Wurst / Thon / Mann Glücksspielsucht
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-456-95104-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Ursachen – Prävention – Therapie
E-Book, Deutsch, 292 Seiten
ISBN: 978-3-456-95104-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Das Thema Glücksspielsucht ist in den letzten Jahren gleichermaßen in den Fokus klinisch-wissenschaftlicher Untersuchungen und politischer Kontroversen geraten. Die Datenlage neuer Untersuchungen aus Deutschland und Österreich – hinsichtlich Phänomenologie, Ätiologie, neurobiologischen und genetischen Faktoren – unterstützt die Einordnung des pathologischen Glücksspiels als Verhaltenssucht. Dabei ist davon auszugehen, dass in nahezu drei Vierteln aller Fälle wenigstens eine komorbide psychische Störung vor dem pathologischen Glücksspiel begann. Dieses Handbuch gibt Auskunft über Epidemiologie und Komorbidität der Glücksspielsucht einschließlich genderspezifischer und forensischer Aspekte, über Modelle der Ätiopathogenese und über Ansätze zur Diagnostik, Therapie und Prävention. Auf dieser Grundlage werden Sozialkonzepte und politische Fragen der Eindämmung pathologischen Glücksspiels diskutiert.
Zielgruppe
Psychologen, Psychiater, Beratungsstellen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Glu?cksspielsucht. Ursachen – Prävention – Therapie;1
2;Impressum;5
3;Inhalt;6
4;Vorwort;8
5;Epidemiologie;10
5.1;1 Problematisches und pathologisches Glu?cksspielen in der Allgemeinbevölkerung;11
5.1.1;Zusammenfassung;11
5.1.2;Einleitung;11
5.1.3;Stand der internationalen Forschung;12
5.1.4;Studien in Deutschland;17
5.1.5;Projekt PAGE – Pathologisches Glu?cksspiel und Epidemiologie;21
5.2;2 Glu?cksspielsucht – ein Risiko fu?r Mann und Frau;27
5.2.1;Beginn genderspezifischer Spielsuchtforschung;27
5.2.2;Prävalenz;28
5.2.3;Ätiologie der Spielsucht – genderspezifische Aspekte;30
5.2.4;Schlussfolgerungen;36
5.3;3 Komorbide psychische Störungen beim pathologischen Glu?cksspielen;42
5.3.1;Substanzbezogene Störungen;43
5.3.2;Affektive Störungen;50
5.3.3;Angststörungen;55
5.3.4;Zwangsstörungen;58
5.3.5;Andere psychische Störungen;59
5.3.6;Persönlichkeitsstörungen;62
5.3.7;Spezifische Persönlichkeitsfaktoren;66
5.3.8;Zusammenfassung und Schlussfolgerungen;70
6;Ätiopathogenese;82
6.1;4 Glu?cksspiel im Gehirn: neurobiologische Grundlagen pathologischen Glu?cksspielens;83
6.1.1;Neurotransmittersysteme und pathologisches Glu?cksspielen;84
6.1.2;Befunde aus neuropsychologischen und bildgebenden Studien bei pathologischem Spielverhalten;87
6.1.3;Diskussion und Ausblick;97
6.1.4;Schlussfolgerungen fu?r die Praxis;101
6.2;5 Lerntheoretische Erklärungsmodelle der Glu?cksspielsucht;110
6.3;6 Forensisch-psychiatrische Aspekte der Spielsucht;116
6.3.1;Glu?cksspielkriminalität;117
6.3.2;Schlussfolgerung: Forderung nach Therapiemaßnahmen;127
7;Diagnostik und Therapie;130
7.1;7 Diagnostik pathologischen Glu?cksspielens;131
7.1.1;Klassifikation des pathologischen Glu?cksspielens;131
7.1.2;Diagnostische Instrumente;135
7.1.3;Diagnostischer Prozess;142
7.1.4;Fazit;144
