Westbam | Die Macht der Nacht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Westbam Die Macht der Nacht


15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8437-1079-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1079-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Techno-DJ und Rave-Philosoph über dreißig Jahre Musik, Feiern und Clubkulturen Die Nächte beginnen oft im Morgengrauen - mitten in der Pampa am anderen Ende der Welt oder in einem Club einer angesagten Metropole. Gefeiert und getanzt wird tagelang, das ganze Leben ist eine endlose Party: laute Musik, viel Alkohol, Drogen und Sex. Mittendrin DJ Number one: Westbam - Partymacher und Philosoph der Dance-Kultur, Herrscher an den Turntables. Hier erzählt er erstmals seine verrücktesten Geschichten: wie alles begann nach der Wende in Berlin, von wilden After-Hour-Gigs im Rheinland, von Raves auf der Rennstrecke in São Paulo oder in Bogotá vor dem Cali-Kartell; von verpeilten Veranstaltern, verrückten Groupies und größenwahnsinnigen Szenegestalten. Ein Sittengemälde des Nachtlebens vom Ende der Achtziger bis heute.

Westbam aka Maximilian Lenz, geboren 1965 in Münster, ist Deutschlands populärster DJ und einer der bekanntesten DJs der Welt. Als einer der ersten machte er das DJing berühmt, war Ideengeber und Veranstalter des größten House- und Techno-Events Mayday und der einzige DJ, der auf allen Love Parades aufgelegt hat. Seine Platten verkaufen sich millionenfach, seine Auftritte führen ihn um den ganzen Erdball.
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PROLOG


Die neunziger Jahre beginnen mit einer Abschiedsszene.

Ich wachte auf und wusste nicht, wo ich gerade war und was ich hinter mir hatte. Der Kater war fürchterlich. Ich tastete mit der rechten Hand am Lattenrost entlang. Ein komisches Geräusch war zu hören, außerdem roch es nach alten Schrottautos, einer Mischung aus porösen Gummireifen und hundertmal feucht und wieder trocken gewordenen Polsterbezügen. Ganz langsam wurde mir klar, dass ich in einem Campingwagen war und der letzte Abend der Macht der Nacht hinter mir lag.

Das Geräusch entpuppte sich als ein Rauschen, von dem ich nicht erkennen konnte, woher es kam. Ich stand auf, verließ den Wohnwagen und wankte Richtung Zirkuszelt. Dasselbe Zirkuszelt, aus dem ich getaumelt war, bevor ich kurz schlafen ging.

Das Rauschen identifizierte ich jetzt als einen immer wieder aufbrausenden Applaus. Ich trat in das Zelt ein, und da sah ich all diese Gestalten, mit denen ich die letzten Jahre verbracht hatte, im Halbkreis in der Mitte der Tanzfläche sitzen. Die Lichtstrahler waren vom Haustechniker genau auf sie gerichtet, ansonsten war es stockdunkel.

Hirschfeld, eine der Thekenkräfte, fast schon eine Thekenlegende, war aufgesprungen. Er verbeugte sich. Ich hatte keine Ahnung, warum. Die Menschen im Halbkreis jubelten ihm zu, und der Applaus erklang erneut. Was sollte das nur?

Es war wie der zehnte Vorhang einer völlig ekstatisch gefeierten Theaterinszenierung. Während Hirschfeld unter Bücklingen rückwärts die Bühne verließ, war Jürgen Müller vom Baguette-Stand aufgesprungen. Der Applaus brandete wieder auf, und erneut jubelte der Macht-der-Nacht-Staff. Jetzt erst bemerkte ich, dass der Applaus vom Band kam.

Dann sah ich Holle, den Hauselektriker, Judith, die Tochter des Chefs, meine Freundin die Schlangenfrau Mrs Rose und meinen Bruder Fabian. Neben Hirschfeld saßen Modelmock, sein Thekenpartner, und Thomas Kleutgen, der Chef vom Dienst und Freund von Judith. Ich entdeckte auch Bob Sharestani, den Cocktailmixer von der VIP-Bar im Raubtierkäfig. Auch Peter Rubin, der alte Hippie und Zauberer der psychedelischen Lichteffekte, war noch wach. Jeder trat einmal ins helle Licht, um sich seine 15 Sekunden Fame abzuholen. Mir dämmerte: Von denen war noch keiner schlafen gewesen. Ich fragte mich, wie lange dieses Encore schon ging. Die Applausaufnahme, die dieser Veranstaltung den Rhythmus gab und in einer Endlosschleife lief, stammte von Hans Otto Richter von der Künstlergruppe Stressjets.

