Willeford Neue Hoffnung für die Toten
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-89581-401-3
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der zweite Hoke-Moseley-Fall
E-Book, Deutsch, Band 2, 324 Seiten
Reihe: Hoke Moseley
ISBN: 978-3-89581-401-3
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Direkt, brutal, amoralisch, sexistisch. Brillant.' Wiener
Hoke Moseley bekommt von seinem Chef den Auftrag, fünfzig bereits zu den Akten gelegte Morde neu aufzurollen: neue Hoffnung für die Toten und damit neue Probleme für den vom Leben ohnehin schon stark gebeutelten Detective.
Denn chronisch pleite und übergewichtig muss Moseley sich bereits mit dem Tod eines Junkies, stumpfsinnigen Dienstverordnungen, liebestollen Hunden und verwesenden Rentnern auseinandersetzen. Und plötzlich stehen auch noch Hokes minderjährige Töchter vor der Tür und wollen bei ihm wohnen.
'Zum ersten Mal Willeford zu lesen ist genau wie die erste Berührung mit der Musik von Miles Davis: Wir werden von der gleichen kalten, sardonischen Knappheit attackiert, aber gleichzeitig gibt es bizarre Wendungen und eine echte, liebevolle Note.' Janwillem van de Wetering
'Schreib die Wahrheit, und man wird glauben, du hättest schwarzen Humor.' Charles Willeford
Charles Willeford, geboren 1919 in Arkansas, Waise mit acht Jahren und im Alter von vierzehn Eisenbahntramp, später 25 Jahre Berufssoldat in der US-Army, 1961 - 1964 Studium der Englischen Literatur. Willeford war u.a. Boxer, Radiosprecher, Maler, Englischlehrer sowie Autor. Als Journalist und Literaturkritiker schrieb er für den Miami Herald, als Autor veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Willeford starb 1988 in Miami.
'Ich bin nicht Neo-Noir. Ich fühle mich näher bei der modernen Kriminalliteratur, noch näher bei Charles Willeford.' Quentin Tarantino
'Niemand schreibt einen besseren Kriminalroman als Charles Willeford!' Elmore Leonard
Weitere Infos & Material
2 Miami ist der größte der siebenundzwanzig Bezirke im Großraum Miami, aber es besitzt keine der angenehmen Mittelklasse-Wohngegenden und bezahlbaren Viertel, wie sie sich in den kleineren Bezirken finden. Es gibt mehrere teure Nobelgegenden, aber sehr wenige Polizisten können es sich leisten, in diesen Enklaven des Wohlstands zu wohnen, selbst die mit berufstätigen Frauen. Es gibt Slumgebiete und schwarze Viertel, in denen es erschwinglich ist, aber die »WASPs«, die weißen, angelsächsisch-protestantischen Polizisten mit ihren Familien meiden diese Gegenden ebenso wie Little Havana. Wenn ein Viertel von Schwarzen oder Latinos bevölkert wird, ziehen die Anglo-Polizisten mit ihren Familien aus. Latino-Cops bevorzugen Little Havana, und sie haben keine Mühe, dort für ihre Großfamilien eine Wohnung zu finden, aber Mittelklassegegenden, die für verheiratete WASP-Cops akzeptabel wären, sind knapp, denn die Bevölkerung von Miami besteht inzwischen zu über 55 Prozent aus Latinos. Infolgedessen waren die Anglos des Miami Police Department mit ihren Familien aus der Stadt hinaus in das expandierende Kendall gezogen, in das vorstädtische South Miami, in die gigantischen Wohnkomplexe in North Miami und in die neuen, erschwinglichen Bezirke von West Miami. Die bei der Stadt angestellten Polizisten waren verpflichtet, ihre Dienstmarken und Waffen stets bei sich zu tragen, damit sie auch außer Dienst eine Verhaftung vornehmen oder einem Kollegen in Schwierigkeiten helfen konnten. Aber da so viele außerhalb der Stadt wohnten, waren nur wenige tatsächlich verfügbar. Dem neuen Polizeichef erschien es daher logisch, daß die Verbrechensrate um ein