Woelk | Schrödingers Schlafzimmer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Reihe: dtv- premium

Woelk Schrödingers Schlafzimmer

Roman
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-423-40020-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Reihe: dtv- premium

ISBN: 978-3-423-40020-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Studie über die Gesetze der Naturwissenschaften, die Psychologie und Schrödingers Zimmer, in dem eine Katze zugleich tot und lebendig sein kann. Eine Studie über die Gesetze der Naturwissenschaften, die Psychologie und Schrödingers Zimmer, in dem eine Katze zugleich tot und lebendig sein kann. Erwin Schrödinger, der Vater der Quantenmechanik, war ein Bohemien und hielt sich stets eine Reihe von Freundinnen. Als daher ein gewisser Balthasar Schrödinger in der Nachbarschaft einzieht und behauptet, ein Enkel des großen Physikers zu sein, ist Oliver Schwarz auf unbestimmte Art beunruhigt. Sein Misstrauen verstärkt sich, als der Nachbar sich als berufsmäßiger 'Zauberer' vorstellt und als erstes Gatliebs Frau und dessen Kinder mit seinem Charme und seinen Geschenken bezaubert. Dennoch folgen die Gatliebs einer Einladung in Schrödingers Haus, wo ihnen der Nachbar sämtliche Räume zeigt - mit Ausnahme des Schlafzimmers. Dies sei seine Zauberwerkstatt, erklärt er, die dürfe niemand betreten außer ihm selbst. Genau daran aber beginnt Gatlieb zu zweifeln. Er glaubt zu wissen, dass sich alle jungen Mütter der Gegend immer wieder in diesem Schlafzimmer einfinden - auch seine eigene Frau. Seine Eifersucht treibt ihn zu einem fatalen Vorstoß ... Eine Studie über die Gesetze der Naturwissenschaften, die Psychologie und Schrödingers Zimmer, in dem eine Katze zugleich tot und lebendig sein kann.

 Ulrich Woelk, 1960 geboren, in Köln aufgewachsen, studierte in Tübingen Physik und promovierte 1991 an der TU Berlin, wo er bis 1994 als Astrophysiker tätig war. Literarische Arbeiten seit den 1980er Jahren; »Aspekte«-Literaturpreis für das Debüt >Freigang< (1990). Seither erschienen Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Der Roman >Die letzte Vorstellung< wurde mit Heino Ferch und Nadja Uhl für das ZDF verfilmt (>Mord am Meer<). Ulrich Woelk lebt in Berlin.
Woelk Schrödingers Schlafzimmer jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1


»Hier ist gerade nichts los…«, sagte Oliver Schwarz, und seine Stimme im Hörer nahm einen dunkleren, anzüglichen Klang an, als er nach einer kurzen Pause hinzufügte: »…und ich stelle mir vor, daß du nackt bist.«

Do blieb stehen und sah sich um. Der Klang des Wortes nackt erschien ihr unerwartet hart und unpassend. Sie stand in ihrer Geschenkboutique mit den sorgfältig arrangierten Waren und der Aura der Kultiviertheit. Während der ersten Minuten des Gesprächs hatte sie ein paar Batistservietten zu kleinen gekerbten Fächern aufgefaltet. Doch bei nackt rutschte ihr der zwischen Kopf und Schultern eingeklemmte Hörer weg, und sie mußte ihn in die Hand nehmen, um ihn wieder ans Ohr zu führen.

Da sie nichts sagte, fühlte Oliver sich ermuntert, einen Schritt weiter zu gehen, und er fuhr fort: »Ich stelle mir vor, daß ich die Ladentür abschließe und nach hinten in die Werkstatt gehe…«, er sprach jetzt ein wenig überhastet und flüsterte fast, »…wo du nackt auf mich wartest, auf dem alten grünen Sofa, du weißt schon, mit geschlossenen Augen und breitbeinig, und ich…«

Was er sagte, rief ihr in Erinnerung, daß es einmal so gewesen war: Sie hatte dort gesessen und auf ihn gewartet. Aber es gelang ihr nicht, sich mit dem Hörer in der Hand auf die erotische Echtheit seiner Fantasie einzulassen. Sie bedauerte es selbst, aber es ließ sich nicht ändern. Und um ihn nicht in die etwas gedämpfte Leere ihrer Stimmung an diesem Nachmittag laufen zu lassen, unterbrach sie ihn: »Oliver, es kann jederzeit jemand ins Geschäft kommen, sowohl bei mir als auch bei dir.«

»Heute ist Mittwoch«, erwiderte er mit normaler Stimme und ein wenig so, als sei er ungerecht behandelt worden. »Es ist absolut ruhig hier in der Straße.«