Man feierte sich selbst und warf damit seine Schatten voraus auf die neunziger Jahre. Jeder war ein Star in dieser Feier-Urgemeinde und Prototyp dessen, was wir später die ravende Gesellschaft nennen würden, ein komplexes Sozialsystem, das sich feiert und vom Feiern lebt. Ein Party-Perpetuum-mobile.

Als Nächstes fiel mein Blick auf DJ Lupo. Er war mit Pflastern übersät und mit großflächigen braunen Jodflecken. Man konnte fast meinen, dass noch Schläuche aus ihm raushingen, so lädiert sah er aus. Zehn Stunden zuvor hatte er in irgendeinem Krankenhaus am Tropf gehangen.

Lupos Geschichte dieses Abends hatte bereits dreißig Stunden vorher und 300 Kilometer entfernt begonnen. Er war zunächst bei Freunden in Hannover gewesen. Man hatte gemeinsam am Küchentisch gesessen, viel gefeiert und geredet und mit allerlei legalen und illegalen Betäubungsmitteln experimentiert. Und als Lupo schon übel zugerichtet war, musste ihm klargeworden sein: Heute Abend findet der Abschied von der Macht der Nacht statt. Sofort machte er sich auf den Weg nach Düsseldorf. Doch schon im Treppenhaus wurde er müde. Auf den Treppenstufen sitzend, ist er eingeschlafen. Seine Freunde entdeckten ihn einige Zeit später, als sie die leeren Flaschen nach unten brachten. Sie versuchten, ihn zu wecken, was aber nicht gelang. Dann probierten sie, ihn in die Wohnung zurückzutragen, was auch nicht gelang. Daraufhin erschienen verschiedene Nachbarn, deren Weckversuche ebenso wenig von Erfolg gekrönt waren. Die Polizei wurde gerufen. Doch auch ihr gelang es nicht, Lupo zu wecken. Schließlich wurde er von der Hannoveraner Feuerwehr in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht, wo man ihn an den Tropf hängte. Irgendwann wachte er auf, entfernte reflexartig alle Schläuche, zog sich an und verließ das Krankenhaus. Jodverschmiert kaperte er ein Taxi und ließ sich nach Düsseldorf zum Hafen fahren. Am Eingang des Zeltes, in dem die Macht der Nacht ein letztes Mal stattfinden sollte, löste mein Bruder ihn für stolze 400 DM aus.

Der letzte Vorhang fiel, und wir standen noch immer an derselben Stelle im Zelt. Modelmock, mein Bruder und ein Freund von Jürgen Müller beschlossen, den Macht-der-Nacht-Abschied mit einer Bootstour auf dem Rhein zu krönen. Während ich mich noch fragte, woher sie auf einmal ein Schlauchboot hatten, waren sie schon dabei, es zu Wasser zu lassen. Sofort war auch die Wasserschutzpolizei in einem Motorboot zur Stelle. Zweifellos retteten die Wasserschutzpolizisten durch ihr promptes Eingreifen die Trunkenbolde. Das aber wussten diese Boys in dem Moment offensichtlich nicht zu schätzen. Aufgeregt und wild gestikulierend, standen sie am Rheinufer herum.

Es kam zu einer Planänderung: Unweit von Düsseldorf gab es einen kleinen höllischen Laden in Krefeld mit dem ganz und gar unpassenden Namen Aura. Es war einer der ersten im Rheinland, die man neuerdings auch in Deutschland »After Hours« nannte. Den Begriff hatte ich bis dahin nur in New York gehört für Schuppen wie das Save the Robots in der Lower East Side, Läden, deren Kundschaft zu fortgeschrittener Stunde einfach noch nicht nach Hause wollte oder konnte. Leute wie wir.