7.2;8 Stationäre Therapie Spielsu?chtiger: Chancen und Grenzen;147
7.2.1;Besondere Merkmale der bisher im Krankenhaus de La Tour behandelten Spielsu?chtigen;148
7.2.2;Therapieangebot;149
7.2.3;Ausblick;155
7.3;9 «Sie hatten Glu?ck, das war ihr Pech». Praxisrelevante Aspekte in der ambulanten Behandlung pathologischen Glu?cksspiels;157
7.3.1;Einladung zur Selbstreflexion;158
7.3.2;Woran erkennt man abhängige Spieler und Spielerinnen?;158
7.3.3;Spielertypologie;160
7.3.4;Spielsucht, pathologisches Glu?cksspiel;161
7.3.5;Fallbeispiele;162
7.3.6;Individuelle und familiäre Folgen pathologischen Glu?cksspiels;164
7.3.7;Ambulante Beratungs- und Behandlungsangebote am Beispiel der Spielsuchthilfe;164
7.3.8;Erfordernisse ambulanter Behandlung pathologischen Glu?cksspiels;174
7.3.9;Aus dem psychotherapeutischen Alltag;175
7.3.10;Abschließende Bemerkungen;186
7.4;10 Die Wirksamkeit psychologischer und psychopharmakologischer Interventionen beim pathologischen Glu?cksspiel – eine Metaanalyse;188
7.4.1;Methode;190
7.4.2;Ergebnisse;194
7.4.3;Diskussion;206
7.4.4;Schlussfolgerungen;212
7.5;11 Psychotherapie pathologischer Glu?cksspieler;217
7.5.1;Hintergru?nde und Therapieformen zur Behandlung pathologischen Glu?cksspiels;217
7.5.2;Schwerpunkte der Psychotherapie pathologischen Glu?cksspiels;219
7.5.3;Zusammenfassung;223
8;Prävention;226
8.1;12 Effektivität der Spielsperre als Maßnahme des Spielerschutzes;227
8.1.1;Die Entwicklung;227
8.1.2;Der aktuelle Befund;228
8.1.3;Das Entwicklungspotenzial der Spielersperre;229
8.1.4;Zwischenergebnis;231
8.1.5;Spielhallen;232
8.1.6;Schlussbemerkung;233
8.2;13 Die Einschätzung des Gefährdungspotenzials von Glu?cksspielen: Ergebnisse einer Delphi-Studie und empirischen Validierung der Beurteilungsmerkmale;234
8.2.1;Methodik;236
8.2.2;Ergebnisse;240
8.2.3;Diskussion;245
9;Sozialkonzepte und politische Aspekte;250
9.1;14 Glu?cksspiel und Glu?cksspielsucht in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Prävention und Spielerschutz;251
9.2;15 Möglichkeiten und Grenzen der Suchtprävention im «alten» und «neuen» Glu?cksspielstaatsvertrag;255
9.2.1;Sachstand;255
9.2.2;Auswirkungen des Urteils des EuGH und «neuer» Glu?StV;257
9.2.3;Problemfeld gewerbliches Glu?cksspiel;260
9.2.4;Lobbyismus und Glu?cksspiel;263
9.2.5;Weitere Gesichtspunkte eines neuen Glu?StV;266
9.2.6;Verhaltenspräventive Entwicklungen und Versorgungsaspekte;267
9.2.7;Monitoring und Infohotlines;269
9.2.8;Fazit;270
9.2.9;Deklaration möglicher Interessenskonflikte;272
9.3;16 Glu?cksspiel und Glu?cksspielsucht in Österreich – die Sicht des BMG;274
9.3.1;Wie stellte sich die Präventionslandschaft im Glu?cksspielsuchtbereich aus Sicht des BMG dar?;275
9.3.2;Welche maßgeblichen Änderungen sind nun in der Novelle zum Glu?cksspielgesetz vorgesehen?;275
9.4;17 Glu?cksspiel und Glu?cksspielsucht in der Schweiz – Public Health und Spielerschutz;277
9.4.1;Theoretischer Rahmen;277
9.4.2;Modellbeispiel Schweiz;280
10;Autorinnen und Autoren;290
