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Weiberg | Demokratie und Religion | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 15, 338 Seiten

Reihe: Religion und Moderne

Weiberg Demokratie und Religion

Die Kontroverse über die Biopolitik in Italien und Norwegen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-45866-3
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Kontroverse über die Biopolitik in Italien und Norwegen

E-Book, Deutsch, Band 15, 338 Seiten

Reihe: Religion und Moderne

ISBN: 978-3-593-45866-3
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer beteiligt sich in pluralen Demokratien an Debatten und warum? Und welche Argumente dürfen in institutionellen Kontexten, wie Gesetzgebungsverfahren im Parlament oder vorparlamentarischen Kommissionen, vorgebracht werden? Gibt es Grenzen des argumentativ Erlaubten? Anhand der moralischen umstrittenen Forschung an Embryonen untersucht die Studie in einem Vergleich der Länder Italien und Norwegen, wie unterschiedlich demokratische Debatten verlaufen und welche Rolle dabei insbesondere religiöse Akteure und Argumente spielen. Bringt Religion hier einen Zusatznutzen für die Gesellschaft und die Diskussion? Oder ist jede religiöse Intervention im »säkularen« Staat mit tief greifenden Auswirkungen auf dessen Legitimität und Funktionalität verbunden?

Dr. Mirjam Weiberg ist Leiterin der Fachgruppe »Demokratieförderung und demokratische Praxis« am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin.
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Autoren/Hrsg.


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2Theoretischer und analytischer Rahmen


2.1Das Verhältnis von Religion und Politik


2.1.1Religion und Politik in der Moderne


Die Diskussion über die Wechselwirkungen zwischen Religion und Politik in westlichen Demokratien ist in nahezu allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen von zentraler Bedeutung. Im Folgenden wird der Forschungsstand zusammengefasst, wobei der Schwerpunkt auf der Trennung von Religion und Politik in der Moderne sowie der Akzeptanz religiöser Argumente in liberalen Demokratien im Erhebungszeitraum liegt.

In der politikwissenschaftlichen Debatte zur Moderne wurde die Frage nach der zukünftigen Rolle der Religion in der Politik mit einer klaren Antwort bedacht: keine. Insbesondere in westlichen Ländern wurde die Religion in den privaten Bereich zurückgedrängt. Nach jahrhundertelangen Konflikten hatten sowohl die religiösen als auch die politischen Autoritäten schließlich eigene Legitimität, Institutionen und Mitgliedschaftsregeln etabliert, was eine Rückkehr zu vorherigen Verhältnissen unwahrscheinlich erscheinen ließ. Der Westfälische Frieden bestätigte zudem die Konfessionalisierung der christlichen Religion und die Unterordnung der Religion unter die politische Autorität. Dies stellte den ersten Schritt in Richtung einer subjektivierten Glaubensauffassung und einer individualisierten, inneren Religiosität dar. Der unaufhaltsame Aufstieg des Nationalstaates in Europa und der Prozess der Demokratisierung führten schließlich zu einem endgültigen Abschied der Kirche von der staatlichen Macht.

Auch die Transitionsforschung und die Debatte um die »vierte Welle der Demokratisierung« nach 1990 bestätigten,8 dass die Trennung von Religion und Politik eine wichtige (wenn auch keine hinreichende) Voraussetzung stabiler demokratischer Staaten war. Der Religion wurde zwar auch positiv nutzbares Potenzial bei der politischen Meinungs- und Willensbildung zugestanden, dieses kam aber am besten dann zur Geltung, wenn die Religion im privaten oder zivilgesellschaftlichen Bereich verblieb, weil sie ebenfalls als konflikthaft und latent gewalthaltig – im Extremfall als irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch – galt (Anderson 2004; Esposito/Watson 2000; Dark 2000; Hildebrandt/Brocker 2005; Rowe 2012; Esposito et al. 2008; Cohen/Laborde 2016; Dawkins 2016). Auch die Legitimität politischer Entscheidungen war dann am größten, wenn sich diese auf eine allgemein verständliche, säkulare und damit allen Bürgern zugängliche Argumentation stützte. Religiöse Argumente sollten weitgehend aus dem politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden, um eine gleichmäßige zivilgesellschaftliche Inklusion der Mitglieder eines Gemeinwesens zu gewährleisten. In pluralistischen oder ethnoreligiös fragmentierten Gesellschaften wurde der Religion zudem ein hohes Konflikt- und Gewaltpotenzial unterstellt.

