E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Winter Der Feind in meinem Rücken
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-9709-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Medizinische Autobiografie
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-7526-9709-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In ihrem Rücken der Feind: ein unbekannter Gegner, der ihr jegliche Kraft aus dem Körper saugt. Der sie gehunfähig macht. Der sie tagtäglich an den Rollator zwingt, oft genug auch in den Rollstuhl. Aus dem Frosch, der munter über alle Wege hüpfte, ist eine Schnecke geworden, die mühsam den Weg beschleicht. Sie ist der Bewegung beraubt, in die Isolation geschickt, ausgemustert. Eine vernünftige medizinische Diagnose gibt es nicht. Doch sie will kein Opfer sein, will sich ihrem scheinbar unveränderlichen Schicksal entgegen stellen. Tapfer nimmt die Autorin den Kampf auf, gegen den Feind im eigenen Körper, gegen die Ärzteschaft und das Gesundheitssystem. Sie eignet sich ein autodidaktisches Wissen an, erkundet ihren Körper, lässt sich nicht abwimmeln. Erste Hinweise deuten Hoffnung an, da wirft ein Unfall sie völlig aus der Bahn. Der Oberschenkel ist gebrochen. Wieder einmal erlebt sie eine Operation im Wachzustand, denn wegen einer Lungenkrankheit darf sie keine Vollnarkose bekommen. Gefährliche Komplikationen, arrogante Mediziner und das Gesundheitssystem machen ihr das Leben schwer. Ihr Ziel, den Feind aus ihrem Rücken zu verbannen, scheint in weite Ferne gerückt. Doch vielleicht gibt es noch einen Funken Hoffnung...
Als Kind einer alleinerziehenden Mutter, bin ich mit meinem Bruder und meiner Schwester in einem wohlbehütetem Elternhaus in Berlin Kreuzberg aufgewachsen. Mein Berufswunsch war "Tierpflegerin", diese Blase zerplatzte, da ich an einer Wespenphobie leide. Meine Mutter noch von den Kriegsjahren gezeichnet, wünschte sich das ich Schneiderin werde. Aus Trotz wurde ich Buchhalterin. Buchhaltung ist ein trockner Beruf und ich wollte nicht hinter den Zahlenbergen ersticken. Deshalb machte ich mich im Jahre 84 mit meinem damaligen Ehemann selbstständig. Als 1990 die Grenzmauer zur DDR aufging, erhielt ich von der Treuhand den Zuschlag für ein Theaterkaffee, in der Frankfurter Allee. Aufgrund einer betrügerischen Absicht des ehemaligen Geschäftsführers der Institution, trat ich von dem Vorhaben zurück. In all den Jahren waren sportliche Aktivitäten wie Fitness, Handball, Squash und Badminton, ein fester Bestandteil meines Lebens, an denen auch mein Sohn teilnahm. Im Dezember 2009 ereilte mich eine unerkannte Krankheit, die mein bisher buntes Leben von einem Tag zum anderen auslöschte. Auf Grund der Unbeweglichkeit fing ich an zu Schreiben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ich hasse Briefumschläge mit einem schwarzen Rand
Mein Herz klopft bis zum Hals, ich reiße den Umschlag auf. Als ich den Namen des Verstorbenen erblicke, erfasst mich tiefe Trauer. Mein letzter über alles geliebter Onkel ist am 21. Juni 2018 im Alter von 86 Jahren gestorben. Sofort habe ich die Bilder von unserem letzten Treffen vor Augen. Er war "ein Mann von Welt", bis zu seinem Tode. Nie war er mit bekleckertem Hemd oder mit einer von Urin besprenkelten Hose herumgelaufen. Als Kind verkörperte er für mich auf den Kinderfesten in der Laubenkolonie, in der er ein Häuschen hatte, den Onkel Pelle. Er schenkte mir zu Weihnachten das schönste Puppenhaus der Welt, mit einem begrünten Dachgarten, den man über einen Fahrstuhl erreichte. Auf diesem Dachgarten standen kleine, aus Holz selbst geschreinerte, funktionstüchtige, klappbare und mit Stoff bezogene Liegestühle. Für den Stoff hatte meine Tante den bunt gestreiften Gürtel ihrer soeben gekauften Küchenschürze geopfert. Bei meiner Hochzeit hielt mein Onkel mit seiner ausdrucksstarken Stimme die Hochzeitsrede. Ich weine still vor mich hin. Erst als ich