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Witzko DSA 34: Tod eines Königs
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95752-461-4
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 34
E-Book, Deutsch, Band 34, 287 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-95752-461-4
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Lange haben wir es nicht mehr gesehen«, wisperten die Schmetterlinge spöttisch. »Was begehrt es von uns? Sollen wir ihm schaden, ihm raten oder es grüßen: Hoch, König von Maraskan?« »Ich bin Dajin, Herrscher dieser Insel, Haran aller Harans«, antwortete der Gegürtete wachsam und furchtlos. (Obschon er nicht wußte, daß dieser Roman nur den ersten Teil seiner Leben erzählte.)
Karl-Heinz Witzko, geboren 1953 in Stuttgart ist einer der Autoren, die 'Das Schwarze Auge' besonders stark mit ihren Werken geprägt haben. Der Bremer trug von 1984 bis 2002 maßgeblich zur Beschreibung der Insel Maraskan und des Königreichs Nostria bei und entwickelte damit Aventurien zu einer der bekanntesten Fantasywelten des deutschsprachigen Raums.
Autoren/Hrsg.
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Die Braut in Weiß, Lilien in ihrem Haar - 1. Kapitel Der einzelne Baum stand in einer flachen Senke, an deren Rand hüfthohe Sträucher wuchsen. Sie trugen silbergraue Blätter, kaum größer als Daumennägel, die metallisch schimmerten und träge flüsterten, wenn der spärliche Lufthauch sie bewegte. Obwohl der Baum schon lange abgestorben war, blühte er. Vor Jahren hatte ihm ein Blitz die Seite aufgerissen und dem Baum eine klaffende Wunde beschert, aus der sein giftiges Harz quoll wie dickes Blut. Der bereits alte Kurinbaum erholte sich nie mehr von dieser Verletzung, und eine Schar gefräßiger Käfer gab ihm den Rest. Und dennoch stand der Baum scheinbar in voller Blüte, jedoch nur auf den ersten Blick. Zahllose Schmetterlinge hatten sich auf den toten Ästen niedergelassen und krochen wimmelnd über die alte Rinde. Tausende mochten es sein, vielleicht sogar Zehntausende. Die Mehrzahl von ihnen war klein, braun und unscheinbar, aus der Ferne leicht zu verwechseln mit verwelktem Laub. Eine Minderheit war bunt, mit Flügeln von Handtellergröße, die aufgeklappt riesige, schillernde Augen vortäuschten oder drohende Rachen mit mörderischen Zähnen. In der Masse ihrer unauffälligen Artgenossen glichen die größeren Falter Primadonnen in irisierenden Gewändern, Fürsten in metallischem Blau und Gold, Königinnen in Orange und Blutrot, Wesiren im gelbgrün gestreiften Gewand. Sie wurden umschwärmt von gedrungenen Gardisten mit silbrigem Zackenmuster auf den fein-geschuppten Flügeln und gnadenlosen Vollstreckern in Samtschwarz. Gut fünfzig bis sechzig unterschiedliche Arten dieser leichtmütigen Geschöpfe hatten sich auf den verdorrten Zweigen niedergelassen. Sie hingen am Stamm mit zusammengeklapptem oder saßen auf den Spitzen der Äste mit ausgebreitetem Flügelpaar, bildeten mancherorts Trauben oder wimmelten wirr durcheinander, bis auch die letzten von ihnen eine freie Stelle fanden, wo sie zur Ruhe kamen. Wirr? Nein, wiederum nur auf den ersten Blick. Denn bis auf wenige Ausnahmen zeigten die zerbrechlichen Fühlerpaare dieses Schwarms von Schwärmen in genau eine Richtung. Gerade so, als warteten die tausendfach Geflügelten darauf, daß von dort etwas käme, daß etwas ganz Bestimmtes einträte. Aber was? Zwar hatte die Zeit die Schmetterlinge