Wirlinger | Der Vogelschorsch | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Wirlinger Der Vogelschorsch


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96428-040-4
Verlag: Verlagshaus Jacoby & Stuart
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-96428-040-4
Verlag: Verlagshaus Jacoby & Stuart
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Geschichte über den Tod und die Liebe, die Last zerrütteter Elternhäuser, über Freundschaft und die Suche nach bedingungsloser Loyalität und Verbundenheit.

Lena (14) sieht den Vogelschorsch (17) zum ersten Mal, als es Fische regnet. Ihr ist sofort klar, dass er anders ist als alle anderen Menschen. Von nun an teilt Lena ihre Zeit zwischen dem Vogelschorsch und ihren beiden alten Freunden Max und Lukas auf, was zu einem heiklen Balanceakt gerät. Ins Schwanken gerät alles, als sie sich verliebt, und zu allem Überfluss der Haussegen zwischen ihren Eltern schief hängt. Dann aber entdeckt sie das dunkle Geheimnis des Vogelschorsch; kurz darauf verschwindet seine Mutter spurlos. Und als Lena und der Vogelschorsch im Wald erschossene Vögel finden, geht in ihrer beider Leben etwas unwiederbringlich kaputt …

Die träumerisch schönen Bilder von Ulrike Möltgen fangen die Atmosphäre der Geschichte aufs Eindringlichste ein.

Manche Menschen überfallen einen wie ein heftiger Sturm, andere Menschen wehen sanft wie eine Wolke in ein Leben – die besonderen unter den Menschen suchen einen wie ein warmer Mairegen Tropfen für Tropfen heim … Sie graben sich wie kunstvolle Gravuren unauslöschlich in unser Gedächtnis. Solche Menschen vergisst man sein ganzes Leben nicht. So ein
herausragender Mensch war für mich der Vogelschorsch.