Ach ja, Mittwoch!, dachte Do. Das bedeutete, sie würde bis drei arbeiten und dann von Ruth abgelöst werden, um sodann Jenny zum Ballett und Jonas zum Fechten zu fahren. Danach bliebe ihr eine Dreiviertelstunde zum Einkaufen, bevor Jonas wieder abgeholt werden mußte. Wenigstens würde Jenny von Helma mitgenommen werden, um bis sechs mit Maja zu spielen. Dann wäre allerdings auch sie abzuholen, und um halb sieben würde Oliver aus dem Geschäft kommen und reden wollen über diesen aus seiner Sicht so ereignisarmen Mittwoch. Es stimmte schon, was Helma immer sagte: Tage sind Reißverschlüsse, und wenn es beim Verzahnen der Minuten irgendwo klemmt, bist du geliefert.

»Bist du noch dran?«, fragte Oliver.

»Ja, mir ist nur eingefallen, daß ich nicht vergessen darf, Crunchy-Honigflocken zu kaufen. Heute morgen waren keine mehr da.«

»Zu dumm«, sagte er ernüchtert und selbstmitleidig. »Ich denke an Sex und du ans Einkaufen.«

»Ich würde auch gerne an Sex denken, Oliver.«

»Warum tust du’s dann nicht?«

»Was glaubst du denn, warum?«

Oliver war Optiker. Manchmal stellte Do – sie hieß Doris, aber Oliver hatte sie von Anfang an Do genannt – sich vor, wie er von all den leeren augenlosen Brillengestellen angestiert wurde, die in seinem Laden an den Wänden hingen. Er hatte sie angerufen, weil er sich nach ihr sehnte, und das konnte sie ihm nicht zum Vorwurf machen. Sie gab ihm ja recht: Sie schliefen zu selten miteinander. Versöhnlich, wenn auch mit einem bestimmten Schuß Ironie, der ihr unwillentlich entschlüpfte, sagte sie: »Vielleicht sollten wir einen bestimmten dafür festlegen.«

Grimmig antwortete er: »Einen in der oder einen im ?«

»Oliver«, beschwichtigte sie ihn. Sie nahm den Hörer ans andere Ohr und verschob mit der rechten Hand eine Duftkerze. »Es ist nicht so, als würdest in dieser Hinsicht zu kurz kommen.«

»Sehr ausgedrückt«, seufzte er resigniert. »Vielleicht sollten wir’s einfach mal wieder .«

»Du hast recht«, sagte sie und fügte entgegenkommend hinzu, allerdings mehr um das Gespräch jetzt zu beenden: »Wie wäre es denn mit heute abend?«

Geradezu gierig ging er darauf ein: »Ja, laß uns das unbedingt festhalten. Vergiß es nicht. Ich werde solange bohren, bis du dich wieder dran erinnerst.«

»Sei nicht ganz so präzise. Im übrigen warst du schon mal witziger«, sagte sie und senkte ihre Stimme, als hätte soeben ein Kunde das Geschäft betreten: »Ich muß Schluß machen, es kommt jemand.«

»Na bestens. Wenigstens einer, der kommt«, knurrte er mißgelaunt. Sie spürte, daß er die Unehrlichkeit ihres Manövers durchschaute. Trotzdem blieb sie bei ihrer Lüge und schickte den imitierten Hauch eines verstohlenen Kusses durch die Leitung. Als sie den Hörer zurück zum Kassentresen brachte, fiel ihr Blick auf einen schaukelnden Metallhasen im Schaufenster. Es war kurz vor Ostern. Angetrieben von einer hin- und herpendelnden Gußeisenkugel, schob der Hase unermüdlich eine Schubkarre voller buntbemalter Eier vor und zurück. Die Geschenkboutique hatte Do vor vier Jahren zusammen mit ihrer Freundin Ruth Weiß eröffnet. Die Gelegenheit war günstig gewesen, weil damals infolge der abstürzenden Börsenkurse die Ladenmieten ins Rutschen gerieten. Außerdem kannte sich Oliver mit Geschäftsräumen gut aus und wußte, worauf zu achten war. Sie nannten die Boutique .

