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E-Book, Deutsch, Band 6433, 219 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Welsch Glanzmomente der Philosophie

Von Heraklit bis Julia Kristeva

E-Book, Deutsch, Band 6433, 219 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-76552-0
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Oft ist die Philosophie ein schwieriges und langwieriges Geschäft. Aber es gibt Momente, wo durch eine philosophische Analyse plötzlich ein großes Licht aufgeht – über ein bestimmtes Problem, über unser Leben, über die Gesellschaft, über die Welt. Solche Glanzmomente von der Antike bis zur Gegenwart versammelt der Philosoph Wolfgang Welsch in diesem Buch.

Von Heraklit bis zu Julia Kristeva und Arthur Danto zeichnet Welsch zündende Einfälle und Gedanken nach, die ein neues Licht auf die Welt werfen und deren Strahlkraft bis heute ungebrochen ist. Beides, die Brisanz wie die Aktualität, wird an 22 Beispielen in klarer Sprache dargestellt. Das Spektrum reicht von den Vorsokratikern bis in die Gegenwart. Manche der hier erörterten Autoren, der Zenmeister Dogen etwa oder das Multitalent Samuel Butler, werden gemeinhin nicht zur Philosophie gerechnet. Aber es geht nicht um akademische Rubrizierungen, sondern um zündende Gedanken. Wo sie auftauchen und uns ergreifen, da geschieht Philosophie.
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Heraklit
Logos – die Welt der Gegensätze
«Vorsokratiker»
Beginnen wir mit Heraklit. Zwar ist er nicht der erste Philosoph gewesen. Andere sind ihm vorangegangen. Heraklit zählt zu den sogenannten Vorsokratikern. Der Terminus, der sich seit dem 19. Jahrhundert eingebürgert hat, ist allerdings problematisch. Er suggeriert, dass die Philosophie im eigentlichen Sinn erst mit Sokrates angefangen habe. Die anderen Philosophen seien allenfalls Vorläufer oder Wegbereiter gewesen. Warum diese Auffassung? Weshalb ist sie kanonisch geworden? Weil Sokrates, so sagt man, der Erste war, der die Philosophie dort angesiedelt hat, wo sie wirklich hingehört: in der menschlichen Welt. Die anderen, die Philosophen vor ihm, die bloßen Vorsokratiker, hatten vom Kosmos gefaselt, von diversen Elementen, von Werden und Vergehen im Allgemeinen. Sokrates hat dem ein Ende gemacht, indem er die Philosophie konsequent auf das Verstehen der menschlichen Welt verpflichtete und in der Stadt (statt im Kosmos) und unter den Menschen (statt zwischen Naturkräften und Mysterien) ansiedelte. Sokrates hat die Philosophie von den früheren Kosmosfantasien in die Lebensform der Menschen heruntergeholt – das ist sein unvergleichliches Verdienst. So kann man es von Cicero über Montaigne bis zu Herder und Mendelssohn lesen. Cicero: «Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel herunter gerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt, und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.»[1] Montaigne schrieb über 1600 Jahre später erneut: Sokrates «war es, der die menschliche Weisheit vom Himmel herunterholte, wo sie ihre Zeit nur vergeudete, um sie dem Menschen zurückzugeben, denn in ihm liegt ihre ureigentliche, all ihre Kräfte beanspruchende Aufgabe, und ihre nützlichste».[2] Herder meinte noch einmal 200 Jahre später, mit nur geringfügiger Einschränkung: «Es ist ein zwar oft wiederholter, aber wie mich dünkt, überspannter Lobspruch des menschenfreundlichen Sokrates, dass Ers zuerst und vorzüglich gewesen sei, der die Philosophie vom Himmel auf die Erde gerufen und mit dem sittlichen Leben der Menschen befreundet habe.»[3] Mendelssohn schließlich wiederholte Ciceros Diktum: «Sokrates war der erste […], der die Philosophie vom Himmel herunter gerufen, in die Städte eingesetzt, in die Wohnungen der Menschen geführt, und sie über ihr Thun und Lassen Betrachtungen anzustellen genöthigt hat.»[4] Natürlich trifft diese Sicht zu. Sokrates war ein völliger Stadtmensch, und es ging ihm nur um den Menschen. Als der junge Phaidros Sokrates vor die Tore Athens in die Gefilde des Ilissos führte, zeigte dieser sich höchst überrascht von der Schönheit der Gegend, vom Wohlgeruch der Pflanzen, dem Liebreiz des Baches und der Wiesen. Er sah dergleichen eben zum ersten Mal, bekannte aber sogleich, dass ihn das nicht wirklich interessiere, denn Felder und Bäume würden ihn nichts lehren, «wohl aber die Menschen in der Stadt».[5] Erst wenn man erkannt habe, was der Mensch ist, werde man auch alles andere recht zu erkennen und zu bewerten vermögen.[6] Ganz anders dagegen die Vorsokratiker. Anaxagoras beteuerte, dass ihm nichts mehr am Herzen liege als sein Vaterland – und zeigte dabei auf den Himmel.[7] Demokrit erklärte: «Einem weisen Mann steht jedes Land offen. Denn einer trefflichen Seele Vaterland ist das Weltall.»