E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Wolf Wemm bische
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-6206-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wendsche Familien- und Beinamen in Altenhof und Girkhausen
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-7583-6206-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn in einem kleinen südsauerländischen Dorf bei 800 Einwohnern fünfzig zum Teil über Jahrhunderte übliche Beinamen heute noch gebraucht werden, zeigt dies, wie differenziert und gleichzeitig geschichtsbewusst ein Dorfsystem sich aufgestellt hat. Der Autor, der selbst in diesem Dorf aufgewachsen ist, hat die Beinamen gesammelt und stellt in diesem Buch sowohl eine historische Analyse, die in einigen Fällen bis in das 15. Jahrhundert zurückgeht, als auch sprachwissenschaftliche Untersuchungen vor. Dabei greift er auch auf die Besonderheiten des örtlichen Dialekts zurück und weist auf, dass gängige Erklärungen zur Bildung der Familien- und Beinamen für das Niederdeutsch des Wendschen Platt nicht greifen. Die Recherchen ergaben auch ungewöhnliche Einblicke, wie die historische Namensbildung bei Bei- und Familienamen auch auf Nennungen des niedrigen Adels oder des Ostjudentums zurückgreift und damit Sprachfossilien für weitere Forschungen anbietet. Ein spannendes Lesebuch und zugleich wissenschaftlich fundiert.
Walter Wolf, Jahrgang 1951, Studium der Pädagogik, Soziologie, Psychologie und Katholischen Theologie; bis zum Ruhestand Bildungsarbeiter und Leiter von Bildungshäusern; 50 Jahre ehrenamtlich im sozialen, verbandlichen und kirchlichen Bereich, zuletzt als Geschäftsführer und Referent im Heimatverein für das Drolshagener Land. Veröffentlichungen vor allem zu innovativen konzeptionellen Themen. Diverse Fachartikel zu regionalen, politischen und historischen Themen. Referententätigkeit im Heimatverein für das Drolshagener Land.
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Wendsche Bei- und Familiennamen am Beispiel der Ortschaften Altenhof und Girkhausen – eine Einführung
An unsere Verwirrung als Kind in den fünfziger Jahren kann ich mich heute noch gut erinnern, als jemand zu uns ins Dorf kam und einen Alfes suchte. Alfes? Ja, hatten wir gehört, kannten auch einige Familien die diesen Familiennamen trugen, aber welche waren gemeint? Wir kannten sie nur unter den Beinamen als Clösers, Schächs, Pampuses, Halben, Mëjnards, den langen Rudi. Gemeint war damals der über die Dorfgrenzen hinaus bekannte Fußballer Hubert Alfes, aber den kannten wir nur unter „Hüppes“. Damit ist die kleine Studie zu den Bei- und Familiennamen in meinem Herkunftsort eröffnet und zeigt gleichzeitig umfassend, um was es geht. Wir kannten den Vornamen Hubert, aber auch den Rufnamen, der typisch Wendsch „Hüppes“ lautete. Wir wussten um den Familiennamen Alfes, und wir kannten die Beinamen, die bei uns – linguistisch nicht korrekt – ebenfalls Rufnamen hießen, also, wie man die Familienmitglieder rief. Im Folgenden werde ich zunächst die Entstehung der Familien- und Beinamen in einer kurzen Systematik vorstellen, anschließend zunächst die Beinamen, dann die Familiennamen aufführen, wie sie zu einer von mir gewählten Referenzzeit Ende der Fünfzigerjahre in Erinnerung sind. Soweit es geht, werde ich sie in der Systematik, der Herkunft und der Bedeutung erläutern und zum Schluss einige Familien- bzw. Beinamen, die exemplarisch für bestimmte Entwicklungen sind. Die Recherchen zu den beiden Namen „Pampuses“ für meine Oma und „Klur“, dem Namen meines Opas, haben zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen geführt, die aber – so viel darf ich schon sagen – zu wirklichen Überraschungen geführt haben. Der Beiname „Busenhaans“ und der Familienname „Hees“ zeigen weitere Besonderheiten auf. Zur Systematik der Familien- und Beinamen