den Brief weiterlese, kann ich mich beruhigen. Meine Tante schreibt: „Mein lieber Mann ist sanft eingeschlafen". Der Satz beruhigt mich. Noch bevor ich meine Tante anrufe, ist mir klar, dass er kein langes Krankenlager hatte. Nach einer Woche, in der es ihm nicht gut ging, ist er gestorben. Ich möchte unbedingt an der Trauerfeier teilnehmen. Wegen meiner Einschränkungen beim Laufen sehe ich mir bei Google Maps den Friedhof an. Oh je, das sieht nicht gut aus. Ich rufe die Friedhofsverwaltung an und erkläre, dass ich den Vermerk "AG"1 im Schwerbehindertenausweis habe; an guten Tagen schaffe ich am Rollator eine Laufstrecke von 50 Metern. Ich bekomme die Erlaubnis, mit dem Auto bis zur Kapelle vorzufahren, aber bis zur Grabstelle der Urne muss man einen Kilometer Fußmarsch zurücklegen. Ich rufe gleich meine Tante an und erzähle ihr von der Entfernung der Grabstätte. Ich sage ihr, dass ich sie mit dem Auto abhole und sie dort hinfahre. Sie lehnt dankend ab, ihr Neffe fährt sie zum Friedhof; meine Warnung schlägt sie in den Wind. Ich fahre also alleine zum Friedhof, zuvor packt mir mein Blumenladen noch das Grabgesteck in den Kofferraum. An diesem 24. Juli 2018 haben wir 32 Grad Außentemperatur. In meiner Trauer fahre ich an der Einfahrt vorbei und lande an einem Eingang, wo ich in zehn Metern Entfernung die Kapelle sehe. Da hier zufällig ein Parkplatz frei ist, steige ich aus dem Auto aus, klappe meinen Rollator auseinander, stopfe die Blumen in das Rollatornetz und schleiche Richtung Eingangstür. Vor mir marschieren drei ältere Herrschaften, die an einer Hinweistafel stehenbleiben. Ich frage sie, wo der Eingang der Kapelle ist - ich bin heute so schlecht zu Fuß, dass ich es mir nicht leisten kann, in die falsche Richtung zu laufen. Zufällig wollen die Trauergäste auch zur Beerdigung meines Onkels. Da es sich um Verwandte und Freunde meiner Tante handelt, kenne ich niemanden, sie nehmen mich aber gleich in ihrer Mitte auf. Meine Tante sitzt mit den Trauergästen vor der Kapelle auf einer Bank. Nach der Begrüßung setze ich mich auf meinem Rollator daneben. Aus Eitelkeit hat meine Tante, die auch schon 85 Jahre alt ist, nur den Stock mitgenommen, mit dem sie sich vorwärts bewegt. Wegen meiner schwachen Blase schweift mein Blick umher auf der Suche nach einer Toilette. Ich frage den Trauerbegleiter, wo die Toiletten sind, sein Finger zeigt in die Ferne. Das kann ich nicht schaffen. Ich raffe mich also auf, schleiche zum Auto und fahre bis zur Einfahrt zurück, dort gibt es auch Toiletten. Ich halte an und gehe mit dem Rollator zum Klohäuschen. Allmählich wird es Zeit. Kaum berühre ich die Klinke, hupt ein Fahrzeug von der Friedhofsgärtnerei, sie passen nicht an meinem Auto vorbei. Schwerfällig stelle ich den immer wieder umknickenden rechten Fuß auf die Fahrbahn, schleiche zum Auto zurück, packe den Rollator ein und fahre rechts um die Ecke auf einen Seitenweg. Anschließend gehe ich den Weg zurück zur Toilette, meine Blase schreit, aber ich komme dort trocken an. Inzwischen ist viel Zeit vergangen. Ich pese mit meinem Auto über den Friedhof, denn die Trauerfeier beginnt in zehn Minuten. Alle warten auf mich. Eine Angestellte des Bestattungsunternehmens begleitet die Feier, sie öffnet für mich die Tür zur Kapelle. Dort stehe ich vor acht hohen Steinstufen. Der Anblick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Doch mein Wille, an der Trauerfeier teilzunehmen, ist stärker als der Zweifel, die Treppe überwinden zu können. Frohen Mutes setze ich den linken Fuß auf die erste Stufe. Der rechte Fuß fühlt sich nicht angesprochen und klebt am Boden fest. Ich versuche, mich am Geländer hoch zu zerren, aber der rechte Fuß bleibt eisern stehen. Über dieses Unvermögen bin ich total verzweifelt. Ich möchte so gerne an dieser Feier teilnehmen! Da spricht mich die Angestellte des Bestatters an. „Kann ich Ihnen helfen?