herbeigerufen, aber die Zukunft kannten sie dennoch nicht. Denn niemand kennt sie, weder Mensch, Tier, Zwerg, Elf, Achaz noch Gott. Niemand. Niemand bis ins letzte genau. Doch die Welt gebiert Muster. Tagein, tagaus, ohne Unterlaß. Die Muster der Wellenringe auf der Oberfläche eines Tümpels, die Muster der aufgewühlten Wogen der stürmischen See, die Muster des zurückweichenden Wassers am Strand, die Muster der Dünen und des Gerölls in der Unfruchtbarkeit der Wüste, die Muster der wachsenden und zurückweichenden Wälder, die Muster des Wolkenflugs am Himmel, die Muster der Vogelzüge, der Wanderungen der Herden oder der Menschen. Schließlich die Muster in den Gedanken, den Absichten, Triebfedern und Entscheidungen von Mensch, Zwerg, Achaz, vielleicht sogar Elf. Viele dieser Muster verschwinden wieder, kurz nachdem ihre Entstehung begonnen hat, andere formen sich zuerst zielstrebig, bis sie vor der Zeit scheinbar grundlos wieder verschwinden, manchen bestimmt das Schicksal, in anderen Mustern unterzugehen oder mit ihnen zu verschmelzen. Doch bei einigen von ihnen nimmt die anfängliche Ausprägung stetig an Deutlichkeit zu bis zur vollen Entfaltung. Das kann binnen eines einzigen Augenblicks geschehen oder sich über einen langen Zeitraum hinziehen. Besonders wenn letzteres zutrifft – und wenn die Muster unmittelbar mit dem Geschick der Menschen zu tun haben – ist der Prozeß ihrer Wahrnehmung eigenartig abgestuft. Zuerst schlägt die Stunde der Visionäre, Propheten und Seher. Sie erhaschen aus ihren Augenwinkeln, daß irgend etwas in Entstehung begriffen ist. Sie deuten das Wenige, das sie verstehen, und folgern daraus das, von dem sie meinen, daß es eintreten werde. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihre Folgerung auf dem Muster der Sterne am nächtlichen Himmel, der Form eines Priels oder den Schlingen eines Schafsdarms beruht, denn wie Zendajian lehrte, gilt: Kein Teil der Welt ist dem anderen fremd. Dann kommt die Stunde der Weisen und Philosophen, die ein Teil des Musters erkennen und gelegentlich richtige Schlüsse daraus ziehen. Schließlich die Stunde der Erfahrenen, die eine gewisse Vertrautheit mit dem Guten, Bösen oder auch Gleichgültigen zu verspüren glauben. Und endlich der Zeitpunkt, an dem das Muster sich offenbart, wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpft und zum ersten Mal seine Flügel ausbreitet, wo es jeder, gleich ob Mensch, Zwerg, Elf oder Achaz, erkennen könnte. Für gewöhnlich fällt dieser Zeitpunkt möglicher Erkenntnis einer plötzlichen Erblindung der Beobachtenden zum Opfer. Das nun Klare und Offensichtliche verschwimmt schlagartig vor den Augen, seine Existenz wird geleugnet, andere Begründungen werden bemüht, Irrtümer eingeräumt, und Entschuldigungen für das noch kurz zuvor Behauptete erscheinen angebracht. Woher diese befremdliche Sehstörung rührt, ist rätselhaft und schwer begreifbar. Manchmal trägt sie den Namen Wunsch, manchmal auch Hoffnung, doch möglicherweise ist die Frage nach ihrer Ursache eine der Vierundsechzig Fragen des Seins, die lohnenswert genug sind, sie dem göttlichen Gror zu stellen, wenn er dereinst den Weltendiskus in Empfang nehmen wird. Das Wissen um solche Muster, das Sehen ohne am Ende zu erblinden, öffnet die Tür in die Zukunft. Beides führt zur Kenntnis des Augenblicks, bevor alles beginnen wird, und das liefert das Wissen um den Augenblick, nachdem alles geendet hat. Das ist eine