Wer ist Lotte, Ella oder – jetzt wird es klar - „Bunte“? Oder Asta oder Purzel? Das erste sind Namen unserer Kühe, mit den anderen wurden Hunde zu meiner Kinderzeit im Dorf gerufen und damit die Tiere von anderen unterschieden. Nun kommt die Benennung von Menschen nicht von den Tieren her, sondern umgekehrt, aber es liegen die gleichen Beweggründe vor: ein Mensch, ein Mann, eine Frau, ein Kind bekommen einen Namen, damit sie unverwechselbar, oder, vielleicht auch praktischer gesehen, ansprechbar sind und man weiß, über wen man gerade spricht. Wir können davon ausgehen, dass Menschen, seit sie sprechen können, einen Namen haben und Namen geben, es gehört zum Menschsein einfach hinzu. In der Bibel im Buch Jesaja heißt es: „Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben“, womit die Einzigartigkeit der Person über den Namen ihren religiösen Ausdruck bekommt. Mit seinem Namen ist jemand identifizierbar, unverwechselbar, individuell - solange es nicht zu viele Menschen mit dem gleichen Namen gibt. Hätte man um 1700 einen Heinrich gerufen, und es gab in der Zahl der Kinder einige mit demselben Namen (heute könnten es auch Paul oder Kevin sein), weiß das Kind nicht, dass es gemeint ist – oder weiß es, aber reagiert nicht. Es gibt ja noch mehr Heinrichs. Damit sind wir mitten in der Geschichte. Entwicklung der Zweinamigkeit
In unserem Kulturkreis verfügt der Mensch über mindestens zwei Namen, den Rufnamen und den Familiennamen. Der Rufname wie Heinrich geht auf einen bewussten Akt der Namensgebung zurück, der Familienname steht vor der Geburt fest und weist den Namenträger als Mitglied einer bestimmten Verwandtschaft aus3. Diese Zweinamigkeit hat sich in unserem Sprachraum ab dem 12. Jahrhundert herausgebildet. Vorher genügte ein Rufname, damit man eindeutig eine Person identifizieren und ansprechen konnte. Es waren bis ins 8 Jahrhundert überwiegend meist zweigliedrige germanische Namen wie bei Hiltibrant, der sich aus den Worten „hilti“ = Kampf, Schlacht und „brant“ = feuergebranntes Schwert zusammensetzt. So wurden auch durchaus individuelle Namenskonstellationen entwickelt, die zudem über Stabreim oder gleiche Wortbestandteile als zusammengehörig erkannt werden konnten. Im Hildebrandslied aus dem 9. Jahrhundert, das wir seinerzeit im Deutschunterricht gelesen haben und zum Teil auch auswendig lernen mussten, ist von Hiltibrand und Hadubrand, seinem Sohn die Rede. Und der Vater des Hiltibrand war Heribrant, der mit dem Schwert im Heer kämpfende Krieger. Auch diese Namen waren zweigliedrig, aber auf den Rufnamen begrenzt. Seit dem 8. Jahrhundert sind im deutschen Sprachraum erste biblische, zunächst alttestamentliche Rufnamen in Gebrauch, verbunden mit der Taufe auch als Taufname erkennbar. Später auch die neutestamentlichen Namen, die für unsere Region dominant wurden. Wer sich die Kirchenbücher der St. Severinus Gemeinde Wenden anschaut, wird feststellen, dass es vom 17. bis 19. Jahrhundert bei den Männern überwiegend Johannes, Heinrich, Joseph und Peter gibt, immer wieder auch mit einem zweiten Namen als Johann Heinrich, Heinrich Johann oder Josef Peter. Bei den Frauen sind es Anna, Elisabeth, Maria, Catherina und die Varianten dieser Namen. Zudem werden den Kindern auch die Namen der Mütter und Väter, aber häufig auch der Taufpaten gegeben. Selten sind es andere Namen wie Xaver, Timotheus, oder Dionysius, in anderen Fällen, wie ein Mann aus Büchen, der die