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Weitere Infos & Material


Am nächsten Tag gingen der Vogelschorsch und ich nach dem Mittagessen zu seiner Oma. Auf seiner Stirn klebte ein Pflaster. Der Vogelschorsch stellte keine Fragen. Ich war ihm dankbar. Wir spazierten zu Fuß über den Grashügel. Der Vogelschorsch versicherte mir alle fünf Minuten, dass es nicht mehr weit zum Garten sei. Letzten Endes waren wir über zwei Stunden unterwegs. Die Sonne brannte vom Himmel, und der Schweiß rann mir über die Stirn. Ich war durstig und redete kein Wort mehr mit ihm. Von wegen, es sei „nicht weit zu meiner Oma“. Hätte ich gewusst, wie lang der Weg war, wäre ich mit dem Fahrrad gefahren. Der Vogelschorsch hätte auf meinem Gepäcksträger sitzen können. Schließlich erreichten wir das verrostete Eingangstor. Der Garten war von einem langen Drahtzaun umgeben. Er war riesig und viele Blumen, Sträucher und Bäume wuchsen darin. Der Vogelschorsch öffnete das Tor. „Herzlich willkommen im schönsten Garten der Welt.“ Ich trat ein. „Warte!“, schrie der Vogelschorsch und tat etwas, das er wohl nur in Omas Garten tat. Er öffnete die Knöpfe und schlüpfte aus seinem Mantel. Auf einmal stand er in seinem weißen Hemd mit den Hosenträgern, seiner Bügelfaltenhose und den klobigen Schuhen vor mir. Sorgfältig legte er den Mantel zusammen und hängte ihn über das gusseiserne Tor. Ein Sonnenstrahl erhellte seinen Kopf durch die Baumkrone eines Zwetschkenbaumes. Wie ein Engel kam mir der Vogelschorsch da vor. Unschuldig und rein. Ein Engel mit Schweißrändern unter den Achseln und Hosenträgern. Wir spazierten durch die Wiese an Apfel- und Birnbäumen vorbei. Dazwischen standen Haselnusssträucher, Himbeersträucher und Buchsbäume im Weg. Hier gab es keine Ordnung. Willkür und Durcheinander beherrschten diesen einmaligen Ort. Als hätten die Pflanzen selbst ihren Standort ausgewählt. Wiesenblumen und Gräser kitzelten meine Waden. Heuschrecken flüchteten in hohem Bogen vor uns, Schmetterlinge flatterten ausgelassen an uns vorbei. Zahlreiche Inseln mit Rosen, Glockenblumen, Hortensien hoben sich mit ihren prächtigen Blüten von der Wiese bunt ab. Der Vogelschorsch und ich tauchten plötzlich in eine Klangwolke: Es schwirrte, zwitscherte und summte, wohin ich auch den Fuß setzte. Ein Heer voller Bienen flog geschäftig von Blüte zu Blüte. Hummeln bummelten brummend herum. Hornissen und Wespen zogen wachsam ihre Runden. Vögel saßen auf Ästen und begrüßten uns mit ihren Liedern. Ich verstand auf einmal, weshalb der Vogelschorsch so gerne seine Oma besuchte. So einen außergewöhnlichen Garten hatte ich bisher noch nie betreten. Überdies schien der Garten den Vogelschorsch auf wundersame Weise zu verändern. Er wirkte gelöster und aufgeweckter auf mich. So, als ob ihm der Garten vor der kalten Welt da draußen Schutz bieten würde. Zweifellos fühlte auch ich mich glücklicher in diesem brummelnden Blütenmeer. Nach einigen Minuten sahen wir ein von Efeu und Wein umranktes Häuschen mit rotem Dach und dunklem Rauchfang. „Hier lebt meine Oma. Du wirst sie mögen“, sagte der Vogelschorsch fröhlich. Er lachte und sprang ausgelassen auf das Häuschen zu. Als ob seine Großmutter uns gehört hatte, wurde die schwere Haustür geöffnet, und eine magere Frau mit langen grauen Haaren stand vor uns. Sie trug sie offen, und sie reichten ihr bis zu den Hüften. Seine Großmutter hatte ein kantiges Gesicht und dünne Lippen. Sie sah anders aus als der Vogelschorsch. Freudig umarmte sie ihn und küsste ihn auf die Stirn. Sie trug einen weiten violetten Rock, eine weiße Leinenbluse und ging barfuß. Ihre braunen warmen Augen ließen mich keine Sekunde los. Der Vogelschorsch strahlte sie fröhlich an und wandte sich mir zu. „Schau Oma, wen ich mitgebracht habe. Das ist Lena.“ Als mein Name fiel, spürte ich auf einmal ein Kribbeln in meinen Fingerspitzen. Seine Oma streckte mir ihre Hand zum Gruße entgegen. „Servus Lena. Schön, dass du mitgekommen bist. Georg hat mir schon so viel über dich erzählt.“ Erst als sie lächelte, fiel mir die Ähnlichkeit zwischen ihr und dem Vogelschorsch auf. Ihr Lächeln schien den ganzen Garten auszufüllen. Überraschenderweise war ihr Händedruck viel fester als erwartet. Ich wollte meine Hand wieder wegziehen, aber sie ließ mich nicht los. „Ich hoffe, du erlaubst dir keinen Spaß mit dem Georg. Er hat es nicht leicht, und ich mag es nicht, wenn er verspottet wird.