Schon saß man in mehreren Autos, und es ging Richtung Krefeld. Dabei kam mein Bruder, der in einem anderen Auto saß, in eine Verkehrskontrolle – was, wenn man eine Flasche Whisky und drei Ecstasys intus hat, meistens zum sofortigen Verlust des Führerscheins führt. Die Polizisten nahmen ihn auch gleich mit. Als er auf der Rückbank des Polizeiwagens saß, erinnerte sich Fabian allerdings daran, dass er ein kleines Päckchen Speed in seiner Hosentasche hatte, was er dann auch sogleich an Ort und Stelle unauffällig wegschnupfte. Auf der Wache musste er ein paar Reaktionstests über sich ergehen lassen: auf einer Linie laufen, Finger an die Nase halten, auf einem Bein hüpfen, das ganze Programm. Fabian stellte sich dabei dermaßen geschickt an, dass nichts zu beanstanden war. Er zog sogar eine so extrem lustige Show ab, dass die Beamten beschlossen, ihre Kollegen aus den anderen Abteilungen hinzuzuholen. Nicht um ihm Blut abzuzapfen oder ihn in die Ausnüchterungszelle zu verfrachten, sondern nur, um sie an der souveränen Show dieses Typen teilhaben zu lassen, der die ganze Amtsstube rockte und auf unerklärliche Weise von einem anderen Stern zu sein schien. Anscheinend hatten sie ihn ins Herz geschlossen, denn schließlich ließen sie ihn laufen.

Er tauchte mit einstündiger Verspätung im Aura auf – mit einer neuen Lach- und Sachgeschichte auf Lager.

Das Aura war mit dreißig Gästen eher mager gefüllt, neun davon waren von der Macht der Nacht. Und es lief ein schrecklicher Sound. Relax your body tönte der schlechte Rap über einem What time is Love-Loop von KLF. Auf dem Plattencover war ein schwarzer Mann, der, nur mit Jeans und Mütze bekleidet, einen aufblasbaren Globus hochhielt. Sollten doch alle auf dem gesamten Planeten ihren Body relaxen. Wir waren noch nicht so weit.

Mein Bruder und ich hatten plötzlich Lust bekommen, die Besten, Stärksten und Übriggebliebenen des Wochenendes noch einmal zu rocken. Der Resident-DJ war dankbar und zog sich gleich an die Bar zurück. Er setzte sich auf einen Hocker neben die Bardame. Von dort winkte er uns jetzt freundlich zu. Wir kramten durch seine Platten und fanden so gut wie nichts, was wir kannten, aber genug, um die Party noch ein bisschen weiter zu treiben. In solchen Momenten spielt man nicht das, was man sucht, sondern einfach das, was man findet. Wir rissen die Platten aus den Hüllen und schmissen sie auf die Plattenteller. Dann skippten wir mit dem Daumen an der Nadel quer über das Vinyl, hörten uns mit dem Kopfhörer durch die Tracks und fanden schließlich irgendwelche Stücke auf den B-Seiten, die zu dem passten, was aktuell lief, und schon wurde es eingemixt. Es ging weiter und weiter.

In den nächsten Jahren wurde dieser Irrsinn immer populärer. Unter dem Banner Techno gab es immer mehr Partys und After Hours, da sich immer größere Teile der Bevölkerung der Bewegung anschlossen. Mitte der neunziger Jahre wurde die ravende Gesellschaft ausgerufen. Doch zum damaligen Zeitpunkt hätte man noch nicht ahnen können, dass sich diese Art zu feiern in den nächsten fünf Jahren so verbreiten würde – und diese Abstürze die Speerspitze einer neuen Popkultur bildeten.

Lupo hatten wir auf dem Weg zwischen Düsseldorf und Krefeld wieder verloren. Er war wohl mit einer Frau in einer anderen Stadt gelandet. Wie er zu seinem Campingwagen zurückgefunden hat, in dem wir ihn abends in voller Montur laut schnarchend wiederfanden, ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Denn er konnte sich weder an den Namen der Stadt noch an den der Frau erinnern. In der dichtbesiedelten Gegend gibt es viele, die in Frage hätten kommen können. Sowohl Städte als auch Frauen. So wird es für immer eines der Rätsel dieses gelungenen Abends bleiben. Sicher war nur: Er war verliebt.

Wochen später bekam mein Bruder ein Schreiben der Polizei wegen besagter Verkehrskontrolle. Neben der Mitteilung über die Niederschlagung eines...


Westbam aka Maximilian Lenz, geboren 1965 in Münster, ist Deutschlands populärster DJ und einer der bekanntesten DJs der Welt. Als einer der ersten machte er das DJing berühmt, war Ideengeber und Veranstalter des größten House- und Techno-Events Mayday und der einzige DJ, der auf allen Love Parades aufgelegt hat. Seine Platten verkaufen sich millionenfach, seine Auftritte führen ihn um den ganzen Erdball.



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