Wieland | Seltene Liaison | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 99 Seiten

Wieland Seltene Liaison

E-Book, Deutsch, 99 Seiten

ISBN: 978-3-95865-702-1
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Alles schien so einfach. So selbstverständlich. Als sei die Erlaubnis zu lieben und zu träumen schon immer vorhanden gewesen. Als wären sie in einen romantischen Blütenkelch geschubst worden, war ihnen und als hätten sie darin nichts weiter zu tun, als sich selbst zu sein. Dass Hanna und August sich die Liebe nicht erst herbeiwünschen müssten, sagten die Leute, und dass sie von schönen Liedern und Klängen von Lauten und auch von Harfen umgeben wären, die beiden. Man wollte sich ertappt fühlen von ihren Blicken. Man würde sich als das erkannt ahnen, als was man sein könnte. Rätselhaft aber, erscheine ihnen Hannas und Augusts Bindung, sagten einige und gaben sich anstellig in ihrer Neugier. Rasch wechselte die Geschichte die Münder. Viele wollten die Wahrheit wissen. Viele nicht. Vieler Leute Lieb wäre es wohl gewesen, sich an fremdem Feuer Glut zu holen.
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1
  In fahlem Licht wurden Gedanken gesponnen und gezwirnt und ausgetauscht, als würde man an einem Tisch sitzen und nichts weiteres tun als den Salzstreuer hin und her schieben. Die Suppe des anderen interessierte sehr. Als ein einziger Wettkampf schienen sie ihre Ehe zu betrachten. Kein süßer Dämmerzustand, wie es eigentlich hätte sein können. Dieses Schöne, dieses Verträumte von damals schien sich zunehmend aus ihrem Leben zu entfernen. Vielleicht würde es nie lange an einem Ort bleiben wollen, hätte man sich fragen können. Doch zeigten sich Tage und Nächte anfänglich in beispielloser Glücklichkeit. Gespräche fanden statt, auch wenn geschwiegen wurde. Konstant waren Zärtlichkeit und Berührung. Anspruchslos glaubten sie, die Liebe gefunden zu haben. Damals. Alles schien so einfach, so selbstverständlich zu sein, als sei die Erlaubnis zu lieben und zu träumen schon immer vorhanden gewesen. Niemand hätte sich dafür rechtfertigen wollen. Schon gar nicht bei sich selbst. Zeiten verschmolzen, als hätte dieses Glück sie schon immer heimgesucht. Selbst unbekannte Leute schienen einen zu kennen. Kennen zu wollen. Ihnen war, als bestünde die Welt nur noch aus einer Laune. Aus einer längst erschaffenen. Damals dachte noch keiner daran, dass es einmal von Bedeutung sein könnte, wer beim Spazieren die längeren Schritte macht. Ob man gerade aus, nach links oder nach rechts geht. Als lustig empfunden hätte man dies. So wie alles lustig war, in diesem Traum. In dieser Liebe. Ihren Kindern würden sie dasselbe Glück wünschen. Diese sollten von all dem profitieren dürfen, wenn sie einmal da sind. Ein Junge und ein Mädchen, sei ideal. Vielleicht auch zwei Jungen und zwei Mädchen. Oder zwei Jungen und ein Mädchen. Ein Mädchen müsse unbedingt auch dabei sein, sagte sie. Wichtig sei, dass die Buben älter seien als das Mädchen, meinte er. Eigentlich könnten sie sorglos in die Zukunft blicken. Sein Kaufmannsladen, das wisse sie ja, würde bestens laufen und beträchtliche Gewinne abwerfen. Das Haus, in dem jetzt seine Eltern wohnen, könnte schon in wenigen Jahren ihnen gehören. Sie solle sich doch einmal vorstellen, wie schön dies wäre. Sie und er und die Kinder. Arbeit gäbe es natürlich schon, ein so feudales Heim. Der Garten alleine mit den vielen Blumen und auch die Hecken müssten regelmäßig geschnitten und in Form gebracht werden. Dies jedoch, sei seine Arbeit. Gleich wie er monatlich zweimal, und zwar jeweils an einem Sonntag, sich eine Küchenschürze umbinden täte. Wohl gäbe es immer dasselbe Gericht, dieses dafür meisterhaft. Darauf würde sie sich jetzt schon freuen. Kerzenschein