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde von einem Moment auf den anderen ernst und bitter. Sie kam mir nun wie eine aufsässige Hexe vor, die mich verfluchen würde, sobald ich ihrem Enkel Leid antat. Mir zog blitzartig eine Gänsehaut auf. Augenblicklich schüttelte ich den Kopf. Daraufhin ließ sie meine Hand los und ihr bezauberndes Lächeln kehrte zurück. „Wunderbar. Fühl dich wie zu Hause in meinem Garten. Georg wird dir alles zeigen. Wenn ihr Hunger oder Durst habt, bedient euch einfach aus dem Kühlschrank.“ Sie strich mir mit der Hand über den Kopf, griff nach einer Pflanzenschere mit grünem Griff, die auf dem Fensterbrett lag, und spazierte gut gelaunt davon. Nach wenigen Metern war sie hinter der Ecke des Hauses verschwunden. „Und? Wie findest du meine Oma?“, fragte der Vogelschorsch. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich sie auf dem ersten Blick mochte und auf dem zweiten Blick gruselig fand. „Sie ist … sie ist …“, stammelte ich herum. „Du hast Angst vor ihr? Das haben die meisten, wenn sie sie zum ersten Mal sehen.“ „Sie ist freundlich“, bemühte ich mich schnell hinzuzufügen. „Freundlich? Sie ist die beste Oma der Welt. Sie lobt jeden Tag die Bäume, Sträucher und Blumen. So, als wären sie ihre Freunde. Am Morgen singt sie gemeinsam mit den Vögeln. Darum ist der Garten auch so wunderschön“, war sich der Vogelschorsch sicher. Ich fand es seltsam, wenn jemand mit den Blumen sprach und noch seltsamer, wenn er für sie sang, aber gesagt habe ich es ihm nicht. „Ich habe Durst.“ Das war ehrlich, und außerdem war ich neugierig, wie es in ihrem Haus aussah. Der Vogelschorsch stürmte los und wartete in der Tür auf mich. „Ich möchte dich vor Frau Langkralle warnen. Sie ist zwar schon steinalt, hört und sieht nicht mehr besonders gut, aber ihren Namen trägt sie nicht umsonst. Am besten du kommst ihr nicht zu nahe, dann lässt sie dich in Ruhe.“ „Frau Langkralle ist die Katze deiner Oma?“ „Natürlich. Oder hast du gedacht, bei meiner Oma wohnt ein Bär? Oder gar ein Tiger?“ Er sah mich erheitert an. Meine Wangen färbten sich rot, und ich war froh, als wir den Vorraum betraten. Der Vogelschorsch durchquerte ihn schnurstracks. Auf einem Kleiderständer hingen ein roter, ein gelber und ein blauer Regenmantel. Darunter lagen Gummistiefel und Gartenschuhe in denselben Farben. Auf einer Holzkommode mit zwölf Laden stand eine Porzellanschale. Sie war prall gefüllt mit Walnüssen. Der Vogelschorsch machte das Licht in der Küche an und öffnete den Kühlschrank. Ich blieb staunend mitten im Raum stehen. Die Küche war klein und verfügte nur über einen Esstisch für zwei Personen. Darauf standen zahlreiche Gläser und Flaschen, die mit Säften und Marmeladen gefüllt waren. Dahinter an der weißen Wand klebten Fotos vom Vogelschorsch und seiner Oma. Warum hingen da keine Fotos von seinen Eltern? Auf einem der Sessel lag eine schwarze Katze, die den Kopf hob und mich warnend anfauchte. „Sei ruhig, Frau Langkralle“, befahl der Vogelschorsch. „Das ist Lena. Von ihr habe ich dir schon erzählt. Sie tut dir nichts.“ Ich fragte mich, wem der Vogelschorsch noch von mir erzählt hatte. Dem Apfelbaum vielleicht? Den Rosen? Sicher den Heuschrecken und Schmetterlingen, machte ich mich über ihn lustig. Er sprach wohl, wie seine Großmutter, mit allen Lebewesen im Garten. Auf der Ablage standen in einer Reihe Porzellantöpfe. Zettel waren auf sie geklebt, und in sauberer Handschrift stand darauf Salbei, Brennnessel, Löwenzahn, Minze, Basilikum und weitere Kräuter, deren Namen ich auch aus der Küche meiner Mutter kannte. „Magst du lieber Melissensaft oder Ribiselsaft?“, riss mich der Vogelschorsch aus den Gedanken. „Melissensaft.“ Er holte eine grüne Glasflasche mit Bügelverschluss aus dem Kühlschrank und stellte sie auf die Ablage. Dann öffnete er ein Küchenkästchen und nahm zwei Gläser heraus. „Ich würde am liebsten hier...


Hannes Wirlinger, Jahrgang 1970, studierte Kommunikations- und Politikwissenschaften. Seit 2003 ist er freier Drehbuchautor und Schriftsteller in Wien und verfasste zahlreiche Fernsehkrimis für die Serie SOKO Kitzbühel. In letzter Zeit widmet er sich verstärkt Texten für Kinder und Jugendlichen. Er liebt das Leben und ist neugierig, was es für ihn noch alles bereithält.



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