E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Karin Krafft
Wirth / Hesse Die Wölfin
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86358-338-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Niederrhein Krimi
E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Karin Krafft
ISBN: 978-3-86358-338-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein geschäftiger Dezembermorgen in Haus der Familie Thanhäuser. Alles ist wie immer. Ein reichlich gedeckter Frühstückstisch versorgt wortkarge, pubertierende Kinder und den eiligen Ehemann. Dr. Barbara Thanhäuser verlässt als letzte das Haus. Sie wird nicht in der Klinik ankommen, in der man die Ärztin ungeduldig erwartet. Am nächsten Tag finden Spaziergänger den völlig demolierten Wagen der Ärztin am Haffener Meer. Im Laufe der Ermittlungen unter Leitung der Hauptkommissarin Karin Krafft beginnt die harmonische Fassade der Arztfamilie zu bröckeln.
Das Team vom K1 ermittelt in Dingden, Dinslaken, Wesel und Duisburg. Dort begegnen sie einem alten Bekannten. Ferdi Fleischmann, bekannt als rasender Reporter, weiß aus der Vergangenheit der Frau Doktor zu berichten. Eine Kämpferin, die das Ziel verfolgt, ihren Kindern eine gute Lebenssituation zu bieten. Besser als das Fiasko ihrer eigenen Kindheit.
"Die Wölfin" ist eine rasante Geschichte mit unerwarteten Entwicklungen und der unverzichtbaren Portion Humor. Dafür sorgt unter anderem Schimanski im K1.
Autoren/Hrsg.
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ZWEI Ich kann nicht unbedingt behaupten, dass es in mir etwas verändert hat, aber ich bin zufrieden. Dem ersten Schritt der Planung folgte mit präziser Genauigkeit der zweite. Menschen sind so berechenbar in ihren Tagesabläufen, Gewohnheiten und Reaktionen. Mir war völlig klar, dass ihr ärztlicher Stolz sie dazu bewegen würde, einen offensichtlich verletzten Mann zur nächsten Ambulanz zu bringen. Für diese Verletzung vielleicht selbst verantwortlich zu sein, gab ihr den Rest. Nur dass wir nicht bei der Ambulanz ankamen. Alles läuft wie am Schnürchen. Sie befindet sich seit heute Morgen in meiner Gewalt. Gewalt. Ein Fremdwort für friedfertige Menschen. Doch man muss einen friedlichen Menschen nur lange genug quälen, um etwas Abgestumpftes, Unberechenbares aus ihm zu machen. Mich erstaunt die Kaltblütigkeit meines Handelns, jedoch berührt sie mich nicht. Da ist nichts mehr, was sich berühren lässt. Ausgelöscht. Kannst du dir das vorstellen? Vorgestern ging mir bei den letzten Vorbereitungen im Verlies durch den Kopf, was mich momentan noch von einem Tier unterscheidet. Heute habe ich die vorläufige Antwort: Ich kann nichts Konkretes definieren. Meine Intelligenz reduziert sich auf Planung und Organisation. Ich funktioniere nur noch, weil ich zu einem festgelegten Zeitpunkt ein klares Ziel verfolge. Die Vergangenheit bestimmt mein gegenwärtiges Verhalten. Das Unglück meines Lebens sagt, ich habe keine Zukunft mehr. Nur eins muss ich noch erledigen. Das Erreichen dieses einen Ziels wird mich befreien und gleichzeitig mein Ende sein. Zukunft macht den Menschen aus, Vorausschauen, Denken, Erinnern, Emotionen. Ach was, Emotionen. Die habe ich verloren. Nach dem schlimmsten Schock meines Lebens. Noch schläft sie. Das wird ein Erwachen. Und in den nächsten Tagen wird sie allmählich realisieren, dass ihre Zukunft begrenzt sein wird. So wie sie meine Zukunft begrenzt hat. Ich muss an eine zusätzliche Decke denken, es ist kalt. Hoffentlich ist der Schallschutz ausreichend, denn sie wird sich bemerkbar machen. Schlaf gut, meine Kleine. * * * Hauptkommissarin Karin Krafft fand das Eckhaus mit Blick über den Deich auf Anhieb. Gute