E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: Die dunkle Seite Hohenlohes: Kriminalfälle und Mythen
Wiechert / Rottschäfer / Volk Hohenlohica Obscura
2019
ISBN: 978-3-8392-6200-9
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Spuk, Aberglaube und Magie an Kocher, Jagst und Tauber
E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: Die dunkle Seite Hohenlohes: Kriminalfälle und Mythen
ISBN: 978-3-8392-6200-9
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ob Poltergeister oder Scheintote, Hexenkunst oder prophetische Gabe: Die Region Hohenlohe ist reich an Geschichten und Legenden, die ins Übernatürliche oder Unglaubliche entführen. Der Glaube an das Wirken unsichtbarer Mächte und abergläubische Praktiken waren fester Bestandteil der Volkskultur. Doch was steckt hinter dem Hokuspokus?
In neun Kapiteln gehen drei Regionalhistoriker den Hohenloher Mysterien nach und suchen nach Hintergründen und der Wahrheit hinter dem Rätsel. Ob tragisch, heiter oder überraschend: Alle Geschichten basieren auf der historischen Überlieferung.
Autoren/Hrsg.
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Der Tausendkünstler
Geschichten über Poltergeister, die sich in Wohnhäusern eingenistet haben, um die Bewohner zu plagen, zu schrecken und zu necken, die schwere Gegenstände verschwinden oder durch die Luft fliegen lassen, sind spätestens seit der frühen Neuzeit bekannt. Auch aus dem alten Hohenlohe liegen zahlreiche Berichte über Gespenstererscheinungen vor. So soll es beispielsweise im Jahr 1616 im Pfarrhaus von Beutingen gespukt haben. 1709 fühlte sich Anna Maria Vogt aus Schäftersheim von einem Gespenst bedrängt und 1758 war ein Schuhmacher in Langenburg von einem übernatürlichen Plagegeist betroffen. Zum Teil fanden sich ganz irdische Gründe für die unheimlichen Erscheinungen. So sind aus der Gegend um Weikersheim gleich mehrere Fälle bekannt, bei denen sich junge Männer einen Spaß daraus machten, Gespenster zu mimen und ihre Mitbürger zu erschrecken. Bei vielen anderen Gelegenheiten hingegen fand sich keine natürliche Erklärung, sodass die Zeitgenossen vom Wirken höherer Mächte überzeugt sein mussten und in ihrem Gespensterglauben gestärkt wurden. Ein besonders hartnäckiger, am Ende gar tödlich wirkender Poltergeist versetzte im Jahr 1689 eine Familie in Döttingen in Angst und Schrecken. Das Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein wird in den lokalen Medien oder durch Mitarbeiter des Hauses gerne als »papierenes Gedächtnis der Region« bezeichnet. Leider teilt es hin und wieder das Schicksal eines humanen Gedächtnisses – und schwindet. Obwohl Döttingen 1689 unzweifelhaft zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Hohenlohe-Langenburg gehörte und eine Akte zu den damaligen Gespenstererscheinungen im entsprechenden Archiv-Bestand zu erwarten wäre, ist sie nicht aufzufinden. Vielleicht steckt sie als sogenannter »Irrläufer« irgendwo in den knapp fünf Regalkilometern Archivgut, die in Neuenstein verwahrt werden. Vielleicht ging sie schon kurz nach ihrer Entstehung auf dem Dienstweg verloren. Oder – was am wahrscheinlichsten ist – sie fiel im 19. Jahrhundert einem tatkräftigen Archivar in die Hände, der sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass sich ein vernunftbegabter Mensch jemals für den abgeschmackten Hokuspokus der alten, abergläubischen Hohenloher interessieren könnte, und die Akte kurzerhand kassierte, um sie der Papiermühle zuzuführen. So oder so wäre die hochinteressante Geschichte für immer vergessen und verloren gewesen, hätte sich ihrer nicht bereits 1690, also ein Jahr nach den Ereignissen, ein Schriftsteller angenommen. Erasmus Francisci (1627–1694), Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Schriften, befasste sich in seinem letzten und vielleicht bedeutendsten Werk »Der höllische Proteus oder tausendkünstige Versteller« mit allen möglichen Arten von Geistererscheinungen. 