Woods Zwischen dir und mir die Sterne
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7336-0273-4
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-7336-0273-4
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als echter Zwilling liebt Darcy Woods Abenteuer und findet, Wortgefechte sollten eine olympische Disziplin sein. Vor allem aber glaubt sie ganz fest an Happy Ends. Da Darcy den Mann ihrer Träume schon gefunden hat, hat sie mittlerweile aufgehört, die Sterne zu deuten. Stattdessen schreibt sie Geschichten über clevere Mädchen und über Jungs, die versuchen, mit ihnen mitzuhalten.
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Kapitel 1
Sei demütig, denn du bist aus Erde gemacht.
Sei großmütig, denn du bist aus Sternen gemacht.
Serbisches Sprichwort
Zwei Ängste habe ich schon mein ganzes Leben, und heute muss ich mich einer davon stellen.
Leider aber nicht der Angst vor Clowns – leider: Was mir jetzt bevorsteht, ist schlimmer. Viel schlimmer.
Vorsichtig setze ich mich auf die Plattform des Wasserturms und lasse die Füße in vierzig Metern Höhe in der Frühsommerbrise baumeln. Dann falte ich das vergilbte Papier mit meinem Horoskop auseinander. Und hier ist er, der Schrecken meiner schlaflosen Nächte und der Haken in meinem Schicksal. : Beziehungen. Romantik. Liebe.
Ob ich will oder nicht – die Sterne zwingen mich zu handeln. Hier und jetzt und heute. Denn die Zeit läuft. Mir bleiben genau zweiundzwanzig Tage.
So lange stehen meine Sterne günstig, um einen Typen zu finden, dessen Horoskop perfekt zu meinem passt. Erst in zehn Jahren wird es wieder eine so ideale Konstellation geben. Und wer weiß, mit siebenundzwanzig bin ich vielleicht schon eine verrückte Einsiedlerin mit elf Katzen und unheilbarer Klaustrophobie.
Das Risiko ist mir einfach zu groß. Vor allem weil mir mein Fünftes Haus ein kompliziertes Liebesleben verheißt. Hilfe! Wenn ich jetzt nicht den Richtigen finde, muss ich die nächsten zehn Jahre an die falschen Typen vergeuden. Zehn Jahre Liebeskummer – nicht auszudenken!
Ich habe gar keine Wahl. Ich muss meine Angst bezwingen und diese kosmische Konstellation nutzen.
Mit geschlossenen Augen atme ich tief durch.
Seit meine Mutter mein Horoskop erstellt hat, bin ich kein einziges Mal vom vorgezeichneten Pfad abgewichen. Denn eines weiß ich mit Sicherheit: Mein Lebensweg ist mir vorherbestimmt, er ist so unveränderlich wie meine Gene, wie die blaue Farbe meiner Augen. Eine andere Richtung einzuschlagen ist keine Option.
Also mache ich mich an die Arbeit. Ich krame den Notizblock, einen Stift und meinen iPod hervor, drücke auf und lasse mich von der Musik inspirieren.
Dann beginne ich mit einer Liste der zwölf Tierkreiszeichen. Neben Widder, Zwilling, Waage und Schütze male ich Sternchen – sie stehen für Klugheit, Witz und Abenteuerlust. Neben ein paar andere Sternzeichen mache ich Fragezeichen – sie könnten möglicherweise zu meinem passen. Stier und Skorpion streiche ich durch – solche Partner sind viel zu besitzergreifend. Der Löwe ist mir zu extrovertiert und der Krebs zu rührselig. Mit Gefühlsduselei kann ich nichts anfangen. Und dann sind da noch die Fische-Männer. Die stehen absolut nicht zur Debatte. Warum habe ich das überhaupt hingeschrieben? Ich streiche das Wort so lange durch, bis es nur noch ein Tintenfleck ist.
Diese mickrige Aufzählung ist nichts im Vergleich zu den Nachforschungen, die noch vor mir liegen. Ich muss die Astrologiebücher unter meinem Bett zu Rate ziehen – und natürlich meine beste Freundin Irina.
Sie hat mir eine Überraschung angekündigt, die mir bei meiner Suche helfen soll. Ich lege den Kopf in den Nacken und lehne mich weit zurück, die Ellbogen auf das hüfthohe Geländer gestützt, schaue ich in die vorbeiziehenden Wolken mit ihren flachen, wie gebügelt wirkenden Unterseiten.
Plötzlich vibriert die Plattform so stark, dass meine Beine beben. Ich habe die Musik zwar laut gestellt – aber sind das nicht Stimmen? Die immer lauter werden?
Erschrocken reiße ich die Ohrstöpsel raus.
»… es nicht! Bitte!«, brüllt jemand herauf.
Ich drehe mich einmal um die eigene Achse und schaue runter. Ein Typ sieht zu mir hoch. Viel mehr kann ich nicht erkennen, er ist zu weit weg. Dann entdecke ich einen zweiten, der so schnell die Leiter hochklettert, als wäre ihm ein Rudel Höllenhunde auf den Fersen – und er ein Hundekuchen mit Steakgeschmack.
Ein schlammgrüner Kombi steht mit geöffneten Türen und laufendem Motor neben Grandmas Buick.
»Bleib, wo du bist! Die Feuerwehr ist sofort da!«
Doch dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Ein junges Mädchen allein auf einem Turm. Die wie verrückt irgendetwas kritzelt, während sie sich über das Geländer beugt. Die auf Zurufe nicht reagiert. Bei allen Planeten! Die glauben garantiert, ich schreibe einen Abschiedsbrief!