[8] Die Vorsokratiker hielten dafür, dass man die Seinsart des Menschen erst dann richtig erfasst, wenn man sie im Kontext des Kosmos begreift. Für die Vorsokratiker war der Kosmos das Erste, er bildete den Maßstab. Sokrates’ Interesse hingegen galt nur noch der Stadt und den Menschen. Muss man diese Umstellung loben? Stellt sie nicht eigentlich eine Schrumpfung dar, eine Beschränkung auf die menschliche Welt anstelle der ganzen Welt? Vermögen die Gewinne die Verluste aufzuwiegen? Darauf wird zurückzukommen sein. Man darf nicht glauben, die Vorsokratiker hätten sich in bloßen Spekulationen ergangen und wirkliches Wissen nehme erst mit Sokrates seinen Anfang. Ganz im Gegenteil. Die vorsokratische Philosophie begann geradezu als Wissenschaft. Die ersten Philosophen zeichneten sich durch vielfältige wissenschaftliche Einsichten und Erfindungen aus. Thales beispielsweise, der erste der Vorsokratiker, ist (bis in den heutigen Schulunterricht hinein) für etliche mathematisch-geometrische Entdeckungen bekannt und war astronomisch erstaunlich beschlagen: er lehrte die Seefahrer die Orientierung am Kleinen Bären, verfasste eine «Sternkunde für Seefahrer» und hat für den 28. Mai 585 v. Chr. eine Sonnenfinsternis zutreffend vorhergesagt. Oder Anaximander erfand Gnomon-Instrumente und Uhren, entdeckte die Tag- und Nachtgleiche und die Sonnenwenden, und er schuf die erste Karte der Erde und des Meeres sowie den ersten Himmelsglobus. Aber so wichtig und eindrucksvoll diese wissenschaftlichen Einsichten auch waren, sie machten doch als solche noch nicht das philosophische Geschäft aus. Sie bildeten nur die Startrampe für das philosophische Unterfangen. Die Philosophie beginnt dort, wo man über die gelungene Erklärung von diesem und jenem hinaus ins noch nicht Bekannte hinaus fragt und nach einer Erklärung für das Ganze sucht. Wo man mithin vom Stand des verfügbaren Wissens aus Fragen stellt, die nicht mehr durch empirische Forschung, sondern nur noch durch Denken beantwortet werden können. Also Fragen des Typs: Woher kommt die Welt? Wie ist sie entstanden? Wo geht sie hin? So meinte Thales, dass vielleicht (da offenbar alles in der Welt Veränderungen unterliegt) das Veränderliche par excellence, nämlich das Wasser, den tiefsten Grund der Welt bilde. Oder Anaximenes erwog, ob es sich beim Seienden nicht insgesamt um verschiedene Aggregatzustände von Luft handeln könne. Anaximander mutmaßte, dass alle Lebewesen aus dem Wasser und zuletzt die Menschen aus Fischen entstanden sein könnten. Und dann ging er auch noch über diese Teilerklärungen hinaus und entwarf die Idee des Apeiron: eines Unbegrenzten und Unbestimmten, aus dem alles hervorgeht und in das alles auch wieder zurückgeholt wird. So begann die Philosophie: kraft des Denkens werden Vermutungen entwickelt, wie es sich mit dem Seienden insgesamt, mit der Welt im Ganzen verhalten könnte. Heraklit: Der Logos als der «Verwalter des Alls»
Die Antwort Heraklits (um 500 v. Chr.) auf die Frage nach der Struktur des Ganzen lautet: Lógos. Was meint er damit? Zunächst muss man sich von der Vorstellung freimachen, Logos bedeute für Heraklit dergleichen wie Rede oder Vernunft oder Geist. «Logos» hat bei Heraklit vielmehr in erster Linie die Bedeutung von Grund. Heraklit ist überzeugt, dass eine bestimmte Struktur allem Seienden, allem Werden, allen Veränderungen, allen Verhältnissen zugrundeliegt, nämlich die Struktur von Gegensätzen. Diese Gegensatzstruktur ist ihm zufolge der innerste und realste Grund von allem. Sie ist das Gesetz der Welt. «Alles geschieht nach diesem lógos.»[9] – Wie ist das zu verstehen? Wir kennen viele Fälle, wo Gegensätze das Geschehen bestimmen: von Ebbe und Flut in der Natur über Krieg und Frieden in den Beziehungen der Völker bis hin zu Liebe und Hass in persönlichen Abhängigkeiten. Naturwissenschaftler können uns erklären, warum Ebbe von Flut nicht zu trennen ist, Historiker belehren uns, dass Kriegs- oder Friedensphasen nicht stabil bleiben, sondern irgendwann kippen, und Psychologen und Psychoanalytiker halten, was Liebe und Hass angeht, dafür, dass im einen stets auch das andere schlummert – bis es irgendwann ausbricht. Alles steht in solchen Gegensatzbeziehungen. Nichts ist einfach das, was es ist, sondern es ist aus Gegensätzen gebildet und bleibend mit Gegensätzen behaftet. Das Große ist groß nur gegen das Kleine, das Einfache einfach nur gegenüber dem Komplexen, das Dichte dicht nur im Verhältnis zum Dünnen. Kalt und warm, freudig und traurig, vereint und getrennt, aufbauend und zerstörerisch, usw. usf. – alles ist, was es ist, im Gegensatz zu anderem, in einem Feld von Gegensätzen. «Alles...


Wolfgang Welsch ist Professor em. für Philosophie. Bis 2012 lehrte er Theoretische Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.


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