1688 wurde der aus Lübeck stammende und in Nürnberg lebende Francisci als Rat des Grafen Heinrich Friedrich von Hohenlohe-Langenburg angenommen. Da er sein Amt »von Haus aus« ausübte, behielt er seinen Lebensmittelpunkt in Nürnberg bei. Obgleich er sich, wenn überhaupt, nur selten in Hohenlohe aufhielt, scheint ihm die Verbindung zur dortigen Verwaltung die Geistergeschichte aus Döttingen in die Hände gespielt zu haben. Er versah sie mit dem Titel »Der spitzbübische Geist« und nahm sie als neunundneunzigstes von hundert Kapiteln in seinen »höllischen Proteus« auf. In seinem Text zitiert Francisci ausführlich aus vier Protokollen, die durch das Amt Döttingen aufgenommen, an die gräfliche Kanzlei in Langenburg gesandt und ihm »in Abschrifft mitgetheilt« wurden. Auf diesem Umweg haben sich zumindest Teile der Akte erhalten, die von den Nöten des Bauern Andreas Welz und seiner Familie berichtet. Sie beginnt mit einem Protokoll vom 6. September 1689: »Es hat sich […] ein wunderbarer und allhier zu Döttingen noch nie erhörter Casus in Andreas Welzen Behausung zugetragen […]«. Andreas Welz muss in den 1640er Jahren in Unterregenbach zur Welt gekommen sein. 1667 verheiratete er sich mit Margaretha, einer Bauerntochter aus Döttingen. Bald darauf scheint er ihren elterlichen Hof übernommen zu haben. Dem Paar wurden zwischen 1668 und 1687 drei Söhne und fünf Töchter geboren. Mindestens eine Tochter scheint bereits im ersten Lebensjahr verstorben zu sein. Ob die sieben anderen Kinder zum Zeitpunkt der Geistererscheinung von 1689 noch am Leben waren, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Zumindest der älteste Sohn Michael (* 1668), der jüngste Sohn Hans Andreas Michael (* 1687) und die Töchter Ursula Salome (* 1678) und Maria (* 1681) müssen die Geschehnisse miterlebt haben. Den beiden Letzteren kommt in der unheimlichen Geschichte eine tragische Hauptrolle zu. Die merkwürdigen Ereignisse begannen um den Jakobustag, also den 25. Juli, 1689. Am Ufer des Eschentaler Bachs, der das Dorf Döttingen durchfließt, stießen die Kinder des Andreas Welz auf einen Kehrrichthaufen, den, so stellte die später angestellte Untersuchung fest, das Gesinde ihres Nachbarn Heinrich Stepper dort entsorgt hatte. Beim Durchwühlen des Unrats fanden sie zu ihrer Überraschung einige Münzen im Gesamtwert von 36 Kreuzern, die sie gleich darauf ihrer Mutter brachten. Margaretha Welz habe das Geld »in ein Büchslein verwahrt und in die Truhen verschlossen, nach der Hand und etliche Tage hernach aber nichts mehr ausser dem Büchslein in der Truhen gefunden«. Und nicht nur die Münzen verschwanden auf mysteriöse Weise! Kurze Zeit später stellte Margaretha »einen großen Abgang an ihren Eyern« fest. Als sie außerhalb des Hauses leere Eierschalen fand, ging sie zunächst von einer natürlichen Ursache aus und nahm an, dass sich wohl ein Wiesel an den Eiern zu schaffen gemacht habe. Sicherheitshalber verwahrte sie die Eier fortan in einer Truhe, aus der sie jedoch kurz darauf ebenfalls verschwanden. Hinter dem Haus tauchten sie jedoch völlig unversehrt wieder auf. Den Münzen und