problematisches Spielen bei 0,64 % (N = 47). Der Vergleich der beiden Befragungen zeigte, dass der Anteil der Lottospieler um 4,5 % gestiegen war; insbesondere bei hohen Jackpots stieg die Zahl der Spieler, wobei die eingesetzten Geldbeträge 2009 gegenüber 2007 gesunken waren. Beim Spielen an Geldspielautomaten war die 12-Monats-Prävalenz hingegen von 2,2 % auf 2,7 % gestiegen. Der Vergleich des GABS zeigt, dass die Teilnehmer der zweiten Befragung dem Glücksspielen gegenüber deutlich skeptischer eingestellt sind, Männer und Jugendliche aber stärker irrationale Haltungen vertreten als Frauen. Außerdem wurde deutlich, dass Warnhinweise und Informationen oder Broschüren bezüglich der Gefahren des Glücksspielens 2009 von mehr Personen wahrgenommen worden waren als 2007. Insgesamt aber zeigt sich, dass bei den Prävalenzschätzungen zu pathologischem oder problematischem Glücksspielen keine signifikanten Unterschiede bei den beiden Befragungen festzustellen sind.
Die telefonische Befragung von Probanden birgt – wie bereits oben dargestellt – die Gefahr der Verzerrung; auch bei den beiden BZgA-Studien lag ein relativ kurzer Befragungszeitraum vor (2007: 8. August bis 19. September; 2009: 12. März bis 8. Mai), was die Teilnahmequoten beeinflusst haben kann. Außerdem kann die Verwendung des SOGS – wie oben bereits dargestellt wurde – zu einer Überschätzung der Prävalenz geführt haben (vgl. Tab. 1–1). Insgesamt ist die epidemiologische Befundlage zum pathologischen oder problematischen Glücksspielen sehr unbefriedigend. Die begrenzten Teilnehmerquoten in den einzelnen Studien lassen vermuten, dass potenzielle Subgruppen von pathologischen oder problematischen Glücksspielern unberücksichtigt, zumindest jedoch unterrepräsentiert sind.
Das kann allein durch den Ort der Kontaktaufnahme zu den Glücksspielern oder den Erhebungsmodus beeinflusst sein. Der Erhebungsmodus ist meist auf telefonische Befragungen beschränkt, was zu einem erheblichen Stichprobenbias führen kann (Williams & Volberg, 2009). In allen vier dargestellten Bevölkerungsstudien ist nur die 12-Monats-Prävalenz erhoben worden. Eine Erfassung der Lebenszeitprävalenz glücksspielbezogener Probleme ist aber für das vollständige Verständnis der Problematik notwendig und ermöglicht, auch Remissionsprozesse zu erfassen und besser zu verstehen. Der Kontakt zum Hilfesystem ist bislang vor allem in Studien aus klinischen Zusammenhängen analysiert worden. Remissionsprozesse ohne die Inanspruchnahme formeller Hilfen sind bislang in nationalen Studien jedoch nicht bearbeitet worden. Dabei ist aus der internationalen Forschung bekannt, dass die wenigsten pathologischen Glücksspieler formelle Hilfen in Anspruch nehmen, um eine Glücksspielproblematik zu überwinden (Hodgins & El-Guebaly, 2000; Laging, 2009; Suurvali, Hodgins et al., 2010). Die häufigsten Gründe hierfür sind u.a. Scham und die Angst vor Stigmatisierung oder die Unfähigkeit, sich das Ausmaß des Problems eingestehen zu können (Suurvali, Cordingley et al., 2009). Gerade die Analyse von Remissionsprozessen kann dazu beitragen, das Hilfesystem für Menschen mit glücksspielbezogenen Problemen zu verbessern und Konzepte für Prävention und Frühintervention im Glücksspielbereich zu entwickeln.