Beträchtliches sinken würde, wenn alle tausend Polizisten des Miami Police Department im Stadtgebiet wohnten. Tatsächlich hatte es eine offizielle Dienstvorschrift, nach der ein Cop innerhalb der Stadtgrenzen wohnen mußte, schon immer gegeben, aber bevor der neue Chief sein Amt angetreten hatte, hatte niemand auf ihrer Einhaltung bestanden. Jetzt aber hatte man sämtlichen zu Miami gehörenden Polizisten, die in anderen Bezirken wohnten, eine strikt einzuhaltende Frist gesetzt, ihren Wohnsitz in die City zurückzuverlegen. Den meisten Cops erschien diese Vorschrift sinnlos und unfair, denn viele von ihnen hatten Häuser in anderen Gemeinden gekauft. Viele kündigten lieber, als daß sie zurückkehrten, und sie fanden ohne große Mühe neue Jobs bei der Polizei in den Städten, in denen sie wohnten, auch wenn die meisten ein niedrigeres Gehalt in Kauf nehmen mußten. Andere, die dem Department schon zu lange angehörten, um zu kündigen, ließen ihre Familien in den anderen Gemeinden zurück und mieteten sich kleine, beengte Apartments oder zogen zu Verwandten nach Miami. Wieder andere fanden, nach verzweifeltem Suchen natürlich, angemessene Wohnungen. Die strikte Durchsetzung der Vorschrift hatte zum Verlust von über hundert Beamten geführt, darunter viele höchst kompetente altgediente Leute. Infolge von Etatschwierigkeiten der Stadt fehlten dem Department ohnedies schon mindestens hundertfünfzig Stellen, und so wurde die Stärke der Polizei auf rund achthundertfünfzig Ganztagsstellen reduziert. Angesichts dieser Personalknappheit und der zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Anwerbung neuer Polizisten aus den Minderheitsgruppen, die nach den derzeitigen Eingliederungsprogrammen vorrangig eingestellt wurden, erschien es dem neuen Chief unerläßlich, die Vorschrift auch weiterhin durchzusetzen. Der Schaden war nicht mehr rückgängig zu machen, aber wenigstens wohnten jetzt die meisten der verbliebenen Cops innerhalb der Stadtgrenzen und waren auch außerhalb ihrer Dienststunden erreichbar. Hoke Moseley jedoch hatte ein spezielles Problem. Als Sergeant verdiente er im Jahr 34.000 Dollar. Ein geschiedener Single hätte davon in Miami eigentlich gut leben können. Aber auf Grund seiner Scheidungsvereinbarung mußte Hoke die Hälfte seines Einkommens – jeden zweiten Gehaltsscheck – an seine Exfrau schicken, die in Vero Beach, Florida, wohnte. Vor zehn Jahren, als Hoke die Vereinbarung unterschrieben hatte – mit der seine Exfrau Patsy auch das Sorgerecht für die beiden Töchter erhalten hatte –, war er bereit gewesen, so gut wie alles zu unterschreiben, um aus dieser unhaltbaren Ehe herauszukommen. Während der Trennungszeit hatte er mietfrei bei einer jungen Frau aus der Werbebranche gewohnt, Bambi; sie hatte eine Drei-Zimmer-Eigentumswohnung in Coconut Grove gehabt, einer angenehmen Gegend innerhalb der Stadtgrenze. Aber nach der Scheidung und nachdem er mit Bambi Schluß gemacht hatte, hatte er begriffen, wie töricht es gewesen war, sich auf diese Scheidungsvereinbarung einzulassen: Von den 17.000, die ihm blieben, zahlte er noch immer die Einkommensteuer für das volle Gehalt, dazu Rentenbeiträge, Arbeitslosenversicherung, Gewerkschaftsbeiträge und alles andere. Dieses »alles andere« schloß auch die Rechnungen für die medizinische Behandlung der beiden Töchter mit ein; im Laufe der Jahre war hier eine Menge Geld zusammengekommen, vor allem für Zahnärzte und Kieferorthopäden. Patsy schickte ihm außerdem die Rechnungen für neue Sachen für die Mädchen zu Ostern und zu Weihnachten, für Schulkleidung und für das Sommercamp in Sebring, Florida, in das