den Eiern folgten zahllose Gebrauchsgegenstände aus dem Hause Welz: »allerley Kleidung, weiß Gezeug, als Schurtztuch, Halshemder, Hüllen, Hauben, Hackmesser, Näber, Wetzstein, Dängelstock, Garn, Schlüssel und andere geringe Sachen mehr« verschwanden aus der Wohnstube. Nicht nur die Mitglieder der Familie Welz, auch mehrere Nachbarn wurden Zeugen der unerklärlichen Vorgänge. So sagte beispielsweise der örtliche Bäcker aus, dass vor seinen Augen und in Anwesenheit weiterer Personen ein auf dem Tisch liegender Dengelstock zum Schärfen von Sensen unsichtbar geworden und einen Augenblick später neben der Stubentür wieder erschienen sei. Andere wussten zu berichten, dass eiserne Werkzeuge von einem Moment zum nächsten aus einem Korb verschwanden. Immerhin tauchten fast alle Gegenstände wieder auf. Die meisten fanden sich im Garten des Heinrich Stepper verstreut, manche auf der Dorfgasse. Bald machten auch die Töchter von Andreas Welz erste Erfahrungen mit dem vermeintlichen Hausgespenst: Es habe den Mädchen »den Vorschurtz und Gürtel am Leib ledig und unsichtbar gemacht.« Außerdem berichteten Zeugen, dass man hören könne, wie sich eine auf dem oberen Dachboden befindliche, verschlossene Truhe immer wieder öffne und schließe. Nachdem das Gespenst zunächst unsichtbar geblieben war, machte das Ehepaar Welz einige Tage nach Beginn des Spuks eine seltsame Beobachtung: An einem Augustabend gegen 20 Uhr flog ein »ziemlich grosser Vogel« zum offenen Fenster hinein, setzte sich auf den Webstuhl und flog gleich darauf wieder davon. Andreas Welz »habe nur einen Schatten, die Bäurinn aber den Vogel gar eigentlich gesehen.« Das unheimliche Treiben nahm kein Ende: Am 29. August 1689 verschwanden mehrere Werkzeuge und ein Ochsenstriegel, die später auf der Gasse wiedergefunden wurden. Am 30. August fiel um die Mittagszeit ein Ochsenjoch von seinem Nagel. Nachdem man es wieder aufgehängt hatte, verschwand es erneut und tauchte im Futtertrog der Ochsen wieder auf. Am Abend desselben Tages wechselten noch eine Mistgabel, eine Haue und ein Beil ihren Aufenthaltsort. Am 31. August verschwanden zwei Schlüssel, die im Garten eines Nachbarn wiedergefunden wurden. Einer davon machte sich noch am gleichen Tag erneut auf eine zauberhafte Reise und kam unter dem Wassertrog des Dorfbrunnens wieder zum Vorschein. Am 1. September vernahm Andreas Welz gegen 3 Uhr am Morgen vor der Tür seiner Schlafkammer mehrfach ein »grosses Getös«. Seinem Sohn Michael sprang später am Tag der hart verdiente Knechtslohn aus der Tasche, den er später nahe dem Haus wiederfand. Am 2. September verschwanden fünf Schüsseln samt Deckel aus der Küche, die sich unter dem Schweinestall wiederfanden. Im Laufe der Befragung vom 6. September 1689 wurde Maria, die achtjährige Tochter des Ehepaars Welz, vorgefordert und befragt, die Erstaunliches zu berichten hatte. Während ihre Eltern lediglich den merkwürdigen Vogel beobachtet hatten und ansonsten nur die Auswirkungen des andauernden Spuks wahrnahmen, konnte sie das Gespenst in ihrem Haus sehen! Sie hatte es in den vergangenen Tagen in ihrer Schlafkammer, im Garten und unter dem Bett ihres Vaters angetroffen. Zuletzt war es ihr am Morgen vor der Befragung erschienen: »Heut frühe am Tage, da sie noch im Bette gelegen und eben vom Schlaff erwacht, seye ein schwartzes Gespenst ohne Haar auf ihrem Bette gesessen, welches einen Hundskopff und ein weisses Kreuz auf der Stirn gehabt; worüber sie sehr erschrocken, und wie es wieder von dem Bette und auf den Boden...