Williams | Sternenpuls | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 608 Seiten

Williams Sternenpuls

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-22901-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 608 Seiten

ISBN: 978-3-641-22901-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor hundert Jahren breitete sich der sogenannte 'Puls', eine mysteriöse Energiewelle, mit rasender Geschwindigkeit im Weltall aus. Manche Planeten blieben davon völlig unberührt, andere wurden ins Chaos gestürzt. Jane Kamalis Job ist es, von Planet zu Planet zu reisen und dort die begabtesten Kinder für den Wiederaufbau des Universums zu rekrutieren. Doch gerade als sie die junge Esa, einen telekinetisch begabten, miesepetrigen Teenager, aufgespürt hat, geht etwas schief, und plötzlich steckt Jane mitten in einem intergalaktischen Krieg - den sie versehentlich selbst ausgelöst hat ...

Drew Williams ist Buchhändler in Birmingham, Alabama, seit er sechzehn ist, da an dem Tag, als er gerade auf Arbeitssuche war, eine Stelle frei geworden war. Abgesehen davon, dass er mit seinen Kollegen darüber streiten muss, ob 'Moby Dick' brillant oder schrecklich ist, macht es ihm am meisten Spaß, als Buchhändler neue Autoren zu entdecken und sie mit seinen Kunden zu teilen.
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7


Die Barische geleitete mich durch die Stadt, fort von den großen Geschützen und dem Markt, in Richtung der Randbezirke. Sie sagte mir, sie heiße Alexi54328, aber ich könne sie »Predigerin« nennen. Ich hatte keine Ahnung, weshalb sie mir ihren Namen nannte, wenn sie nicht wollte, dass ich ihn verwendete. Barische waren seltsame Geschöpfe.

Die Bewohner dieser Siedlung, wie immer sie auch heißen mochte, grüßten sie freundlich, was mich eigentlich nicht überraschte. Da sie alt genug war, um sich an die Zeit vor dem Puls zu erinnern, wäre sie als Barische auch dann Gegenstand von Verehrung gewesen, wenn sie kein religiöses Amt ausgeübt hätte.

»Wohin gehen wir?«, fragte ich. Wir befanden uns in einem stark heruntergekommenen Viertel: mehr natürliches Holz, geborsten und verblasst, weniger stabile Steingebäude. Den meisten Häusern mangelte es an den bunten Farben, von denen die besseren Viertel geprägt waren.

»Zum Waisenhaus«, antwortete sie, womit sie meine Vermutung bestätigte. Aus irgendeinem Grund waren die Kinder, die ich ausfindig machen sollte, stets Waisen. Vielleicht wurden ihre Fähigkeiten durch Stress und Traumata aktiviert, oder aber das Universum hatte einen Sinn für schwarzen Humor. Oder die für Geschichtenerzähler typische Vorliebe für Pathos. Ich hatte mir nie viel aus Religion gemacht – meine Erziehung hatte mich dem Konzept des Glaubens dauerhaft entfremdet –, doch bisweilen sah ich im Lauf der Ereignisse etwas anderes wirken als die Hand des Zufalls, selbst wenn diese Hand eine obszöne Geste in meine Richtung machte.

»Ihre Eltern?«, fragte ich.

»Sind vor Jahren bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen. Kurz nach ihrer Geburt.« Vor Jahren – das passte nicht zu meiner Theorie von einem aktivierenden Trauma. Ich hatte das Mädchen erst seit einigen Monaten auf dem Radar – seit ihre Fähigkeiten sich manifestiert hatten. Es musste einen anderen Auslöser geben …

Mein Gedankengang geriet ins Stocken, als plötzlich der Boden schwankte, so als setzte gerade ein Erdbeben ein. Das aber war ausgeschlossen. Ich hatte mir die Scans angesehen; der ganze Planet war tektonisch stabil, ein weiteres Überbleibsel der Terraforming-Technologie, die vor dem Puls weit verbreitet gewesen war. Und doch war es mein erster Gedanke.

Mein zweiter Gedanke war, dass ein Raumschiff in den Orbit eingetreten war, groß und schnell genug, um massive Turbulenzen auszulösen. Diese Erklärung aber verwarf ich ebenso schnell wie die Erdbeben-Theorie, denn wer wäre schon so verrückt gewesen, mit einem Schiff in eine von der Pulsstrahlung verseuchte Atmosphäre einzudringen?

Wie sich herausstellte, hätte ich die Idee nicht so schnell verwerfen sollen. Es gibt immer jemanden, der leichtsinnig genug ist, zu glauben, er könne dem Puls die Stirn bieten. Sie irren sich immer, aber trotzdem.