die Mädchen gern fuhren und in dem man auch reiten konnte – gegen eine zusätzliche Gebühr. Hätte Hoke seinen eigenen Anwalt gehabt, statt sich mit Patsy eine Anwältin zu teilen, und wenn er sich nicht für die Scheidungsvereinbarung entschieden hätte, sondern für Unterhaltszahlung, hätte er diese Ausgaben wenigstens von seiner Einkommensteuer absetzen können. Aber Patsy hatte sich eine clevere Anwältin genommen, die Hoke überredet hatte, die Vereinbarung zu unterschreiben. Nach Bambi war er gezwungen gewesen, in billigen Einzimmerapartments zu hausen, und er hatte sogar versucht, zur Untermiete mit Küchenbenutzung zu wohnen. Dennoch hatte er sich im Laufe der Jahre immer höher verschuldet. Seine eigenen Zahnarztrechnungen waren immer weiter gestiegen, während sein Zahnarzt vergeblich versucht hatte, seine Zähne zu retten; schließlich waren sie alle gezogen worden, und er hatte eine Totalprothese mit graubläulich schimmernden Zähnen angepaßt bekommen. Dieses zerbrechlich aussehende Gebiß war so offenkundig falsch, daß Leute, die Hoke neu kennenlernten, es als erstes bemerkten. Zwei Jahre zuvor, ehe das Department von dem neuen Chief übernommen worden war, hatte Hoke eine Lösung gefunden, die ihn zumindest von einem Teil seiner finanziellen Probleme befreit hatte. Howard Bennett, der Besitzer und Geschäftsführer des Eldorado Hotel, eines heruntergekommenen Art-déco-Etablissements in South Miami Beach, hatte Hoke als Hausdetektiv engagiert. Hoke bewohnte mietfrei eine Zwei-Zimmer-Suite und hatte nichts weiter zu tun, als die Nächte und die meisten Wochenenden im Hotel zu verbringen. Von seinem Fenster aus sah er die Biscayne Bay und die Skyline von Miami, und über den MacArthur Causeway, einen der Straßendämme, die Miami Beach mit Miami verbinden, war er innerhalb von fünfzehn Minuten in Miami und in seinem Büro. Manchmal, je nach den Verkehrsverhältnissen, ging es schneller. Aber Miami Beach war eben nicht Miami, und Major Willie Brownley, der Chef des Morddezernats, hatte Hoke befohlen, zurück in die Stadt zu ziehen. »Es ist unbedingt erforderlich, daß Sie so bald wie möglich aus dem Eldorado ausziehen«, hatte Major Brownley gesagt. »Vermutlich hat South Beach neben Coral Gables die höchste Verbrechensrate in ganz Dade County. In dieser miesen Nachbarschaft werden Sie früher oder später in eine Schießerei verwickelt werden und jemanden verhaften müssen. Und wenn sich dann herausstellt, daß Sie ein Cop aus Miami und nicht einer aus Miami Beach sind, dann wird man mir die Hölle heißmachen, denn Sie dürften da gar nicht wohnen.« »Es ist ein ruhiger Laden, das Eldorado«, hatte Hoke erwidert. »Größtenteils alte jüdische Ladies, die von Sozialhilfe leben.« »Und Flüchtlinge aus Mariel.« »Es sind nur noch fünf, Willie. Die Unruhestifter bin ich längst los. Aber ich ziehe aus. Ich will nur wissen, wieviel Zeit ich habe, das ist alles.« »Zwei Wochen. Sie haben noch Überstunden abzufeiern. Nehmen Sie sich ein paar Tage frei, suchen Sie sich eine Wohnung, und machen Sie, daß Sie da rauskommen. Sie sind inzwischen der einzige in meiner Abteilung, der keine Adresse in Miami hat.« »Ich habe eine Adresse in Miami. Offiziell wird meine Post in Bill Hendersons Haus gebracht.« »Aber ich weiß, daß Sie immer noch im Eldorado wohnen.« »In zwei Wochen bin ich da raus, Willie. Machen Sie sich keine Sorgen.« »Ich mache mir keine Sorgen. Zwei Wochen – oder Sie werden vom Dienst suspendiert, und das ohne Gehalt, bis Sie wieder in der City wohnen.« Inzwischen war eine Woche verstrichen, und Hoke hatte noch keine mietfreie Wohnung gefunden. Er hatte in mehreren...