Ein in nationalen Studien vernachlässigter Bereich ist die psychiatrische Komorbidität bei glücksspielbezogenen Problemen. Bislang sind komorbide Störungen bei pathologischen Spielern nur im klinischen Setting erhoben worden (Premper & Schulz, 2008), Daten bezüglich der deutschen Bevölkerung liegen bis jetzt noch nicht vor. Auch beim Thema problematisches und pathologisches Glücksspielen bei Jugendlichen gibt es weiteren Bedarf an repräsentativen Daten angesichts der hohen Internet-Affinität von Jugendlichen und der weitgehend unkontrollierbaren Online-Glücksspielindustrie.
Projekt PAGE – Pathologisches Glücksspiel und Epidemiologie
Von Dezember 2009 bis Februar 2011 führten die Universitätskliniken Lübeck und Greifswald eine groß angelegte Studie zum Thema Glücksspielen in Deutschland durch. Ziel war es, den Kenntnisstand zu Bedingungen und Aufrechterhaltung problematischen und pathologischen Glücksspielens, Remissionsprozesse mit und ohne formelle Hilfen und Komorbiditäten zu verbessern und damit Einfluss auf eine Optimierung des Hilfesystems für problematische und pathologische Spieler zu gewinnen.
Die Studie bestand aus fünf Teilstichproben (vgl. Abb. 1–1): 1. Eine Zufallsauswahl von 14 022 Probanden im Alter von 14 bis 64 Jahren aus der Allgemeinbevölkerung, die nach einem dreistufigen Ziehungsverfahren bestimmt wurde. Dazu wurden zunächst proportional zur Einwohnerzahl in einer nach Kreisen und Glücksspielautomatendichte geschichteten Zufallsziehung 52 Gemeinden ausgewählt. Für diese Gemeinden wurde daraufhin eine Zufallsstichprobe von Telefonnummern generiert. Nach Ermittlung der gültigen Nummern von Privathaushalten erfolgte die Bestimmung der Zielperson durch die «Last-Birthday»-Frage.
2. Eine Zufallsauswahl von 1000 Zielpersonen, die ausschließlich über einen Mobilfunkanschluss telefonisch zu erreichen waren (Mobile Only).
3. Eine Stichprobe von Aktual-Spielern, die direkt an Glücksspielorten (Spielhallen, Kasinos) bezüglich einer Studienteilnahme angesprochen wurden.
4. EineStichprobevonaktuellenoderehemaligenpathologischenoderproblematischen Glücksspielern, die über Presseaufrufe in Zeitungen, Radio und Fernsehen sowie über einen Informationsflyer rekrutiert wurden.
5. Eine Stichprobe von Personen, die sich wegen ihrer Glücksspielproblematik in Einrichtungen befanden, in der eine erhöhte Prävalenz zu erwarten ist, wie glücksspielspezifische stationäre oder ambulante Einrichtungen, Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen, aber auch nicht-glücksspielspezifische Hilfeeinrichtungen wie Schuldnerberatungen oder Bewährungshilfe. Die Zielpersonen wurden zunächst in einem ca. 15-minütigen computergestützten Telefoninterview zu ihrem Spielverhalten befragt. Nach der Abfrage der Lebenszeitund der 12-Monats-Prävalenz für die einzelnen Spielarten wurde die DSM-IV-basierte Sektion pathologisches Spielen des WMH-CIDI (WHO, 1990) durchgeführt, um pathologisches oder problematisches Glücksspielen zu diagnostizieren. Sofern eine Diagnose gestellt werden konnte, erhielten die Probanden bei Teilnahmebereitschaft ein weiterführendes, ca. zwei bis vierstündiges computergestütztes Interview, für das die Interviewer die Probanden an ihrem Wohnort aufsuchten. In dieser vertiefenden Befragung wurde eine ausführliche Diagnostik der Achse-I-Störungen anhand des DIA-X/M-CIDI (Wittchen, Weigel et al., 1996) durchgeführt. Persönlichkeitsstörungen wurden mit dem Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV (SKID II; Fydrich, Renneberg et al., 1997)