Willems | Der Abstieg | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 607 Seiten

Willems Der Abstieg


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86479-030-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 607 Seiten

ISBN: 978-3-86479-030-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Trotz vieler realer Elemente handelt es sich bei dieser Geschichte um eine Fiktion, die über das Jahr 2004 bis Herbst 2005 zeigt, wie Leidtragende der kombinierten Arbeitslosenhilfe mit Sozialhilfe als langjährige Arbeitnehmer aus dem Netz staatlicher Fürsorge fallen und daraus resultierend einen beruflichen, menschlichen sowie familiären Abstieg erleben können. Aus dramaturgischen Gründen und zur Straffung der fiktiven Geschichte muss nicht alles der Wirklichkeit entsprechen. Das bezieht sich sowohl auf umfangreiche gesetzliche Bestimmungen wie präzis wirkende Ortsangaben und auch Personen. Zwar sind viele Daten den geltenden Gesetzen entnommen, aber für eine beschleunigte Darstellung des Verfahrens gelegentlich gerafft.

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Als er mit Lieselotte zur Sprunggrube geht, übermannt ihn der Übermut. Er nimmt Anlauf und überspringt die im Augenblick nicht genutzte Hochsprunganlage. „Liesel, das kannst Du doch auch“, meint er danach zu Lieselotte, die schon voller Skepsis auf die Weitsprungbahn schaut. „Sie können alternativ zum Weitsprung auch Hochsprung machen“, bestätigt der Kontroll-Helfer. „Dann versuch’ ich einmal das“, sagt Lieselotte, nimmt Anlauf und überwindet spielend die Ein-Meter-Hürde. „Prima“, sagt der Helfer. Mit einem prüfenden Blick auf den Laufzettel stellt er fest, dass jetzt nur noch die Schwimmprüfung fehle. „Wo fahren die Autos ab?“, fragt Andreas. „Wo sind die Kinder?“, fragt Lieselotte.   Die Mädchen kommen vom Kugelstoßen. Freudestrahlend winken sie mit ihren Laufzetteln. „Gehen wir noch einen trinken?“, fragt Andreas. Bei einer Cola schaut er sich die Werte der Mädchen an. „Nicht schlecht“, sagt er zu Lieselotte. „Jetzt fahren wir zum Schwimmen.“ Sie gehen nach vorne zum Parkplatz, holen ihre Badesachen aus dem Auto und schon geht’s mit dem Kleinbus mit anderen Sportlern ins Hallenbad. Das Wasser ist angenehm warm. Andreas mag kein kaltes Wasser. Seine Frau und die Mädchen schwimmen bereits mit den anderen im Becken. „50 Meter sind ja nicht viel“, sagt Andreas zum Bademeister, der die Laufzettel einsammelt. Wie eine kalte Dusche wirkt die Eröffnung auf Andreas, dass es in seiner Altersklasse keine 50 Meter gibt. „Sie schwimmen 200 Meter!“ „Am Stück?!“ Andreas glaubt sich verhört zu haben. Üblicherweise schwimmt er zwei bis drei Bahnen, dann ruht er sich am Beckenrand aus. Sollte er jetzt beim Baden scheitern? Langsam klettert Andreas über die Leiter ins Wasser. „Acht Bahnen muss ich von Beckenrand zu Beckenrand schwimmen“, rechnet Andreas. Er sichert sich die Außenbahn. „Im Notfall kann ich mich an den Beckenrand retten“, denkt er sich.   Als der Bademeister das Startsignal gibt, drückt sich Andreas am Beckenrand ab. Lieselotte hat in kürzester Zeit zwei Längen Vorsprung, Selbst Su auf Bahn drei liegt schon vor Andreas. Er konzentriert sich aufs Schwimmen. Die Uhr an der großen Wand vor sich im Blickfeld. Andreas beobachtet den großen Zeiger. Für eine Bahnenlänge hat er eine Minute Zeit. „Wenn ich so durchhalte“, denkt Andreas nach der vierten Bahn, „kann ich’s schaffen!