dürfe dabei nicht fehlen. Aber für das Ambiente könne ja sie dann sorgen. Ihr Erstgeborenes tauften sie Hanna. Tiefgrün waren ihre Augen und weizenblond die Haare. Dies und Nase und Lippen hatte sie von der Mutter, darauf bestand sie, Stirn und Ohren auch, dem Vater könnten das Grübchen zwischen Oberlippe und Nase und das Kinn bleiben. Genau wüsste man es nicht. Dies müsste sich erst noch etwas verdeutlichen. Als glückliche Mutter stand nun Frau Reinhard vor ihrem Kind, vor ihrem Mann, vor ihrer und seiner Familie, vor andern Müttern, vor den Dorfbewohnern und vor sich selbst da. Da meinte auch im Garten und im Kaufmannsladen. Da meinte eigentlich auch, dass erst Söhne hätten geboren werden sollen. Ein oder zwei. Doch ließen diese aus unerklärlichen Gründen auf sich warten. Eine Tragödie sei es, meinte der Hausarzt. Wenn wenigstens noch ein Mädchen zur Welt käme, so bestünde danach eher die Hoffnung auf weitere Geburten. Auf Buben eben. Aufgeregt schlugen Herrn Reinhards Schläfen zwar, weitere Kinder jedoch blieben aus. Natürlich sei er auch mit der Hanna ganz zufrieden. Beklagen jedenfalls, wolle er sich nicht. Was ihm der Arzt hingegen zugeflüstert hatte, so sehr geflüstert, dass es ihn beinahe in Raserei versetzt habe, sei gar nicht so abwegig. Wenn diese Frau von Lichtenberg nämlich, so erzählte es der Arzt, ihren Jungen nicht zu sich nehmen könne, warum sollte dann nicht er diesen armen Buben aus dem tristen Kinderheim herausholen? Ehrwürdig genug wären sie gewiss, seine Frau und er, und Hanna hätte bestimmt auch ihre Freude daran. Sein Freund Fritz hätte schon recht, wenn er übers Leben sagt, so kompliziert, wie es ist, sei es auch einfach und so einfach es ist, sei es auch kompliziert. Dabei würde er bleiben. Diese Aussage würde eben immer zutreffen. Ob Regen oder Sonnenschein. Ja, ehrwürdig wären er und seine Familie schon. Finanziell würden sie ordentlich dastehen. Der Kaufmannsladen liefe hervorragend, im Dorf seien sie beliebt, Trunksucht gäbe es in beider Familien keine. Weder bei den Reinhards, noch bei den Hubers. Aktiv würden sie in Vereinen mitmachen und auch im Kirchenchor. Ein Ablehnen seines Gesuchs könne er sich in keiner Weise vorstellen. Schwester Margot hätte ihn und seine Frau bereits zu einem Gespräch eingeladen. Hanna nähmen sie dann natürlich auch mit. Dies zu tun sei strategisch von äußerster Tragweite. August sei der Name des Buben. Von der Fotografie her passe Philipp oder René, aber auch Damian und Jürg. Wie jemand auf den Namen August hätte kommen können und an diesem dann noch Gefallen finden, sei ihm unerklärlich. Vielleicht ließe sich da ja später, wenn er den Buben erst mal bei sich zu Hause habe, noch etwas machen. Lustig sei es bestimmt nicht, einen solchen Namen zu haben. Nicht einmal als Zweitnamen. Hoffentlich würde der Bub dadurch keine Nachteile erleben müssen.   August galt dann schon bald als zweitgeborenes Kind der ehrenwerten Familie Reinhard. Aus gesundheitlichen Gründen würde der Bub jedoch noch ein Jahr in einer Klinik verbringen müssen. Einer sehr renommierten. Dann dürfe er erst nach Hause kommen. Endlich wäre dann die Familie zusammen, sagten beide jeweils mit strahlenden Augen und sie, Frau Reinhard, geborene Huber, lachte dabei und erzählte aus der Zeit ihrer Schwangerschaft. Hanna hätte ihr einen kugelrunden Bauch geformt und viele hätten schmunzeln müssen deswegen. Frauen und Männer. Doch der August hätte fast keinen Platz gebraucht. Ihre Umstandskleider wären kaum von Nöten gewesen, sagte sie, doch angezogen hätte sie diese trotzdem. Ganz so klein sei er doch nicht gewesen, ihr geliebter Fratz. Ihr Hausarzt könnte dies bestätigen, wenn er noch leben würde. Dieser hätte an August bestimmt seine größte Freude gehabt. Aber