Wilhelmi Fernsehfieber
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8319-1007-6
Verlag: Ellert & Richter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tödliche Gier
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-8319-1007-6
Verlag: Ellert & Richter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prominenz, Geld und Einsamkeit markieren das Jagdrevier für eine „Heuschrecke“ – einen Firmenjäger aus London, der in der Hamburger HafenCity reiche Beute machen will. Hier, am florierenden Hafen der Hansestadt, legt er sich auf die Lauer und wartet. Unschuldiges Opfer droht die TV-Redakteurin Carina Stern zu werden. Sie möchte noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag den ersehnten Sprung vor die Kamera erreichen – dafür ist ihr fast jedes Mittel recht. Tödlich trifft es aber Tim Bauschke, den lebenslustigen Anchorman ihres Senders und ihr Geliebter.
Gemeinsam mit Alexander – ebenfalls karrieresüchtig – gerät Carina in die dubiosen Geschäfte der Medien- und Finanzwelt und in das Abenteuer ihres Lebens.
Neben Hamburg sind die Schauplätze auch München, London, Mallorca und das sonnengeküsste Steuerparadies Jersey.
Ein Krimi über die Medien, die Liebe und die Gier nach dem großen Geld. Aus der Feder des bekannten und beliebten Fernsehjournalisten Martin Wilhelmi.
Autoren/Hrsg.
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2 1. Szene Alexander von Canto war verkatert und jetzt auch noch verärgert: Er würde zu spät kommen, viel zu spät. „Die Central Line“, schnarrte es aus den Deckenlautsprechern des U-Bahn-Wagens, „ist wegen einer technischen Störung vorübergehend gesperrt. Dieser Zug endet bereits am Oxford Circus.“ Die Durchsage von London Transport klang gelangweilt. Vermutlich lackierte sich die Ansagerin in der Zentrale neben dem Mikrofon die Fingernägel, dachte Alexander, obwohl der Grund für die Störung wahrscheinlich eine Bombendrohung, ein Gleisbrand oder ein Selbstmörder war – alltäglich in der Milleniumsmetropole, ebenso alltäglich wie die Verdrängung des Terror-Risikos in den Köpfen der Menschen. Alexander hatte mal wieder einen Zug der älteren Baureihe erwischt. Er stand an der undichten Tür und schnappte im warmen morgendlichen Mief der Berufspendler nach Frischluft. Streckensignale wischten bunte Lichtspuren über seine Netzhaut. Ein Blitz aus dem Gleisbett züngelte blaukalt über die Tunnelwand. Bei London Transport waren die Fingernägel offenbar getrocknet, denn die Stimme sprach von „Bemühen“ und „Bedauern“, jetzt etwas freundlicher. Sie verhallte dennoch im Rumpeln der Räder und Sirren der Gleise. Augenpaare suchten Armbanduhren, Finger fischten nach Mobiltelefonen, hier und da legte sich eine Stirn in Falten. Doch echte Londoner ließen sich von der Unpässlichkeit ihrer guten alten Tube nicht aus der Ruhe bringen. Alexander schon. Unpünktlichkeit würde ihn heute teuer zu stehen kommen. Auf Punkt acht Uhr hatte ihn Peter Requin für diesen Montag ins Dachgeschoss der Firma bestellt, auf den Olymp, den Göttersitz des Gründungspartners. Am vergangenen Freitag hatte Peter in die Betreffzeile seiner E-Mail „First Deal, Bingo!