»Hey!«, rufe ich runter, wild mit den Armen rudernd. »Ich hab … einen Fehler gemacht!«
»Kein Fehler kann so schlimm sein! Nicht …« Der Typ sieht nach unten, als suche er dort nach weisen Worten. Er formt einen Trichter um den Mund. »Nicht springen!«
Sehr weise.
Ein plötzlich aufkommender Wind bläst um den Turm. Damit der Typ mich trotzdem hören kann, mache ich ein paar Schritte auf die Leiter zu. »Mann, ich will überhaupt nicht –« Doch mein Schuh verfängt sich im Riemen der Tasche, ich stolpere und kippe über das Metallgestänge wie eine Stoffpuppe.
»O nein!«, schreit der Typ von unten. »Grant!«
Kräftige Arme packen meine Taille und reißen mich nach hinten. Wir taumeln ein paar schwankende Schritte rückwärts, bis der unbekannte Ringkämpfer mit einem dröhnenden ans Geländer stößt.
Ich spüre seinen Herzschlag an meinem Rücken. Seine Arme umklammern mich immer noch.
»Es ist okay«, flüstert er mir außer Atem in den Nacken. Er riecht nach Schweiß und nach irgendetwas Sauberem wie Weichspüler. »Ich hab dich. Ich lass dich nicht fallen.« Seine Arme mögen hart wie Stahl sein, aber er zittert wie Espenlaub.
Ich winde mich. »Lass mich los!«
Sein Herz hämmert. »Nur wenn du mir versprichst, nicht zu springen.«
»Okay, ich verspreche es! Und jetzt lass mich aus dem verdammten Schwitzkasten, bevor du mir alle Rippen zerquetschst!«
Augenblicklich lässt er die Arme sinken.
»Danke.« Ich atme erleichtert auf und drehe mich um.
Seine Augen fallen mir als Erstes auf. Sie sind braun. Braun ist ja eigentlich nichts Besonderes – aber bei seinen Augen schon. Sie sehen aus, als ob sie von innen leuchten würden. Vielleicht spiegelt sich aber auch nur das Glühen der untergehenden Sonne in ihnen.
»Was machst du hier oben?«
»Dich retten. Falls du das noch nicht gemerkt hast«, bringt er hervor, stützt die Hände auf die Knie und keucht.
»Mich retten?« Ich grinse ihn verdattert an. »Und deswegen muss ich jetzt gleich wiederbeleben, oder was?«
Er ignoriert meine Bemerkung, wirft einen Blick vom Turm und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Ganz … schön … hoch.« Mein zittert zwar nicht mehr, aber entspannt wirkt er auch nicht gerade. Er lässt sich an der niedrigen Mauer auf die Plattform gleiten.
»Das ist ja der springende Punkt.«
Die Brise frischt auf und presst das gelbe Vintage-Kleid an meinen Körper. Es gab eine Zeit, in der mich meine Kurven verunsichert haben. Aber ich habe nun mal Gene, die mich wie eine Sanduhr formen, mit Diäten oder Sport ist da nichts zu machen. Es ist wie eine Naturgewalt – besser man akzeptiert sie, als sich auf einen aussichtslosen Kampf einzulassen.
Er wird rot und wendet sich schnell ab. »Was auch immer es ist, das kann nicht die Lösung sein. Von einem Turm zu springen, ist –«
»Ich überhaupt nicht springen! Wie oft muss ich euch das noch sagen? Ich komme manchmal hier hoch, um nachzudenken und meinen Kopf freizukriegen. Aber doch nicht, um ihn … zu zerschmettern.« Ich lasse den Blick über die Landschaft schweifen. Ich brauche weder Tageslicht noch Adleraugen, um zu wissen, dass die Gebäude von Carlisle starr in Reih und Glied stehen. Oder dass die Bahnschienen die wohlhabende East Side vom Arbeiterviertel im Westen trennen. Weiter hinten erheben sich die Umrisse der drei Schornsteine, deren flackernden Blicken nichts entgeht. Alles steht an seinem Platz, alles ergibt einen Sinn – wenn du nur hoch genug bist.
»Von hier oben sieht alles ganz anders aus. Manchmal brauche ich einfach nur eine andere Perspektive.« Ich bücke mich, um meine verstreuten Sachen einzusammeln, und stopfe die Zettel in meine Tasche, bevor er mich nach den Horoskopen und Sternzeichen fragen kann.
»Wow, warte mal.« Seine dunklen Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Du bist allen Ernstes hier hochgeklettert, nur um nachzudenken?«
Ich nicke.
Er kratzt sich am Kopf, dabei stehen seine dunklen Haare sowieso schon in alle Richtungen ab. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie nie machen, was er will.
»Na ja, um nachzudenken und um die Sterne und den Mars zu sehen.« Ich klopfe gegen das kleine Teleskop im Außenfach meiner Tasche. »Ich meine übrigens den Planeten. Nicht den Schokoriegel.«
»Das habe ich mir jetzt schon gedacht.« Er guckt zur Leiter hinüber und schluckt.
»Im Sommer sieht man sie am besten, und vom Turm aus kann man die Sterne viel klarer erkennen, hier ist das Licht aus der Stadt nämlich nicht mehr so hell. Gleich geht die Sonne unter, dann wird es spannend. Wusstest du, dass manche Indianervölker glaubten, die Milchstraße wäre ein Pfad für die Seelen der Verstorbenen? Darauf wanderten sie, bis sie einen Stern fanden, auf dem sie sich niederlassen konnten. Und weißt du, was noch erstaunlicher ist?«
Er schüttelt den Kopf.
»Es gibt wissenschaftliche Prognosen, nach denen innerhalb der nächsten fünfzig Jahre auf der Milchstraße eine Supernova zu sehen sein wird! Kannst du dir das vorstellen? Mit eigenen Augen zu sehen, wie ein Stern in...