Licht und Dunkelheit. Sehen und nicht sehen. Es entsprach einem Gefühl von ihr. Als sie Oliver kennengelernt hatte, war sie fasziniert gewesen von seiner Lichtsucht. Er hatte sich schon Anfang der neunziger Jahre als Optiker selbständig gemacht. Sein Geschäft lag in einer Zeile alteingesessener Schuh-, Wäsche- und Papiergeschäfte, die damals kaum mehr gewesen waren als Überreste einer steinzeitlichen Ladenkultur, die in der Epoche von Einkaufszentren und Erlebnisshopping drohte unterzugehen. Er hatte frischen Marketingwind in den Straßenzug gebracht. Er war Künstler. Er zeichnete viel und manisch, und seine Schaufensterdekorationen wiesen ihn als jungen Wilden aus: Er befestigte seine Brillengestelle rittlings auf grellfarbigen Neonröhren oder skizzierte auf einem langen Stück Rauhfasertapete mit wenigen breiten Filzstiftstrichen die Silhouette einer großen nackten Frau, setzte ihr durch zwei Löcher im Kopf eine Designer-Sonnenbrille auf und ließ sie selbstbewußt (oder verächtlich) auf den Gehsteig hinabsehen.

Er selbst war nicht besonders groß, nur wenig über einssiebzig. Als Do ihm zum ersten Mal in seinem Laden gegenüberstand, inmitten seiner Brillenarmee, mußte sie an Napoleon denken. Ein Feldherr im Kampf gegen die Dunkelheit. Hornhautverkrümmungen, Astigmatismen, Altersweitsicht: Es gab eine Menge Fehlsichtigkeiten – wie sie im Laufe der Jahre erfuhr–, gegen die er seine Gestellsoldaten in den Kampf schickte. Sein Blick war präzise beobachtend (er war ja Zeichner), und er wirkte sehr selbstsicher, fast ein wenig arrogant. Bei den Verkaufsgesprächen, die sie hatten – Do wollte eigentlich nur eine Sonnenbrille kaufen, aber sie ließ sich Zeit damit–, verliebte sie sich in ihn. Es gefiel ihr, daß er diese Künstleraura hatte, aber noch etwas anderes spielte eine Rolle. Es forderte sie gewissermaßen heraus, ihn, den Ingenieur des Fernsinns, für bestimmte Vorzüge der Nahsinne zu begeistern. Was Dinge betraf, war er nämlich keineswegs ein Draufgänger, wie sie schnell herausfand. Im Innersten eher schüchtern, verbarg er sich hinter der Maske des avantgardistischen Optikers. Ihn, den Herrn des Sehens, zu verführen hatte einen sehr romantischen Reiz gehabt. Denn damals dachte Do (und sie dachte es heute noch), daß zu lieben zuinnerst bedeutete, die Augen zu schließen.

Am Abend nach Olivers Anruf bemühte Do sich, seinen Ausflug ins Reich des Telefonsexes als Kommunikationskapriole zu sehen, die den heißhungrigen Atem ihrer frühen Liebesjahre verströmte. Sie ging noch einmal ins Kinderzimmer, um sich zu vergewissern, daß Jenny und Jonas schliefen. Dann wandte sie sich zum Schlafzimmer. Auf dem Weg gaben die alten gewachsten Fichtenbohlen im Flur unter ihren Fußsohlen warm und samten nach und knarrten vertraut. Die Schlafzimmertür wurde durch eine Straßenlaterne schimmernd beleuchtet.

Als Do die Tür öffnete, fiel ein blasser Lichtkeil in den Raum, der sich zum Bett hin weitete. Kopfkissen und Decken wurden sichtbar, noch zerwühlt vom morgendlichen Aufstehen. In dem schwachen indirekten Licht sahen sie menschenähnlich und gespenstisch aus, und obwohl Do nicht an Übersinnliches glaubte (oder nur maßvoll, sie wünschte sich etwas, wenn sie eine Wimper fand, oder sah in...


Woelk, Ulrich
Ulrich Woelk, 1960 geboren, in Köln aufgewachsen, studierte in Tübingen Physik und promovierte 1991 an der TU Berlin, wo er bis 1994 als Astrophysiker tätig war. Literarische Arbeiten seit den 1980er Jahren; 'Aspekte'-Literaturpreis für das Debüt ›Freigang‹ (1990). Seither erschienen Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Der Roman ›Die letzte Vorstellung‹ wurde mit Heino Ferch und Nadja Uhl für das ZDF verfilmt (›Mord am Meer‹). Ulrich Woelk lebt in Berlin.

Ulrich Woelk, 1960 geboren, in Köln aufgewachsen, studierte in Tübingen Physik und promovierte 1991 an der TU Berlin, wo er bis 1994 als Astrophysiker tätig war. Literarische Arbeiten seit den 1980er Jahren; 'Aspekte'-Literaturpreis für das Debüt ›Freigang‹ (1990). Seither erschienen Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Der Roman ›Die letzte Vorstellung‹ wurde mit Heino Ferch und Nadja Uhl für das ZDF verfilmt (›Mord am Meer‹). Ulrich Woelk lebt in Berlin.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.