Lage, einerseits von oben her die freie Sicht über die Wiesen zum Rhein und andererseits angebunden an Nachbarschaft und Ort. Sie hatte für ihren Besuch bei Thanhäusers offensichtlich den Zeitraum gewählt, in dem die gesamte Familie aufbrach. Die Kinder zogen wortkarg Stiefel und Schuhe über, umwickelten sich mit meterlangen Strickschals, streiften lagenweise dünne Jäckchen über. Die Schultaschen standen an der Garderobe aufgereiht. Dr. Thanhäuser war vor dem Spiegel mit seiner Krawatte beschäftigt. Ein gutbürgerliches Haus, dachte sie, wohlhabend, aber nicht protzig. Nachdem sie sich vorgestellt hatte, schien jeder der Anwesenden den Atem anzuhalten, ohne von seiner aktuellen Tätigkeit abzulassen. Man blickte nicht auf, wartete gespannt, ob es Neuigkeiten von der Polizei gebe. Es gab keine. Ob es innerhalb der Familie noch andere Möglichkeiten der Kommunikation gebe, ob es, zum Beispiel, üblich sei, sich per E-Mail zu verständigen, wollte Karin wissen. Nein, Telefon oder Handy, Frau Thanhäuser hatte sich weder gemeldet, noch war sie im Laufe der Nacht bei einer der informierten Adressen aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis aufgetaucht. Man gab sich jedoch zuversichtlich und müsse nun los. Karin beobachtete die drei Jugendlichen, die schweigend an ihr vorbeipilgerten. Der Junge hatte in seiner Schlaksigkeit etwas mit ihrem Moritz gemeinsam, wirkte aber völlig unerreichbar. Die Große machte einen überheblichen Eindruck, die Kleine in ihren Zwiebelhäuten wagte nicht, sie anzuschauen. Verängstigt, wie ein verhuschtes, aufgeschrecktes Häschen, ging es Karin durch den Kopf. Während der Vater in sein Jackett schlüpfte, fuhren die Kids in einem Mini davon. »Ehrlich, Frau Krafft, meine Tochter ist gestern in ihrer kindlichen Sorge über das Ziel hinausgeschossen, und Ihr Kollege auf der Wache war in seiner Dienstbeflissenheit nicht mehr zu stoppen, so kam es zu der Vermisstenmeldung.« Er kämmte sein graues Schläfenhaar sorgfältig eng an sein Haupt. Es hob sich von der gleichmäßig gebräunten Haut ab. »Ich mache mir keine Sorgen um meine Frau, verstehen Sie? Sie ist erwachsen, intelligent, selbstbewusst, und jeder von uns hat doch in seinem Leben Momente, in denen nur das Hier und Jetzt zählt und alles andere in Vergessenheit versinkt, oder?« Er stand ihr gegenüber, anderthalb Köpfe größer, milde lächelnd. »So wie ich Sie einschätze, wissen Sie genau, was ich meine.« Jetzt aber mal raus aus der Reserve, Schluss mit diesen indirekten Andeutungen, dachte Karin. »Nein, Herr Thanhäuser, weiß ich nicht. Erklären Sie es mir.« Der stattliche Mann zog sich einen Lodenmantel über, knotete sorgsam einen leichten, farblich abgestimmten Kaschmirschal, nahm seine Arzttasche zur Hand und wies mit einer bestimmenden Handbewegung zur Tür. »Nicht heute und nicht um diese Zeit, ich muss in die Praxis. So kurz vor Weihnachten sammeln sich die Patienten, die noch schnell die Vorsorgeuntersuchungen mitnehmen wollen. Dazu die Grippewelle, das läppert sich, Frau Hauptkommissarin. Nur so viel, dass meine Frau das Leben liebt und manchmal überschwänglich reagieren kann. Sie als attraktive Frau können das bestimmt nachvollziehen.