der Schwungfedern des Vogels Macht. Und so können wir mit Fug und Recht folgern, daß sich die Mächtigkeit einer Wesenheit aus dem frühzeitigen Erkennen dieser Muster ableiten läßt. Zweifellos reichte Rur, der die Welt als Geschenk für Gror erschuf, der sein Bruder und gleichzeitig seine Schwester ist, die Zeichnung auf dem Flügelpaar des ersten Schmetterlings völlig aus, um den gesamten Zeitraum des Flugs des Weltendiskusses zu erahnen. Die Schmetterlinge hatten den toten Kurinbaum nicht unbedacht gewählt. Er bot ihnen einen guten Ausblick: Die Schmetterlinge mit ihren gedrungenen Körpern sahen einen gelben Felsen, der sich jäh vom Ufer des warmen Meeres erhob. Die Sonne des späten Nachmittags ließ ihn an manchen Tagen golden erstrahlen, doch meistens erinnerte er an einen vertrockneten Käse mit zahllosen Rissen, wie etwa jetzt, im Niemandsland zwischen Tag und Nacht. Die Schmetterlinge mit ihren behaarten Leibern sahen eine Stadt auf diesem Felsen, deren Häuser zum überwiegenden Teil schlanke Türme waren. Die Schmetterlinge, deren Rücken mit dicken Borsten bewehrt waren, sahen einen weißen Palast in dieser Stadt. Er lag ein wenig abseits des Zentrums, seinerseits erbaut aus mächtigen Türmen, acht an der Zahl. Die Türme standen im Kreis. Kein sorgfältig gezirkelter Kreis, sondern ein mit Makeln behafteter, wie einer, den ein schneller Finger in den Staub malt. Die Abweichung vom Ideal war nicht so groß, als daß jemand bestritten hätte, daß die Grundmauern der acht Türme einen Kreis nachbildeten, aber groß genug, um Generationen von Hofbaumeistern ein Dorn im Auge zu sein. Kaum einer aus der langen Reihe von Baumeistern hatte nicht im Verlauf der Jahrhunderte versucht, die Nachlässigkeit des ersten Tages durch Um- oder Anbauten zu verschleiern. Behoben hatte sie keiner von ihnen, denn dazu hätte man mehrere Türme abreißen und neu errichten müssen. Keiner dieser Baumeister ahnte jedoch, daß die Türme genau so standen, wie es geplant war. Mit Ausnahme eines einzigen, des allerersten Baumeisters. Denn der hatte sie getreu den Träumen einer fast tauben Hirtin errichtet. Doch das war verlorenes Wissen. Verhallt im röchelnden Lärm zahlreicher Schlachten, Kämpfe und Fehden, die das Land mitangesehen hatte, zertreten von Jahrhunderten manchmal nachlässiger, bisweilen wohlmeinender, oftmals unerbittlicher Tyrannei durch das mächtige Reich im Nordwesten, auf der anderen Seite eines breiten Meeresarmes. An der Basis waren die über dreißig Schritt hohen Türme miteinander verbunden, ebenso in luftiger Höhe. Dort jedoch durch eine Vielzahl kurzer Übergänge und Brückchen, die nachträglich und nach Bedarf oder Laune dem Bauwerk hinzugefügt worden waren, und die meist nur zeitweise Teil des Bauwerkes waren, da sie wieder entfernt wurden, wenn Bedarf oder Laune sich geändert hatten. Die Türme waren durchzogen von Gängen und Treppenhäusern, sie beherbergten Säle, Gemächer, Kammern, große wie kleine, in denen eine beträchtliche Anzahl von Menschen schlief, sich liebte, aß und starb. Die Schmetterlinge, deren Köpfe scharfkantige Auswüchse trugen, sahen eine Mauer dieses Palasts, unterbrochen von zahlreichen Fenstern. Die Schmetterlinge mit ihren Flügeln wie Pfeilspitzen sahen eines der Fenster dieser Mauer. Es stand offen, und der Vorhang flatterte leicht. Von drinnen drangen das nörgelnde Gekrähe eines Säuglings nach draußen, das beschwichtigende Glucksen einer vollen...