Es war ein Raumschiff.

Ein großes Schiff.

Es dröhnte durch die obere Atmosphäre, rüttelnd und bebend, als stünde es unter schwerem Beschuss. Es war nicht nur groß, es war gewaltig, doppelt so groß wie die Siedlung: ein Schlachtschiff, kantig, mit Geschütztürmen und klotzigen Vorsprüngen, so groß, dass es die Mittagssonne verdunkelte und die ganze Siedlung in Schatten hüllte, während die Stadt vom Ächzen und Heulen der überlasteten Schiffsmaschinerie widerhallte. Ein solches Schiff hätte niemals in eine Gravitationssenke eintreten dürfen, von einer pulsgeschädigten Atmosphäre ganz zu schweigen.

Die Menschen auf der Straße blickten nach oben, mit offenem Mund oder schreiend. Abgesehen von langlebigen Spezies wie den Barischen, waren für die meisten seit dem Puls Generationen vergangen. Ein Schlachtschiff aus dem Orbit herabstürzen zu sehen, war für sie in etwa so, als würden sich die Götter ihrer Großeltern – an die sie nur halb glaubten – auf einmal unmittelbar vor ihnen manifestieren. Zwar müsste dies im Grunde ein Moment der Klarheit und Ekstase sein, doch in Wahrheit macht man sich wohl eher vor Angst in die Hose. Das war jedenfalls die vorherrschende Reaktion um mich herum, und ich konnte es den Leuten nicht verdenken. Das Schwanken des Bodens machte es auch nicht besser.

Ich selbst war auch nicht wirklich angetan, doch das hatte weniger mit dem Auftauchen des Raumschiffs zu tun – ich hatte gewusst, dass es möglich war, wenn auch nicht wahrscheinlich –, sondern eher mit dem großen Emblem, das an der Seite des Schiffs unter den Erschütterungen, die sich durch den Rumpf fortpflanzten, erzitterte: eine vierfingrige Faust, halb geschlossen um einen stilisierten Stern.

Die Pax. Die verfluchten Pax.

An der Unterseite des Raumschiffs öffneten sich Schlitze; Betäubungsdrohnen fielen heraus wie Insektenschwärme, bereit, sich auf alles mit einer Wärmesignatur zu stürzen und Stromschläge und milde Neurotoxine auszuteilen. Sie würden in der gepulsten Atmosphäre nicht lange durchhalten, doch das war auch nicht nötig – es gab viele Einheimische in der Nähe, viele Wärmesignaturen, die sie sich vorknöpfen konnten.

Wir strahlten ebenfalls Wärme ab. Ich schaltete meinen Intentionsschirm ein, packte die Predigerin um die Hüfte und zog sie so dicht an mich, dass sie ebenfalls vom Schutzschirm erfasst wurde. Gerade noch rechtzeitig: eine schlanke Drohne hielt direkt auf uns zu. Sie flog dicht über den Boden hinweg wie eine Libelle, von unserer Wärme angezogen wie eine Motte vom Feuer.

Eine Motte, die auf einmal explodierte. Mein Schutzschirm hielt den Stromschlag und die Toxine ab, nicht aber die Druckwelle; sie verteilte sich nicht über den ganzen Körper, sondern hob mich und die Predigerin von den Beinen und schleuderte uns gegen eine Hüttenwand. Als wir uns aus den Holztrümmern aufrappelten, herrschte Chaos.

Es rührte nur teilweise von den Betäubungsdrohnen her. Die Pax hatten es ebenfalls auf das Mädchen abgesehen – diesem Ziel hatten sie ihre Taktik untergeordnet. Sonst hätten sie keine Betäubungsdrohnen eingesetzt, sondern mit Energiekanonen alles in Schutt und Asche gelegt. Als ich meinte, sie seien leichtsinnig gewesen, war das nicht nur so dahingesagt – offenbar hatten sie sich nicht überlegt, was passieren würde, wenn sie ein der Pulsstrahlung ausgesetztes Schlachtschiff unmittelbar über besiedeltem Gebiet parkten.