« Der Hauch eines teuren Duftes von Boss begleitete sie zum Ausgang, und während er, nach förmlicher Verabschiedung mit tiefem Blick in die Augen, in einem dunkelblauen Audi A8 davonrauschte, dachte sie über die klitzekleinen Unverschämtheiten in der kurzen Episode nach. Hinter dem Flurfensterchen im Haus gegenüber schien sie jemand zu beobachten. Man achtet auf seine Nachbarn auf dem Land. Ob von Sorge oder Neugier geleitet, sei dahingestellt. Sollte sich aus der Anfrage der Wache Xanten Ermittlungsarbeit ergeben, wusste Karin, wer auf jeden Fall etwas über die Familie berichten könnte. * * * Nikolas Burmeester fühlte sich ertappt. Ein kleiner Junge, der nun am Küchentisch seiner Vermieterin in Bislich Büschken hockte und auf die lange fällige Gardinenpredigt wartete. Mit den Schuhen in der Hand war er die Treppe hinuntergeschlichen, hatte die siebte und neunte Stufe wegen des Knarrens gemieden, und während er vor der Haustür seine halbhohen Winterboots schnürte, hatte sie ihn in die Küche gerufen. Hoffentlich schellte gleich das Handy, irgendeinen Ton sollte es produzieren, damit er sich dieser Situation anständig begründet entziehen konnte. Es blieb stumm. »Abgesehen davon, dass Sie sich seit Monaten nicht mehr selbst um Ihre Post kümmern, Nikolas, haben Sie es ebenso lange nicht mehr für nötig befunden, Ihre Treppe zu saugen. Um beides kümmere ich mich, damit hier nicht das Chaos ausbricht. Wie es oben in Ihrem Apartment aussieht, kann ich nicht beurteilen, sondern mir nur meine Gedanken darüber machen.« Klingel doch, du blödes Handy, bitte. Das Gerät lag stumm in seiner schweißnassen Hand. »Sie verbringen kaum noch Zeit hier, und wenn, dann bemerke ich nichts von den Aufgaben, die zur geregelten Haushaltsführung gehören. Oder wann haben Sie zum letzten Mal Ihre Fenster geputzt?« Das war energischer Originalton der Firma Krafft. Wie die Tochter konnte auch die Mutter ihrem Ärger so richtig Luft machen. Johanna Krafft war in ihrem Element. Endlich war es ihr gelungen, in einem der seltenen Augenblicke physischer Anwesenheit, ihren Untermieter zu erwischen, um ihm mal tüchtig die Meinung zu sagen. Seit der junge Mann verliebt war, vernachlässigte er seine Pflichten im Haus und war tagelang nicht zu sehen oder zu hören. Immer wenn sie Karin um Einmischung gebeten hatte, hatte diese abgewinkt. Nein, er sei zwar ihr Kollege, aber sie die Vermieterin, und sie müsse ihren Unmut direkt und selbst loswerden. Eine geschlagene Stunde hatte sie im Dunkeln gehockt, mit ungeputzten Zähnen und ohne Kaffee, um ihn ja nicht durch irgendwelche Geräusche zu warnen. Nikolas Burmeester deutete auf die alte Standuhr auf der Anrichte. »Ich … es tut mir leid, aber ich muss los, sonst komme ich zu spät zum Dienst.« Er wollte mutig aufstehen, wurde jedoch mit einem einzigen Blick zurück auf die Eckbank gedrückt. »Zunächst, Nikolas, möchte ich hier klare Vereinbarungen mit Ihnen treffen.« Nikolas druckste herum, jetzt oder nie, sein Handy jedenfalls, würde ihm nicht helfen, das musste er selbst übernehmen. »Ich, wir, also Charlotte und ich werden uns was zusammen suchen, so auf halbem Weg für jeden, Sie verstehen? Das ist hier ganz nett und friedlich, aber Bislich Büschken liegt weit ab. Und sie hat eben häufig in Düsseldorf zu tun. So, jetzt ist es raus, ich werde zum baldmöglichsten Termin ganz ordentlich kündigen. Hat wirklich nichts mit Ihnen zu tun, es war hier immer gemütlich und ein echtes Zuhause, aber es wird Zeit für Veränderung. Ich muss dringend los, sonst wartet die nächste Ansprache auf mich.« Er ließ die verdutzt wirkende Johanna sitzen, verabschiedete sich höflich, wie immer, und verschwand. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ein wenig Struktur wollte sie ins Zusammenleben bringen, aber keineswegs ihren Untermieter verlieren. Vor mehr als einem Jahr war er in einer Nacht- und Nebelaktion vor seiner überbehütenden Mutter geflüchtet. Das ganze Kommissariat hatte ihm geholfen. Zunächst war es ein gutes Gefühl gewesen, nach so langer Zeit wieder jemanden im Haus wohnen zu haben, und dann lernte er eine junge Frau kennen, die ihm gründlich den Kopf verdrehte. Tja, und...