Während irgendeine Form der institutionellen Trennung grundsätzlich unumstritten ist,9 sind die Annahmen, dass die legitimatorische Rolle der Religion in der Politik überholt sei und dass keinerlei Politiken und Gesetze unterstützt und verabschiedet werden sollten, die nicht säkular begründbar sind, auf Kritik gestoßen. Denn unter Bedingungen pluralistischer Gesellschaften kann dies als ungerechtfertigte Benachteiligung religiöser Bürger gesehen werden. Teils wird aber auch wieder die weitergehende Frage gestellt, ob »der freiheitliche, säkulare Staat nicht von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann« – und zwar nicht nur im Sinne des Angewiesenseins freiheitlicher Gesellschaften auf einen über die Bindung an Wertüberzeugungen generierten verantwortlichen Gebrauch der Freiheit durch die Bürger, sondern auch im Sinne einer Grundlegung, Legitimation oder Begrenzung des Politischen (Bockenförde 2004: 229; Stein, 2001; Robinson 2015; Sigurdson 2010; Gutterman/Murphy 2016; Soper/Dulk 2017). Diese Problematik erscheint umso dringlicher, als der moderne Staat zunehmend regelungsbedürftige Wertekonflikte entscheiden muss, in denen es keine feststehenden moralisch-ethischen Richtlinien gibt. Wie im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs, der Reproduktionsmedizin oder der Sterbehilfe ist zu fragen, welche Akteure mit welchen Argumenten an diesen Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden dürfen oder sollten.

2.1.2Religiöse Argumente in liberalen Demokratien


Zu der oben genannten Frage liefert insbesondere der Forschungsbereich, der sich mit der Rolle bzw. Zulässigkeit religiöser Argumente in öffentlichen Diskursen liberaler Demokratien beschäftigt, wertvolle Hinweise. Die theoretische Debatte wurde stark durch zwei Standpunkte geprägt: einerseits durch die Vertreter eines liberalen Demokratiekonzeptes (wie Rawls, Habermas oder Audi), die religiösen Argumenten keinen Raum bzw. nur eine nachrangige Bedeutsamkeit in der politischen Öffentlichkeit zugestehen wollen und die eine strenge Trennung von säkular-öffentlicher und privat-religiöser Sphäre befürworten. Auf der anderen Seite stehen die Vertreter einer pluralistischen Konzeption von Demokratie (u. a. Wolterstorff, Quinn und Bader), die eine völlige Trennung der Sphären zum einen für unmöglich und zum anderen für unnötig halten. Heute ist die Mehrheit vormals strikt säkular-liberal argumentierender Theoretiker von einer Ausgrenzung zu einer Begrenzung religiöser Argumente im öffentlichen Diskurs übergegangen. Entsprechend finden sich auch auf der Seite der pluralistischen Kritiker nur wenige, die eine vorbehaltlose Zulassung religiöser Argumente im öffentlichen Diskurs und insbesondere ausschließlich religiöse Entscheidungsbegründungen unterstützen.

Ab den 1990er Jahren wurde in der politischen Theorie eine intensive normative Debatte über den Status religiöser Argumente im öffentlichen Raum liberaler Demokratien geführt. Die Kontroverse konzentrierte sich auf die These liberaler Theoretiker, dass öffentliche Debatten in Demokratien mit Argumenten und Gründen geführt werden, die entweder säkular oder zumindest grundsätzlich für alle Bürger akzeptabel sind. Dies galt umso mehr, wenn auf Basis dieser Gründe allgemein verbindliche Gesetze verabschiedet werden sollten. Religiöse Argumente und Gründe (allein) zählten dabei nicht zu den für alle Bürger (potenziell) akzeptablen oder verständlichen und damit legitimen Rechtfertigungen. Innerhalb dieser theoretischen Debatte gab es jedoch erhebliche Unterschiede: Die Mehrheit vertrat eine gemäßigte Position, die forderte, Gesetze dürften nicht allein durch religiöse Gründe legitimiert werden, gleichzeitig plädierten sie aber nicht für einen vollständigen Ausschluss religiöser Argumente aus der öffentlichen Debatte, sondern für bestimmte Restriktionen für ihre Verwendung (Willems 2003; Nehushtan 2015).

Einige der grundlegenden Positionen sind die Debattenbeiträge von Audi, Rawls und Habermas. So möchte Robert Audi religiöse Argumente nicht vom politischen Prozess ausschließen, fordert aber von religiösen Bürgern, neben religiösen Begründungen auch auf säkulare Gründe zurückzugreifen. Grundsätzlich geht er davon aus, dass säkulare Gründe notwendig für die Legitimation von z. B. Gesetzen sind und dass religiöse Bürger in liberalen Demokratien in der Lage sind, sowohl religiös wie säkular zu argumentieren. Bei anderen Theoretikern wie John Rawls dürfen religiöse Bürger (in bestimmten Bereichen) religiöse Begründungen nutzen, wenn sie ebenfalls Argumente aus dem Bereich, den er als allgemein akzeptable politische Grundsätze der Gerechtigkeit bezeichnet, vorbringen. Nach Jürgen Habermas sind religiöse Argumente in der informellen Öffentlichkeit zulässig und dürfen auch von säkularen Bürgern nicht einfach aus dem Diskurs...



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