Metallplatten und Trümmerteile wurden vom Schiffsrumpf abgerissen, dem die Strahlung mit aller Macht zusetzte. Wie ich bereits sagte, je fortschrittlicher und je aktiver die Technologie, desto stärker die Wirkung der Strahlung – und das galt umso mehr für ein Stück Technik von dieser Größe. Scheherazade hätte es in großer Höhe etwa eine Stunde lang ohne schwere Schäden in der Atmosphäre aushalten können, doch sie war klein, auch nach für Personenraumschiffe geltenden Maßstäben. Das Schlachtschiff aber war so groß wie eine gottverdammte Stadt und bereits tiefer gesunken als Schaz an dem Punkt, wo sie mich auf dem Raffinerieturm abgesetzt hatte. Das Ding hielt sich erst seit ein paar Minuten in der Atmosphäre auf, wäre jedoch selbst dann verloren gewesen, wenn es sich unverzüglich entfernt hätte.

Den Pax war das offensichtlich egal. Ich meine, es hätte ihnen nicht egal sein sollen – Schlachtschiffe waren scheißteuer. Für den Preis eines solchen Schiffes konnte man einen ganzen terrageformten Mond kaufen, wenn einem dessen Zustand nichts ausmachte – das Desinteresse der Pax für den materiellen Zustand des Schiffes war jedoch unübersehbar, denn wie gesagt: Sie hatten es tief in eine gepulste Atmosphäre hineingeflogen.

Ihre Soldaten sprangen bereits aus den Hangars und seilten sich entweder ab oder schwebten mit ihrer Antigravausrüstung herunter, wobei sie sich stillschweigend darauf verließen, dass die Technik lange genug durchhalten würde, um sie unbeschadet aufsetzen zu lassen. Es funktionierte nicht bei allen – einige stürzten ab und prallten auf den Boden –, doch es klappte bei genug Kämpfern, dass die Einheimischen, die nicht den Betäubungsdrohnen zum Opfer gefallen waren, voller Panik flohen.

Währenddessen richteten die vom Schiff abfallenden Trümmer – von den herabstürzenden Soldaten ganz zu schweigen – Verwüstungen in der Siedlung an. Es würde den Pax nicht gelingen, das Mädchen lebend zu ergreifen, wenn sie es unter ein paar Tonnen Trümmern begruben oder wenn es bei der Explosion einer Gasleitung verbrannte; auf dieser Welt gab es zwar keine Elektrizität, doch sie war auch keine technologische Wüste, und an manchen Stellen war es aufgrund der herabstürzenden Trümmer bereits zu Explosionen und Bränden gekommen. Aber wie ich schon sagte – die Pax waren nicht besonders schlau.

Ausgerechnet die Sekte der Pax war vom Puls verschont worden. Vor dem Puls waren sie eine von Hunderten anderen Gruppierungen gewesen. Sie hatten die Herrschaft über die gesamte Galaxis angestrebt, waren ihrem Ziel jedoch nicht näher gekommen als Dutzende anderer Sekten auch. Die Galaxis war groß; sie erobern zu wollen, war lachhaft unpraktisch, aber manche Durchgeknallte versuchten es trotzdem.

Jetzt aber, nur weil sie das unverschämte Glück gehabt hatten, dass die Mehrheit ihrer eroberten Welten vom Puls verschont worden war, waren sie so ziemlich der einzige Akteur, der willens war, alles, was ihm in die Quere kam, gewaltsam zu erobern – zum Teufel mit der Pulsstrahlung. Die meisten anderen, die das Gleiche vor dem Puls versucht hatten – und die Expansion der...


Stöbe, Norbert
Norbert Stöbe, 1953 in Troisdorf geboren, begann schon als Chemiestudent zu schreiben. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker am Institut Textilchemie und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen übersetzte er die ersten Bücher. Sein Roman New York ist himmlisch wurde mit dem C. Bertelsmann Förderpreis und dem Kurd-Lasswitz-Preis ausgezeichnet. Seine Erzählung Der Durst der Stadt erhielt den Kurd-Lasswitz-Preis und die Kurzgeschichte Zehn Punkte den Deutschen Science Fiction Preis. Zu seinen weiteren bekannten Romanen zählen Spielzeit, Namenlos und Der Weg nach unten. Norbert Stöbe ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Schriftsteller. Er lebt als freier Autor und Übersetzer in Stolberg.

Williams, Drew
Drew Williams ist Buchhändler in Birmingham, Alabama, seit er sechzehn ist, da an dem Tag, als er gerade auf Arbeitssuche war, eine Stelle frei geworden war. Abgesehen davon, dass er mit seinen Kollegen darüber streiten muss, ob »Moby Dick« brillant oder schrecklich ist, macht es ihm am meisten Spaß, als Buchhändler neue Autoren zu entdecken und sie mit seinen Kunden zu teilen.



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