“ Lieselotte kommt ihm auf der Gegenbahn entgegen. Andreas schaut nicht mehr nach den anderen, die Kraulen oder Brustschwimmen. Er zieht seine Bahnen und zählt. Als er in die letzte Bahn einschwenkt, sind die anderen bereits fertig. Schnaufend fragt er nach seiner letzten Bahn den auf ihn wartenden Bademeister nach der gestoppten Zeit. „6.36, das reicht!“ Andreas ist erleichtert. „Ich habe es geschafft!“ Fröhlich verlässt er das Becken und geht zu den anderen ins badewannenwarme Kinderbecken. Alle plantschen entspannt herum, froh über ihren Leistungsnachweis. „Ich hätte nie gedacht“, sagt Andreas zu Lieselotte, „dass man im Wasser so schwitzen kann!“   Zurück im Stadion gibt es am Spätnachmittag die Sportabzeichenurkunden für alle erfolgreichen Teilnehmer. „Körperliche Aktivitäten steigern die Ausdauer und schaffen einen klaren Kopf. Arbeitgeber schätzen so etwas“, sagt Brauereidirektor Richard Weber, der sich natürlich vor allem an die Mitarbeiter seines Unternehmens wendet. „Besser als der Chef“, so sollten sie sein. Drei Frauen hatten es geschafft, bessere Werte als Richard Weber zu erreichen. Ihnen, die den Chef sportlich geschlagen hatten, zog Weber ein T-Shirt über. Auf der Rückseite stand „Besser als der Chef“.   „Ich habe gelesen, dass sportliche Aktivitäten Glücksgefühle erzeugen“, sagt Andreas auf der Rückfahrt im Auto. „Ich bin aber nur noch geschafft.“ Weil Isabella noch etwas bei Susanne Stolz spielen will, fahren Lieselotte und Andreas allein nach Hause. Und sie gehen umgehend zu Bett.   Andreas Pitz genießt das Frühstück auf der Terrasse. Nachdem Frau und Kind das Haus verlassen hatten, war er nach neun Uhr aufgestanden. Gemütlich hatte er das warme Wasser der Dusche über seinen Körper rieseln lassen. In der Küche packte er Marmelade, Brot, Kaffee und Butter samt Geschirr und Besteck auf ein Tablett. Jetzt sitzt er über den von der Morgensonne aufgeheizten Fliesen. Quittengelee verstreicht er langsam auf sein Butterbrot. Vögel zwitschern von den nahen Bäumen. „Lieselotte könnte mir jetzt sagen, was das für ein Vogel ist“, denkt Andreas. Er lehnt sich in seinem gepolsterten Teakholzstuhl zurück. Entspannt lässt er die Sonne auf seine vom Morgenmantel nicht bedeckte Brust scheinen. Er vermisst seine Frau. Jetzt hätte er endlich die Zeit, die ihm früher immer für ein Zusammensein fehlte. Aber jetzt musste sie arbeiten.   Als Andreas mit seinem Frühstück fertig ist, packt er alles auf das Tablett und trägt es in die Küche. Dort stellt er auch das Geschirr von Lieselotte und Isabella in die Spülmaschine und räumt auf. Parallel dazu presst er sich zwei Grapefruits. Mit dem Saft geht er ins Wohnzimmer. Aus dem Barschrank holt er einen Schnaps und peppt seinen Fruchtsaft mit einem Schuss Alkohol auf. Dann greift er zur Zeitung, die Lieselotte jeden Morgen vom Briefkasten holt und im Wohnzimmer ablegt. Mit der sicheren Gewissheit, nichts zu verpassen, bewegt sich Andreas anschließend langsam auf die Terrasse. Er breitet die Zeitung aus, nippt an seinem Saftglas und genießt die auf dem Dorf übliche Stille der Natur.   