Vornamen Caspar Melchior hat und dann den polnischen Nachnamen Przybylski, den der Pfarrer im Kirchenbuch regelmäßig korrigieren muss. Bei den Frauen kommen auch Namen wie Luckele oder Merge4 vor, und wie in einem Fall, den ich später genauer ausführe, auch die Übertragung eines Frauennamens auf das Kind, das dann Lückele Hannes Arns, nach seinen Eltern benannt wird. Dieser Mann wird später noch Bedeutung gewinnen. Es ist nun festzustellen, dass mit der Übernahme der biblischen Namen eine Engführung erfolgt, sodass es innerhalb eines Dorfes oder einer Gemeinde eben viele Johannes gibt, und da gerade im ländlichen Bereich die Mobilität nicht sehr groß war – für das Mittelalter geht man insgesamt von 15% aus, die sich aus der unmittelbaren Umgebung herausbewegen, während 85% regional gebunden bleiben - verdichten sich bestimmte Familiennamen, in meinem Herkunftsort zum Beispiel Rademacher oder Wurm. Was sagt man vom Wendschen? „Hä kläabet mim Äas an der Frase“. Das muss ich nicht übersetzen. Mit der Zunahme der biblischen Namen und gleichzeitig einer starken Schrumpfung des Rufnamenbestandes wurde es wichtig, Personen mit dem gleichen Namen zu identifizieren. Hinzu kommt die zunehmende Verschriftlichung, die das noch notwendiger machte. So wurden zunächst den Rufnamen Zusätze beigefügt, Beinamen gegeben. Diese verweisen auf den Wohnort einer Person oder die Wohnstätte innerhalb eines Ortes, auf den Rufnamen des Vaters oder der Mutter, den Beruf, die Herkunft oder Körper– bzw. Charaktermerkmal der Person (sogenannte Übernamen). Diese Beinamen sind noch nicht erblich, eigentlich auch keine wirklichen Namen, sondern sogenannte Appelative, Eigenschaftsbeschreibungen einer Person, die erst später zum Familiennamen werden, auch wenn die Eigenschaft oder der Beruf der erstgenannten Person, sei es ein Schneider oder ein kleiner Mann, ein Kurz, für die Nachkommen nicht mehr zutrifft. Aus der Beschreibung einer Eigenschaft oder Herkunft, eines Berufs oder dem Namen des Vaters wird nun ein fester Name, eben der Familienname, der nun erblich wird. Mit dem Familienamen, der immer vom Mann ausgeht, wird die verwandtschaftliche Linie erkennbar festgelegt, aber auch rechtliche Ansprüche und Verpflichtungen vereindeutigt. Gründe für die Bildung von Beinamen
Nun kommt der nächste Schritt. Innerhalb eines Dorfes oder der großen Kirchengemeinde, die die Ausdehnung des ehemaligen Amtes Wenden hat, vervielfachen sich die Familiennamen und bei der geringen Varianz der Rufnamen gibt es ebenso viele gleichlautende Namen. Es kommt durch die überwiegende Binnenwanderung zu einer Häufung bestimmter Familiennamen, die unter anderem dazu führen, dass sich der Name Koch beispielsweise bis heute sehr stark auf Hünsborn konzentriert. „In jedem Loch ein Koch“, heißt es dort heute noch. Für Altenhof sind es u.a. die Namen Rademacher, Alfes, Wurm. Um nun aber eine Familie und innerhalb der Sippe Personen identifizieren zu können und sie von anderen gleichgenannten abgrenzen zu können, braucht es ergänzende Informationen. So kommt es zu den Beinamen, die in diesem Schritt wie vordem gebildet werden, also von Rufnamen abgeleitet, von Wohnstätten oder Herkunft, von Beruf oder persönlichen Eigenschaften. Bei den Beinamen im Dorf müssen wir eine weitere Kategorie hinzunehmen, nämlich der durch eine Heirat verschwundene Familienname, der aber in der Alltagssprache immer noch präsent ist und zum Beinamen wird. Wenn ich nun einen Sprung in die Referenzzeit der späten Fünfzigerjahre mache, wird es deutlich. Zu diesem Zeitpunkt haben fast alle Familien, zum Teil auch die Häuser einen Zusatznamen, einen...