eben, leider verstarb er schon vor ihrer Entbindung. An was genau, wisse sie nicht mehr. Problemlos seien beide Geburten gewesen. Die von Hanna, sowie auch die von August. Die Namen ihrer Kinder hätte sie im Traum gehört. Einmal, als sie im fünften und einmal, als sie im achten Monat war. Beide Namen hätten ihrem Mann auf Anhieb gefallen, meinte sie. Der Fritz hätte schon recht. So kompliziert, wie das Leben ist, es auch einfach sei und so einfach, wie es ist, es auch kompliziert sei. Stolz schritt Vater und Mutter Reinhard durchs Dorf mit ihren Kindern. Getreu lag die Hand des Jungen in der des Vaters, die des Mädchens in der von Mutter. Der Sonntag schillerte in Gesicht und Kleidung, sich in bester Laune zu zeigen sei man einem solchen Tag wie heute schuldig, bekannte Vater Reinhard und auch Mutter nickte dabei und lächelte in sonnigster Manier anderen Spaziergängern zu. Zwischendurch hielt man an und schwatzte. Dabei kniff Vater August gern mal in die Wange und sagte beschwörend, dass er seinen Sohn liebe. Mutter Reinhard strich Hanna jeweils in wohlwollendster Zuneigung übers Haar, als würde sie einen Glanz darauf zaubern wollen. So vergingen Wochen für Wochen. Jahre für Jahre. Alles schien immer in bester Ordnung zu sein bis zu dem Tag, an welchem man anfing, den Salzstreuer ... bis zu dem Tag, als die Gnade der Liebe, als deren Beeinflussungen rar wurden ... bis zu dem Tag, an welchem das Phantom, der Grund ihrer Beziehung sich offenbarte und die Magie ihren Ahnungen von der Seite wich. Aus den Fugen geraten schien das Etwas, welches Ordnung in ihrer Welt ausgeübt hatte. Sonntägliche Spaziergänge hatten etwas Staubiges bekommen. Glichen immer mehr einer verruchten Eintönigkeit. Momente, die man lieber nicht durchlebt hätte. Das Besondere von damals viel weg. Schuldig oder nicht, sich in bester Laune zu zeigen war unmöglich geworden. Das Verständnis, die Geduld des Verliebtseins ließ nach. Hastig fiel man einander ins Wort. Raste durch ein Niemandsland. Vorüber an Verstand, immer näher vieler Zweifel. Rücklings im wispernden Gras liegen und Schmetterlinge beobachten, wurde plötzlich lachhaft. Träumereien auch. Existent durften nur noch greifbare Dinge sein. Deren Herkunft würde man kennen. Überall gibt es Niemandsländer. Auf der ganzen Welt sind diese verstreut. In Argentinien sowie in Indien. Hinter Mauern und um Ecken. In Köpfen und in Herzen. Überall wird von Liebe und ihrer Unberechenbarkeit gesprochen und davon, wie kostbar beides sei. An tausend andere Niemandsländer würde ein Niemandsland grenzen. So wie die Mosaiksteine auf dem Flurboden, welche noch immer in Augusts Erinnerung weilten wie aneinandergefügte Geschehnisse. Auf diesen vielen geschliffenen und sorgfältig gelegten Steinchen hatte er schon geschlafen, erinnerte sich August manchmal. Darüber sei er auch schon hinweg geschleift worden. Fest am Arm gepackt hätte ihn Schwester Margot damals, und dass er davon keine Flecken abbekam, sei ein Wunder gewesen. Hätte er eines dieser Keramikplättchen als sein Niemandsland bestimmen müssen, wäre er daran gescheitert. Eigentlich hätte es jedes sein können und dann wiederum keines oder alle zusammen. Heimlich hatten er und seine Freunde Kurt und Albert sich gern mal in dieses verbotene Gebiet, in diesen verlockenden Distrikt hineingewagt. Bunt und leuchtend waren die sorgfältig aneinandergefügten Plättchen....


Andreas Wieland, geb. 1969 in Chur. Autor von John Peter Maximilian Huxley/Nobility is a warm gun und Hillbilly County. Wieland ist ein schweizer Schriftsteller und Kulturjournalist. Er schreibt Theaterstücke, Romane, Kurzgeschichten, Texte und Lyrik. Längere Aufenthalte in Kanada und USA. Lebt seit 2012 in Chur.


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