“ In meiner Verzweiflung sage ich ja. „Können Sie mir den rechten Fuß auf die nächste Stufe stellen?“ So überwinden wir gemeinsam die Treppe, und als sie oben an mir vorbeigeht, raunt sie mir noch zu: „Bleiben Sie auf Ihrem Rollator sitzen, die Bänke in der Kapelle sind zu niedrig, da bekomme ich Sie nicht mehr hoch.“ Der Pfarrer singt am Schluss der Feier mit einer wunderschönen Stimme ein Lied, das mir nicht geläufig ist. Hinter mir erklingt eine Frauenstimme, die das Lied elfengleich mitsingt. Dieser Gesang hat Gänsehautfeeling; es ist die spontane Aktion einer trauernden Freundin. Ich verweile, bis die Trauergäste die Kapelle verlassen. Die Angestellte des Bestatters läuft mit mir die Treppe genauso wieder herunter, wie wir sie vorher hochgelaufen sind. Ich will mich von allen verabschieden, aber da sagt die Angestellte: „Setzen Sie sich auf den Rollator, ich schiebe Sie bis zur Grabstätte". Das kann ich nicht annehmen, aber da mischen sich zwei Trauergäste ein und sagen, dass sie mitschieben, das ginge schon. Ergriffen setze ich mich auf den Rollator, sie schieben mich bei 32 Grad durch die gleißende Sonne, kein Lüftchen weht. Ich sitze mit dem Rücken zum Geschehen und frage die Trauerbegleiterin, die meinen Rollator schiebt, wie es meiner Tante geht. Die schleicht mit letzter Kraft mühsam am Stock und führt uns zur Grabstätte. Ich traue meinen Augen nicht: Vor uns erstreckt sich eine riesige Rasenfläche und genau in der Mitte liegt die Grabstelle für die Urne. Hoffentlich schaffe ich es bis zu dem Loch! Meine Tante muss gestützt werden, sie verlässt das Grab. Im Vorbeigehen zeige ich ihr die Bank am Ende der Wiese und sage ihr, sie soll sich dort hinsetzen. Auf dem Weg zur Bank denke ich: Warum hat sie nicht auf mich gehört? In dem Augenblick sagt meine Tante laut vor versammelter Mannschaft: „Ja, Petra hat mich vor dem langen Weg gewarnt, sie wollte mich mit dem Auto mitnehmen und den Rest des Weges sollte ich im Rollstuhl fahren, ich habe ihr nicht geglaubt". Sie hat keine Kraft mehr, die Bank zu verlassen. Guter Rat ist teuer, was machen wir jetzt? Wieder greift die Angestellte des Bestatters ein. „Wenn Sie mir vertrauen, geben Sie mir Ihren Autoschlüssel, ich hole das Auto bis hierher an den Weg, Ihre Tante muss dann nur ein paar Schritte zurücklegen". Wir müssen lange warten, denn die Angestellte, deren Namen ich nicht weiß, muss einen Kilometer bis zum Auto zurücklaufen. Jetzt kommt sie mit meinem Auto gefahren, überreicht mir die Schlüssel mit den Worten: „Da ich ein Automatikauto fahre, kenne ich mich mit Schaltwagen nicht aus. Ich habe den Rückwärtsgang nicht gefunden und musste vorwärts zwischen den Gräbern den Parkplatz verlassen, zum Glück hat mich niemand gesehen". Auf dem Weg zum Auto wird meine Tante von zwei Freundinnen gestützt. In meinem Auto lässt sie sich erschöpft nieder. Mit Mühe und Not erreiche ich selbst mein Fahrzeug. Normalerweise fahre ich nicht, wenn mein Fuß mir nicht gehorcht, aber das Restaurant ist direkt um die Ecke. Ich fahre mit 30 km/h, meine Tante mustert mich argwöhnisch von der Seite. Ich kann ihre Gedanken erahnen. Die fährt aber beschissen, steht auf ihrer Stirn geschrieben. Auf dem Parkplatz angekommen, verlässt meine Tante schnell das Auto. Sie läuft im Sturmschritt über den Hof, aber an der Tür wartet sie auf mich. Ich zerre den Rollator aus dem Auto, mein rechter Fuß lässt sich nicht gerade auf den Boden stellen, die Fußspitze zeigt scharf nach links. Beim Abstellen knickt der Fuß schmerzhaft im Knöchelbereich, abwechselnd nach rechts und nach links. Zum Glück steht mein rettender Rollator neben mir, an dem ich mich festklammere, um nicht zu stürzen. Mit letzter Kraft erreiche ich die Tür. Durch die Hitze, die draußen herrscht, sind wir beide völlig ausgetrocknet. Das Restaurant wirkt unpersönlich, obwohl meine Tante und mein Onkel dort Stammgäste waren. Der Raum ist dunkel, der Tisch ist kahl, ohne...