“ eingetragen. Das hieß: Auf Alexander wartete der erste eigene Job. Mehr als ein halbes Jahr hatte er sich in der Warteschleife bei STING, der Spring Tide Investment Group, Limited Liability Partnership, London/Jersey, gedulden müssen, einer Hedgefondsfirma, die sich durch geschickte Surfmanöver gerettet hatte, als ein Tsunami aus vergifteten Wertpapieren die Finanzmärkte der Welt absaufen ließ. STING stand sogar besser da als vor den Pleitewellen. Warum, das wusste wohl allein der Gründer, Peter Requin, der keine Gelegenheit ausließ zu betonen, dass sein – bitte französisch auszusprechender – Nachname „Hai“ bedeutete. Alexander war mit seinen fünfunddreißig Jahren der Greis unter den Anfängern, der älteste „Rookie“ in der erst kurzen Firmengeschichte. Alle wollten schnell ein eigenes Projekt, es bedeutete Provision, Bonus und vielleicht sogar weitere Anteile am Unternehmen. Profit für STING war Raketentreibstoff für die Karriere, denn am Ende des Jahres würde gnadenlos über das in or out entschieden, wer bleibt, wer fliegt? Und je höher der Rang auf STINGs money list, desto sicherer die Aussicht auf eine Seniorpartnerschaft mit eigener Verantwortung. Heute allerdings würde Alexander wohl erstmal zur Kasse gebeten: Für die erste Verspätung zahlte ein Mitarbeiter wie er umgerechnet 1000 Euro Strafe in die Partykasse. Das tat weh in einer der teuersten Städte der Erde. Eine U-Bahn-Panne war Pech, aber keine Entschuldigung. Aber vielleicht war noch nichts verloren, mit viel Glück bei den Anschlüssen konnte der wichtigste Termin seiner bisherigen Karriere noch knapp zu schaffen sein. Und schon griffen die Bremsen des Zuges, die Kupplungen ächzten, die Stahlfedern jammerten. Alexander schloss sein dunkelgraues Nadelstreifenjackett und tastete nach dem Öffnungsknopf der Tür, als der Zug nur noch zögerlich, fast widerstrebend, ins gekachelte Gewölbe der Station Oxford Circus rollte. Bestürzt erfasste Alexander den Grund des Kriechtempos: Unzählige Menschen bevölkerten den Bahnsteig bis dicht an die Gleiskante, offensichtlich ausgespuckt von vorausfahrenden Zügen, bewegungslos in gegenseitiger Blockade. Der Ausgang Richtung Bakerloo, der als einziger Rettung bedeutet hätte, war natürlich auch versperrt. Warum hatte er bloß in Notting Hill übernachtet, weit im Westen der Stadt, noch jenseits des Hyde Park. Alexander war glücklich mit seinem kleinen Appartement im quirligen Angel, nördlich des Finanzdistrikts. Die 50 Quadratmeter kosteten zwar fast 3000 Euro, aber von dort war das Büro zu Fuß zu erreichen. Doch seine Freundin aus gemeinsamen Studentenzeiten, Tochter einer wohlhabenden Winzerfamilie, hatte gestern wieder zum Rendezvous gebeten: Amalia Rittner, in London für alle Amy. Alexander hatte sie damals auf einer Party in München kennengelernt, wo Amalia glaubte nachholen zu müssen, was sie im katholischen Internat verpasst hatte. Dabei war sie ihren Kommilitoninnen nach seinem Empfinden ohnehin weit voraus. Der Jurist und die Kunstgeschichtlerin hatten sich überraschend gut unterhalten, und einige Gin Tonics später wunderte sich Alexander, dass die Musik ausgeschaltet wurde, bevor er auf dem Sofa der Gastgeber einschlummerte. Amalia meldete sich ein paar Tage später, schien überhaupt nicht beleidigt und ging schon bei der ersten Verabredung erfreulich unkompliziert mit dem Thema Sex um. Ein Thema, mit dem Alexander sich immer etwas schwergetan hatte. Obwohl er nicht selten Komplimente bekam, blieb das Selbstbewusstsein des jungen Herrn von Canto hinter seiner Wirkung auf andere zurück. Als Gegenleistung für Amalias wohltuende Unbefangenheit ließ er ihre Wolken aus Worten an sich vorüberziehen. Amalia erzählte nicht, sie föhnte Sätze in seine Richtung. Während er vorgab zuzuhören, sagte er sich im Stillen: Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch. Außerdem vermochte sie es, seine erotische Abenteuerlust zuverlässig auch an ungewöhnlichen Orten zu wecken, im Englischen Garten, in der Uni-Bibliothek, sogar nachts in Hauseingängen. Dann war Amalia mit dem Magisterexamen fertig, reiste als Kunstsachverständige durch Europa und landete bei einem angesehenen Auktionshaus in London. Als