moselwein? Ei, das ist mir ja sehr lieb!« Der besondere Nächdruck, den Herr Preiss auf das Wort sehr legte, bewies, daß der fragliche Moselwein sehr, sehr sauer sein mußte.

»Aber wen haben Sie mit dieser hoffnungsvollen Partie beglückt?«

»Unsern speziellen Freund, den Wirt ›Zu den Drei Lilien.‹«

»Arme Lilien! Offenherzig gestanden, Herr Sommer, ich bin der festen Meinung, daß dies das letzte Geschäft ist, was wir mit diesem Manne gemacht haben. Und glauben Sie nicht, daß wir die entsetzlichsten Schikanen bei diesem Verkauf erleben werden? Fürchten Sie nicht, daß der Mann die ganze Partie zu unsrer Verfügung lassen wird, sobald er sie nur von ferne berochen hat?«

»Bei einem Wirte ist freilich alles möglich. Aber bis dahin mache ich ja in den ›Drei Lilien‹ wieder meine persönliche heitere Aufwartung. Persönlich macht sich alles besser. Mein ehrliches Gesicht, meine Überredungsgabe, mein liebenswürdiges Betragen, das Feuerwerk meiner schlechten Witze, die Sündflut meiner schönen Anekdoten – alles dies ist zu berücksichtigen, alles dies wird dazu beitragen, um das Rückgängigwerden des Geschäftes zu verhindern. Und sollte unser...



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