Die Zeitung schreibt über Hartz IV. Danach soll es ab Januar 2005 weder Sozialhilfe noch Arbeitslosenhilfe geben. Als Arbeitslosengeld II sollen alle Bedürftigen nach fest stehenden Hilfssätzen vom Amt unterstützt werden. Wer Vermögen hat oder mit vermögenden Verwandten in einer Gemeinschaft lebt, soll zukünftig leer ausgehen, keine Unterstützung mehr bekommen. Schon seit längerer Zeit ist Hartz IV das Stichwort, über das die Regierung die maroden Sozialkassen sanieren will. Immer wieder hat Andreas Pitz in letzter Zeit über diese Reform gelesen oder auch in den Nachrichten von Radio und Fernsehen davon gehört. „Es scheint Stunk zu geben“, denkt sich Andreas, als er die Zeilen überliest. Allein Stehende sollen nach dieser Zeitungsmeldung 345 Euro im Monat bekommen. Pitz überfliegt den Betrag: „Keine 700 Mark!“ Andreas denkt an seine Tochter Helene. Allein ihre Studentenbude in Paris kostet schon 800 Mark. „Natürlich, das ist Paris!“, sagt sich Andreas im Stillen. „In Deutschland kostet so ein Apartment“, er denkt nach, „vielleicht 270 Euro.“ Er macht sich weiter seine Gedanken. Dabei kommt er mit Mark und Euro etwas durcheinander, bis er schließlich entrüstet feststellt, dass dem Arbeitslosen nur noch 75 Euro zum Leben bleiben.   Als er die Zeitung weiter liest, erfährt Andreas Pitz, dass der dann von Alg II lebende Hilfeempfänger einen Mietzuschuss von bis zu 250 Euro bekommen kann. Das stimmt ihn etwas versöhnlich, denn „damit kann der ja auskommen“, zumal es noch einen Heizkostenzuschuss von 60 Euro gibt. Andreas kommt ins Grübeln. „Aber viel ist das nicht!“ Er wiegt seinen Kopf bedenkend hin und her. Andreas rechnet, die Zahlen leise vor sich hinmurmelnd: „345 Euro minus 20 Euro zu hohe Miete macht 325 Euro, von denen der Mensch dann leben muss.“ Andreas hält kurz inne. „Ein Auto ist da nicht mehr drin“, stellt er fest. „650 Mark“, Andreas rechnet wieder in seiner Denk-Währung, „durch 30 Tage, da bleiben etwa 20 Mark fürs tägliche Leben.“ Andreas schaut in die strahlende Sonne. „Na ja, ein bisschen kann ‚er’ sich dann schon noch leisten!“   Der Meinung scheint auch Karsten Rudolph, stellvertretender SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, zu sein: „Von den 345 Euro pro Woche kann man doch gut leben“, zitiert ihn die Zeitung. „Es muss niemand betteln gehen“, habe Rudolph zu der wachsenden Kritik an den Reformgesetzen gesagt. Aber, so schreibt die Zeitung süffisant, der Politiker habe wohl vergessen, dass 345 Euro nicht der Betrag für eine Woche sei. 345 Euro seien die Unterstützung für den ganzen Monat! Es gebe wohl noch Aufklärungsbedarf, sowohl in der Öffentlichkeit wie bei den Politikern, heißt es in der Zeitung. Andreas schaut auf die Uhr. Es ist fast Mittag. Seit einiger Zeit verbringt Andreas die Mittagszeit immer in der „Kaffeekich“. Das ist die Kantine der nahen Grube. Da Lieselotte abends „etwas Richtiges“ kocht und Isabella zumeist in der Schule einen Imbiss bekommt, hat sich Andreas abgewöhnt, allein für sich mittags zu kochen. Außerdem hat er nachgerechnet, dass ein Essen in der Kantine nicht mehr kostet als das, was er sich zu Hause zubereitet hat. „Das Süppchen“, das zumeist aus der Tüte kam, kostete 69 Cent. Genau so viel kostete das Dessert aus der Tüte. „Dazu die Flasche...



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