Alexander ihr Anfang des Jahres aus einem Hamburger Bürokämmerchen zum Geburtstag gratuliert und dabei seine beruflichen Träume erwähnt hatte, tadelte Amalia ihn wegen seiner Ziellosigkeit und lud ihn zu sich nach London ein. Noch am Flughafen Heathrow überraschte sie ihn mit einer Neuigkeit: Einer ihrer besten Kunden, Peter Requin, Ersteigerer von seltenen Weinen und, wie sie schwärmte, „mitten drin im großen Geld“, suchte einen deutschen Juristen mit tadellosem gesellschaftlichen Ruf, kein Anfänger mehr, aber noch einsatzfreudig, Prädikatsexamen nicht erforderlich. Bei einem Lunch zu dritt in einem Separee des Capital Club, im Schatten des grauen Geldpalastes der Bank of England an der Threadneedle Street, wollte Mr. Requin wissen, ob das „von“ in Alexanders Namen auf Adel in seiner Abstammung hindeute, und zeigte sich zufrieden mit der Auskunft „Seitenarm einer preußischen Landgrafenfamilie, seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Stammsitz“. Dann sprachen sie über Alexanders Siegelring als Statussymbol und über leider erschreckend schlechte Manieren in der Investmentbranche. Zwischendurch machte Amalia Peter Requin eine Kaufoption auf Bordeaux-Wein schmackhaft, die er „in diesen unsicheren Zeiten“ sofort annahm. Die Verzinsung von Anlagen in gute französische Weine schlügen die Wertentwicklung des Pariser Leitindex CAC 40 locker um zweihundert Prozent, erklärte Peter. Im Capital Club trank er allerdings nur Wasser, auch nachdem er dem Spross der Landadelsdynastie beim Dessert tatsächlich eine Juniorpartnerschaft bei STING angeboten hatte. Von dieser Firma hatte Alexander nie gehört, auch das Internet machte ihn später nicht schlauer. Außerdem fürchtete er, dass ein Investment-Job nach dem weltweiten Kreditkollaps so gemütlich werden würde wie ein Spaziergang über afghanische Minenfelder. Doch schon das angebotene Festgehalt lag weit über dem Einkommen eines angestellten Anwalts in Hamburg, es war eigentlich zu hoch für einen Durchschnittsjuristen wie ihn und zweifellos ein später Glücksfall in seiner kurvenreichen Karriere. Amalia zwinkerte aufmunternd, als er zusagte. Am Tag danach kaufte Alexander sich bei STING mit einer Unterschrift vor der vergoldeten Halbbrille und der weiß gepuderten Amtsperücke eines Barristers ein. Als Einlage für den Minimal-Anteil an der Firma wurden 500 000 Euro vereinbart. Nachdem sein enttäuschter Vater, der ihn lieber an einen befreundeten Anwaltskollegen in Hamburg vermittelt hätte und der die Investmentbranche für ein zutiefst unseriöses Geschäft hielt, bei der Beschaffung des Geldes nicht behilflich sein wollte, streckte ihm Peter, no problem, Alex!, das Geld bis Ende des Jahres zinslos vor. Amalia Rittners Stolz war unübersehbar ihr zweigeschossiges Townhouse in Notting Hill. Die viktorianische Villa lag am höheren Ende der eleganten Kensington Park Road, mit eigenem Parkplatz und Pflegeservice für den Garten. Nur ein paar Schritte entfernt, parallel zum weiß gestrichenen Wohlstand ihrer Straße, drängelten sich die schiefen, bunten Häuser der Portobello Road, in deren verrückten Restaurants Amalia und Alexander häufig zu Gast waren. Auf dem Rückweg schwankten sie, dauerbeschallt von Amalias Redefluss, an ihrer Vorgartenmagnolie vorüber und machten routinemäßig eine erotische Station im Weinkeller, bevor sie oben im Schlafzimmer mit der überwältigenden Aussicht auf den Hyde Park landeten. Solange ich Mr. Right nicht gefunden habe, bist du mein Mr. Right Now, sagte sie gelegentlich und ließ ihre Finger über seine unbehaarte Brust laufen. Meistens brauchte Alexander den ganzen nächsten Tag, um sich von seinen Ausflügen zu Amy...